28. Dante De La Costa
Rinnigill, 8. Mai
Thandie betrat das Büro ihrer Chefin mit etwas Verspätung.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der technische Vorgang so lange dauern würde. Der zweite Grund war ihr überraschender Fund, den sie in den Sicherheitszellen machte. Von den vorherigen Reaktionen des jungen Arztes hatte er bereits geahnt, dass er und der der junge Argentinier sich beide sehr nahestanden, doch mit einer solchen Entwicklung hatte sie nicht gerechnet.
Als sie angekommen war, konnte sie es nicht übers Herz bringen, den innigen Moment der beiden zu unterbrechen und hatte ein paar Minuten gewartet, bevor sie Dave zurück in das Hauptgebäude brachte.
Während der Braunhaarige sofort das Telefonat mit seiner Familie suchte, sputete sich Thandie, um zu Zaryas Büro zu kommen. Ihre Chefin ließ nicht gerne auf sich warten - auch wenn sie selbst keinen Deut besser war.
Bevor Thandie überhaupt an der Türe angekommen war, hörte sie bereits wirres Stimmengefecht von den Räumlichkeiten darin. Lautlos trat sie ein.
„Und ich sage es dir noch einmal, Zarya", sprach die Stimme von Kommandant Hughs besonnen und ruhig, wie er immer war. „Álvarez ist unschuldig. Er war über drei Monate im Hauptquartier unter Beobachtung."
Ihr rothaariger Kollege saß in einem der indigoblauen Sessel und sah so aus, als ob er die Geschichte bereits mehrere Male wiederholt hatte. Zarya wanderte hinter ihrem Schreibtisch auf und ab und spielte mit einem Dartpfeil in der Hand. Auf ihrer Arbeitsfläche lagen einige geöffnete Dokumente, die die zwei bereits durchgegangen waren.
Der Reaktion der Befehlshaberin zufolge hatten sie nicht das gefunden, nach dem sie gesucht hatten.
„Davon weiß ich nichts, also traue ich dem auch nicht", konterte sie zurück. Arnold versuchte nicht mal mehr sein genervtes Stöhnen zu unterdrücken.
„Du wüsstest davon, wenn du mal anfangen würdest, die Berichte zu lesen!"
Die kleine Dame seufzte dramatisch und setzte ihren Pfeil in Richtung Zielscheibe an.
„Ach, ihr und eure Berichte! Wer soll denn diese Beamtensprache verstehen? Außerdem lese ich sie durchaus nur häufig mit etwas Verzögerung."
Thandie, die sich beinahe unbemerkt einen Stuhl am Bürotisch geschnappt hatte, grunzte belustigt.
„Du meinst wohl eher Lupa liest sie für dich und gibt dir das Wichtigste weiter. Zu blöd nur, dass sie grade auf Botengang in der Türkei für dich ist."
Zarya erstarrte in ihrer Pose, bevor sie grummelte:
„Заткни́сь! Oder du bist die Nächste, die die Berichte lesen darf!"
Ihr Dartpfeil flog durch die Luft und an die Bürowand auf der anderen Seite, die von weiteren Einschlagslöchern übersäht war und nur von einer primitiven Zielscheibe aus Papier überdeckt wurden. Es wurde langsam Zeit, dass ihre Chefin ein ordentliches Dartboard bekommen würde. Oder etwas anderes, dass sie massakrieren konnte, wenn ihre Nerven wieder mit ihr durchgingen.
„Was hat bei dir eigentlich so lange gedauert?", wurde Thandie durch Zarya wieder in die Gegenwart geholt. „Du solltest dich doch um die Nachrichtenverläufe kümmern, oder? Dafür kommst du reichlich spät."
Die kleingewachsene Frau hatte mittlerweile am Tisch Platz genommen und Thandie konnte mit ihrer Berichterstattung beginnen.
„Ich habe neben den Nachrichten das Gerät des Warner-Jungen einmal komplett checken lassen. Chatverläufe, Kontaktlisten etc. Nichts Seltsames, nichts Ungewöhnliches. Er ist clean", informierte Thandie ihre Kollegen und legte den kopierten Nachrichtenverlauf vor.
Zarya schnappte sich das Gerät und las sich durch den Chat von Ian und Dave, der kurz vor der Explosion geschrieben worden ist.
„Hm", murmelte sie grübelnd. „Die Zeit stimmt überein. Es deckt sich auch mit den Aussagen der Beiden und den Übertragungen der Sicherheitskameras vom Hauptquartierplatz... "
Sie reichte das Dokument weiter an Hughs.
„Ihr habt die Videos bereits angesehen?", wollte Thandie wissen.
Während Hughs das Dokument durchging, antwortete Zarya:
„Ja, wir haben sämtliche Aufnahmen vom Hauptquartier bekommen. Wir wissen zwar, dass die Hauptexplosion am Platz vor dem Hauptquartier von einer präparierten Essensbude ausgegangen ist, aber auf den Videos kann man nicht identifizieren, wer sie dort angebracht hat. Laut den Ermittlungsbehörden konnte auch der Vertreiber der Imbissbuden nicht sagen, ob jemand von seinem Personal dafür verantwortlich sein könnte."
„Und Aufnahmen an anderen Orten, wo Sprengstoff platziert worden ist?"
„Dort sind die Kameras entweder beschädigt worden oder verdächtige Personen konnten aufgrund Maskierung nicht identifiziert werden", entgegnete Hughs, der mit dem Lesen fertig war. „Aber die Kriminalpolizei und das Securityteam sitzt bereits an der Identifizierung. Es scheint aber so, als wäre der Täter nicht alleine gewesen."
„Na super, das sind ja tolle Aussichten. Also können wir hier nichts weiter ausrichten."
„Was ist mit den Recherchen zu Diablo?"
Hughs räusperte sich, dann griff er zu seinem Bildschirmcomputer.
„Alles, das ich gefunden habe, ist hier drauf. Berichte, Dokument und Einsatzrückmeldungen über die letzten Jahre. Noch hatte ich keine Zeit, genaueres rauszusuchen."
„Dann wissen wir ja, was wir heute Nacht tun werden...", warnte Zarya ihre Kollegen vor und rollte bis zum Anschlag an den Bürotisch.
Jeder zog sich ein paar der digitalen Dokumente auf einen Computer und begann mit der Recherche. Unter dem Namen Diablo fanden sie neben geschätzten Alters- und Größenangaben all die Schandtaten, die sich der Mann für das SA geleistet hatte: Morde, Attentate, Schmuggel und Sabotage. Kaum einer, der in einem Einsatz el Diablo getroffen hatte, war wieder lebend herausgekommen.
Unter dem Begriff Dante hatten sie im Gegenzug nicht so viel Glück. Genauer gesagt fanden sie darunter nichts. Keine Information.
Zarya verfluchte den kleinen Argentinier dafür, dass er ihnen vermutlich eine Lüge aufgetischt hatte. Zumindest war es kein Anhaltspunkt, der ihnen etwas nutzte.
Während Thandie und Hughs sich durch die militärischen und polizeilichen Erstattungsberichte lasen, kam ihr plötzlich eine Idee.
Vielleicht suchte sie mit der Information nur am falschen Ort.
Sie schloss den Dokumentenleser und öffnete stattdessen eine inkognito Internetseite. Durch Manipulation des Standortes bekam sie automatisch Zugriff auf südamerikanische Portale und begann mit der Suche nach „Dante".
Mithilfe eines automatischen Übersetzungsprogrammes versuchte weitere Stichwörter wie „Südamerikanisches Militär" und „Südamerika". Doch die Anzahl der Möglichkeiten waren zu viele und beinahe schier endlos. Es war wie die Nadel im Heuhaufen.
Doch Zarya suchte weiter. Sie ging jedes einzelnen Land mit immer den gleichen Anhaltspunkten durch - immerhin war Südamerika nicht gerade klein - und dann glaubte sie etwas gefunden zu haben.
Es war ein Zeitungsartikel von vor 19 Jahren aus einer argentinischen Zeitung.
Sie ließ den Artikel übersetzten und überflog sogleich die Überschrift eines Artikels im Tagesblatt der La Nación.
„Einbruch im Haus einer Kleinfamilie in der Provinz San Luis endet verheerend... Mutter und Vater getötet, Sohn verschwindet spurlos", las sie murmelnd vor, was ihre zwei Kollegen aufhorchen ließ. Sie tauschten verwirrte Blicke.
Zarya durchkämmte weiter den Text des Artikels und stoppte, als sie einen ausschlaggebenden Anhaltspunkt gefunden hatte.
„Hier! Der Name des Sohnes ist Dante de la Costa. Der siebenjähige Junge gilt seit dem 30. Mai als spurlos verschwunden", präsentierte sie ihren Mitarbeitern siegessicher, doch etwas gefunden zu haben.
„Bist du sicher dass das ein Hinweis ist? Es gibt bestimmt mehr mit diesem Namen", meinte Hughs mit Zweifel in den Augen.
Thandie warf einen Blick zu ihren gesammelten Informationen an der Wand. „Er hätte somit zumindest das Alter, auf das wir ihn schätzen."
Zarya war währenddessen wieder in ihren Artikel eingestiegen. Vielleicht fand man hier noch mehr Informationen.
„Wir betrauern den... bla bla bla", fuhr sie weiter mit dem Finger und stieß auf einen weiteren interessanten Absatz.
„Außer den Leichen der De la Costa-Familie, fand man die Leiche eines Mannes in der Küche des Anwesens. Vergleiche mit dem Strafregister zeigten, dass es um ein Mitglied der kriminellen Urraca-Organisation handelte, die den Einbruch begangen hatte."
Die Urraca waren eine Kriminalorganisation aus Südamerika, die ihnen schon lange ein Dorn im Auge waren.
„Ich denke, dass da durchaus was dran sein könnte", ü erlwgte jetzt auch Thandie. „Die Urraca sind schon öfter durch Kinderverschleppung und Entführung aufgefallen. Dante wäre damit kein Einzelfall. Aber wenn diese Schweine wirklich ihre Finger da mit drin haben, dann wirft das ein ganz andere Bild auf sie Situation."
Hughs nickte, als er die Gedankengänge seiner Kolleginnen verfolgte.
„Aber wie kommt Dante dann zu den Culebras?"
„Vielleicht haben sie ihn weiterverkauft? Das würde ich diesen Unmenschen schon zutrauen. Steht noch weiteres im Artikel drin?"
Zarya übeflog die letzten Zeilen des Zeitungsberichtes, doch alles weitere gab nichts relevantes preis.
„Nein, in diesem Artikel nicht."
Sie nahmen sich noch ein paar weitere Zeitungsberichte vor, doch die mittlerweile aufgebrachten Energiereserven, zehrten an ihren Nerven und machte den weiteren Prozess ihrer Informationsgewinnung zu einem frustrierenden Erlebniss.
Die abnehmende Motivation entging auch Zarya nicht und so zog sie nach einer halben Stunde unerfolgreicher Suche den Schlussstrich.
„Ich glaube das ist genug für heute",teile sie den anderen mit und deaktiviere ihren Bildschirmcomputer.
Ihre zwei Kollegen musste ein erleichterte Aufatmen unterdrücken. Thandie erhob sich vom unbequemen Stuhl und suchte ihre Sachen zusammen, als ihr noch etwas einfiel.
„Lupa ist übrigens bereits auf dem Rückflug", gab sie an ihre Vorgesetzt weiter „In eineinhalb Stunden wird sie voraussichtlich am Flughafen in Kirkwall landen."
Nickend nahm Zarya die Information entgegen, bevor sich ihre Augenbrauen aus Verwirrung zusammenzogen.
„Warum fliegt sie nicht mit einer Militäreinheit hierher? "
„Weil ein gewissen Jemand wollte, dass sie so unauffällig bleibt wie möglich."
Zarya erinnerte sich grob an die Anweisungen, die sie ihrer dritten Stellvertretung gegeben hatte.
„Stimmt ja, da war was."
Mit diesen Worten, wollte sich die Frau mit den Rastalocken verabschieden, als Zarya aufschrie.
„Ach und Thandie?", rief sie ihre Stellvertretung zurück. „Das nächste Mal, wenn du jemanden zu Álvarez lässt, sprichst du das mit mir ab, ja?"
Thandie trug ein unschuldiges Gesicht, obwohl sie genau wusste, wovon ihre Chefin sprach.
Und ihr war auch klar, dass sie sich dieser Standpauke nicht entziehen hätte können. Doch Zarya würde darüber hinwegsehen.
Thandie schloss die Türe hinter sich und hinterließ Hughs und Zarya alleine in ihrem Büro. Die Recherchen hatten bis in die frühen Morgenstunden gedauert und dementsprechend rauchten ihre Köpfe. Zarya wusste ganz genau, weshalb sie normalerweise keine Berichte las.
Trotz abgenutzen und ausgelaugt Gehirnzellen, konnte die junge Dame den Gedanken nicht abschütteln, dass sie ein wichtiges Detail übersehen hatten.
Sie stieß sich aus ihrem Stuhl heraus und trat vor all die Informationen, die sie in den letzten Stunden zusammmengesucht hatten. Murmeln ging sie über Bilder, Jahreszahlen und Befunde. Doch alles führte sie zurück zum Zeitungsartikel der La Natión.
„Ich werde ein den Argentinier ein letztes Mal verhören", verkündete sie an Hughs. Der Kommandant saß mit geschlossenen Augen in seinem Stuhl und gab den Anschein, als würde er schlafen. Zarya wollte schon zu einem sanften Tritt ausholen, als ein tiefes Schnauben durch seine Nase drang.
„Muss das sein Zarya?", gab er von sich und besah seine Kollegin mit müdem Blick. „Glaubst du nicht, es reicht langsam?"
„Beruhig dich, es dauert auch nicht lange",redete sie ihm ein, während sie ihre Sachen vom Tisch zusammenpackte. „Aber vielleicht kennt er el Diablo besser, als wir alle. Außerdem können wir jede Information gebrauchen, die wir finden können. Zumindest wenn man den Aussagen des Argentinier trauen kann, dass el Diablo hinter den Anschlägen steckt."
Hughs hatte sich schwerfällig von seinem Stuhl erhoben und war gerade dabei sein Rückgrad wieder einzurenken.
„Na wenn du meinst...", stönte er und unterdrückte ein Gähnen. „Deine Ausdauer ist beachtlich wie immer... aber ohne mich. Ich werde mich aufs Ohr hauen."
Das war Zarya nur recht. Die Befragung wollte sie sowieso alleine machen.
„Ich mache mich dann auf den Weg", verkündete sie und verabschiedete sich mit einem Rückenklopfen. „Schließ bitte das Büro ab, wenn du draußen bist"
Mit einer winkenden Geste stolzierte sie zur Tür hinaus.
Hughs verließ als letzte das Büro seiner exzentrischen Kollegin, dessen wippenden Haare er noch am Ende des Ganges noch erkennen konnte. Er zog die Türe feste hinter sich zu und gab den Sicherheitscode an.
„Kommandant Arnold!", kam es plötzlich von seiner linken. Unwillkürlich zuckte er zusammen über die überraschende Ansprache. Sei übernächtigtes Gehirn hatte damit nicht gerechnet.
Dave stand erwartungsvoll neben ihm. An seiner Seite wartete seine Hündin Sachmet. Den Rollstuhl hatte er mittlerweile abgegeben und schien ihn nicht mehr zu brauchen.
„Entschuldigen Sie bitte den Überfall, aber darf ich sie etwas fragen?"
„Was gibt es?", entgegnete der Kommandant geduldig. Er war etwas perplex über den frühen Besuch des jungen Mannes, immerhin war 5 Uhr morgens keine üblich Zeit.
„Es geht um Ians Wertgegenstände. Sind sie bereits zur Freigabe freigegeben?"
„Ians Wertgegenstände? Theoretisch wäre das möglich. Bei der genaueren Inspektion gab es keine Probleme. Weshalb?"
Nervös trat Dave von einem Fuß auf den anderen.
„Ich wollte Frau Baranow fragen, aber sie machte den Eindruck, als wäre sie sehr in Eile gewesen..."
Dass er ein bisschen Angst vor ihr hatte, wollte Dave natürlich nicht zugeben.
„Ian hat mich gebeten, seine Sachen entgegenzunehmen. Wäre das möglich?"
Nun machte auch für Hughs die Bemerkung von Zarya an Thandie einen Sinn. Er also nicht der einzige mit einem weichen Herz.
„Nun, eigentlich sollte ich das durchaus mit Zarya absprechen, aber ich sehe kein Problem dabei. Ich kann sie auch nachträglich darüber informieren. "
Er deutete dem jungen Arzt ihm zu folgen.
--.--
Ian konnte nicht schlafen, auch wenn er es eigentlich sollte.
Zeitlich konnte er sich nur an der Dunkelheit von draußen orientieren, die durch den kleinen, doppelt vergitterten Spalt im hintersten obersten Eck seiner Zelle zu sehen war. Nur, dass er sich bereits den frühen Morgenstunden näherte, konnte ihm auswärtige Schwärze nicht sagen.
Die Gedanken um das, was die letzten Stunden passiert war, drehten in seinem Kopf wiederholende Kreise.
Er hatte ein dämliche Grinsen im Gesicht, dass er sich nicht ausschlagen konnte.
Normalerweise würde sich Ian als sehr ausdauernd und genügsam bezeichnen, aber das erste Mal seit Langem, verspürte er eine immense Ungeduld. Er konnte es nicht erwarten, dass Dave wieder in seiner Türe stehen würde.
Er seufzte und öffnete die Augen, bevor er in weitere Fantasien abdriftete. Die fade Deckenwand holte ihn aus seinen Gedankengängen.
Seit Stunden rührte sich nichts außerhalb von Ians Zelle. Der letzten Wärter war vor mindestens neunzig Minuten seine Runde gegangen, was er an den gedämpften Schritten gehört hatte. Gesprächsfetzen waren zu ihm hinüber gehallt, doch an dem Genuschel hatte er kaum etwas verstanden.
Ian lauschte konzentriert in die Stille. Erste ein paar Sekunden, dann ein paar Minuten lang: nichts.
Der Gedanke hinter den dicken Gemäuern und hoch technisierten Anlagen sollte genau das bewerkstelligen, doch das war selten der Fall. Im Vergleich zu den ersten Stunden, die er in dieser Zelle verbracht hatte, war es seit Minuten viel zu ruhig.
Er verharrte auf seinem Bett, lauschte in die Stille, dann schlich er zur Türe und setzte sein Ohr an das kalte Metall.
Gerade war er sich sicher, dass sich im ganzen Sicherheitstrakt kein Lüftchen rührte, da drang eine Vielzahl von Geräuschen vom Ende des Flures zum Eingang seiner Zelle. Die Dicke der Türe ließ alles zu einem undeutlichen Brei zusammenlaufen, doch normal klang das nicht. Es schepperte dumpf und Ian meinte auch Schüsse zu hören. Dann ebbte der Lärm ab und es wurde wieder geisterhaft still.
Das Rumpeln einer Türe durchbrach die folgende Stille und stapfende Stiefel liefen gerade den Flur hinab.
Ian hatte langsam den Rückzug zu seinem Bett angetreten, mit dem gleichen Tempo, mit dem die Schritte immer näherkamen. Er konnte das Schrittmuster niemandem zuordnen.
Dave war es auf keinen Fall, außerdem saß dieser vermutlich noch im Rollstuhl. Und dann waren da dieser Lärm aus dem Vorraum.
Plötzlich war Ian das alles nicht geheuer. Er wollte hier raus.
Das dumpfe Stapfen kam seiner Zellentür immer näher. Ian betete, dass sie vorbeigehen würden. Doch das taten sie nicht. Dem Argentinier wurde völlig anders, als er erkannte, dass die Schritte direkt vor seiner Türe Halt gemacht hatten.
Die Sicherung, die die Türe verriegelte, blitze auf und ließ für einen Moment die Lichter an der Decke flackern. Das war nicht der offizielle Weg, um hinein zu kommen. Jemand verschaffte sich gewaltvoll den Zugang zu seiner Zelle.
Ian war an der Wand angekommen, als die Tür aufschwang und ein vermummter Soldat in die Tür trat. Der Blick des großen Fremden scannt den Raum ab und blieb zufrieden an Ian haften.
Ian tat das Gleiche und entdeckte etwas in der Hand des Mannes, das ihm gar nicht gefiel. Ein Messer, dessen blutige Klinge im künstlichen Licht aufblitzte. Konnte es sein, dass...
Das Echo der schließenden Tür verhieß nichts Gutes, als der Soldat sich zusammen mit Ian einschloss.
„Ahhh...", schnaubte der Maskierte und zog dann mit einem Ruck Helm und Maske vom Gesicht. Unnütz wurden die Gegenstände zu Boden geschmissen und enthüllen das Mysterium um seinen fremden Besucher. Unter der Maske kam eine ihm allbekannte markante Narbe zum Vorschein und da war Ian sicher, um wen es sich handelte.
Es war Dante, der da mit ihm in der Zelle stand.
„Lange genug hat es gedauert...", grinste sein Culebra-Kollege ihn an. „Hola Agénto."
--.--
Ian tat sein Bestes, die Panik nicht nach außen dringen zu lassen. Das Vergnügen wollte er Dante nicht geben. Er scannte seine Umgebung nach einer Möglichkeit zur Gegenwehr, doch in seiner Zelle war nichts. Die einzige Möglichkeit des Ausweichens war vielleicht die Türe, die jedoch von Dante versperrt wurde.
„Also wirklich...", kommentierte Dante mit enttäuschtem Unterton in der Stimme. „Ist das die Art, einen alten Kollegen zu begrüßen? Ich hätte ein bisschen mehr erwartet."
Ian schnaubte über die lachhafte kollegiale Freundlichkeit. Es kam schon fast spottend rüber. Er hob den Mittelfinger und gab Dante die eindeutige Botschaft, dass er für Förmlichkeiten kein Verständnis übrighatte.
Der blonde Attentäter betrachtete gelangweilt sein Messer und verschmierte die roten Tropfen darauf, bevor er einen seiner Handschuhe komplett auszog.
„Wie kalt von dir. Aber du hast recht. Lass uns nicht weit drum herumreden, sondern zur Sache kommen."
Mit dem ausgezogenen Handschuh fuhr er über die Klinge, um sie einigermaßen sauber zu bekommen. Er ließ das blutige Kleidungsstück zu Boden sinken, ehe er seine Waffe angeberisch zwischen den Fingern kreisen ließ.
Ians Blick blieb dabei an seiner anderen Hand kleben. Auf den ersten Blick sah es aus, als würde er auch dort einen Handschuh tragen, doch das war es nicht. Es kam Ian aber nicht bekannt vor. Es ähnelte einer Handprothese, doch unter den feinen Drähten und Eisenverbindungen sah er Dantes Haut durchschimmern. Stulpen über den Fingerkuppen verbanden sich zusammen mit den Herzstücken an Handrücken und Hand-Innenfläche.
„Wie schon in London gesagt, sollte ich aus dem ganzen hier einen kurzen Prozess machten...", lenkte Dante die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „...aber ich habe es mir anders überlegt. Garía war natürlich nicht allzu begeistert, dass ich dich laufen lassen habe, ab er dem Alten ist eh nicht mehr zu helfen."
Dante war schon immer ein Eigenbrötler gewesen. Von Befehlen hielt er so viel wie eine Katze vom Baden und trotzdem war er der Erste, der für die brutalsten Einsätze des SAs ausgewählt wurde und bei Garía eine Sonderstellung hatte.
Aus Dantes Taten wurde Ian allerdings nicht ganz schlau. Was wollte er also von ihm, wenn es nicht sein Leben war? Er wartete also, dass Dante fortfuhr. Etwas anderes blieb ihm nicht übrig.
„Es gibt da etwas, das du dem SA entwendet hast. Ein paar Informationen auf einem Datenträger. Klein, aber fein, du weißt bestimmt, was ich meine", säuselte er und fixierte den Weißhaarigen mit kaltem Blick. „Und du wirst mir sagen, wo er ist und bei wem er sich befindet."
--.--
Zarya war keine fünf Minuten vom Hauptgebäude entfernt, da versuchte sie jemand durch das Headset zu erreichen. Sie nahm den piepsenden Anruf entgegen.
„Was ist?"
„Ma'am, hier Sesmo aus dem Sicherheitsbüro. Wir haben gerade einen Systemausfalls im Sicherheitstrakt festgestellt. Am Hauptschalter sagen sie, dass alles okay ist. Sollen wir dem nachgehen?"
„Alles Abriegeln. Ich werde das überprüfen, ich bin gerade auf dem Weg dorthin", war Zaryas knappe Antwort.
Die Fehlermeldung hegte Unbehagen in ihrem Unterbewusstsein und so beschleunigte sie ihr Tempo. Am Haupteingang zum Sicherheitstrakt ließ sie ihre Schlüsselkarte scannen und trat in den Vorraum.
Ein bewaffneter Soldat war an der nächsten Schleusentüre stationiert und Zarya konnte sich nicht erinnern, seine solch schlechte Schichtaufteilungen gemacht zu haben. Das Minimum für eine Schicht waren zwei Personen. Alleine ließ Zarya niemanden irgendwo hingehen.
Als der Uniformierte sah, dass sich jemand näherte, stand er stramm wie ein Pfahl und festigte den Griff an seiner Waffe.
„Warum sind sie alleine?", wollte sie vom Soldaten wissen. „Und erklären sie mir bitte, was hier los ist. Es werden Fehlermeldungen gezeigt und sie melden das nicht?"
„Verzeihen sie Ma'am, aber es gab ein Problem mit der Technik. Die Kollegen kümmern sich darum und halten den Insassen im Schacht, bis man es behoben hat."
Seine Stimme war ruhig und deutlich, also hatte er durchaus einen Hintergrund als Soldat oder er war ein guter Schauspieler. Aber einer ihrer Soldaten war das keiner. Die Art, wie seine Augen einen nervösen Schlenkerer zur Seite machten, gab ihr nur noch mehr das Gefühl, dass hier etwas im Busch war.
„Öffnen sie diese Türe", forderte Zarya, doch ihr vermeintlicher Mitarbeiter gab nicht nach.
„Ma'am ich kann sie nicht hineinlassen, das ist ein zu großes Riskio-„
Zaryas Geduld war am Auslaufen, als sie ihn mit zwiespältigen Augen betrachtete.
„Ich will Name und Einsatznummer, Soldat!"
„Bitte?"
Zaryas Augenbrauen schnellten noch weiter nach oben.
„Ich glaube, sie wissen nicht, wen sie hier vor sich haben, солда́т!", donnerte sie mit lauter Stimme. Auf das Schauspiel konnte sie verzichten. „Name und Einsatznummer!"
Der Mann vor ihr zuckte zusammen und stand gleich um Meilen strammer als zuvor.
„Bennet Gelloni", stammelte er, während er versuchte, seine Fassung zu behalten. „Einsatznummer 7835 - Octavus Eta."
Und spätestens da war es Zarya klar, was die Absicht des fremden Soldaten war.
Ablenkung und Aufschiebung nichts weiter als das.
Während sie grübelte, woher „Bennet Gelloni" die Nummer und Namen eines verstorbenen Soldaten hatte, gingen ihre Finger an ihr Headset.
„Alpha-Zentrale, hier Baranow. Wir haben unangemeldeten Besuch."
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, zückte sie ihre Handfeuerwaffe vom Gürtel und richtete sie auf den fremden Soldaten. Seine von schwarzem Stoff umrandete Augen weiteten sich überrascht, als er erkannte, dass er aufgeflogen war. Seine Versuche, den Abzug an seinem Gewehr zu betätigen, gingen ins Leere, denn Zarya war schneller.
Bevor es sich der Fremde versah, drückte die junge Frau ab und ein Projektil durchdrang den ungeschützten Bereich an seinem Bein.
Perplex durch den stechenden Schmerz ließ er seine Waffe fallen und wurde im nächsten Moment von Zarya an die Türe hinter ihm gedrückt. Die Stärke der kleinen Dame überraschte ihn, als sich ihre mechanische Hand fest in seinen Hals grub.
„Verarschen kannst du jemand anderen. Ich kenne meine Mitarbeiter auf dieser Basis - und du bist keiner davon!", zischte sie und führte ihre Pistole an die Brust des Soldaten. Mit der anderen Hand drückte sie den Fremden gnadenlos in das Metall der Türe. „Wer ist noch hier? Denn du bist offensichtlich nicht alleine!"
Der Fremde vor ihr blieb stumm und fixierte sie nur mit starrem Blick. Dann lachte er heiser und hauchte: „Das wirst du nicht von mir erfahren."
Zarya wollte ihm gerade an den Kopf werfen, dass sie das noch sehen würden, da begann der Mann plötzlich die Augen zu verdrehen und zu zucken. Fluchend riss die sie ihm den Mundschutz von seinem Gesicht und sah gelblichen Schaum im Mundwinkel aufsteigen.
Sie hätte ihn gleich bewusstlos schlagen und das Verhör auf später aufschieben sollen. Jetzt war er durch die Selbstvergiftung nutzlos.
Zarya musste sich selbst um die Informationsbeschaffung kümmern. Sie zog den röchelnden Mann zur Seite, um Zugang zur Türe zu bekommen.
„Zarya, hier ist Arnold", rauschte es durch ihr Headset. „Ich bin in der Alpha-Zentrale und hab mitbekommen, dass etwas nicht stimmt. Was ist da los?"
„Hatte einen fremden Soldaten am Eingang zum Sicherheitstrakt. Irgendetwas stimmt hier nicht", grübelte Zarya und scannte den Vorraum in der Hoffnung, dass sie vielleicht etwas übersehen hätte. Ihr Blick blieb an einer kleinen Kamera hängen, die das Vorgehen von oben überwachte.
„Habt ihr Verbindung zu den Kameras im Sicherheitstrakt?", fragte sie an die Zentrale zurück.
Die Leitung blieb für wenige Sekunden still, bevor Arnolds Stimme wieder ertönte.
„Nein keinen Kontakt zu den Sicherheitskameras."
„Блять!", schimpfte Zarya, bevor sie sich sammeln konnte. Da hatte jemand ganze Arbeit geleistet. Und das mitten in ihrer Basis. „Arnold, lass Thandie einen Unterstützungstrupp zusammenstellen und schick ihn rüber. Ich gehe schon mal vor und kundschafte die Lage aus."
Generell musste das Öffnen und Schließen der Türe immer jemand im Sicherheitsbüro überwachen und kontrollieren. Zarya mit ihrem Generalschlüssel war eine Ausnahme. Sie schob ihre Karte über den Scanner an der Türe, als noch ein protestierendes „Hey, Moment mal-!" ertönte, das Zarya verstummen ließ, indem sie das Headset auf lautlos stellte.
Die grünen Lichter blinkten ihr als Bestätigung entgegen, als sie mit ihrer Handfeuerwaffe auf Position ging. Sie drückte die Türe auf und beobachtete, wie sich mehr und mehr vom nächsten Raum vor ihr offenbarte.
Der Anblick im Nebenraum war definitiv kein schöner.
Über den Boden verteilt lag der Rest ihrer eigentlich positionierten Mannschaft.
Blutig, bewusstlos, vielleicht sogar schon tot. Rage keimte in ihr auf, doch die Vernunft rief sie zurück in die Gegenwart. Der widerliche Geruch von verkohltem Fleisch drang ihr in die Nase.
In geduckter Haltung schritt sie zu dem Körper, der in nächster Reichweite lag. Sie ging in die Knie, ohne den Rest des Raumes außer Acht zu lassen und suchte mit ihrer freien Hand nach einem Puls am Hals ihres Mitarbeiters.
Zu ihrer großen Erleichterung konnte sie einen leichten Herzschlag wahrnehmen. Was ihr Sorgen machte, waren die Wunden, die sie an seinem Körper entdeckte. Unter verkohlter Kleidung kamen merkwürdige Verbrennungen zum Vorschein, die in keines der ihr bekannten Waffenmuster passten. Die größte Beunruhigung ging aber von den kleinen Messerwunden aus.
Vor allem, da sie vor nicht allzu langer Zeit über jemanden gelesen hatte, der eine solche Waffe bevorzugte.
„Baranow hier", funkte sie in die Zentrale zurück. „Schickt ein Sanitätsteam mit. Es gibt Verletzte - vielleicht sogar Tote."
Sie war kein Freund vom letzteren Gedanken, doch in ihrer Position musste sie realistisch bleiben.
„Wie viele?", wollte Hughs wissen.
„Kann ich noch nicht sagen", antwortete seine Kollegin verbittert und sah auf den Rest ihrer Crew, die sich noch immer nicht rührten. Sie biss sich auf die Lippe, als sie versuchte, den Zustand jedes Einzelnen einzuschätzen. „Ich vermute, dass es alle erwischt hat."
Sie wanderte zum nächsten Körper und überprüfte die Lebensfunktionen. Ein weiterer Überlebender. Ein Grummeln über die Leitung drückte Hughs Unzufriedenheit aus.
„Was ist mit dem Verantwortlichen?"
Zarya war an den nächsten zwei Opfern angekommen. Noch mehr Wunden eines Messers. Für einen der beiden musste sie leider feststellen, dass sie nichts mehr tun konnte.
„Der am Eingang hat sich selbst ausgeschaltet, als ich ihn befragt habe", antwortete sie nebenbei. „Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er nicht alleine gekommen ist. Und ganz unter uns: Ich glaube, dass es sich dabei um eine Culebra handelt. Und zwar um eine ganz bestimmte."
Als konnte der Kommandant spüren, was Zarya vorhatte, sprach er, ohne zu zögern: „Zarya, ich weiß, dass du gut auf dich allein aufpassen kannst, aber bitte: Mach nichts Dummes, ja? Warte, bis die Unterstützung eingetroffen ist. Sie ist bereits auf dem Weg."
Wenn Arnold ihr Gesicht in diesem Moment sehen würde, hätte er sofort gewusst, dass seine Bitte auf taube Ohren gefallen war.
„Natürlich...", schmunzelte Zarya, bevor sie die Verbindung unterbrach und offline hinzufügte: „...nicht."
Es dauerte keine Minute, da hatte sie alle Verletze und Verluste unter ihrer Mannschaft ausfindig gemacht. Den Rest konnte das Sanitätsteam übernehmen. Sie ließ vom letzten Körper am Boden ab und bewegte sich zielstrebig auf die nächste Sicherheitstüre zu, die zu den Zellen führte.
Der Scanner neben dem Durchgang war nicht mehr als eine rauchende Masse. Jemand hatte den leichten Weg genommen und alles zu einem Batzen Metall und Kunststoff frittiert. Die Hand ihrer metallenen Prothese drückten gegen die Türe und schoben sie lautlos beiseite. Sie schob sich durch den freigewordenen Spalt hindurch und spähte in den Gang hinein.
Niemand war zu sehen - weder ihre Soldaten, noch Fremde.
Sie schritt weiter durch den Flur und hangelte sich von Passage zu Passage, als sie kurz vor einer Abzweigung stoppte. Erst meinte sie, jemand versuchte sie durch das Headset zu erreichen, als ihr einfiel, dass sie es stumm geschalten hatte. Doch ohne Zweifel: Sie hörte eine Stimme!
Und die kamen aus der Richtung der Zelle, in der sie el Agénto untergebracht hatten.
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