8. Für immer ein Kind geblieben

London, 16. Februar

(Passagen in kursiver Schrift  werden in spanischer Sprache gesprochen)

Die Ergebnisse von Ians Befragung ließen lange auf sich warten. Mal war man kurz davor zu einem Beschluss zu kommen, doch dann gab es wieder Einsprüche und man vertagte die Versammlung. Und alles ging von vorne los. Wenn Lennard durch die Tür trat, warteten alle schon gespannt auf die Nachrichten, nur um zu erfahren, dass es noch keine Fortschritte gab.

Vor allem Ian schien sich an der Unsicherheit über seine Zukunft aufzuarbeiten. Er klammerte sich an jede Ablenkung, die er finden konnte. Die Anzahl der Zettel an der Wand hatte drastisch zugenommen und mittlerweile musste sogar der Boden um sein Bett herum daran glauben. Der Radius, den er mit seinen Handfesseln erreichen konnte, hatte sich seit dem Gespräch mit dem General immens vergrößert. Arnold persönlich gab den Antrag, dass man ihm entgegenkommen könnte und ihm die volle Freiheit innerhalb des Raumes ermöglichte. Wenn sie ihn sichern wollten, gab es ja noch immer den Elektroschock.

Dave hingegen machte es zu seiner persönlichen Mission, Ian mit seinen Sprachkompetenzen zu helfen und erklärte sich kurzerhand zu seinem persönlichen Privatlehrer. Der Argentinier hatte eine überdurchschnittlich gute Auffassungsgabe und einen großen Wissensdrang. Er hörte dem Briten aufmerksam zu, wenn er Grammatikregeln erklärte oder Übersetzungen verbesserte. Gerade die Langeweile und der Drang, danach irgendetwas zu tun, brachte den jungen Soldaten oft dazu, den ganzen Tag seine Nase in das Wörterbuch zu stecken. Lennard hatte sogar die alten Schulhefte seines Sohnes aus den verstaubten Ecken des Apartments hervorgekramt und sie ihrem Patienten zum Üben gegeben, während Dave in Second-Hand-Shops nach Kinderbüchern suchte.

Als er mit einer ganzen Kiste von bunt illustrierter Literatur für Vorschulkinder ankam, wollte der Argentinier erst mal wissen, ob das sein Ernst war. Doch der Braunhaarige erklärte ihm, dass die einfachen Texte der Kinderbücher für ihn als Sprachanfänger besonders gut geeignet waren. Jeden Tag suchte er sich einen neuen Titel aus und begann Seite für Seite zu übersetzen. Wenn Dave zur Schicht kam, gingen sie die Texte gemeinsam durch und Ian markierte sich Fehler oder häufige Wörter, damit er sie weiter üben konnten. Innerhalb von drei Tagen hatte sich das Sprachtalent durch drei von Daves Blöcken gearbeitet, die er von zu Hause als Nachschub mitgebracht hatte. Mittlerweile neigte sich selbst der vierte Notizblock langsam dem Ende zu.

Irgendwann hatte der junge Argentinier einen kitschigen Jugendroman in der Hand, den Dave noch aus seinen Jugendjahren in Spanien hatte. Andere Bücher in spanischer Sprache besaß er leider nicht, da er nicht unbedingt zu den begeisterten Lesern zählte - ganz im Gegensatz zu Ian. Die Anzahl an literarischen Werken, die Dave in seinen 24 Jahren gelesen hatte, schaffte Ian innerhalb weniger Tagen.

Das Kommunizieren mit Zetteln war für beide Heranwachsenden zum Alltag geworden und selbst mit Tessa und Simon bemühte sich Ian immer wieder, Gespräche zu beginnen. Beide seiner Kollegen waren mehr als bereit, mit Online-Übersetzern auszuhelfen oder Ian die richtigen Bezeichnungen im Wörterbuch zu zeigen. Dave investierte wirklich viel Zeit in seinen Patienten. Sein ganzes Arbeitsverhalten hatte sich verändert. Er kam das erste Mal seit Jahren fast zwei Wochen hintereinander überpünktlich zur Arbeit und blieb oft noch nach seinem Schichtende, um mit seinem "Schüler" noch zu üben. Die Nachtschichten, die sonst so unbeliebt waren, übernahm Dave freiwillig.

Tessa war gerade auf dem Weg, seinen Kollegen abzulösen.
Um kurz nach sechs Uhr morgens stand sie vor Raum 3 und öffnete die Türe. Dave war im Nebenraum nicht zu sehen, aber das verwunderte die Blondine nicht. Er saß meistens bei Ian im Raum nebenan. Genau dort fand sie ihn auch, als sie durch die Scheibe blickte. Beide jungen Männer saßen jeweils vor einem farbigen aufgestellten Brett und schienen in einem Zustand höchster Konzentration zu sein. Dave sprach etwas Unhörbares, woraufhin der den Kopf schüttelte. Als Reaktion klappte der Braunhaarige ein kleines Fenster auf dem großen Brett um.

Tessa hätte es im ersten Moment gar nicht erkannt, doch schnell wurde ihr klar, was die zwei dieses Mal ausgeheckt hatten. Oder eher: was Dave ausgeheckt hatte.
Sie öffnete den Zugang in das nächste Zimmer und stellte sich in den Türrahmen.

"Wer-ist-es? Ist das euer Ernst?", fragte sie mit Belustigung in der Stimme. Die zwei Spieler drehten sich zu dem Neuankömmling, der neben Dave getreten war.

"Ja, wieso nicht?", meinte der mit absolut ernster Miene. "Wir machen das nicht nur zum Spaß, Tess. Wir lernen Vokabeln."

"Aber mit Wer-bin-ich? So etwas hast auch nur noch du zu Hause. Damit haben sogar schon meine Eltern als Kinder gespielt. Vielleicht sogar meine Großeltern. Das könntest du vermutlich schon als Antiquität verkaufen."

"Ich behalte meine antiken Sachen lieber, danke Tess." Ihr Kollege sah ein wenig gekränkt aus, aber er wusste schon, dass nicht jeder seine Begeisterung für alte analoge Gegenstände teilte. Da war er halt ein wenig eigen.

Ian schob Dave einen Zettel hin.

Hast du eine Brille?

"Hmmm... Nein, keine Brille", antwortete ihm sein Spielpartner und das Geräusch von Plastik, das umgeklappt wurde, erklang. Der Arzt überlegte kurz, bevor er seine Beschreibung nannte.

"Hast du... eine große Nase?"

Nein, hab ich nicht

Dave stürzte ebenfalls ein paar seiner Fenster, während der Weißhaarige schon seinen nächsten Hinweis notierte. Tessa hatte sich die Zeit genommen um den Spielstand zu analysieren. Beeindruckt pfiff sie durch die Zähne.

"Wow, Dave. Du bist gerade haushoch am Verlieren", lachte sie ein wenig schadenfreudig. Doch der Angesprochene zischte ihr nur zu und meinte, sie sollte es ihm nicht verderben. Er fluchte doch gleich im nächsten Moment, als er die Notiz von Ian in der Hand hielt. Er war schon immer ein schlechter Verlierer gewesen. Aber immerhin konnte er es zugeben. Sie verharrten in der bockigen Stille des anderen und Ian zog wissend und siegessicher seine Augenbraue nach oben.

"Ist ja gut...", grummelte Dave. "Ja, ich trage einen Hut."

Die Antwort des jungen Argentiniers war prompt.

Du hast Sarah.

Ein klägliches Grunzen kam als Bestätigung, als Dave frustriert seine Hände in den Haaren vergrub. Es war eindeutig zu spät oder eher gesagt, zu früh für so etwas.

"Verloren...", schluchzte er ein wenig theatralisch und übertrieben. "Das dreizehnte Mal in Folge..."

Tessa zog beeindruckt die Augenbrauen nach oben.

"Dreizehn Mal? Wow... du bist wirklich schlecht, Dave. Wie lange spielt ihr denn bitte schon?"

Der Braunhaarige war aufgestanden und gerade dabei, die Bretter zurück in den Karton zu packen. Ian reichte ihm Karten mit verschiedenen Gesichtern drauf.

"Uh... ich glaube, wir haben um 2 Uhr oder so angefangen?"

Seine blonde Kollegin musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzulachen. Seit 2 Uhr?

"Ihr spielt seit 4 Stunden Wer-bin-ich? Euch muss ja extrem langweilig gewesen sein."

Dave antwortete mit einem Schulterzucken, als er Ians fragenden Blick bemerkte. Er übersetzte dem Argentinier den Inhalt ihres Gesprächs, der dann zu der Belustigung beider Ärzte ebenfalls nur kurz mit den Schultern zuckte. Dave schloss die Kiste mit dem bunten Deckel und machte sich dann daran, seine Sachen im Raum einzusammeln.

"Tja. Not macht erfinderisch" Zu Ian gewandt, meinte er dann: "Vielleicht kann sie dich ja schlagen."

Ian schien unsicher zu sein, bevor er die ältere Frau ansah und eine unausgesprochene Frage stellte. Eigentlich hatte Tessa sich ihren Morgen nicht so vorgestellt, aber sie wollte mal nicht so sein.

"Bereit für eine weitere Runde?"

Sie sprach es einfach so lapidar dahin und hielt ihm das Brett, das sie wieder aus der Schachtel geholt hatte, als Einladung entgegen. Sie wusste nicht, wieviel er verstanden hatte, doch die Geste war eindeutig. Ihr Herausforderer nahm das Brett entgegen.

Kann losgehen.

Dave verabschiedete sich und begab sich in den Nebenraum, während die Übriggebliebenen das Spiel vorbereiteten.

"Bin ja gespannt, was er sich nun ausdenken wird. Bei Dave kann man nie wissen, was er als Nächstes aus seinem Schrank herauszieht", murmelte sie eigentlich mehr für sich, doch anscheinend hatte Dave es noch gehört, denn schon im nächsten Moment tönte seine rauschende Stimme durch die Sprachanlage in den Raum herüber.

"Warte nur, bis ich mein altes Monopoly und UNO finde!"

Während Ian nur verwirrt zu seiner Begleitung blickte, hatte Tessa schon Visionen im Kopf, wie sie sich bei Monopoly wieder die Köpfe eingeschlagen würden - so wie nach der Jubiläumsfeier vor drei Jahren. Das Spiel hatte schon fast ganze Familien zerstört und Kriege angezettelt. Aber das war ein Drama für einen anderen Tag. Jetzt war sie bereit, den Titelverteidiger des "Wer-bin-ich" herauszufordern.

--.--

"Hier, bitte schön", sprach Dave und reichte Ian einen Essencontainer mit Reisgemüse hin, bevor er einen Einweglöffel nachreichte (den er auch tatsächlich durch die Sicherheitsschleuse gebracht hatte. Wobei es "schmuggeln" wohl eher traf). Sein Gegenüber nahm alles mit einem dankenden Nicken entgegen, während der Brite sein eigenes Mittagessen auspackte.

Sie versuchten es zu einem täglichen Ritual zu machen, Mahlzeiten miteinander zu verspeisen. Für Dave war Essen schon immer eine Tätigkeit, die er mit seiner Familie oder Freunden genossen hatte. Das kam so mit sich, wenn man in einer spanischen Großfamilie aufwuchs. Da wurde das Abendessen mal schnell zu einer halben Familienfeier. Aber das Gefühl, an einem gefüllten Tisch zu sitzen und die Zeit in Gesellschaft zu verbringen, hatte den jungen Arzt geprägt.

Dave hatte gerade mal drei Bissen gegessen, als er merkte, wie Ian wahrlich seinen Reis herunterschlang. Es war ihm in letzter Zeit erst aufgefallen, da der Argentinier davor penibel darauf geachtet hatte, sein Essen in Ruhe zu essen, wenn kein anderer anwesend war. Seine Portionen konnte er innerhalb weniger Minuten leeren, ohne aber einen Nachschlag zu verlangen.

"Mach mal langsam", scherzte der Braunhaarige eigentlich mit lockerer Stimme. "Wenn du wo weiter machst, verdirbst du dir noch den Magen."

Ian hielt inne und hob den Kopf, der gerade noch tief über seinem gebratenen Gemüse hing. Einen Blick auf das Reisgemisch und er sah, dass die Schüssel schon zur Hälfte leer war. Er leerte seinen Löffel, der übermäßig gefüllt gewesen war und stach erneut in die Masse. Auf seinem Gesicht breitete sich eine leichte Schamesröte aus.

Als er die Hände frei hatte, kramte er nach seinem Notizblock, den er immer in seiner Nähe liegen hatte.

Sorry. Nervosität. Alte Gewohnheit.


Sein Gegenüber runzelte die Stirn und schluckte runter. Alte Gewohnheit? Er versuchte, vergleichbare Geschehnisse aus dem Tagebuch zu finden, doch auf die Schnelle kamen ihm keine in den Sinn.

"Habt ihr beim Militär nicht so viel zu essen bekommen?"

War nicht viel, aber genug, um durch das Training zu kommen.

Ältere haben Jüngeren das Essen weggenommen.

Dave hatte gelernt, während des Schreibens auf Ians Mimik zu achten. Wenn der Text nicht viel über die Gefühls- und Emotionsebene des Stummen hergab, waren die Wörter oft auch falsch zu interpretieren. Doch der ausdruckslose Blick in seinen Augen, deutete auf eine Abhärtung hinsichtlich des Themas hin. Wie Gladiatoren im Ring um eine warme Mahlzeit kämpfen zu müssen - für den Briten ein schlechter Scherz. Doch für den Weißhaarigen war das für Jahre Routine gewesen. Es regierte das härteste Gesetz der Welt: Der Stärkere gewann. Die Realisation hinterließ nach dem eigentlich aromatisch gewürzten Reis, einen faden Beigeschmack auf seiner Zunge.

"Ist dir das auch passiert?", fragte Dave vorsichtig, nachdem er seine Schüssel abgesetzt hatte. "Dass man dir Essen abgenommen hat?"

Anfangs schon, schrieb der Argentinier. Nach kurzem Überlegen und fügte nachträglich etwas hinzu.

Später nicht mehr.

Ian konnte sich noch gut an die wenigen entsetzlichen Male erinnern, als er nach einem stundenlangen harten Training mit leerem und knurrendem Magen im Bett lag. Jeder Rekrut bekam eine Portion. Nicht mehr und nicht weniger. Zu Beginn ließ er es einfach über sich ergehen, doch irgendwann lernte er sich durchzusetzen und wehrte sich. Anders hätte er das Militär nicht überlebt.

"Nun, ich kann dir versichern, dass wir dir hier kein Essen wegnehmen werden", garantierte ihm der Ältere mit einem zuversichtlichen Lächeln auf den Lippen. "Ich wäre sogar froh, wenn du nach einer zweiten Portion fragen würdest."

Tatsächlich lief Dave noch zwei weitere Male zurück in die Kantine, um seinem Patienten Nachschub zu holen. Der andere fragte zwar nicht gezielt, aber er erkannte es an dem Blick und er antwortete ehrlich auf die Frage nach Nachschlag. Die dritte Schüssel ließ er nur noch zur Hälfte füllen. Nicht dass der Argentinier sich doch noch Magenverstimmungen holte, weil er zu viel auf einmal aß.

"Bist du nervös wegen des Ergebnisses?"

Dave hatte die leeren Container entsorgt und sah, dass Ian mit einem abschweifenden und geistesabwesenden Blick an die Decke guckte.

Ein bisschen.

Ein bisschen war wahrscheinlich 'ein bisschen' untertrieben. Der Argentinier rechnete jeden Moment damit, dass jemand durch die Eisentür spazieren könnte und man ihn zurück zum SA in den sicheren Tod schickte. Oder hier in Britannien als Staatsgefangener behalten, wo er den Rest seines Lebens in einer Zelle hinter Gitter schmoren würde.

Ein bisschen glich also eher der Aussage, dass er vor Unsicherheit durch die Decke gehen würde.

Frage mich, ob es das Richtige war.

Dave überlegte lange, wie er auf die Aussage des anderen reagieren sollte. Er war in keiner Hinsicht ein allwissender Guru, was Ratschläge anging. Aber er wollte seinem Patienten, der ihm seltsamerweise mehr und mehr ans Herz gewachsen war, eine ehrliche, hoffnungsvolle Meinung geben.

"Man kann es nie allen Recht machen. Du musst entscheiden, was sich für dich richtig anfühlt.

Ich war zwar nicht während deines... Gesprächs mit dabei, aber ich habe ein gutes Gefühl. Mein Vater weiß, wenn Leute ehrlich sind. Und dieser Arnold scheint auch nicht ganz verkehrt zu sein."

Glaubst du?

Ian war immer noch nicht so recht überzeugt. Seine Entscheidung würde früher oder später über seinen Weg bestimmen. Dabei wollte er aber keine anderen Personen mit hineinziehen. Es hatte schon genug Mitmenschen gegeben, die seinen Mist ausbaden mussten. Doch bei dem aufmunternden Lächeln, das ihm der Braunhaarige schenkte, keimte in ihm doch ein gewisses Gefühl der Hoffnung auf.

"Na, das will ich doch hoffen, Ian", sprach Dave und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd.

Die Art, wie er den Namen des Weißhaarigen aussprach, machte ihm plötzlich etwas klar. Das erste Mal seit einer Ewigkeit war er für jemand anderen einfach nur Ian.

Nicht Álvarez.

Nicht Rekrut.

Nicht Argentinier.

Nicht Nummer 935.

Gerade war er einfach nur Ian.

Als die Realisation in sein Gehirn sickerte, fühlte er, wie sich Nässe in seinen Augen staute. Die Beklemmung, die er meinte zu verspüren, entpuppte sich als Welle der Erleichterung. Der Wasserfall in seinen Augen, schien keinen Halt mehr zu haben und löste sich mit einem fast lautlosen Aufschluchzen.

Dave hatte vor Überraschung sein Werkzeug aus der Hand gelegt und drehte sich besorgt zu Ian, der mit seiner Hand die tränengefüllten Augen verdeckte. Das Niederbröckeln der sonst so aufrechten Fassade hatte ihn völlig überrascht.

"Was ist los? Hab ich was Falsches gesagt? Sag mir nicht, ich bin in irgendein Fettnäpfchen getreten. Darin bin ich nämlich verdammt gut", plapperte der Braunhaarige besorgt, bevor er ein leises "Leider..." hinzufügte.

Der Weißhaarige versuchte verzweifelt, seine Wasserwerke in den Griff zu bekommen. Dave wusste nicht, wie ihm geschah. Es war, als handelte er nach seinen tiefsten Trieben, als er sein Gegenüber instinktiv in seine Arme schloss. Völlig perplex versteifte sich Ian, bevor er sich der Nähe und Sicherheit hingab. Ein sanfter hölzener Geruch stieg ihm in die Nase und die fruchtige Unternote die von seinem Gegenüber ausging, beruhigte seine Sinne. Seit Jahren hatte er keinen so intimen Kontakt zu einer anderen Person mehr gehabt. Aber aus einem Grund, den er sich nicht erklären konnte, war er nicht abgeneigt. Stattdessen genoss er minutenlang den warmen Körper des andern.

Als die letzten Tränen versiegt waren, wagte es Dave, sich von dem Weißhaarigen zu lösen. Er hatte ein schlechtes Gewissen, da er mal wieder völlig unkontrolliert gehandelt hatte, ohne im ersten Moment darauf zu schauen, was der andere wollte.

"Das tut mir jetzt echt leid. Das war einfach so rein aus dem Instinkt."

Doch ein Blick auf das Gesicht von Ian zeigte ihm, dass mittlerweile ein ehrliches Lächeln auf seinen Lippen lag und selbst seine Augen erreichte. Er schüttelte den Kopf, während er sich die Tränen aus seinem Gesicht wischte und suchte nach seinem Block.

Mir geht's gut.

"Bist du dir sicher?"

Dave war nicht wirklich über den Schock hinweg, seinen Patienten in Tränen aufgelöst zu sehen. Diese Seite von ihm war ihm völlig fremd. Und er war vermutlich einer der wenigen, die in ihn hineinsehen durften.

Das Nicken seines Gegenübers versicherte ihm abermals, dass der Brite kein Öl ins Feuer gegossen hatte.

Wirklich. Mir geht's gut, beharrte Ian.

"Na gut. Wenn du das sagst."

Wenn es um das Thema Ablenkung ging, dann war Dave ein Meister seines Faches. Statt über die möglichen Ergebnissen seines Verhörs zu überlegen, bekam Ian das wohlige Gefühl von Daves Armen um seinem Oberkörper nicht mehr aus dem Kopf. Dort, wo sie seinen Rücken berührt hatten, meine er, noch immer ein unterschwelliges Kribbeln zu fühlen. Es war keine Art der Zuneigung, die er gewohnt war, nach der sich sein Körper aber seit langer Zeit sehnte. Alles in seinem Kopf schrie nach mehr, doch der Weißhaarige hielt sich zurück. 

Die davor so schwerwiegende Atmosphäre wandelte sich bald in tägliche Unterhaltungen. Dave führte Small Talk mit Ian, während er seiner Arbeit nachging. Wenn der Argentinier keine Lust hatte Zettel zu schreiben, beließ es sein Gesprächspartner bei einfachen Fragen, die er mit einem Nicken oder Kopfschütteln beantworten konnte.

Ein Rumpeln an der Türe unterbrach ihre Konversation. Das massive Eisen öffnete sich und Daves Vater trat ein. Doch er war nicht alleine. Hinter ihm folgte der rothaarige Kommandant, den Ian bereits aus seinem Verhör kannte. Begleitet wurde er von drei bewaffneten Soldaten, die der ältere Mann mit einer Handgeste an die Wand schickte.

"Ah, das trifft sich gut, dass du hier bist, Dave", sprach Lennard zu dem Duo am Bett. Ohne ein weiteres Wort, ging er wieder hinaus in den Nebenraum und holte zwei Stühle. Arnold bedankte sich und beide Herren nahmen mit etwas Abstand vor Ians Bett platz.

"Nun, Mister Álvarez...", begann Hughs mit diplomatischer Stimme. "Wir sind endlich zu einem Ergebnis gekommen."

(Das Wer-ist-es-Spiel musste ich einfach drinnen lassen. Ich genieße diese Szene jedes Mal, wenn ich sie lese.
Danke fürs Lesen👋🏻)

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