32. Bring mich auf andere Gedanken
Rinnigill, 10. Mai
Die Schritte der beiden Damen hallten von den Wänden im wider, während sie den Gang entlangliefen.
„Wir hatten eigentlich früher mit dir gerechnet."
Lupa hatte zu ihrer Kollegin aufgeholt und lief nun neben Thandie. Die Schwarzhaarige hatte begonnen, die Schnallen ihrer Motorradjacke an Hals und Armen zu öffnen. Das Zeug saß verdammt eng.
„Mein Flug hatte leider ein paar Verspätungen. Wir mussten auf Reisende warten, dann gab es Startprobleme..." Sie seufzte. „Da fliegt man einmal auf konventionelle Weise und schon läuft nichts nach Plan..."
„Ich weiß auch nicht, was sich Zarya dabei gedacht hat. Du hast auf jeden Fall einiges verpasst."
Die fünf Minuten Gehweg zum Büro nutzte Thandie, um Lupa auf den neuesten Stand zu bringen. Am Ende des Statusberichtes musste der Neuankömmling nicht, was sie zuerst fragen sollte. Blinzelnd versuchte ihr Hirn alle Information in Rekordzeit zu verarbeiten. Sie hatte während der Reise versucht, mit den Berichten auf dem Laufenden zu bleiben, doch mit all den anderen Aufgaben vor Ort war sie ein wenig in den Verzug geraten.
„Verdammt, da habe ich ja wirklich einiges verpasst", murmelte Lupa. „Ihr müsst ja alle Hände voll zu tun gehabt haben."
Ein kehliges Lachen drang aus Thandies Kehle. Es war eine Mischung aus Belustigung und leisem Wehleiden. „Das hatten wir allerdings."
Als Zaryas Büro in Sichtweite kam, verlangsamte Thandie ihren Schritt und fügte flüsternd hinzu: „Nur als Warnung: Zarya hat gerade ein gereiztes Tief."
Lupa verdrehte die Augen bei der Vorwarnung. „Hat sie sich mal wieder provozieren lassen?"
Ihre Kollegin murmelte zustimmend, dann stoppten beide vor dem Büro ihrer Chefin. Mit einem leisen Klopfen an die Tür traten die zwei Damen ein.
Der Raum war abgedunkelt, die Jalousie zur Hälfte zugezogen. Das einzige Licht, das die Sicht unterstützte, war eine kleine Lampe auf dem Schreibtisch.
„Schläfst du schon?", rief Thandie der schemenhaften Gestalt hinter dem Bürotisch zu.
Im blassen Schein der Lampe war ihre Chefin kaum zu erkennen. Sie bekamen eine grummelnde Antwort aus der Raummitte.
„Nein, ich trinke..."
Lupa schritt an ihrer verharrenden Kollegin vorbei und weiter in den Raum.
Je näher sie dem faden Licht entgegentrat, erkannte sie mehrere Dinge um ihre pastellhaarige Chefin.
Zarya lag weit in ihren Stuhl zurückgelehnt und hatte ihre Füße auf den Tisch hochgelegt. Jeden anderen hätte sie dafür in Grund und Boden gestampft.
„Da ist man mal für drei Wochen weg und du betrinkst dich hier?", stichelte Lupa.
„Und wer bist du? Etwa meine Mutter?", schoss die kleinere Dame bissig zurück.
Ihre mechanische rechte Hand lag abgetrennt auf dem Tisch, während in ihrer linken Hand transparente Flüssigkeit in einem niedrigen Glas schwankte wie Wellen eines lebenden Ozeans. Lupas verdächtigte die offene Flasche mit Gin, die Zarya irgendwo in ihrem Büroschrank bunkerte. Mit leichten Schritten wanderte die Schwarzhaarige und schnappte sich das Getränk aus Zaryas Hand. Ein testender Schluck davon und ihre Vermutung nach dem Inhalt bestätigte sich. Eindeutig Gin.
Nasenrümpfend platzierte sie den Alkohol wieder auf den Tisch, wo die abgenommene Handprothese ihrer Chefin lag.
„Wie du das Zeug trinken kannst, ist mir immer noch fraglich. Wie wäre es, wenn du deine Sammlung ein weinig erweiterst? Dann würden Thandie und ich auch etwas abbekommen."
„Das mache ich extra so, dann bleibt mir mehr davon", war Zaryas knappe Antwort und schnappte sich ihr Glas zurück. Mit drei kräftigen Schlucken war der Gin geleert.
„Du weißt, dass Stresstrinken keine Lösung ist", belehrte sie Thandie, die die Türe hinter sich schloss. „Das war es noch nie."
Ein Stöhnen brach aus Zaryas heraus, als sie mit den Fingern über ihre Augen fuhr. Das Letzte, das sie jetzt brauchen konnte, waren die Zurechtweisungen ihrer Kolleginnen. Der Alkohol half nicht, das wusste sie selbst.
Im Moment legte er sich über ihre bestehenden Probleme – mit dem vollen Bewusstsein, dass sie jederzeit wieder sichtbar werden würden.
Doch im Moment wollte Zarya nichts anderes als vergessen. Und wenn der Alkohol ihr dabei helfen sollte, dann sei es so...
Sie atmete sich durch das schummrige Reich, das sie sich die letzten Minuten angetrunken hatte. In der Hoffnung, dass der Schwindel leichter wurde, schloss sie die Augen.
Sie erreichte nur das Gegenteil, als sich die Welt um sie herum kippte und schwankte. Säße sie nicht auf dem Stuhl, wäre der Boden vermutlich ihr nächstes Ziel gewesen.
Mehrere Schritte ertönten sich um sie herum. Schwere und lang gezogene bewegten sich zum Schreibtisch hin und wieder weg. Sie hörte Glas klimpern, als Thandie den Rest des Gins in Sicherheit brachte.
Wesentlich leichtere und federnde Schuhpaare tänzelten um sie und verharrten hinter ihrem Stuhl.
Filigrane Hände legten sich auf Zaryas Schultern und brachten sie wieder auf den Boden der Tatsachen. Fingerspitzen fuhren über ihren Hals hinauf zur Stirn, wo die Sanitäter ihre Platzwunde behandelt hatten.
„Dich hat es ja ganz schön erwischt."
Zarya zuckte zusammen, als der Fingernagel an dem Pflaster kratzte und entzog sich den fremden Händen.
„Was du nicht sagst."
Der Druck von breiten Handflächen glitt an ihre Wangen, als Lupa spielerisch zudrückte.
„Thandie hat mich schon vorgewarnt, dass du schlechte Laune hast."
Stöhnend wurde Thandie ein mörderischer Blick zugeworfen. ‚Hättest du das nicht für dich behalten können?', sprachen ihre Augen.
Ihre größere Kollegin an der Tür zuckte nur mit den Schultern und entgegnete: „Ich spreche nur die Wahrheit..."
„Nun, wenn du schon so gestresst bist... Ich kenne eine tolle Methode, die dagegen hilft. Viel besser als Alkohol", raunte Lupa mit heiserer Stimme an ihr Ohr.
Die kleinere Dame erschauderte am ganzen Körper. Sie lehnte sich voll und ganz in die Berührung hinein. Lupa nahm das als Einladung, um weiterzumachen und begann den tätowierten Hals mit neckenden Küssen einzudecken. Ihre Hand machte trippelnde Schritte über die schmalen Schultern und wanderte weiter südwärts über Zaryas Bluse.
Thandie hatte die Flasche Gin erfolgreich außer Reichweite gebracht und kehrte zurück zu den anderen. Sie nahm den Platz gegenüber von Zarya ein und machte sich an den Knöpfen der kleineren Dame zu schaffen.
Zarya schlug die Augen auf und verfolgte die fein koordinierten Bewegungen der langen Finger.
„Jetzt fehlt nur noch Hughs...", presste sie atemlos hervor und sah, wie eine Hand unter ihr Hemd rutschte. „...und es wäre beinahe wie früher."
Lupa erkannte ihre Chance und folgte ihrer Kollegin in die warmen Tiefen. Sachte Kreise wurden über die empfindlichen Stellen an Zaryas Brust gezogen, jeder Strich mit dem Finger der Auslöser eines elektrisierenden Gefühls. Es war ein Rausch, weitaus besser als der Gin es ihr geben konnte.
Die Befehlshaberin der ATSF presste sich mittlerweile so fest in ihren Stuhl, dass er bedrohlich quietschte. Ihr Rücken bäumte sich unter der überlaufenden Lust, die sich in ihr aufstaute und jeden Moment drohte überzulaufen.
Inmitten ihrer Dreisamkeit merkten die Damen nicht, wie die Tür hinter ihnen aufging.
„Zarya? Ich habe gehört, dass Lupa angekommen ist-"
Die Stimme von Hughs pausierte mitten in seinem Satz und wurde für einen Moment sprachlos, als er seine Kolleginnen hinter Zaryas Schreibtisch entdeckte.
„Hughs!", grüßte Lupa zurück, als ob sie gerade nicht inmitten eines intimen, sexuellen Momentes wären. „Wenn man vom Teufel spricht, wir haben gerade von dir geredet!"
Er verharrte am Eingang, als hätte ihm Szene vor ihm die Worte geraubt. Dann fluchte er grummelnd, zog die Türe hinter sich zu und schloss ab.
„Hättet ihr nicht wenigstens abschließen können?", war das Einzige, das der Rothaarige entgegnete und dann zum Tisch wanderte.
Lupa und Zarya blickten zu Thandie. Sie war die letzte an der Türe gewesen.
Die Dunkelhäutige löste sich von ihrer Chefin und hob abwehrend ihre Hände.
„Hätte ich wissen können, dass das hier in Stress-Sex endet?"
Die anderen anwesenden Personen im Raum nickten zustimmend mit den Köpfen. Dem Anschein nach hatte jeder daran gedacht, nur Thandie nicht.
Sie ließ von Zaryas Vorderseite ab, was ihre Chefin mit einem enttäuschten Winseln kommentierte.
Lupa hingegen ließ sich durch die ungeplante Störung nicht beirren.
„Du kannst immer noch einsteigen, Hughs", flötete sie hinter Zarya. „Wir haben gerade über die alten Zeiten geredet."
Ihre Hand war immer noch tief in der weißen Bluse ihrer Chefin vergraben. Spielerisch drückte sie zu, was die kleiner Frau aufquietschen ließ. Wütend schlug Zarya die Hand der Schwarzhaarigen weg und massierte sich die gequetschte Brust.
Hughs betrachtete sie für einen langen Moment. Ein langer Moment, in dem er tatsächlich überlegte, alte Gewohnheiten aufkeimen zu lassen.
„Ich werde passen, danke", entgegnete er dann beherrscht und kontrolliert. Er packte den Dokumentenleser in seiner Hand, um sich an den eigentlichen Grund für seinen Besuch zu erinnern.
Er seufzte und beschloss, sich erst der Arbeit widmete. Arbeit kam wie bekannt vor dem Vergnügen. „Ich möchte euch ungern die Stimmung hier versauen, aber ich haben leider etwas Dringendes zu besprechen."
Lupa und Zarya reagierten mit einem traurigen Stöhnen, machten sich aber nach wenigen Minuten wieder aufnahmefähig und präsentabel. Thandie hatte zwei Stühle herangezogen und reihte sie um den Schreibtisch auf, wo auch Hughs sich niederließ.
Nachdem sich Zarya das Hemd mit ein wenig Hilfe zugeknöpft hatte, griff sie nach ihrer Handprothese. Sie legte ihren vernarbten Armstumpen in den Sockel der Maschine, klappte die Platten über ihre Haut und verband mit einem Knopfdruck die Nervenbänder mit den Elektroden ihrer Prothese. Innerhalb weniger Sekunden jagte purer, flüssiger Strom durch ihre Adern – zumindest fühlte es sich so an. Egal wie oft sie es bereits getan hatte: Unangenehm war es jedes Mal, selbst nach über sieben Jahren.
Experimentierend wackelte sie mit den Fingern, um die Verbindung zu überprüfen.
„Also...", räusperte sie sich und schob sich an ihren Bürotisch. „Was gibt es?"
„Headquarter hat mich kontaktiert. Für mich geht es heute Nachmittag zurück nach London."
Drei Köpfe schnellten zu ihm.
„Was?", entgegnete Zarya ungläubig. „Schon so bald?
Hughs zuckte mit den Schultern und nickte. „Wir haben Simons offizielles Geständnis, nachdem Dave mit ihm geredet hat. Er hat gestanden, aber soweit keine weitere Verbindung zum SA oder den Culebras. Ein einmaliger Informant. Er soll seinen Strafvollzug in London erhalten."
Lupas Mund verzog sich zu einem kindischen Schmollen. „Da bin ich gerade erst gekommen und du musst schon wieder weg?"
Der Rothaarige hob entschuldigend die Augenbrauen, als Zarya sie unterbrach.
„Kann man dir bei den Vorbereitungen noch irgendwie helfen?"
„Ich habe alle Ressourcen notiert, die wir zum Rückflug benötigen würden", informierte er sie und reichte seine Liste an Zarya weiter. „Ich will den Trupp möglichst klein halten."
Sie musterte die aufgezählten Punkte auf seinem Dokument und nickte dann.
„Das kann ich dir bis heute Nachmittag besorgen. Und wenn wir schon dabei sind... ich würde dir das Gerät von Dante gerne mitgeben."
„Den seltsamen Handschuh?"
„Ja, ich bin hier nicht gut genug ausgestattet, um es zu untersuchen. Vielleicht können sie im Headquarter mehr damit anfangen."
Hughs nickte und antwortete: „Ich werde es an die Labore im Hauptquartier weitergeben. Danke für die Organisation Zarya."
Nach einer Runde kurzem Schweigen hob Zarya die Augen und blinzelte unter ihrem Pony hervor.
„...war das schon alles?"
Hughs blickte in ihre Runde, bevor er antwortete. „Ja."
„Dein Ernst?"
Hughs zuckte mit den Schultern. „Du willst doch sonst auch immer Bescheid wissen."
Thandie warf einen Blick auf die Uhr.
„Nun... ihr habt noch fast fünf Stunden bis zum Abflug. Was haltet ihr davon, wenn wir die restliche Zeit miteinander nutzen?"
Zarya und Lupa tauschten begeisterte Blicke aus. Solch eine Chance würden sie nie ablehnen.
Es gab nur noch eine Person aus ihren Reihen, auf dessen Zustimmung sie warteten.
„Was hab ihr denn geplant?", wollte Hughs nach kurzem Überlegen wissen. Da wussten die drei Damen, dass sie den Rothaarigen an der Angel hatten.
Zarya drückte Knopf für Knopf ihre Bluse wieder auf und antwortete:
„Das volle Programm..."
--.--
Nach ihrem Frühstück waren Jenny, Fenrir und Mortimer aufgebrochen, um ihre Sachen für die Reise zurück nach London zusammenzupacken. Das hinterließ Dave alleine auf dem Platz, der Zeit totzuschlagen hatte. Der Abflug gegen 17 Uhr war noch fünf Stunden entfernt.
Tessa hatte über das KOM geschrieben, dass sie gleich zur Station zurückkehren würde und Dave beschloss, das Gleiche zu tun. Ians Check-up sollte mittlerweile abgeschlossen sein und der junge Brite konnte es nicht erwarten, ihn wiederzusehen.
Mit Sachmet im Schlepptau trat er zurück auf die Krankenstation und sah, dass der Vorhang um Ians Bett noch immer geschlossen war. Er unterdrückte ein genervtes Stöhnen, bevor er sich einen Stuhl heranzog und Platz nahm. Die fünf Minuten, die er wartete, waren gefühlt längsten seines ganzen Lebens. Gerade als seine Füße anfingen, ungeduldig auf dem Boden zu trippeln, wurde der Vorhang zur Seite gezogen.
Der Mitarbeiter im weißen Kittel, der heraustrat, wirkte in keiner Weise überrascht über Daves Besuch. Er warf dem Braunhaarigen einen mahnenden Blick zu, dann verschwand er im hinteren Teil der Krankenstation.
Dave pfiff Sachmet, damit sie ihm folgte. Beide traten an Ians Bett und der große Brite zog den Stoff hinter sich zu. Der Argentinier saß an der Bettkante und zog sich gerade das T-Shirt über den Kopf, als er seinen Besuch bemerkte. Sachmet kam als Erstes an und erhielt von Ian eine herzliche Begrüßung. Er wuschelte ihr durch das Fell und bekam als Antwort eine nasse Zunge ins Gesicht.
„Hey!", grüßte Dave. „Du hättest dich meinetwegen nicht anziehen müssen."
Ians Augen verdrehten sich bei der schlechten Anmache. Er zog vorsichtig den Rest seines Shirts über den Torso und rutschte, damit der Braunhaarige sich setzen konnte. Ihre Finger verschränkten sich, als wäre es das natürlichste auf der Welt und Dave drückte Ian einen sanften Willkommenskuss auf die Lippen.
Der Argentinier erwiderte ihn ohne Zögern, bis beide zurück an die Bettlehne sanken.
Ein Winseln ertönte unter ihnen. Sachmet sah sie mit enttäuschten Augen an.
Dave sah sie mit ernster Mine und hob belehrend seinen Finger. „Du hattest schon, jetzt bin ich dran."
Ian sah zwischen Hund und Besitzer hin und her und musste mal wieder darüber schmunzeln, wie ähnlich sie sich waren. Mit einem Tippen auf Daves Schulter erhielt er seine Aufmerksamkeit und formulierte dann: *Neidisch über einen Hund?*
„Niemals", flüsterte Dave mit einem Grinsen und zog sein Gegenüber ein weiteres Mal gegen seinen eigenen Mund.
*Wie lief es mit Simon?*, fragte Ian, als er sich von Daves weichen Lippen losreißen konnte.
Der frustrierte Ausdruck in Daves seegrünen Augen sprach alles aus, was er wissen musste. Er konnte sehen, wie sein größerer Freund mit den Worten kämpfte.
Der Braunhaarige senkte den Kopf und flüsterte: „Er war es."
Die Enttäuschung saß tief, das sah er in den offenen Emotionen, die sich auf Daves Gesicht widerspiegelten. Wenn es um seine Gefühle ging, glich er einem Bilderbuch.
„Er hat uns an das SA verkauft. Zwei Mal."
(Autorenanmerkung: Dieses Detail wurde im letzten Kapitel verbessert. Dave weiß nun, dass Simon sie zweimal an das SA verraten hat und mehr oder weniger die Bombenanschläge in London möglich gemacht hat. :-) )
Ian legte seine Hand auf die von Dave und spürte das Zittern, das durch seine Glieder wanderte.
„Tut mir leid, aber erst das mit meinem Vater und jetzt Simon? Ich hätte mir niemals im Leben ausdenken können, dass er-"
Dave brach ab, als ihn seine Worte im Stich ließen. Unbewusst hatten sich seine Hände zu Fäusten geballt und seine Fingernägel schnitten ihm ins Fleisch.
Hilflos sah Ian zu, wie Dave sich in seiner stillen Wut an Simon verlor.
Ian konnte sich nur einen Bruchteil von dem vorstellen, was der junge Mann gerade durchmachte. Er versuchte sich eine aufmunternde Antwort zurechtzulegen, doch er hatte das Gefühl, das er alles nur noch schlimmer machen würde.
*Soll ich dich auf andere Gedanken bringen?*
Mit einem Ruck zog er sich auf Daves Schoß und presste ihn mit seinen Armen gegen die Lehne des Bettes. Zu ängstlich, um eine Antwort abzuwarten, ließ er seinen Körper sprechen. Der folgende Kuss auf den Lippen des jungen Arztes war alles andere als unschuldig.
Dave wurde von Ians Aktionen völlig überrumpelt. Erst genoss er die stürmische Zuwendung, doch dann erinnerte er sich, wo sie gerade waren.
„W-warte", stammelte er hervor, als er versuchte, nach der Luft zu schnappen, die ihm der Argentinier abgezapft hatte. „Ian warte, wir sind doch gar nicht alleine!"
Mit hektischem Geflüster und panischen Blicken zum Vorhang versuchte der junge Arzt Zeit zu schinden. Es gab einen Moment, da traf sich sein Blick mit dem von Sachmet und hätte Dave hätte schwören können, dass sie die Zwei innerlich verfluchte.
Es war sehr eindeutig, was Ian versuchte, doch Dave war sich nicht sicher, ob er auf das Angebot eingehen sollte oder mit großer Widrigkeit ablehnen würde.
Unsicher setzte sich Ian zurück und begutachtete das hochrote Gesicht seines Gegenübers. Zweifel keimte tief in seinem Inneren auf und begann Überhand zu gewinnen. War er zu direkt gewesen?
Zögernd fragte der Weißhaarige:
*Willst du mir sagen, dass du das hier nicht willst?*
Daves Kopf schnellte nach oben und packte die Hände, die gerade noch gebärdet hatten.
„Doch! Doch Ian, natürlich will ich das! D-du hast mir nur etwas überrumpelt und..."
Erwartend hob der Argentinier die Augenbraue und wartete, ob der Größere fortfahren würde.
„Ich möchte, dass das erste Mal zwischen uns etwas Besonderes ist", flüsterte Dave mit dem Blick abgewandt. Seine Backen glühten wie zwei reife Tomaten.
„Außerdem habe ich keine Erfahrung, wie das zwischen Männer funktioniert. Ich meine, ich kenne die Basics aber..."
Ian fand es putzig, wie Dave über ein Thema wie dieses so sprachlos sein konnte. Er lehnte sich wieder nach vorne und zog Dave in einen Kuss, der nur wenige Minuten andauerte. Dann musste sich Ian wieder zusammenreißen, um seinen Libido in den Griff zu bekommen.
Mit einem Lächeln auf den Lippen antwortete Dave: *Wenn du soweit bist, dann zeige ich es dir.*
In Daves grünen Augen quillten kleine Tränen der Erleichterung hervor, als er Ians umschlungene Hände hob und einen Kuss darauf drückte.
„Danke", stammelte er erleichtert. „Ich kann es ehrlich gesagt kaum erwarten."
Mit einem Seufzen glitt Ian von Daves Oberschenkel herunter und fand sich wieder in einer bequemen Position, in der er nicht die Oberschenkel des Braunhaarigen strangulierte.
*So wie ich gerade über dich hergefallen bin, komme ich mir vor wie ein Flittchen.*
„Es kam sehr überraschend", gab Dave zu, dann ergänzte er etwas leiser. „Aber es war unglaublich sexy..."
Mit einem beinahe kindischen Kichern wurde ein weiterer Kuss ausgetauscht, bis Dave murmelte: „Wir sollten wirklich aufhören... sonst endet das in mehr als nur einem einfachen Kuss."
*Ich hätte nichts dagegen...*
Doch Dave schaffte es wieder zurück zur vorbildlichen Beherrschung und nahm Ian stattdessen in die Arme. Sachmet durfte es sich mit einer großzügigen Ausnahme auf das Bettende hinauf.
Der Arzt begann mit Ians weißen Strähnen zu spielen und sie zu einem Zopf zu flechten.
Nach ein oder zwei Anläufen zuckte Dave plötzlich ruckartig zusammen.
„Ach verdammt, du weißt ja noch gar nicht Bescheid!"
Und Ian befürchtete schon das Schlimmste, doch dann erzählte ihm Dave von der kürzlich geplanten Heimreise von Jenny, Fenrir und Mortimer.
*Schon so bald? Können wir uns noch verabschieden?*
„Ich denke schon, aber das kann ich noch in Erfahrung bringen."
Es brauchte ein paar Telefonate, bis er endlich eine Auskunft bekam. Weder Hughs noch Zarya oder Thandie waren in irgendeiner Weise zu erreichen. Erst als er es in Zaryas Büro probierte, hob jemand ab und beantwortete den Anruf mit einem gehetzten: ‚Verdammt, was ist?'
Es war kaum zu überhören, dass er die Chefin höchstpersönlich in der Leitung hatte. Dave machte sich mental auf einen Kampf der Giganten gefasst, als er seine Bitte an die Dame brachte – doch überraschenderweise gab sie ihm eine schnelle und gepresste Erlaubnis zur Verabschiedung zu kommen und legte dann sofort wieder auf.
Stirnrunzelnd sah er auf sein KOM und wunderte sich über die seltsame Konversation. Er hätte schwören können, weitere Stimmen im Hintergrund gehört zu haben...
Er erzählte Ian von den guten Nachrichten und beließ es vorerst nur bei dem.
--.--
Am späten Nachmittag trudelten dann alle Passagiere am Flugzeugplatz ein. Vor einer dunkelblauen Flugmaschine mit zwei Rotoren warteten eine kleine Einheit Soldaten zusammen mit den Piloten der Maschine. Die letzten Gepäckstücke wurden in den Bauch des metallenen Monsters gepackt und fest verschnürt.
Als Ian und Dave zusammen Sachmet am Versammlungspunkt auftauchte, fanden sie neben vielen unbekannten Gesichtern nur Jenny vor. Von Fenrir und Mortimer war noch keine Spur.
Sie gesellten sich zu ihrer einsamen Kollegin auf dem Platz. Die Braunhaarige deutete mit einem nicken auf den Helikopter.
„Simon ist bereits drinnen."
„Ist besser so", murmelte Dave. „Ich will ihn gerade überhaupt nicht sehen. Ich habe ihm noch nicht verziehen. „
Etwas abseits standen Zarya, Thandie und Hughs zusammen mit der mysteriösen schwarzhaarigen Dame, die Dave von diesem Morgen wiedererkannte.
Das schöne Wetter der frühen Morgenstunden war durch einen eisigen Wind abgelöst worden, der wilde Wolkentürme an den stürmischen Himmel malte. Er brachte die Aussicht auf Regen. Auch wenn es nur für ein paar Minuten war: Die Temperaturen waren kalt genug, um mit einer wärmeren Jacke herumzulaufen. Daran hatte in ihrem Fall nur Zarya gedacht, die sich einen zu großen Mantel um die Schultern gelegt hatte. Vor den Füßen der Befehlshaberin war ein schwarzer Koffer abgestellt.
Schritte ertönten aus Richtung Hangar, doch es waren nicht ihre fehlenden Passagiere, sondern Tessa.
Seufzend blickte Jenny auf ihr KOM und spielte mit dem Gedanken, ihre Security-Kollegen anzurufen und ihnen ein wenig Zeitdruck zu machen.
„Wo bleiben die zwei denn nur?"
Dave versuchte sie zu beruhigen. Mortimer würde niemals Kopf und Kragen riskieren und so einen festgelegten Termin wie diesen hier zu verpassen.
„Die kommen schon noch. Haben vielleicht die Zeit übersehen."
Jenny hob zweifelnd eine Augenbraue, aber beließ es dabei.
Eine kurze Wartezeit später eilten Mortimer und Fenrir mit ihren handlichen Gepäckstücken herbei. Sie sahen so aus, als hätten sie sich in letzter Minute fertigmachen müssen. Ihre Taschen und Rucksäcke reichten sie an den Piloten weiter, der bereits ungeduldig wartete und die Sachen in einer Seitenklappe des Hubschraubers verstaute.
„Wo wart ihr denn?", herrschte Jenny die beiden Spätankommer an. „Konntet ihr wieder mal wieder nicht die Finger voneinander lassen?"
Die Antwort kam prompt und aus beiden Mündern wie aus der Pistole geschossen. Mortimer plusterte sich empört auf und meckerte: „Stimmt doch gar nicht!"
„So ein Quatsch!", entgegnete Fenrir protestierend, doch die Röte auf seinen Wangen machte seine Aussage weniger glaubwürdig.
„Also gut, machen wir uns abflugbereit!", hallte Hughs Stimme zu ihnen hinüber. „Start in fünf Minuten."
Um sie herum begann sich alles in Bewegung zu setzten. Letzte Sicherheitschecks, Überprüfung der Technik und kalibrieren der Maschinen vor dem Start.
Aus ihrer Gruppe tat Tessa den ersten Schritt. Sie begann bei Jenny und zog sie in eine Umarmung. Den anderen zwei nickte sie zu.
„Nun dann... Ich wünsche euch eine gute Heimreise. "
Auch Dave und Ian begannen sich zu verabschieden. Jenny und Fenrir wurden in ihre Arme gezogen und Mortimer erhielt ein aufmunterndes Schulterklopfen.
„Wir bleiben in Kontakt", entgegnete ihnen Fenrir. „Vielleicht kommt ihr dann bald nach."
„Auf jeden Fall. Zeit, dass endlich mal etwas Ruhe einkehrt."
Das graue Biest hinter ihnen begann zu summen, als die Maschinen warmliefen. Es war der Startschuss, sich zum Gehen bereit zu machen. Zögerlich stiegen Jenny, Fenrir und Mortimer in den Hubschrauber und wurden auf ein paar Sitze zugewiesen.
Ian und Dave sahen zu, wie alle Passagiere ihre Plätze einnahmen und die Piloten sich im Cockpit vorbereiteten. Die letzten, die noch vor der Maschine warteten, waren Hughs und seine drei Kolleginnen.
„Ihr drei werdet das Schiff hier schon schaukeln", hörten die beiden junge Männer den Kommandanten sprechen. „Das habt ihr zuvor auch schon getan."
„Trotzdem", entgegnete Zarya und zog die Jacke um ihre Schultern ein bisschen enger, damit sie dem Wind entkam. „Ein bisschen mehr Zeit für uns alle zusammen wäre schön gewesen."
„Es war schön, dich mal wiederzusehen", entgegnete die Schwarzhaarige. „Wenn wir uns den nächsten Urlaub leisten können, dann besuchen wir dich in London."
„Ich bitte doch darum", schmunzelte Hughs.
Die Stimme des Piloten unterbrach die Konversation der kleinen Gruppe.
„Mister Arnold! Wir sind zum Abflug bereit!"
Hughs nickte und deutete ihm kurz zu warten. Im Hintergrund begannen die Rotoren des Hubschraubers zu zirkulieren.
Die Zeit des vorübergehenden Abschieds war gekommen. Jetzt gab es nur noch eine Sache zu erledigen. Erwartungsvoll sahen Thandie, Lupa und Hughs zu Zarya, die den schwarzen Koffer zu ihren Füßen gegriffen hatte.
Der Behälter wanderte von ihren Händen in die von Hughs.
Zarya deutete auf den Koffer.
„Hoffentlich könnt ihr im Headquarter mehr über dieses Ding herausfinden..."
„Ich werde euch auf dem Laufenden halten, was ich in Erfahrung bringen kann."
Ein weiterer Ruf des Piloten zwang ihn zum langsamen Ausbruch. Während seines Rückzuges zum Hubschrauber drehte Hughs sich noch ein letztes Mal um: „Vielleicht schickte ich euch auch ein paar Berichte zum Lesen, damit euch nicht langweilig wird."
Während Thandie und Zarya in Gelächter ausbrachen, verzog Lupa unbeeindruckt das Gesicht. Ihr Zuruf ging beinahe im Rauschen des Motors unter.
„Wag es bloß nicht, das bleibt nur wieder bei mir hängen!"
Hughs ließ die Drohung so stehen und nahm sich vor, die Berichte mit direkter Anschrift an Zarya zu senden. Mit dem Koffer in der Hand tat er die letzten Schritte in das Innere des Helikopters uns gab das finale Zeichen an die Piloten abzuheben.
Die Rotorblätter der Maschine hatten an Fahrt zugenommen. Das Surren der Motoren wurde vom Rauschen des Windes abgelöst, als die langen Zungen an den Rotoren sekündlich schneller kreisten, bis man sie nicht mehr auseinanderhalten konnte. Die am Boden verbliebenen traten einige Schritte zurück, als ihnen der erzeugte Zugwind Kleidung und Haare um die Ohren pustete. Dann setzte sich der Hubschrauber in Bewegung und kroch gezielt auf zum Startpunkt hinaus. Ein hochfrequentiertes Summen setzte ein, das mehrere Minuten anhielt.
Die Räder des Hubschraubers verloren langsam aber sicher den Kontakt mit dem Boden. Das grau-blaue Monster begann sich träge in die Lüfte zu erheben und über die moosige Landschaft von Rinnigill davonzufliegen.
Ian und Dave beobachteten das Schauspiel wenige Minuten, bevor sie beschlossen, die wärmeren Räume des Hauptgebäudes aufzusuchen.
Tessa folgte ihnen nach kurzem Innehalten. Keiner hatte gesehen, dass sie als einzige kein Interesse an dem verlassenden Helikopter hatte. Stattdessen lag ihre volle Aufmerksamkeit auf den kurzen wehenden Haaren, die wie feine Tintenstriche um Lupas Gesicht fielen.
Als ihr das eigene Starren auffiel, hechtete sie Ian und Dave hinterher und hoffte, dass es keiner gesehen hatte.
Die letzten Verbliebenen auf dem Landeplatz waren Zarya, Thandie und Lupa. In Stille verfolgten sie die kleiner werdende Silhouette des Hubschraubers.
Lupa war die Erste, die sich vom Anblick löste und sah, dass der Rest der Schaulustigen sich verzogen hatte. Sie drehte sich gerade noch rechtzeitig, um einen blonden Haarschopf im Hangar zum Hauptgebäude verschwinden zu sehen. Sie witterte eine Chance.
„Ich gehe schon mal vor", informierte sie ihre zwei Kolleginnen. Bevor irgendjemand etwas erwidern konnte, war sie ebenfalls Richtung Hangar verschwunden, in der Hoffnung, eine gewisse Person einholen zu können.
Verwirrt blickte Thandie der Schwarzhaarigen hinterher. „Was ist denn in sie gefahren?", fragte sie, doch erhielt keine Antwort von ihrer einzigen Gesprächspartnerin. Thandie warf einen letzten Blick an den Himmel, wo der Transporter hinter den Wolken verschwand, dann seufzte sie.
„Ich werde in die Hauptzentrale gehen."
„Ich komme nach", murmelte Zarya und ließ den Grund ihres Verharrens unausgesprochen.
Erst als Zarya allein war, löste sie sich aus ihrer Starre. Ein Blick ging zurück, um zu sehen, ob ihre Kollegen außer Sichtweite waren. Sie machte kehrt und lief in Richtung des Sicherheitstraktes.
--.--
Von oben betrachteten die Passagiere des Hubschraubers die kleiner werdende Landmasse, die sie gerade verlassen hatten. Jenny und Fenrir hingen begeistert an den Scheiben, als wären sie noch nie mit einem Flugzeug geflogen. Was nicht stimmte, denn immerhin waren sie mit einem hergekommen. Mortimer bevorzugte es, seine Augen zu schließen und nicht über den schmerzhaften Tod nachdenken zu müssen, den sie sterben würden, wenn diese Maschine abstürzen würde.
Simon war im hinteren Teil der Maschine in einen Sitz gedrückt worden und wurde links und rechts von zwei Soldaten eingekesselt. Ihn interessierte die Fahrt recht wenig und starrte auf seine Füße. Auf seinem Gesichtsabdruck spiegelte sich absolute Leere.
Es waren keine zehn Minuten seit ihrem Start vergangen und sie waren kurz davor dem weiten Atlantik entgegenzublicken.
„Sir?", weckte ein Pilot seine Aufmerksamkeit. „Sehen sie mal, wir haben da etwas Seltsames gefunden..."
Stirnrunzelnd sah Hughs auf die herangezoomte Kameraübertragung, die ihm der Pilot gereicht hatte. Drei Schiffe lagen mehrere Seemeilen vor den ersten Orkneyinseln im Wasser. Vage konnte man das Treiben darauf beobachten, doch die Decks waren zum Großteil geleert. Das mittlere Schiff deckte eine große weiße Plane ein.
„Schiffe in dieser Gegend?", murmelte der Kommandant überrascht. Der Pilot nickte.
„Das haben wir uns auch gefragt, Sir."
Hughs nahm sich einen Moment Zeit, um die Transporter auf dem Wasser genauer unter die Lupe zu nehmen.
„Keine typische Route für Handelsschiffe", überlegte er. „Sehen auch nicht aus wie welche."
Im ersten Impuls wollte er die Schiffe in Ruhe lassen.
Doch dann kam ihm Zaryas paranoide Denkweise zurück in den Kopf. Er wandte sich an seinen Kollegen. Besser sicherzugehen, als es später zu bereuen.
„Versuchen sie zu ihnen Kontakt über Funk herzustellen", forderte er einen der Piloten auf.
Auf Kommando setzten seine Mitarbeiter einen Funkspruch an die fremden Schiffe durch. Mehrere Minuten vergingen, doch keine Antwort kam zurück. Der Mann hinter dem Funkgerät versuchte es ein zweites Mal.
Das Ergebnis blieb das gleiche. Durch den Kanal rauschte nichts weiter als statische Stille.
Ein fragender Blick ging an den Rothaarigen.
„Soll ich es weiter versuchen?"
Hughs kämpfte mit einer Entscheidung.
„Nein", antwortete er schließlich. „Geben wir es an die ASTF und dem Headquarter in London weiter. Sollten die hier wirklich auf Krawall aus sein, dann haben wir nicht annähernd so gute Ausrüstung. Verbinden sie mich mit der Alpha-Zentrale in Rinnigill."
Der Pilot stellte die Frequenz für das Funkgerät neu ein und gab dem Kommandanten das Okay zum Absenden.
„Alpha-Zentrale, hier Arnold. Bitte kommen."
Ohne die Schiffe unter ihm aus dem Blick zu lassen, wartete er auf einen Rückspruch aus Rinnigill.
„Hier Thandie", kam eine vertraute Stimme durch den Lautsprecher des Funkgeräts. „Was gibt es?"
„Wir haben hier drei verdächtige Schiffe vor den nordöstlichen Orkneys."
Er schilderte den Rest der Situation und wartete eine Antwort ab. Ein überlegendes Murmeln kam durch die Leitung.
„Habt ihr die Registrierung überprüft?"
„Haben wir versucht, aber sie antworten nicht auf Funk und haben keine sichtbare Identifikationsnummer am Schiff. Es sieht so aus..."
Hughs stockte mitten im Satz, als er Bewegung auf den Schiffen sah. Die zwei äußeren Frachter hatten sich in Bewegung gesetzt.
„Warte kurz."
Er lehnte sich weiter zum Fenster und überprüfte dann erneut die Kameraübertragung des Cockpits.
„Zwei der Schiffe haben sich in Bewegung gesetzt, Kurs an der Küste entlang."
Seine Aufmerksamkeit wanderte zum dritten mittleren Schiff.
„Das dritte Schiff-"
Doch er sah zu spät, was das dritte Schiff auf dem Wasser veranstalten. Stattdessen entdeckte er eine gelbliche Wand aus purer Energie, die mit voller Fahrt durch die Luft segelte und auf ihren Hubschrauber zukam.
„Thandie, wir werden angegriffen von-"
Den Aufprall spürte keiner von ihnen - mehr aber die Auswirkungen, die das fremde Geschoss zur Folge hatte. Kaum war die Welle über sie hinweggezogen, ging ein Rütteln durch die Maschine.
Plötzlich wurde alles still.
Im Sinne von todesstill.
Kein Rotor drehte sich, keine Pumpe funktionierte, keine Zündung gab ihnen Treibstoff. Das Armaturenbrett der Piloten, sonst voller blinkender Lämpchen, stand in schwarzer Stille.
Die zwei Soldaten am Steuer zogen an Hebeln, drückten an Knöpfen, nur um zu Schlussfolgerung zu kommen: „Sir, die Systeme reagieren nicht."
„Was soll das heißen, sie reagieren nicht?!"
Der Pilot hatte einen Ausdruck puren Terrors in seinen Augen, als er dem Kommandanten antwortete.
„Alle Kontrollsysteme haben einen Totalausfall. Wir können den Hubschrauber nicht steuern und auch nicht in der Luft halten."
Die unausgesprochene Wahrheit, dass sie abstürzen würden, blieb versteckt hinter seinen Worten, doch Hughs schnappte sie trotzdem auf. Er musste handeln und zwar schnell.
„Festhalten alle zusammen!", brüllte er in den Bauch des Hubschraubers hinter ihm. „Wir haben einen holprigen Ritt vor uns!"
Bevor der Rest der Passagiere fragen konnte, was passieren würde, begannen sie die Auswirkungen am eigenen Leibe zu spüren. Der Hubschrauber kippte zur Seite, als keine Technik das grau-blaue Monster mehr am Himmel trug.
Mit weiten Augen blickten alle Reisenden des Helikopters dem gähnenden blauen Abgrund unter ihnen entgegen, dem sie mittlerweile entgegensegelten. Die Schreie blieben ihnen im Hals stecken, als sie beinahe im freien Fall gen Wasser fielen.
--.--
Zaryas konnte ihn hören, bevor sie ihn sah. Der hämische Unterton in Dantes Stimme stellte ihr die Nackenhaare auf.
„Schon so bald zurück, Frau Baranow? So bald hatte ich gar nicht mit Ihnen gerechnet..."
Verkünstelte Überraschung wurde gespielt überdeckt, als er ihr antwortete.
Zarya überwand die letzten Meter und machte vor der Zellentüre halt. Durch das längliche Fenster sah er den Blonden im gelblichen Licht sitzen. Seine vom Tageslicht beleuchteten Haare gaben den Strähnen einen goldenen Glanz, der sich wie ein Heiligenschein über seinen Kopf legte. Die Culebra war mittlerweile von ihrem Stuhl losgemacht worden und hatte stattdessen Handschellen an den Handgelenken, die seine Hände auf seinen Rücken banden.
„Was verschafft mir die Ehre?", grinste er unter den wüsten Locken seiner Mähne hindurch. Ihre Antwort war knapp.
„Ich habe Fragen. Aber das ist ja nichts Neues."
„Natürlich, natürlich. Wollen sie nicht hereinkommen? Durch die Zellentüre kann man sich so schlecht unterhalten..."
Seine Augen blitzen gefährlich.
„Ich bevorzuge es, Distanz einzahlten. Nehmen sie es nicht persönlich", entgegnete sie und verharrte mit großzügigem Abstand vor der Türe. „Was sie aber persönlich nehmen werden, ist vermutlich das hier..."
Sie griff mit einer Hand in die voluminöse Innentasche ihrer Jacke und zog ein Bündel aus ledernem Stoff heraus. Sie begann es vor seinen Augen in ihren Händen auszuwickeln.
„Es macht den Anschein, als würde dir das hier viel bedeuten...", murmelte sie träge, als sie die letzten Fetzen entfernte.
Bedacht zog sie den Gegenstand darunter hervor und hob ihn vor das Sichtfenster der Zelle. Trotz der Entfernung und dem schlechten Licht sah sie, wie sich Dantes Ausdruck zu einer Maske blanker Überraschung wandelte, als er Grita in ihren Fingern tanzen sah.
Mit schlitternden Stiefelsohlen preschte der blonde Insasse nach vorne. Im nächsten Moment presste sich sein Gesicht in die stählernen Gitterstäbe des Sichtfensters. Seine Nasenflügel bebten wie ein wild gewordener Stier, als er Zarya mit blutunterlaufenen Augen anstarrte.
„Was machst du mit Grita!", presste er unter angehaltener Luft heraus, ähnlich wie ein Dampfkessel unter hochexplosivem Druck.
Zarya trat einen weiteren Schritt zurück.
„Das hängt ganz von ihrer Antwort ab, Diablo."
Einen fürchterlichen Moment herrschte geisterhafte Ruhe. Selbst Dante war totenstill und wirkte wie erstarrte. Sein stählerner Blick war ein Fadenkreuz, das sich zielsicher an Zarya heftete.
„Interessante Methode, Frau Baranow. Normalerweise wäre ich ein großer Fan davon, doch gerade, bewegen sie sich auf dünnem Eis. Seeehr dünnem Eis...", raunte der Blonde. Mit jedem Wort presste er sich weiter in den Sichtschutz, als wäre sein Körper aus elastischer Masse gemacht, die sich einfach an den Stäben vorbeizwängen könnte.
Es knackte in Zaryas Ohr, als jemand versuchte, sie über das Headset zu erreichen. Sie ignorierte es.
„Es ist ein Spiel, das ich riskiere, also wenn sie wollen, dass diesem...", sie betrachtete das klobige Küchenmesser in ihren Händen und versuchte passende Worte zu wählen. „...Schmuckstück nichts passiert, sollten sie mir besser sagen, aus welchem Grund sie Álvarez hinterherjagen."
„Um ihn zu töten, was sonst?", entgegnete Dante.
Zarya schob ihre Lippe vor.
„Das stimmt nicht. Sie hätten sich niemals die Mühe gemacht, hier einzudringen, nur um Álvarez die Kugel zu geben. Das glaube ich ihnen nicht."
„Oh, dann kennen sie mich nicht gut genug. Ich riskiere viel für meinen Job und gerade bei Álvarez muss ich mich absichern, dass er dieses Mal wirklich draufgeht. Wir können ihn kein zweites Mal von den Toten auferstehen lassen. Deshalb kümmere ich mich persönlich darum."
Zarya hob eine Augenbraue, sichtlich unbeeindruckt von seiner Antwort.
„Um dein Messer sieht es gerade nicht gut aus, Diablo..."
Sie sah, wie er auf seiner Lippe kaute.
Erneut piepte ihr Headset hinter dem Ohr, doch Zarya schaltete es erneut stumm.
Heiseres Gelächter hallte durch den Raum und weckte die Aufmerksamkeit der Dame.
„Sie haben natürlich recht...", schnaufte Dante. „Das ist nicht der einzige Grund, weshalb ich hier bin..."
Sie spürte, wie sein Blick an dem Messer in ihrer Hand hängen blieb. Nachdem er seine Antwort nicht weiter ausführte, wollte Zarya nachhaken und hob das Messer zu einer weiteren Drohung.
Doch weiter kam sie nicht.
Ein Dröhnen ging durch den Gebäudekomplex. Die Lichter begannen unheilvoll zu flackern, bevor sie schließlich ganz erloschen.
Zaryas Hand wanderte an ihr Headset, um einen Funkspruch abzusenden, als ein einziges Wort durch die Dunkelheit hallte.
„Endlich."
Es war nicht mehr als ein kehliges Hauchen aus Dantes Zelle, doch es ließ Zaryas Haare zu Berge stehen. Sie realisierte, dass sie mal wieder zur falschen Zeit am falschen Ort war.
Mit einem Krachen schwang die Zellentüre auf, die durch den fehlenden elektronischen Mechanismus nicht mehr verriegelt wurde. Zarya versuchte eine Verbindung zu ihren Kollegen aufzubauen, doch nichts ging durch die Leitung.
Sie erkannte, was ihr gerade drohte und begann langsam den Gang zurückzutreten. In Gedanken zählte sie zwanzig Sekunden, bevor die rote Beleuchtung der Notgeneratoren ansprang. Doch der Schaden war getan.
Im flammenden Schein sah sie Dante auf sich zuschreiten. Es war, als würde ihr der Teufel höchstpersönlich begegnen. Ein hämisches Lachen drang aus seinem Mund und echote von den Wänden wieder. Was auch immer ihnen den Strom genommen hatte, beeinflusste nicht die Handschellen um Dantes Gelenke, doch machte es ihn auch nicht weniger gefährlich.
„Das alles hier ist also ihr Tun", schlussfolgerte Zarya. „Sie waren auf alles vorbereitet. Selbst ihre Gefangennahme war kein Zufall."
Dante überlegte einige Sekunden und zuckte dann mit den Schultern.
„Hm... geplant war es nicht. Aber das macht nichts. Jemand hat ja dafür gesorgt, dass mit nicht langweilig wurde."
Sein Blick gab Zarya das Gefühl, ein Wild in freier Schussbahn zu sein.
„Außerdem sehr freundlich, dass sie mir Grita persönlich vorbeibringen. Das erspart mir die nervtötende Suche nach ihr."
Fordernd schob er seine angebundenen Hände nach vorne.
„Mein Messer, bitte. Und den Schlüssel für die Schellen, wenn wir dabei sind."
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