3. Marleys Café
London, noch am gleichen Tag
Der eisige Wind ließ Dave seinen Schal enger ziehen. Warum hatte er auch seine Mütze zu Hause vergessen? Er drückte sich durch die gut besuchte Straße, um seine Wohnung schnellst möglich zu erreichen. Sobald er in eine Nebengasse abbog, legte sich das Treiben.
Kurz vor seinem Wohnblock sah er bereits das Schild von Marleys Café. Er und sein Vater kannten die Besitzerin gut und waren mittlerweile gute Freunde. Sie waren praktisch Nachbarn und Dave besuchte die ältere Dame oft in ihrem Restaurant. Als Student hatte er sich ein wenig Taschengeld dazuverdient, indem er beim Verkauf geholfen hatte.
Als er durch die breiten, hell erleuchteten Fenster spähte, sah er, dass es mäßig besucht war. Er grüßte Marley, die gerade einen Kunden bedient hatte, durch die Scheibe. Sie hatte Dave gesehen, grüßte ihn mit einem Winken und schenkte ihm ein Lächeln, bevor sie sich dem nächsten Käufer zuwandte.
Nur ein paar Schritte weiter und schon erreichte Dave seine Wohnung. Er stieg die letzten Stufen zur Türe hinauf und schloss auf. Seine warme Wohnung empfing ihn mit offenen Armen. Er entledigte sich seiner Sachen und legte Schlüssel und Tasche auf seiner Kommode ab. Er lauschte kurz, doch aus der Wohnung war es ruhig. Das war ungewohnt.
„Sachmet?", kündigte sich Dave an und plötzlich kam Leben ins Haus. Er hörte ein Kratzen, dann trampelnde Schritte auf dem Fußboden, die näher kamen. Plötzlich kam seine zottelige Hündin um die Ecke geschossen und stürzte sich voller Vorfreude auf ihren Besitzer. Der erkannte leider ein wenig zu spät, dass sein Haustier seine Kraft nicht wirklich einteilen konnte und landete so ganz schnell auf seinem Rücken, mit dem Hund auf ihm. Sein Gesicht machte Bekanntschaft mit einer feuchten Zunge, die ihn von seiner Stirn bis zum Kinn mit nasser Hundesabber eindeckte.
„Sachmet! Aus! Sitz!", versuchte er die Hundedame zu bändigen, bevor er die Hundeschnauze von seinem Gesicht wegdrückte und sich dann in eine sitzende Position aufrichtete. Sachmet, sein Border Collie hätte glücklicher nicht aussehen können, während Dave sich die schleimige Substanz aus seinem Gesicht wischte.
„Na, das ist ja mal eine Begrüßung... Hast du mich so sehr vermisst oder hast du nur Hunger?", sprach er zu Sachmet, als er ihr Gesicht in beide Hände nahm und dann durch das Fell wuschelte. Er kannte die Antwort eh schon.
Sie war immer am Verhungern.
Als Antwort kläffte der Collie ungeduldig und rannte los in Richtung Küche. Dave folgte und holte die Hundenahrung aus dem obersten Schrank, um den Hunger seiner Hundedame zu stillen. Während Sachmet sich genüsslich über ihren Futternapf hermachte holte sich Dave eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und nahm seine Tasche von der Kommode im Eingangsbereich. Während Sachmet speiste, hatte er ein wenig Zeit, an der Übersetzung zu arbeiten.
Er öffnete die Türe zu seinem Zimmer und schaltete seinen Laptop an. Das Tagebuch packte er aus und legte es neben sein Schreibgerät, bevor er auf seinen Schreibtischstuhl Platz nahm. Er suchte die Stelle unter all den Zeilen, wo er aufgehört hatte zu lesen und fuhr fort...
...
Vor ein paar Tagen sind einige von uns in den Militärdienst eingewiesen worden. Ich wurde ebenfalls ausgewählt. Sie sprachen davon, dass es eine große Ehre war, das Heimatland zu verteidigen. Wir sollten stolz sein. Doch alles, was ich fühlte war große Ungewissheit und Angst.
Bei unserer Einweisung wurden wir einem groben Ganzkörpercheck unterzogen, bevor man uns mit einem kleinen Gerät einen kleinen Chip in den Unterarm jagte. Man sagte uns nicht genau, wofür er gut war, aber man konnte sich schnell denken wofür sie gedacht waren.
Vom großen Bettenlager wanderte ich in ein Vierbettzimmer - es hätte aber genauso eine Zelle sein können. Ich habe nun drei Mitbewohner. Nicolás und Tomás aus der Region Buenos Aires. Flavio von der Grenze zu Chile. Ich verstehe mich gut mit den drei.
Wenn uns der Tagesablauf davor schon umgehauen hatte, dann war das Nichts im Vergleich zum Militär. Wir wussten, dass es schlimmer werden würde. Wir waren nicht darauf vorbereitet, wie schlimm.
Man prägte uns ein, dass wir 3 Jahre hatten, um unser Können unter Beweis zu stellen. Eine andere Option gab es nicht. Zumindest gab man uns keine. Die Aufseher und Trainer hier waren erbarmungslos, der Tagesablauf streng und strukturiert.
6 Uhr Morgenapell auf dem großen Platz. Wir werden durchgezählt und unsere Chips gescannt.
6.30 Uhr 30 Minuten Frühstück - genauso mager und geschmacklos.
7.30 für eineinhalb Stunden Aufwärmtraining.
Danach folgte der normale Unterricht und weitere Trainingsstunden bis 13 Uhr.
Eine kurze Pause, bevor der Plan bis 20 Uhr mit Feldtraining und Stunden vollgestopft war.
Abendessen und um 21 Uhr Nachtruhe.
Wir haben die ersten Tage überlebt, aber es war nicht erfreulich. Grade ist es nach der Sperrstunde und mein ganzer Körper hat in meinem ganzen Leben noch nie so geschmerzt. Mir graust es schon vor morgen - vor dem unausweichlichen Muskelkater, den ich haben werde und mit dem ich das Training absolvieren muss. Aussetzen ist keine Option. Meinen Mitbewohnern geht es ähnlich. Mal sehen, was uns morgen erwartet.
Ian Álvarez
Als Dave den ersten Eintrag fertiggelesen hatte, öffnete er sein Schreibprogramm und machte sich an die Übersetzung. Seine Finger flogen über die Tasten. Er tat sich leicht bei der Übersetzung.
Er war bei seiner Mutter in Spanien aufgewachsen und wurde bilingual aufgezogen. Sein Vater brachte ihm Englisch bei.
Er konnte nicht fassen, wie schnell er den ersten Eintrag übersetzt hatte. Gerade wollte er sich dem zweiten widmen, als er Sachmet bemerkte, die sich auf ihrem Plätzchen unter Daves Schreibtisch niedergelassen hatte. Sie hatte ihren Kopf zwischen die Vorderpfoten gelegt und starrte den Briten mit großer Erwartung in den Augen an.
Einen Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er ungefähr eine Stunde gearbeitet und es noch Zeit war, bevor die Dunkelheit einbrechen würde. Er könnte später weitermachen, wenn sie wieder da waren.
Sachmet erleichterte ihm die Entscheidung, indem sie aufsprang und ihre Hundeleine holte. Erwartungsvoll saß sie im Türrahmen und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz.
„Okay... Überredet", antwortete Dave seiner Hündin, die erfreut bellte. Er schrieb seinem Vater, dass er mit Sachmet unterwegs war und auf dem Rückweg Essen mitnehmen würde. Auch, wenn Dave nun in der Wohnung unter seinem Vater wohnte, versuchten sie - sooft es ging - gemeinsam zu essen. Sein Vater gab es zwar nicht zu, aber seit dem Tod meiner Mutter war er sehr einsam.
Dave packte eine kleine Umhängetasche für einen Spaziergang mit Sachmet und leinte seine Hündin an, die schon ungeduldig an der Haustüre wartete. Kaum hatten sie die Wohnung verlassen, klingelte Daves COM-Gerät. Er nahm den eingehenden Anruf entgegen, konnte am Display aber schon sehen, dass es sein Vater war.
„Ja?", antwortete er.
„Dave. Ich bin's", schallte es durch die Leitung. „Ich werde es heute nicht zum Abendessen schaffen. Ein Kollege ist ausgefallen und ich muss sein Team für eine Operation heute Abend organisieren. Es wird vermutlich 21 Uhr, bis ich draußen bin. Vielleicht auch später."
Daves Blick wanderte zu seiner Armbanduhr. Gerade mal 16.35 Uhr.
„Okay. Ich werde unterwegs vermutlich bei Marleys halten. Soll ich dir etwas mitnehmen?"
„Ich werde mir auf dem Heimweg etwas holen, danke."
Dave musste dabei die Augen verdrehen. Er wusste genau, was sein Vater damit meinte.
„Und wo? Bei dem Chips-Stand gegenüber vom Headquarter? Dad, du weißt genau, dass dir das ganze fettige Essen nicht guttut. Da nehme ich dir lieber etwas von Marley mit, das du dir warm machen kannst."
Ein Seufzen drang durch die Leitung.
„Dass ich mich von dir belehren lassen muss... Na gut, dann nimm mir etwas vom Tagesgericht mit."
„Glaub mir Dad, du wirst es mir später noch danken. Ist besser für deinen Körper und deine Gesundheit. Ich werde es dir in den Kühlschrank stellen. Komm gut nach Hause und übertreib es nicht."
Beide murmelten ein Abschiedsgruß, bevor Dave auflegte und sein Handy in die Jackentasche steckte. Sachmet, die bis jetzt brav und geduldig gewartet hatte, spürte, dass ihre Zeit gekommen war und zog an der Leine. Sie konnte es nicht mehr erwarten, sich die Beine zu vertreten. Dave ließ die Hündin ihren Weg gehen, denn sie kannte ihre tägliche Route bereits. Durch die Siedlung hindurch, über die Brücke zum anliegenden Kanal. Weiter ging es Richtung Ufer der Themse. Dort konnte er Sachmet für die weiteren Meter auch von der Leine lassen. Dave sah zu, wie der schwarz-weiße Border Collie ein paar Tauben hinterherjagten, die sich in einer großen Herde am Ufer niedergelassen hatten.
Warme Abendröte breiteten sich über den Himmel aus und färbte die sich türmenden Wolken in ein Farbspektrum von rosa zu weinrot. Im Hintergrund konnte man durch den Hochhausdschungel die Silhouette des Elisabeth Towers und das London Eye erkennen. Als die ersten Straßenlaternen erleuchtet wurden, pfiff Dave nach seiner Begleiterin, die sich ohne Aufstand anleinen ließ.
Schon traten beide den Rückweg an und fanden sich schnell in den sich rapide leerenden Straßen wieder. Langsam hatte es zu schneien begonnen und Sachmet schnappte vergnügt nach den weißen Flocken, die sich jedoch schnell zu einem rasenden Schneesturm entwickelten. Als sie vor den Türen zu Marley's Café standen, war es fast stockdunkel. Das Treiben in der Gastronomie hatte nachgelassen und nur noch wenige Kunden flüchteten sich ins Warme.
Dave drückte die Vordertür auf und ein kleines Glöckchen kündigte die neue Kundschaft an. Sofort schlug ihm der herrliche Geruch von Kaffee und frischem Gebäck in die Nase. Die Einrichtung von Marley war alles andere als Schlicht. Es wirkte eher, als ob sie einen Antikwarenladen zu einem Café umgebaut hätte: kunterbunte Möbel verteilten sich im Raum und luden Gäste ein, sich niederzulassen. Überall war dekorativer Kleinkram zu finden. Bilderrahmen, Figuren, Pflanzen und auffällige Tischdeko machten alles harmonisch und einladend.
Marley hatte ihr Kommen auch sofort bemerkt und winkte sie zu sich an die Theke, wo Dave auf einem der Barhocker Platz nahm und Sachmet sich unter seinen Füßen ausbreitete.
„Hallo Dave, schön dich zu sehen! Wie geht's, wie stehts?", grüßte die Dame in ihren Sechzigern mit warmer Stimme.
„Hallo, Marley. Es geht so. Die Arbeit läuft ganz gut und ist spannend wie immer."
„Schön. Das Übliche für dich? Es ist furchtbar kalt geworden über die letzten Tage. Du musst ja halb erfroren sein."
„Ja, bitte einen Earl Grey. Man gewöhnt sich an die Kälte. Vor allem bei einer so aktiven Hündin wie Sachmet. Aber wenn sie muss, dann muss sie halt."
Marleys Hände flogen mit flotten Handgriffen über das Geschirr und Maschinen im Thekenbereich. Nach wenigen Sekunden stand eine dampfende Tasse mit Tee vor Dave. Der hatte sich seiner Jacke entledigt und sie um die Hockerlehne gelegt.
„Ja, das kommt mit dem Halten eines Hundes. Ich komme immer noch nicht darüber hinweg, dass du Sachmet nach einer ägyptischen Gottheit benannt hast. Und dann gleich so einen. Was war das nochmal für eine?"
Als Dave an die Namensgebung von seinem Border Collie zurückdachte, musste er ein wenig schmunzeln.
„Sachmet war eine Löwengottheit im alten Ägypten und galt als Beschützerin aller Katzen. Sie ist die Göttin des Krieges und schützt vor Erkrankungen. Sie trägt auch zur Heilung von Krankheiten bei." Dave musste ein wenig schmunzeln, als er an die Zeit zurückdachte, in der er absolut verrückt nach alter Geschichte war. "Ich habe damals im Internet nach Namen gesucht und hab den Namen für sie einfach passend gefunden. Die Bedeutung habe ich erst viel später herausgefunden..."
Er sah seine Border Collie Dame an, die aus einer großen Schüssel Wasser trank, die Marley ihr hingestellt hatte.
„Sie hat sich bis jetzt noch nicht beschwert", meinte er dann achselzuckend. „Ich glaube, ihr scheint der Name zu gefallen." Er fuhr der Hündin sanft über den Kopf. Dann erinnerte er sich, weshalb er überhaupt gekommen war.
„Hast du noch was von deinem Tagesgericht?", fragte er mit dem Blick auf die Speisekarte.
„Ja klar. Eine Portion für dich?"
„Eine für mich und eine zum Mitnehmen für meinen Vater. Er schafft es leider heute nicht mehr rechtzeitig zum Abendessen."
Marley schenkte ihm einen traurigen Blick, als sie von Lennard hörte.
„So, so. Dann hat dein alter Herr also wieder Spätschicht... Das nächste Mal kralle ich ihn mir und rede ein Wörtchen mit ihm. So kann das doch wirklich nicht weitergehen. Das ist weder gut für seine Gesundheit, noch tut er dir damit einen Gefallen."
„Ja, ich mach mir auch Sorgen, dass er sich überarbeitet", murmelte Dave in seine Tasse, aus der er nippte.
„Na, wenigsten sorgt sich jemand um Lennard. Er ist halt ein extrem sturer Esel, da kann man nichts machen... Ich kann dir auf jeden Fall den Lamm-Eintopf von der Tageskarte empfehlen. Der ist diese Woche besonders gut geworden."
Dave nickte. „Das wäre super. Danke dir, Marley."
Die dunkelblonde Frau verschwand so gleich in der Küche, während Dave seine Hände weiter am Tee wärmte. Nach wenigen Minuten kam die Besitzerin wieder zurück.
„Ach, es wird wirklich Zeit, dass dein Vater sich wieder in das Liebesleben stürzt. Ich weiß, wie es sich anfühlt, jemanden auf diese Weise zu verlieren. Aber sich stattdessen in Arbeit zu vergraben ist auch keine Lösung."
Dave wusste nur zu gut wovon sie sprach. Neun Jahre waren nun vergangen, seit seine Mutter aufgrund gesundheitlicher Gründe gestorben war. Ein Hirntumor war keine schöne Sache. Die erste Zeit war Daves Vater vollkommen zerstreut. Dann stürzte er sich Hals über Kopf in Arbeit.
„Ja, mein Vater trauert, indem er sich in Arbeit verkriecht. Aber, dass es selbst nach so langer Zeit so ist..."
Marley hatte sich ein Geschirrtuch geschnappt und trocknete gewaschenes Besteck.
„Ach, die Liebe ist schwierig, Dave. Es ist schwer, etwas abzuschließen, was man sein Leben lang geliebt und bewundert hat."
Ihr Blick wurde abwesend, als schwelge sie in alten Erinnerungen. Erst jetzt erkannte Dave, dass er damit einen Nerv getroffen hatte.
„Entschuldigung, Marley. Ich wollte keine schmerzhaften Erinnerungen wecken. Ich kann nicht oft genug sagen, wie leid mir das mit deinem Mann tut."
„Ach, Schwamm drüber! Ich bin drüber hinweg. Aber da wir gerade beim Thema sind: Wie sieht es denn bei dir aus? Gibt es keine potenzielle Kandidatin?", fragte die Dame mit interessierter Miene. Dave, der einen weiteren Schluck von seinem Tee trank, hätte sich fast dran verschluckt.
„W-Was?"
Marley zog die Augenbrauen nach oben während sie saubere Gläser einräumte. Er wusste genau, wovon sie sprach.
„Ach, jetzt tu doch nicht so. Du weißt genau wovon ich rede, junger Mann. Du bist jetzt 24! Andere Männer in deinem Alter leben ihr Liebesleben oder bereisen die Welt! Was ist so los bei dir? Es ist schon Ewigkeiten her, dass du mal ein nettes Mädchen mitgebracht hast."
Ein wenig beschämt drehte Dave seinen Kopf weg. Die Familie Warner hatte offenbar allgemein kein Glück mit der Liebe. Seine Hand fuhr durch die braunen strubbeligen Haare. Es war durchaus eine Weile her, seitdem er interessiert nach einem Partner gesucht oder sich in die Londoner Nachtszene gestürzt hatte.
„Ich weiß nicht... irgendwie finde ich kaum mehr die Zeit. Die Arbeit hält mich auf Trab und ich habe viele Nachtschichten."
Jetzt, wo Dave sich so reden hörte, klang er fast wie sein Vater. Aber irgendwie war das Liebesleben so an ihm vorbeigerauscht.
„Das ist wirklich eine schlechte Ausrede! Irgendwo in diesem Hauptquartier wird es doch wohl charismatische Frauen geben. Was ist mit dieser Tessa, von der du immer wieder erzählst?"
Sofort schüttelte der Braunschopf den Kopf. Tessa war eine tolle Kollegin, aber das war auch schon alles.
„Oh nein. Tessa ist eine nette Mitarbeiterin, aber wir passen vom Typ überhaupt nicht zusammen. Du hättest uns auf der letzten Geburtstagsfeier sehen sollen. Wir haben uns beinahe die Köpfe eingeschlagen. Außerdem hat sie gerade Augen für jemanden anderen."
Marley war fast ein wenig enttäuscht. Sie warf ihm einen bemitleidenden Blick zu, bevor sie sich einem neuen Kunden widmete. Ein Mitarbeiter kam aus der Küche und brachte Dave sein Abendessen und den Essenscontainer für Lennard, wofür er sich herzlich bedankte. Marleys Essen schmeckte immer und erinnerte Dave manchmal an die Kochkünste seiner Mutter. Nach wenigen Minuten des Ansturms hatte sich die Besitzerin wieder zu dem jungen Arzt gesellt und lehnte sich weit über die Theke zu ihm hinüber.
„Du sag mal...", sprach sie in leisem Ton. „Ich habe das so ein Gerücht gehört..."
Dave musste ein Augenrollen unterdrücken.
„Marley, du weißt, dass ich an die Schweigepflicht gebunden bin. Ich darf dir nichts erzählen."
Dave war keine Tratschtante. Wenn es um diesen Aspekt seiner Arbeit ging, war er sehr ehrlich und hielt sich an seine Verpflichtungen. Vor allem in diesem Fall. Marley machte zwar ein leicht niedergeschlagenes Gesicht, da sie nicht mehr erfuhr, beließ es aber bei dem Thema.
Mit ein wenig Smalltalk verging die Zeit und Dave verabschiedete sich schon bald von Marley - mit dem Versprechen, dass er das nächste Mal Lennard mitnahm.
Hündin und Besitzer eilten über die verschneite Straße zu ihrem Wohnblock und Dave legte das Essen für seinen Vater auf die Küchentheke in seiner Wohnung. Zurück in seinen eigenen vier Wänden suchte sich Sachmet ein bequemes Plätzchen, während er sich einem weiteren Eintrag im Tagebuch widmete.
2. Eintrag, 6. Mai 2047
Heute Morgen bin ich aufgewacht. Ich spüre Muskeln, von denen ich gar nicht wusste, dass sie existierten. Ich hatte wirklich Glück, in einem Stück durch das Aufwärmtraining und den Unterricht gekommen zu sein.
Es war eine Tortur, aber ich hatte größere Angst von den Konsequenzen bei einem Versagen. Die Aufseher beim Morgenapell meinten nur, dass wir uns an das Gefühl gewöhnen mussten. Es würde mindestens zwei Wochen dauern, bis sich der Körper an die Anstrengung gewöhnte.
Es sind erst ein paar Tage vergangen und vielleicht sollte ich dem noch Zeit geben - doch irgendetwas sagt mir, dass es nur schlimmer werden würde.
Das Abendessen war der einzige Trost. Es war überraschend lecker und üppig. Aber nicht die Norm, wie ich noch feststellen sollte.
Ian Álvarez
Die Einträge des Argentiniers fielen mal länger, mal kürzer aus. Manche Tage schrieb er nicht oder fasste mehrere Tage in einem Vermerk zusammen. Viele Ereignisse wiederholten sich. Er schrieb weiterhin von seinen Lehrern und Trainern, die das tägliche Überleben nicht einfacher machten. Sie bestraften sie für Fehler, für die sie nichts konnten und stellen sie teilweise vor unmögliche Aufgaben. Einige seiner Kameraden hatten offensichtlich nicht genug, sodass sich selbst unter solchen Umständen Hierarchien herauskristallisierten. Es gab Unterdrücker und Unterdrückte. Ian hielt sich meist neutral. Er versuchte nicht aufzufallen, was ihm auch meistens gelang. Nachts begann er, unruhiger zu schlafen. Das lag vermutlich daran, dass man mitten in der Nacht Überraschungsaufgriffe probte, um Soldaten auf Hinterhalte vorzubereiten.
Unter all den schmerzenden Erfahrungen beschrieb er aber auch schöne Momente, die er während den Mahlzeiten oder spät am Abend mit seinen Zimmergenossen verbrachte.
Dave verbrachte mehrere Stunden an seinem Laptop, ohne zu merken, wie die Zeit verging. Erst als ihn ein herzhaftes Gähnen von seinem Bildschirm riss, beschloss er für heute die Arbeit niederzulegen und sich schlafen zu legen. Sachmet gesellte sich irgendwann zu ihm auf sein Bett und ließ sich von seinem Besitzer in den Schlaf streicheln.
Nur Dave lag bis spät in die Nacht wach, weil sich die Gedanken in seinem Kopf überschlugen. Es dauerte, bis er seine Ruhe fand und seine Gedanken ihn in süße Träume gleiten ließen.
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