16. Kalifa, die Kantinenchefin

23. Januar, 2101

Daves Sicht

Ich hatte die Tür hinter mir geschlossen und lehnte mich nun leicht an. Ich atmete einmal tief ein und aus , als könnte die gesamte Wut und der Stress mit der Luft entweichen. Meine Gedanken waren aufgebracht und verwundert zugleich. Ich versuchte sie neu zu ordnen und die gerade eben stattgefundene Konversation wurde in den hintersten Teil meines Gehirnes verbannt.

Sowas hatte mir gerade noch gefehlt. Ein sturer Junge der nicht spricht. Keine Antworten gibt, nicht mal auf die simpelsten Fragen. Mir nicht das kleinste Zeichen vermittelt, um wenigstens irgendwas von sich zu geben. 

Die Fragen waren zwar mehr improvisiert jedoch mit Bedacht gewählt. Ich wollte leicht anfangen. Nach Namen oder Alter fragen. Das typische halt beim ersten Kennenlernen. 

Und nicht mal das hatte funktioniert.

Die Fragen waren unnötig, das stimmte schon. Allerdings wäre es nicht besonder schlau gewesen ihn  gleich mit meinem Wissen, das ich über ihn verfügte, zu konfrontieren. Dann hätte ich ihm erklären müssen, woher zum Teufel ich seinen Namen wusste. Und dann hätte ich ihm sagen müssen, dass ich sein Tagebuch gelesen hätte. Und ein solches Vergehen führt normalerweise nicht zur Gewinnung von Vertrauen.

Aber dass er selbst Nahrung verweigerte und ablehnte kam mir schon ein wenig absurd vor. Vielleicht wurde er so darauf gedrillt keines anzunehmen. So eingeredet, als würde dir jeder Fremde, der dir Essen anbot, das Ziel zu verfolgen dich zu vergiften. Das konnte bei dem, was ich in seinem Tagebuch gelesen hatte schon möglich sein.

Nachdem ich ihm die heutige Speisekarte dann vortrug, hatten ja dann doch das Verlangen seines Körpers über den Wille gesiegt.

Und mir so immerhin eine Antwort beschert.

Wenigstens wusste ich nun dass er Hunger hatte und wollte auch nicht länger darauf warten ihm dies zu bringen. Also straffte ich meinen Körper und machte mich auf in den anderen Häuserblock zur Kantine.  

Aufgrund der späten Uhrzeit war die Kantine auch kaum besetzt. Nur vereinzelt saßen kleine Grüppchen von Menschen an den Mensatischen und machten sich gemächlich über ihr Essen her. An der Ausgabe war gar nichts los, was mir nur recht sein sollte. Dort stand eine großgewachsenen Frau mit dunklen Teint und Rastalocken, die eher der Farbe von Zartbitterschokolade ähnelten. Ihre Haarpracht war zum Teil zu einem wirren Zopf zusammen gebunden, während die unteren Haarsträhnen über ihre Schultern hinunter glitten.

Ich lehnte mich an den Tresen und wartete für ein paar Minuten, dass mich die Kantinenchefin bemerkte. Als sie Notiz von mir genommen hatte wandte sie sich mit einem Lächeln zu mir um. Sie löste sich los von ihrer Arbeit und kam mit langsamen aber stetigen Schritten auf mich zu. An der Ausgabe stützte sie ihre beide Arme auf und grinste mich neckisch an. 

"Na wenn das nicht Dave ist!", begrüßte sie mich herzlich.

So voller Elan und das so spät am Abend. Ist das eine Eigenschaft, die alle Mädchen besaßen? Und das sowohl am Morgen als auch am Abend? 

"Hey, Kalifa. Wie gehts?" 

Ich versuchte so viel Freude wie möglich in meine Stimme zu stecken, was jedoch kläglich scheiterte. Man konnte mir meine Stimmung quasi von den Lippen ablesen. Kalifa ignorierte diesen gescheiterten Versuch einfach und antwortete stattdessen auf meine Frage.

"Oh mir geht's super, danke der Nachfrage. Du scheinst allerdings nicht so gut drauf zu sein. Wenn du schon so ne Miene ziehst.", sagte sie, während sie ihren Finger kindisch in meine rechte Backe bohrte, um ihre Aussage Ausdruck zu verleihen.

Genervt schnappte ich ihre Hand um eine weiter Berührung mit meinem Gesicht zu verhindern. Für ein paar Sekunden überlegte ich mir, ob ich nicht einfach wieder gehen sollte. Zu viel positive Energie vorhanden. Dann fiel mir das Essen wieder ein. Das ich eigentlich holen sollte. Also beruhigte ich mich und ließ ihre Hand wieder los.

"Hab nur 'nen schwierigen Patienten, das ist alles."

Verständnisvoll zog sie ihre Hand wieder zurück. Vielleicht fühlt sie, dass ich kurz davor war meinem Frust Luft zu lassen. 

"Ich hoffe mal, dass du nicht deswegen hier bist. Deine Wut kannst du gern wo anders freien Lauf lassen."

Ich schüttelte den Kopf. 

"Nein, nein. Eigentlich wollte ich etwas zu essen holen."

Gespielt setzte sie ein erleichtertes Gesicht auf. Kalifa wusste wie unerträglich ich war, wenn ich mal so richtig ausrastete. In der Zeit meines Studiums hatte ich gefühlt mehr Stunden in der Kantine verbracht, als in den Hörsälen. Mit Kalifa konnte ich über Gott und die Welt reden und besonder zu damaligen Zeiten war sie ein Segen für mich. Irgendwo hatte ich sie auch als einen Ersatz für meine Mutter gesehen, mit der ich mich austauschen konnte.

"Ach schade.", sie blickte mich ein wenig enttäuscht an," ich dachte wir könnten mal wieder ein wenig miteinander plaudern. So wie damals. Aber irgendwie laufen wir uns nie über den Weg."

"Ja, ich weiß. Mir würden jetzt schon tausende Dinge einfallen, über die ich mich bei dir beschweren könnte. Obwohl es ja eigentlich schöner wäre über...angenehmere Dinge zu reden."

Ich bemerkte, dass die Unterhaltung drohte ins Unendliche überzugehen. Also versuchte ich schnell das Thema zu wechseln und sprach meinen eigenen Grund hier zu sein an. 

"Aber, viel wichtiger - Essen. Was hast du noch alles da?"

Ich lehnte mich ein wenig über den Tresen und rückte ein ganzes Stück näher zu Kalifa.

Sie schob nachdenklich ihre Lippe nach oben und drückte ihren Zeigefinger an ihr Kinn.

"Nuuuuuun...", begann sie, "also wir haben noch ganz viel Suppe übrig. Irgendwie will die keiner essen. Vom Salat ist auch noch etwas da, aber den würde ich dir nicht mehr empfehlen. Vom Hauptgang ist noch wenig von heute Mittag da aber Muli sollte gerade dabei sein eine neue, frische Ladung zu machen. Wenn du ein bisschen wartest könntest du etwas warmes, frisch zubereitetes bekommen."

Um das klar zu stellen: Muli war der Spitzname für Mullins, einer der Köche in der Kantine. Ich hatte den Typen noch nie getroffen, aber alleine bei dem Spitznamen musste er einem schon Leid tun. Kalifa konnte bei Spitznamen manchmal genauso gnadenlos sein wie Tessa.

Da ich bereits gegessen hatte, brauchte ich eigentlich nichts mehr. Für Ian hätte ich die Suppe vorgeschlagen. Er sollte erst mal sehen ob er irgendwas im Magen behalten konnte.

"Danke aber ich hab's ein wenig eilig.", versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen, "Ich nehm' einmal einen Teller Suppe. Und zwei von diesen Apfelküchlein."

Sie nickte und tippte flink auf der Kasse herum.

"Dann noch eine Flasche Wasser und einen Kaffee. Einen großen."

Nachdem nach wenigen Sekunden keine Antwort kam blickte ich zu ihr auf. Sie starrte mich mich Verwunderung und Schrecken an.

"Also wenn du anfängst Kaffee zu trinken, dann muss ja gehörig was falsch laufen."

Kalifa wusste mittlerweile genau was meine regulären Bestellungen waren. Es schien sie sichtlich verwundern, weshalb ich nun auf Kaffee umsteigen musste. Auf einen stärkeren Stoff. 

"Nun ja...ungewohnte Situationen erfordern ungewohnte Maßnahmen. Außerdem hab' ich noch eine lange Nacht vor mir, da kann ein wenig mehr Koffein nicht schaden. ", versuchte ich mit einem Schulterzucken klar zu stellen. 

Die junge Dame lachte einmal kurz auf, als sie meine Antwort hört. Dann entfernte sie sich kurz von mir, um an einem kleinen Fenster, welches einen Blick in die Küche erlaubte, meine Bestellung an die Köche weiterzugeben. Dann tippte sie alles in ihre Kasse ein und nannte mir den Preis.

Während ich in meiner Geldbörse nach Münzen kramte, schmiss sie die Kaffeemaschine an und holte eine gekühlte Wasserflasche aus einem Gefrierfach. Nachdem ich endlich das gewünschte Geld gefunden hatte, war sie schon wieder zurück zum Küchenfenster geflitzt und holte die bestellte Suppe und meine aufgewärmtes Apfelküchlein.

Die flüssige Vorspeise verstaute sie in einer Art Schüssel mit Deckel, der die Suppe weiterhin warm halten sollte. Einen Löffel klebte sie oben drauf. Der Kaffee war mittlerweile fertig, weshalb sich die Maschine  lauthals bemerkbar machte. Dann legte sie alle meine Bestellungen vor mir auf den Tresen. Diese alle auf einem kleinen quadratischen Tablett platziert, verabschiedete ich mich dann von Kalifa und wünsche ihr noch einen schönen Abend.

Mit dem Essen unter den Arm geklemmt machte ich mich also wieder auf zu meinem kleinen Problempatienten. 

Ich öffnete die Tür  und trat in den Raum.

Ian hatte sich kein bisschen von seinem ursprünglichen Platz bewegt. Er lag immer noch nach links weggedreht und schien ein wenig weg genickt zu sein. Er machte nicht den Eindruck fest zu schlafen sondern eher mehr oder weniger weggetreten zu sein. 

Als er das Öffnen der Tür wahrnahm zuckte er ein wenig zusammen und schien aus seinem Trancezustand wieder aufzuwachen. Da er ja jetzt wusste, dass ich wieder da war, hatte ich das Gefühl, ich konnte ihm mitteilen was ich zu Essen mitgebracht hatte. 

"Tengo tu comida. Hay sopa de patatas y agua para beber."

Mein Patient versuchte mich gekonnt zu ignorieren, was ihm allerdings nicht viel brachte. Also ging ich nicht weiter darauf ein, dass er mir nicht antwortete und schlenderte stattdessen zu meinem geliebten Schreibtischstuhl, um danach das Tablett mit Suppe und Wasser auf einem kleinen Nachtkästchen abzulegen.

Er machte keine Anstalten sich die Nahrung zu holen und so ließ ich es dort einfach stehen. Er solle selbst sehen wohin er mit seiner Sturheit kam. Irgendwann würde er schon Hunger bekommen.

Also ließ ich ihn weiter vor sich hinbrodeln, während ich mir meinen Kaffee schnappte und mich wieder meiner Arbeit am Tagebuch zuwendete. Nach gefühlten zehn Minuten konnte ich aus dem Augenwinkel erkennen, wie sich der Weißhaarige versuchte aufzusetzten und näher an den kleinen Beitisch heranrückte. Langsam nahm er sich das Tablett und das ploppende Geräusch des sich öffnenden Deckels signalisierte mir, dass er schließlich doch etwas von der Suppe aß. 

Ein Fortschritt. Ein kleiner, aber ein Fortschritt.


Hier ist das nächste Kapitel!

Ich hoffe es gefällt euch. Hat leider ein wenig gedauert es fertig zu schreiben, aber jetzt ist es ja endlich draußen.

Kalifa ist halb Afrikanerin, halb Europäerin (oder so...), hat aber eher einen schokoladenfarbigen Teint.

Ansonsten das übliche:

Bei Fragen fragen?

Wenn euch die Geschichte gefällt, dann schreibt mir was euch gefällt.

Oder was euch nicht gefällt...wenn...

Bei Vorschlägen- in die Kommentare damit!

Ansonsten danke fürs lesen und bis zum nächsten Kapitel! <3

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