33. Opfer, Die Gebracht Werden Müssen
Rinigill, 10 Mai
Lupa meinte schon, Tessa im verzweigten Gewirr der Gänge verloren zu haben, als sie ihren blonden Haarschopf in einer der öffentlichen Toiletten verschwinden sah. Sie schritt ihr hinterher und zögerte nur kurz vor der Türe zu den Bädern.
Für einen Moment hatte sie ein schlechtes Gewissen. Sie kam sich vor wie eine Stalkerin. Doch sie hatten sich seit so langer Zeit nicht mehr gesehen, Lupa war völlig überrascht, als sie die Blondine auf dem Stützpunkt entdeckt hatte. Hier eine ruhige Minute zu finden, war schwierig, weshalb sich die Schwarzhaarige doch dazu entschied, sich Tessa zu zeigen.
Lautlos drückte sie die Türe auf und schlüpfte in den weiß gefliesten Vorraum. An einem der vielen Waschbecken stand Tessa. Sie bemerkte ihre Verfolgerin nicht, sondern wanderte unsicheren Schrittes den Raum hinab. Leises Gemurmel folgte ihr, das von den Fliesen an den Wänden widerhallte. Lupa konnte die Wortfetzen nicht entziffern.
Gerade als sie auf sich aufmerksam machen wollte, gab die Ärztin einen frustrierenden Schrei von sich.
„Was ist los mit dir Tessa", hörte sie die Blonde zu sich selbst fluchen. „Reiß dich zusammen!"
In diesem Moment war Tessa am letzten Waschbecken angekommen und drehte sich ruckartig um. Mit Besuch am anderen Ende hatte sie nicht gerechnet. Wie vom Blitz getroffen, zuckte sie zusammen und schrie überrascht auf.
„Verdammt hast du mich erschreckt!"
„Verzeihung, das war nicht meine Absicht", entschuldigte sich Lupa und lehnte sich an das erstbeste Waschbecken in ihrer Nähe. „Ich hatte gehofft, dich kurz alleine sprechen zu können. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Ich habe nicht damit gerechnet, dich an einen Ort wie diesen hier zu treffen."
Tessas Lippen verzogen sich zu einem gequälten Lächeln, wenn sie an die vergangenen Ereignisse dachte, die sie hierhergebracht hatten. Ehrlich gesagt, hätte sie darauf verzichten können...
„Ja, ich frage mich langsam auch, wie wir in dieses ganze Schlamassel hineingerutscht sind..."
Sie versuchte sich kurz zu halten, als sie Lupa die Umstände erzählte. Ihre Gesprächspartnerin lauschte mit offenem Ohr. Sie unterbrach nur ab und zu, um Fragen zu stellen oder ein Waschbecken weiter zu wandern. Näher zur Blondine hin.
„...und jetzt sind wir hier und ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, wie das ganze hier noch schlimmer werden könnte", seufzte Tessa und strich sich erschöpft eine Haarsträhne hinters Ohr. Sich die ganze Geschichte vor Augen zu führen, wie sie hier mit ihren Kollegen und Freunden gelandet war, konnte als überraschend und erschreckend zugleich angesehen werden.
Lupa hielt sich still und verfolgte stattdessen die feinen Hände, die sich in blondem Haar vergruben.
„Was ist mit dir?", wollte Tessa nach kurzem Überlegen wissen. „Du sagtest, du wolltest mit mir reden?"
Lupas Headset entschied sich augenplötzlich dazu, diesen wunderbaren Moment mit lauten Piepen in ihrem Ohr zu unterbrechen. Lupa zögerte, aber drückte den einkommenden Anrufer weg. Den Moment hier und jetzt musste sie ausnutzen.
Tessa beäugte sie mit stirnrunzelnden Augen. „Solltest du da nicht dran gehen?"
„Ist bestimmt nur ein Schichtproblem oder so. Das passiert hier öfter mal", winkte die Schwarzhaarige ab. „Und zu meinem Grund... nun, ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dich wiederzusehen, seit wir uns damals im Pub unterhalten hatten. Auch wenn das schon einige Zeit her ist, bist du mir nicht aus dem Kopf gegangen."
Bevor es sich Tessa versah, hatte Lupa die letzten Waschbecken zwischen ihnen überwunden und stand nun direkt neben ihr.
Es versetzte sie in die Nacht zurück, als sie die große schwarzhaarige Frau kennengelernt hatte. Im gedimmten Licht, bei lautem Lärmpegel und den Geschmack von Bier auf den Lippen. Ein purer Zufall, der dazu führte, dass sich beide Frauen gut unterhielten, mit Cider anstießen und schließlich gemeinsam auf der Damentoilette verschwanden. Den Rest muss hier, glaub ich, keiner detaillierter erläutern.
Wenn Tessa behaupten würde, sie konnte sich nicht mehr an Lupas Zärtlichkeiten erinnern, dann müsste sie lügen. Ihr gemeinsamer Abend war ihr lange im Gedächtnis geblieben.
Trotzdem fühlte sie sich mehr als überrumpelt, als die großgewachsene Frau im nächsten Moment vor ihr stand. Sie wurde gegen das Waschbecken gedrückt und Lippen auf die ihre gepresst.
Ein erschrockener Laut stieß aus Tessas Lungen. Ihre Hände suchten erst Halt am Waschbecken unter ihr, dann an den muskulösen Schultern vor ihr. Doch das Gefühl der Überforderung wollte nicht abebben. In einer Welle der Panik spürte Tessa, wie ihre Hand ausholte und Lupa im Gesicht traf. Die Schwarzhaarige zog sich sofort zurück und verstand im Folgenden, dass sie es übertrieben hatte. Sie brachte einige Schritte Abstand zwischen sie.
„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich das verdient habe", entgegnete Lupa und rieb sich die rot anschwellende Wange.
„Verzeihung", haspelte Tessa schwer atmend und mit hochrotem Kopf. Sie zog ihre Hand zurück, die noch immer in der Luft verharrte. „Das kam sehr plötzlich. Bitte versteh mich nicht falsch: Ich freue mich wirklich, dich wiederzusehen. Doch unser letzter Kontakt war vier Jahre her. Ich fühle mich unwohl, da einzusteigen, wo wir damals aufgehört haben."
Ein Anzeichen von Enttäuschung flüchtete über Lupas Gesichtszüge, den sie im nächsten Moment aber wieder tief auf ihre emotionale Ebene verbannte.
Tessa war der augenblickliche Gefühlsausbruch jedoch nicht entgangen. Sie schnappte sich ein Papier aus einem der Spender und befeuchtete es mit kaltem Wasser. Das nasse Tuch legte sie dann mit vorsichtigen Fingern auf die feuerrote Wange ihres Gegenübers, die sie eben getroffen hatte.
„Lupa, wir können immer noch-", startete Tessa ihren Wiedergutmachungsversuch, als das Headset an Lupas Ohr erneut piepste. Die Schwarzhaarige machte noch immer keine Anstalten, den Anruf entgegenzunehmen. Stattdessen verlor sie sich in bläulichen Augen. Als würde sie dort eine Antwort suchen.
Tessa war diejenige, die sie aus der Trance holte.
„Vielleicht solltest du dieses Mal dran gehen. Es könnte doch wichtig sein."
Mit einem Seufzer führte Lupa ihre Hand an das Ohr.
„Hier Lupa, was gibt es?"
„Endlich! Was ist heut mit euch los, dass ihr mich alle wegdrückt!", kam Thandies verärgerte Stimme durch das Gerät. „Hör zu wir haben-"
Die wütende Stimme in ihrem Ohr erlosch urplötzlich. Gleichzeitig rumorte es im Gebäude, als wäre ein ganzer Schwarm Hummeln unterwegs. Es ächzte, als würden Kabel und Rohre zum Bersten anschwellen.
Tessas Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, als sie die Wände um sie herum musterte. „W-was war das?"
Lupa wollte ihr antworten, dass sie genauso ratlos war, als über ihnen die Glühbirnen zerbarsten. Instinktiv zog sie die Blondhaarige in die Ecke und schirmte sie vor fliegenden Glasteilen ab. Dunkelheit umhüllte sie, gefolgt von Totenstille.
„Geht es dir gut?", stach Lupas warme Stimme durch die Schwärze und Tessa brauchte einige Sekunden bevor sie realisierte, dass die Frage an sie gerichtet war.
„Ja, mir geht es gut", stieß sie mit zitternden Lippen hervor. „Nichts passiert."
Die Dunkelheit um Tessa nahm ihr die Sicht, doch sensibilisierte ihre anderen Sinne dafür umso mehr. Ihr Herz raste in ihrem Brustkorb. Es brauchte einige tiefe Atemzüge, um nicht das Gefühl zu haben, gleich zu zerbersten. Ihre Hände waren fest in das harte Leder von Lupas Jacke gekrallt und gleichzeitig spürte sie Finger an ihren eigenen Schultern.
„Gut. Ich weiß nicht, was hier gerade passiert, aber die Notgeneratoren sollten in wenigen Minuten hochfahren. Bis dahin..."
Eine Hand verließ den sicheren Hafen an Tessas Schultern. In der Dunkelheit hörte sie das Quietschen und Knarzen von Leder, das nur von Lupa stammen konnte. Es klickte und dann stach der helle Lichtschein einer Taschenlampe durch den Raum. Sie erhellte ihre Umgebung ausreichend, um sich gegenseitig wieder wahrzunehmen.
Schockierend musste Tessa feststellen, dass sie zwar ohne Verletzungen hervorgekommen war, Lupas Stirn hingegen einen tiefen länglichen Schnitt aufwies. Ein Rinnsal Blut floss ihre Schläfe hinunter.
„Du bist verletzt", stellte sie fest und strich ein fallendes Haar zur Seite, um die Wunde besser beurteilen zu können.
Lupa entgegnete mit einem sanften Lächeln. „Das ist halb so wild, darum können wir uns später kümmern. Ich muss rausfinden, was hier los ist. Vielleicht brauch Thandie Hilfe. Komm!"
Ohne groß zu fragen, schnappte sich die Schwarzhaarigen Tessas Hand und begann sie Richtung Türe zu ziehen. Bevor sie hinaus traten, rammte die Blondine plötzlich die Füße in den Boden. Irritiert blieb auch Lupa stehen.
„Ich... Ich kann alleine gehen, Lupa", entgegnete die Kleinere der Damen und zog vorsichtig ihre Finger aus dem Griff der Schwarzhaarigen. Nur ungern ließ die andere sie aus der Berührung gehen, aber noch mal wollte sie Tessa nichts aufzwingen. Getrennt traten sie hinaus.
Auf den Gängen herrschte die gleiche Dunkelheit wie auf den Toiletten. Einige Soldaten und andere Mitarbeiter, ausgestattet mit Taschenlampen oder Notleuchten, suchten sich einen Weg durch die Finsternis. Lupa packte eine vorbeilaufende Frau in Uniform am Arm und zog sie zur Seite.
„Was ist hier los?"
„Wir wissen es nicht, Frau Milani. Es gibt keinen Strom, weshalb die Systeme nicht funktionieren. Es geht weder Funk noch Mobil", erklärte die Dame hektisch. „Frau Olarunji versucht derzeit den Schaden in der Zentrale zu beheben."
Kaum ausgesprochen, flackerte die gelblich warme Notbeleuchtung an den Wänden ins Leben und ein regelmäßiges Summen von arbeitenden Maschinen begann um sie herum einzusetzen. Lupas Headset piepste und dieses Mal drückte die Schwarzhaarige den Anrufer nicht weg.
„Lupa hier."
Das erleichterte Seufzen von Thandie hallte in ihrem Ohr wider. „Oh Gott sei Dank, endlich kann ich einen von euch erreichen."
„Sorry, nimmst nicht persönlich. Kannst du mir sagen, was hier los ist? Warum war der Strom weg?"
Die Verbindung knarzte unstabil, dann fing sie sich wieder.
„-o ganz genau weiß ich das selbst noch nicht. Das SA hat unser Stromsystem überlastet. Deswegen auch der Stromausfall."
Lupas Stirn legte sich in Falten. „Überlastet? Ich bin kein Profi, aber bräuchte man dafür nicht eine Unmenge an Energie? Wo haben die so viel Energie her?"
„Gute Frage. Ich versuche grade alles wieder hochzufahren und am Laufen zu halten, aber es gibt einige Schäden, die ich nicht beheben kann. Und ich weiß nicht, ob es eine zweite Welle geben wird..."
Thandie gab Rückmeldungen über ausgefallene Kühlungssysteme und einige kleinere Schaltkreise, die die Überspannung nicht überlebt hatten. Im Grunde schien der Stützpunkt aber stabil. Vorerst.
„Ich versteh das nicht...", grübelte Lupa weiter. „Wofür der ganze Aufwand? Was soll das für einen Nutzen haben, uns für diese kurze Zeit angreifbar zu machen. Wenn diese Schweine uns richtig treffen wollten, hätten sie es dann getan, als der Strom weg war. Dass wir Notgeneratoren haben, werden die auf dem Schirm haben, soviel Hirn traue ich ihnen noch zu. Aber den Zeitpunkt haben sie verpasst."
„Dann scheint es hier noch irgendetwas zu geben, was sie brauchen. Und zwar unversehrt", wandte Tessa ein, die Lupas ausschweifende Antwort mitverfolgt hatte. Die Schwarzhaarige ließ die Worte mehrere Male durch ihren Kopf hallten. Plötzlich zog sie scharf Luft ein.
„Thandie, die Zellen", sprach sie hektisch durch das Headset an ihre Kollegin. „Die waren doch auch vom Stromausfall betroffen, oder? Was ist mit unserem reizenden Besucher, den wir da untergebracht haben."
Eine Reihe von Flüchen drang durch die Leitung zu ihr zurück, bevor man das Tastenklappern von Thandies Computer hörte.
„Diese Verdammten.... Okay, wir haben ein Problem." Die Stimme über das Headset war angespannt und Lupa sollte auch bald verstehen warum. „El Diablo ist auf freiem Fuß."
„Was ist seine genaue Position?"
„Noch immer im Gefängnistrakt, aber er ist nicht mehr in seiner Zelle. Und rate , wer noch da ist...", seufzte Thandie.
Stirnrunzelnd überlegte ihre schwarzhaarige Kollegin, ob das eine Scherzfrage sein sollte.
„Zarya", kam die Antwort.
„Zarya ist bei Diablo", wiederholte Lupa fassungslos. „Im Gefängnistrakt. Irgendeine Ahnung, was sie da will?"
„Ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich könnte es dir sagen. Aber jetzt muss ich erst mal dafür sorgen, dass sie da heil wieder rauskommt."
„Ich kann in fünf Minuten bei ihr sein", entgegnete Lupa und wollte schon losstarten, als ein „Nein!" durch die Leitung sie aufhielt.
„Ich kümmere mich um Zarya und leite die Evakuation ein. Du schnappst dir Álvarez und bringst ihn zu den Flugplätzen. Wenn es etwas gibt, das el Diablo möchte, dann vermute ich, dass es mit unserem argentinischen Freund zu tun hat. Ich versuche die Selbstschussanlagen raufzufahren, sollten wir noch weitere ungemütliche Besucher bekommen. Hoffentlich können wir damit einem schwereren Angriff entgehen. Zumindest solange uns keine weitere Energiewelle trifft."
Wirklich zufrieden war Lupa nicht. Es juckte ihr in den Fingern Zarya zu helfen.
„Alles klar", gab sie schließlich nach. „Irgendeine Ahnung, wo Álvarez gerade ist?"
Tessa, die sich neben ihr zu Wort meldete, hatte sie über die letzten Minuten völlig vergessen. „Sie sind vermutlich zurück auf die Krankenstation."
„Dann lass uns dort zuerst suchen."
Als Lupas Hand sich dieses Mal wie automatisch um die Finger von Tessa schloss, hatte die Blonde keine Beschwerde übrig und ließ sich den Gang hinunterziehen.
Sie waren keine fünf Schritte gegangen, da rauschte es erneut durch ihr Headset.
„Noch etwas, aber behalte das bitte erst mal für dich", sprach Thandie in gedrückter Tonlage. „Ich habe einen Funkspruch von Hughs erhalten, dass sie angegriffen wurden. Das war vor etlichen Minuten, aber ich kann noch immer keine Verbindung zu ihnen aufbauen. Ich befürchte, dass ihnen etwas passiert ist."
In der Hoffnung, dass Tessa sie nicht hören würde, murmelte Lupa: „Etwa das gleiche Phänomen, das hier passiert ist?"
„Ich kann es nicht genau sagen. Ich werde es weiter probieren und dich auf dem Laufenden halten."
„Danke, Thandie. Beten wir für ihre Sicherheit."
--.--
Zarya hatte nicht mehr viel Platz, um auszuweichen. Hinter ihr: der lange Flur in Richtung Ausgang, neben ihr: meterdicke Wände und Zellen um Zellen, die sie weiterhin passierte. Zwar langsam, aber konstant. Dante hingegen schritt ungehindert mit ausgestreckten Händen auf sie zu.
Einen Plan hatte sie nicht. Der einzige Plan war, dass sie ihm Schlüsselkarte und Messer nicht kampflos überlassen würde. Nebenbei wollte sie noch ein paar Antworten.
„Sie waren auf alles vorbereitet, nicht wahr?", schlussfolgerte Zarya. „Selbst ihre Gefangennahme war kein Zufall."
Die Culebra überlegte einige Sekunden und zuckte dann mit den Schultern.
„Natürlich war ich vorbereitet. Ich hatte zwar nicht damit gerechnet, aber ich war vorbereitet", antwortete Dante lässig und mit arrogantem Tonfall. „48 Stunden. Wenn ich in dieser Zeit nicht zurück bin, schießen meine Leute. Und lass dir gesagt sein: Sie werden nicht zögern, ein zweites Mal zu schießen."
„Warum liegt dann hier noch nicht alles in Schutt und Asche?"
„Was ist das für eine Frage. Ich lasse mich doch nicht lebendig begraben."
„Schade, sonst hätte ich eine Sorge weniger, um die ich mich kümmern müsste."
Dante blieb stehen und fasst sich mit beiden Händen ans Herz. „Das ist ja rührend, dass sie sich so viel Gedanken um mich machen. Fast schon schmeichelhaft."
Zarya platzte beinahe der Kragen. Er machte sie wahnsinnig - auf jede nervtötende Art und Weise, die es gab. Und sie ließ sich auch noch ködern.
„Du arroganter- ", zürnte sie erbost. „Ich werde dir gleich zeigen, wie sehr es mich kümmert, was mit dir geschieht!"
Dem schiefen Grinsen nach entwickelte sich die Konversation nun eher in die Richtung, die Dante gefiel.
„Na, dann bin ich mal gespannt... Aber du hast recht! Genug der Schwafeleien, immerhin habe ich habe es ein wenig eilig."
Im nächsten Moment stieß Dante nach vorne. Zarya war vorbereitet. Sie parierte und setzte einen Haken nach dem der Blonde aber entging. Trotz Armfesseln an den Handgelenken war ihr Gegner unglaublich schnell und nutze sie zu seinem Vorteil. Gerade noch so konnte Zarya einer ausgekugelten Schulter entkommen, als er ihren Arm zwischen dem Eisen an seinen Händen packte und mit unbändiger Wucht hinter ihren Rücken riss. Sie entging dem dank flinker Füße und ihrer kleineren wendigen Statur.
Mit dem Messer in der Hand konnte sie nicht zustoßen. Die Gefahr, dass er es ihr abnehmen könnte, war zu groß. Das wollte sie nicht riskieren, denn es würde ihm einen nur noch größeren Vorteil verschaffen. Dante schien aus ihrer ersten Begegnung gelernt zu haben. Zaryas Armprothese war stets in seinem Fokus - sie hatte nicht mal die Chance, ihn mit den Fingerspitzen zu berühren.
Mitten unter ihrem Faustgefecht piepte Zaryas Headset, dann schallte eine Stimme durch ihr Ohr.
„Zarya? Bist du da?"
Eine Woge der Erleichterung schwappte über die Befehlshaberin, bevor sie sich wieder dem Problem vor ihnen widmen mussten.
„Bin grade ein wenig beschäftigt!", presste sie atemlos hervor. Sie duckte sich, um einem weiteren Schlag zu entgehen.
„Das sehe ich..."
Perplex antwortete Zarya: „Was?" und bekam eine Faust in die Magengrube.
„Ihr Gesprächspartner steht vor ihnen, Frau Baranow!", lenkte Dante auf sich, dem es nicht zu gefallen schien, dass die Aufmerksamkeit der Dame gerade jemand anderem gewidmet war.
Zarya stolperte an die Wand zurück, doch ihr Griff um das Messer des Feindes war eisern. Loslassen kam nicht infrage.
„Vorsicht", warnte Thandie, die alles per Video mitverfolgen konnte. „Schlag zu deiner Rechten."
Gerade noch rechtzeitig konnte sich die kleine Frau ducken und stattdessen nachsetzen. Dante parierte mit Leichtigkeit.
Ihr Herz pumpte, schob Adrenalin durch ihren Körper und arbeitete auf Höchstleistungsstufe. Es war nur eine Frage von Zeit und Ausdauer, bis ihre körperlichen Reserven nachgeben würden.
„Gib mir einen Statusbericht", schnaufte Zarya. „Kurz und bündig."
Mit den wenigen notwendigen Worten gab Thandie wieder, was sich in den rasanten letzten Minuten zugetragen hatte. Dem Austausch der Vorkommnisse und der Fäuste gleichzeitig zu folgen, stellte sich als weitaus schwieriger vor als angenommen. Es handelte Zarya eine blutige Nase ein. Sie spürte, wie sich ein Rinnsal Blut den Weg über ihre Oberlippe bahnte.
„Du hast das weiterhin im Griff?", wollte sie von Thandie wissen.
„Ja, ich kümmere mich darum. Was ist mit dir?"
„Ich komm klar", grummelte Zarya und spuckte das Blut, das ihr die Kehle hinunterlief, vor Dantes Füße. „Ich lass mir was einfallen."
In ihrem Hirn arbeite es wie in einem Kraftwerk, das zu überhitzen drohte. Um ihre Chancen stand es nicht gut. Während Zarya schnaufte wie ein Dampfer, kam Dante nicht mal ins Schwitzen - und das trotz Handschellen, die immer noch um seine Gelenke lagen. Ihre Aussichten auf einen klaren Sieg hatte sie zu mittlerweile aufgegeben. Es war frustrierend.
Doch wenn sie halbwegs lebend aus dieser Situation kommen wollte, dann musste sie handeln. Und zwar bald. Tot würde sie ihrem Team und Mitarbeitern nichts bringen. Über Alternativen ihres Fluchtweges hatte sie sich nur flüchtig Gedanken gemacht. Also eigentlich gar keine. Viel Ausweichspielraum hatte sie nicht, hinter ihr lagen nur die Zellen...
Die Zellen, deren Schließmechanismus wieder intakt waren!
Schnell war die Entscheidung getroffen. Auch wenn es ihr nicht leichtfiel. Mit einer schnellen Rolle über die gegnerische Schulter wechselte sie ihre Position. Den nächsten Hieb von Dante parierte sie positioniert, sodass ihr das Messer aus den Fingern glitt. Ein angemessenes Opfer, wenn man die alte Klinge betrachtete, die man in jeder Zweisterneküche finden würde. Eine seltsame Waffenwahl, die Zarya ein anderes Mal hinterfragen würde. In dieser Situation war es die perfekte Ablenkung.
Während die Culebra seinem teuersten Besitz nachhechtete, setzte Zarya in die entgegengesetzte Richtung. Ihre Rechnung schien aufzugehen: Die Culebra würdigte sie keines Blickes.
Sachte hob er die Klinge vom Boden auf. Er begrüßte sie, als wäre es ein alter Freund, den er lange nicht mehr gesehen hatte. Seine narbigen Finger glitten über die kleinen und großen Kerben. Man könnte meinen, dass es ein sakrales Objekt war, das er dort in den Händen hielt. Doch Dantes Freude über das Wiedersehen mit Grita nahm ein jähes Ende, als er das Klicken eines elektronischen Schlosses vernahm. Das Schließen einer Zelle.
Als der blonde Mann sich umdrehte, war niemand mehr auf dem Gang zu sehen. Die Tür zu seiner kurzweiligen Unterkunft war geschlossen. Irritiert rollte er die Finger um den Schaft von Grita und schritt dann leichten Fußes die Zellen entlang.
Das Mysterium der verschwundenen Truppenführerin war schnell gelöst, als er einen Blick in seine alte Zelle warf. Durch das kleine, rechteckige, mit Sicherheitsglas und Drahtgeflecht bestückte Sichtfenster sah er das schadenfrohe und verschwitzte Gesicht der Dame.
„Das Häschen sitzt in ihrem selbst gemachten Bau. Wie raffiniert...", murmelte er und trat näher heran. „... und gleichzeitig enttäuschend. Gerade wäre ich richtig in Fahrt gekommen und jetzt soll unser Tänzchen schon vorbei sein? Ich hatte mehr von ihnen erwartet, Frau Baranow."
„Du kannst mich mal kreuzweise, du Bastard", zischte ihn Zarya durch die Zellentüre an. „Ich werde höchst persönlich dafür sorgen, dass du diese Gebäude nicht lebend verlässt!"
Wenn man Zaryas derzeitigen Aufenthaltsort in Betracht zog, war es im Moment keine gelungene Aussage. Der gleichen Meinung war auch Dante, den dieser brach sofort in schallendes Gelächter aus.
„Ich glaube, du hast gerade ein anderes Problem, um das du dich kümmern musst. Aber ein wildes Unterfangen - ich bin für jeden Nervenkitzel zu haben."
Als wären seine spottenden Bemerkungen nicht schon genug, schob Dante seinen Hemdärmel nach oben, als ob er die Zeit am Handgelenk ablesen wollen.
„Na sieh mal einer an! So spät schon!", sprach er nach schnellem Blick auf sein leeres Handgelenk. „Zu gerne würde ich bleiben und deine Geselligkeit genießen, aber ich habe wichtigere Dinge zu tun. Deswegen verabschiede ich mich hier und jetzt. Auf Wiedersehen und hoffentlich bis bald."
Mit Augenzwinkern und einer albernen Verbeugung, die vor Verhöhnung nur so triefte, entfernte sich Dante von der Zelle.
Zarya hielt den Atem an, bis seine Schritte nur noch ein leises Echo an den Wänden waren. Dann glitten ihre Finger an ihr Headset.
„Thandie?"
„Jawohl?", kam die knappe Antwort.
„Ich hab Dante vorerst abgehängt. Verriegle alle Ausgänge, die aus dem Gefängnistrakt führen. Dieser су́кин сын wird mir nicht noch mal entwischen."
„Wird gemacht. Und du bist...?"
„...in Zelle 13. Ich dachte du siehst zu?"
„Du hast dich selbst eingeschlossen?" Thandie schaffte es nicht den belustigten Unterton in ihrer Aussage zu verbergen.
„Ja."
„Und Dante ist einfach so gegangen?"
So ganz konnte das Zarya auch noch nicht begreifen, doch letztendlich sollte es ihr recht sein.
„Hat noch einen Auftrag zu erledigen", meinte sie schulterzuckend.
„Álvarez?"
„Ich vermute."
„Gut, Lupa ist gerade dabei, ihn zu evakuieren. Treffpunkt ist der Hangar. Ich kann dich über die Lüftungsräume rauslotsen."
Zarya warf einen letzten Blick durch das schmale Sichtfenster auf den Flur, um sicherzugehen, dass Dante nicht zurückgekommen war. Dann packte sie die Eisenstange der Tür - bereit auf jedes Signal zu öffnen. Thandie hatte mit ihrer Position an den Kameras einen deutlich besseren Überblick, also überließ Zarya ihr die Führung. In ihre Kollegin hatte sie Vertrauen.
„Also dann...", gab sie das Startkommando durch das Headset. „Wo gehts lang?"
--.--
Danke an euch, dass ihr so lange und geduldig gewartet habt. 💚
Das nächste Kapitel ist in Arbeit und kommt hoffentlich schneller.
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