14. Schichtübernahme

23. Januar, 2101

Dave's Sicht

Nachdem mein Vater mir die freudige Nachricht überbracht hatte, überließ ich ihm die Abwasch- und Aufräumarbeit. Er hatte sich nicht einmal beschwert, was mir nur recht sein sollte. Da ich bemerkt hatte, dass ich seit gefühlten Tagen nicht mehr duschen war, sprang ich nach dem Essen noch kurz unter das heiße Wasser und und machte mich danach zu Fuß mit einem Englisch-Spanisch-Wörterbuch unter dem Arm geklemmt, den bisherigen Notizen zum Tagebuch auf zum Hauptquartier.

Beim Betreten des riesigen Gebäudekomplexes schlug ich stur die Richtung ins Untergeschoss ein. Ich schenkte nicht mal der freundlichen Mitarbeiterin am Empfangsschalter einen Blick, da ich gerade nicht dazu in Stimmung und Lage war.

Ich denke jeder hat mal solche Tage und heute war meiner.

An der richtigen Tür dann angekommen, entsperrte ich sie und schritt zielstrebig hinein. So gesehen sah alles so aus wie ich es heute morgen verlassen hatte.

Ian lag in dem Krankenbett und schien zu schlafen. Anscheinend wirkte das Beruhigungsmittel noch immer. Die Infusion war mittlerweile entfernt worden, ich nahm an von Tessa oder Simon.

Tessa saß mit dem Rücken zu mir gewand vor dem Schreibtisch und war in Bücher vertieft. Sie bemerkte mich, als die Tür hinter mir zu fiel.

"Du siehst ja nich' so begeistert aus.", lächelte sie mir entgegen.

Ich setzte einen genervten Blick auf.

"Das kannst du dreimal sagen. Wenn ich Simon heute noch treffe bring ich ihn um.", entgegne ich ihr motzig und schnappte mir einen zweiten Stuhl um mich zu ihr zu setzten, jedoch mit Blick auf unseren Patienten.

"Ist irgendwas in der Zwischenzeit passiert?", fragte ich Tessa, da ich mich irgendwie ablenken musste.

"Nö. Er hat die ganze Zeit geschlafen. Scheint ziemlich fertig zu sein. Ich hab die Infusion entfernt."

Somit erhob sie sich aus ihrer sitzenden Pose und streckte sich, sodass die Knochen knackten. Sie schien schon eine ganze Zeit lang zu sitzen.

"Ach", bemerkte sie dann, "hast du Sachmet heute gar nicht dabei?"

Ich schnalzte abwegig mit meiner Zunge.
"Das faule Vieh sollte sich echt mal mehr bewegen. Liegt fast den ganzen Tag nur herum und schläft. Aber damit kann sich jetzt mein Vater herumschlagen."

Tessa schaute mich ein wenig zweifelnd.

Sie verzog gedankenverloren ihr Gesicht. Plötzlich stand sie in einer Bewegung auf und stützte ihre Arme in die Hüfte.

"Okay!", rief sie dabei, "Übernimm bitte hier derweil. Ich wollt eh noch in den anderen Sektor um Dokumente und so zu holen. Außerdem hatte ich heute noch keine Pause."

Beim Aussprechen des letzten Satzes verzog sie beleidigt das Gesicht zu einer Schnute. Ich schenkte ihr einen weniger überzeugten Blick. Dann dachte ich jedoch genauer darüber nach und entschied mich für eine Zusage.

"Meinetwegen."

Schließlich stolzierte Tessa dann aus der Tür und verabschiedete sich mit einem kurzen 'bis Später'.

Und mal wieder befand ich mich allein im Raum, zusammen mit unserem bewusstlosen Patienten. Lustlos begann ich damit, den Drehstuhl mit meinen Füßen anzutauchen. Dabei legte ich den Kopf in den Nacken und starre an die farblose Decke, die sich immer schneller und schneller zu drehen begann. Das langweilige Weiß verzerrte sich zusammen mit den anderen Farben in eine seltsame Mischung.

Als mir irgendwann dann Kotzübel wurde, stoppte ich mein freudiges Drehen, da ich kurz davor war mein Abendessen wieder auszuspucken. Ich senkte meinen Blick, konnte jedoch keinen klaren Blick fassen. Der Raum schärfte sich wieder, ich konnte wieder Details wahrnehmen.

Ich sollte darauf warten, dass der Junge aufwacht. Alleine lassen wollte ich ihn nicht. Dass sich ein Ereignis wie heute Morgen nochmals wiederholt, wollte ich ihm (und mir) ersparen.

Und so wartete ich.

Bereits nach 5 Minuten beschloss ich die Zeit anders zu nutzen. Da ich das Tagebuch so schnell wie möglich vom Tisch haben wollte, fuhr ich mit der Übersetzung fort.

Nachdem das Tagebuch hervorgekramt und das Wörterbuch bereitgelegt war (auch ich konnte mir nicht alles merken) begann ich.

Nach zwei weiteren Einträgen erkannte ich, dass sich der Ablauf und die Geschehnisse von den anderen nicht groß unterschieden. Es war der typische Tagesplan.

Frühstück. Appell. Training.

Die erleichternde kurze Pause.

Das folgende mörderische Unterricht, der mehr an Folter erinnerte.

Abendessen.

Den Schmerz, den der junge Argentinier verspürte jedesmal, wenn er zu Bett ging.

Die Spannung, unter der er Morgens aufwachte.

Und wieder das Gleiche.

Das ging einige Einträge so. Einer unterschied sich dann stark von den anderen.

12. Eintrag, 2094

Liebes Tagebuch,

Heute, der 15. Mai 2064, war so ziemlich der schlimmste, seit wir hier angekommen waren.

Es begann wie gewohnt. Alles war so wie immer. Tomás war der erste der aufgewacht war. Flavio und Nicolás wehrten sich mit Händen und Füßen dagegen aus dem Bett geschmissen zu werden. Ich war in der Zwischenzeit schon aufgestanden und hatte mich schon angezogen, während Tomás sich verzweifelt bemühte die zwei Schlafmützen aus dem zu zerren.

Nach einigen erfolglosen Versuchen schafften wir es dann schließlich doch und beeilten uns dann, um noch rechtzeitig zum Appell zu kommen, der durch Trommel und Pfeifen bereits angekündigt wurde. Auf dem großen Platz war schon der Großteil aller Soldaten eingetroffen und hatten einen Platzt in der endlosen Reihe eingenommen. Wir drei gesellten uns so schnell wie möglich dazu. Zustpätkommer sah dort niemand gerne, zumindest keiner der Aufseher.

Nach ca. 3 Minuten stehen, begannen die Wärter mit dem Zählen.

Jeder Soldat hatte seine Nummer. Man musste sich von Anfang an in der richtigen Reihenfolge aufstellen. Das wurde von einem von Beginn an eingeredet. Wer falsch am Platz stand, musste Extrarunden laufen.

Beim Vorbeigehen musste jeder Soldat seine Nummer nennen und die Aufseher überprüften die richtige Reihenfolge. Wurde eine Nummer ausgelassen, war gleich klar, dass jemand fehlen musste.

Bisher war es noch nie passiert. Aber was noch nicht wahr kann ja noch werden. Und das schneller als mir lieb war.

Als einer der Kontrolleure an mir vorbei marschierte; groß, Kurzhaarschnitt und kleine, böse funkelnde Augen; nannte ich ihm meine Nummern. Mittlerweile passierte das abwesend und völlig automatisch.

Er nickte kurz und setzte seinen Weg der Reihe entlang fort, um seine Befragung durchzuführen. Da mehr Aufseher präsent waren, ging es einigermaßen schnell, die Anwesenheit von ca.2000 Soldaten zu überprüfen.

Das ganze Spektakel war nach einer gefühlten halben Stunde vorbei. Jedoch gab es Unruhe. Ein paar Anwärter standen beisammen und schienen eine hitziges Gespräch zu führen. Ich blickte mich nach Tomás um, der am nahsten bei mir stand und warf ihm einen fragenden Blick zu. Der gab nur ein Schulterzucken zurück.

Eine donnernde Stimme ertönte durch die Lautsprecher.

"Aufgepasst Rekruten!!"

Alle Aufmerksamkeit wandte sich nach vorne.

"Sollte Nummer 1045, Carlos Felíz anwesend sein, so solle er sich unverweigerlich hier vorne melden."

Schweigen. Keiner in den Reihen regte sich.

Manche sahen sich fragend um. Suchten nach der genannten Person.

Nachdem sich immer noch keiner gemeldet hatte, machte der Wärter durch ein Räuspern erneut auf sich aufmerksam.

"Die Zimmergesellen von Carlos Felíz sollen bitte vortreten."

Langsam lösten sich von der Menge aus tausenden von Soldaten drei Figuren, die jeweils nur zögernd nach vorne traten. Sie mussten sich vor alle anderen positionieren und nannten ihren Namen und Nummer.

"Ist Ihnen bekannt, wo ihr Kumpane sich aufhält?"

Mit kräftiger Stimme antworteten die drei gleichzeitig "Nein, Sir".

Der Wärter mit dem Namen Fernando blickte sie zweifelnd an. Dann warnte er sich nochmals.

"Ich denke nicht, dass ich sie daraufhinweisen muss, dass es Konsequenzen für sie haben wird, sollten sie nicht die Wahrheit sagen."

"Natürlich, Sir!"- "Ja, Sir!" - "Verstanden, Sir!"

Stirnrunzelnd brüllte er auf einmal in die Masse hinein.

"DANN GEBEN SIE MIR INFORMATION, WO SICH IHR GENOSSE BEFINDET!!"

Einer der aufgerufenen Rekruten meldete sich dann zögerlich zu Wort, nachdem er mit seinen Kollegen Blicke ausgetauscht hatte.

"Bei Verlaub, Sir. Wir haben ihn selbst seit heute morgen nicht gesehen. Er war schon weg bevor wir drei wach waren."

Bei dieser Antwort wurde er hellhörig und murmelte nur "So, So...". Dann schallte seine tiefe Stimme wieder durch den ganzen Raum.

"Wie es scheint haben wir einen Ausreißer! Hergehört Rekruten! Keiner von euch bewegt sich vom Fleck. Anderseits werdet ihr die nächsten zwei Wochen in 'la Celda' schmoren!!"

Damit beendete er seine Rede und verließ den Schauplatz zusammen mit dem Großteil der anderen Anwärter. Wir Soldaten standen erst einmal einen Moment da und versuchten zu verstehen was überhaupt los war. Man erzählte sich Geschichten über diese Anlage. Dass eine Flucht von hier unmöglich war, dass es noch nie einem gelungen war. Viele hatten es versucht und diejenigen hatte man nie wieder gesehen.

Also standen wir hier und warteten. Bereits am Morgen hatte ein leichter Nieselregen eingesetzt der sich mittlerweile in einen heftigen Platzregen verwandelt hatte. Riesige Pfützen bildeten sich auf dem Schotterplatz und wir waren mittendrin. Ich konnte spüren wie mir der Regen bis in die Stiefel hinein kroch. Bereits nach 5 Minuten unter freiem Himmel, schon waren wir von oben nach unten in feuchte Kleidung getränkt. Die Haare klebten am Nacken und an den Wangen. Nach 15 Minuten konnte ich schon meine Schultern nicht mehr spüren. Das Trommeln des Regens hatten sie taub werden lassen.

Wir standen uns die Füße ab.

Für sage und schreibe 5 Stunden.

Bis um kurz von 11 Uhr standen wir auf dem verdammten Platz unter strömenden Regen bis sie den fehlenden Rekruten wieder zurück gebracht haben. Einige der anderen Soldaten hatten die lange Zeit nicht ausgehalten und waren einfach umgekippt. Aber die hatte man einfach liegengelassen. Ich war wie viele andere ebenfalls furchtbar erschöpft, doch nachgeben wollte ich nicht.

Man hörte den Ausreißer schon weitem. Er wurde von den anderen Wärtern in das Areal hineingezerrt. Er wehrte sich mit aller Kraft und schrie wie am Spieß.

"Lasst mich los!! Ihr Drecksäcke, ihr sollt mich loslassen!!!"

Er war von Schlamm und Dreck übersät und bis auf die Knochen mit Regenwasser durchtränkt. Er hatte Schrammen im Gesicht und an den Gliedern, was davon zeigte, dass man ihn wortwörtlich hierher geschleppt hatte.

Mit einem kräftigen Ruck warfen ihn seine Träger auf den Boden vor allen anderen Soldaten. Bevor er wieder aufstehen konnte, drückte der Hauptmann ihm seinen dreckigen Stiefel ins Gesicht und zwang ihn somit wieder zum Boden.

"Du hast uns ja ne Menge Probleme bereitet, Kleiner!" ,spuckte er dem Rekruten entgegen, "Deine Kollegen hier durften fast 5 Stunden im Regen stehen. Wegen dir!"

Er holte mit seinem Fuß aus und rammte den Kopf mit der Nase voraus in den Boden. Der Junge machte ein schmerzhaftes, grunzendes Geräusch bevor er an den Haaren gepackt und wieder hochgezogen wurde. Man erkannte deutlich seine nun blutige Nase und sein vor schmerz verzogenes Gesicht.

"Das!", er zog den jungen Rekruten noch weiter in die Luft, "soll euch allen eine Lehre sein! Wer es nochmal wagt auch nur den Gedanken daran zu haben von hier zu flüchten wird wiedergefunden und vernichtet."

Demonstrierend ließ er den Haarschopf los und der Körper sackte in sich zusammen. Schon im nächsten Moment wollte das Opfer sich erheben jedoch hatte der Offizier andere Pläne.

Er nahm mit einer Handbewegung seine Pistole.

Das klicken einer nun geladenen Waffe erklang.

Es wurde angelegt und der Abzug betätigt.

Das Echo des Schusses war noch fast eine ganze Minute lang zu hören.

Die Bewegungen des Ausreißers verstummen vollkommen und er viel leblos zu Boden.

Es herrschte Totenstille. Keiner wagte auch noch irgendetwas zu sagen.
Ich zwang mich hinzusehen, meinen Körper und Geist auf solche Aktionen vorzubereiten.

Geschockt blickte ich auf die Leiche, die Blutspritzer auf dem Boden, das Loch in seinem Kopf.

Sofort wendete ich mich wieder ab. Der tote Körper wurde in ein weißes Leichentuch gewickelt und von anderen Wärtern entsorgt.

Alle anderen Soldaten wurden zurück in die Frühstückshalle geschickt, wo wir dann wenigstens etwas zu essen bekamen, da wir heute noch nichts gefrühstückt hatten und wir bekamen die Möglichkeit unsere nassen Klamotten los zu werden. Dieses Ereignis war dann Gesprächsthema des Tages. Ich wollte nicht darüber reden. Es hatte mich zu sehr schockiert. Mich an die leblosen Augen zu erinnern, die beim Aufprall der Kugel in den Kopf nach hinten rollten.

Nichts als Unterdrückung und Einschüchterung. Ganz einfach: eine Diktatur.

Ian Álvarez

Als ich diesen Eintrag übersetzt hatte, war ich wortwörtlich geschockt. Noch mehr als ich eh schon war.

Dort herrschte Sklaverei und Unterdrückung. Kaum etwas erinnert an eine Gemeinschaft. Alle Vorurteile gegenüber den argentinischen Compators löschte ich sofort aus meinem Gedächtnis. Gerade wurde mir ein einmaliger Einblick in das politische und militärische System geboten. Das bekamen nicht viele, denn die Argentinier legten alles darauf ihr Geheimnis so gut wie möglich zu behüten.

Die Luft in dem unterirdischen Zimmer schien plötzlich zum ersticken dick zu sein. Langsam legte ich den Stift vor mir auf dem Schreibtisch ab und lehnte mich in den Stuhl.

Gedankenverloren begann ich wieder mit dem Stuhl zu drehen. Die Gedanken an das Ereignis wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ich legte meine Hände wie zum Gebet gefaltet vor meinem Mund zusammen und überlegte. Meine Füße tauchten das letzte Mal an, bevor ich sie anzog und an meinen Körper presse, in einer knienden Position auf dem Drehstuhl hockte. Ich war so vertieft, dass ich nicht die zwei hellgrünen Augen bemerkte die mich intensiv anblickten.

Irgendwann war jedoch kein Schwung mehr vorhanden, der den Stuhl weiter antrieb und wurde somit immer langsamer. Die verschwommene Außenwelt wurde wieder klar und langsam kam ich zum stehen. Mit dem Rücken zum Schreibtisch. Und bemerkte somit wie mich ein interessiertes Augenpaar anstarrte.

Es geht weiter!

Hier ist das nächste Kapitel. Ich hoffe euch gefällts.

Gibt es Vorschläge?Ich nehme auch gerne Wünsche an, sollte ich die irgendwie einbauen können.

Lasst gerne eure Meinung zur Geschichte oder zum Kapitel da, ich freu mich über eure Rezessionen.

Danke an alle Leser und Leserinnen und noch viel Spaß bei den anderen Kapiteln.











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