24. The fuck happened
Rinnigill, 8. Mai
Dave rümpfte die Nase, als er den Geruch von Desinfektionsmittel wahrnahm. Er schlug die Augen auf.
Seine Umgebung war in allbekanntes steriles Weiß getaucht. Über seine Arme zogen sich kühle Bandagen und die Nadel einer Kanüle drückte unangenehm auf seinen Handrücken. Rhythmisches Piepsen eines Monitors drang durch den Raum.
Er versuchte seinen Oberkörper zu drehen, um sich über die Seite aufzurollen, aber musste innehalten. Die Haut unter seinem Hemd protestierte und zog sich wie ein eingetrockneter Schwamm zusammen. Außerdem stellten sich seine verstaubten Lungen quer.
Dave biss die Zähne zusammen und strich mit seinen Fingern über die verbundene Haut, die sich heißer anfühlte, als sie sollte.
Verbrennungen? Was war denn passiert?
Er drehte sich zurück in seine Ausgangsposition. Blind fischte er nach der Schaltung neben dem Bett und fuhr die Rückenlehne weiter nach oben.
Er war froh, dass er selbst selten im Krankenbett landete. Es hatte gereicht, seine Mutter immer im Krankenhaus zu besuchen.
Dave versuchte sich zu sammeln und die Ereignisse zu rekonstruieren. Er erinnerte sich, dass er mit Sachmet bei seinem Vater im Hauptquartier war. Dann kam Ians seltsame Nachricht.
Hätte Daves ziehende Haut ihn nicht davon aufgehalten, wäre er kerzengerade im Bett gesessen.
Er erinnerte sich an den Rest. Ian war mit blutender Wunde am Hauptplatz aufgetaucht und gerade als sie ihm helfen wollten, da...
Ohrenbetäubendes Krachen, Rauch, Hitze und einen qualvollen Aufschlag kamen ihm ins Gedächtnis. Dann nichts mehr.
„Oh verdammt", murmelte er und rieb sich den dröhnenden Kopf. Er verfiel in staubiges Husten und wünschte sich für den Moment nicht mehr als ein Glas Wasser.
Die Türe schwang auf. Sachmet kam hereingeschossen und sah ihren Besitzer bei Bewusstsein. Aufgeregt lief sie zu ihm, lehnte sich hinauf und gab ein freudiges Bellen von sich.
„Sachmet!", strahlte der Dave erleichtert und wuschelt ihr durch das weiche Fell. Ihr schien es gut zu gehen. Auf den ersten Blick konnte er keine Verletzungen erkennen. „Oh mein Mädchen, bist du verletzt?"
Die Hundedame schob als Antwort ihre Schnauze in Daves Gesicht.
„Sie ist noch mal mit dem Schrecken davongekommen", ergänzte eine zweite Stimme im Raum. „Verletzungen hat sie zum Glück keine."
Tessa war hinter Sachmet in den Raum getreten. Simon war ihr dicht auf den Fersen.
„Hey Dave", lächelten sie ihm entgegen. „Wie ich sehe, bist du wieder unter den Lebenden. Bist du schon lange wach?"
„Gerade erst vor wenigen Minuten aufgewacht."
Die blonde Ärztin schritt zu ihm an die Bettseite und entfernte ihn von den Monitoren. Von der anderen Seite reichte ihm Simon ein Glas mit Wasser.
„Wie fühlst du dich?", fragte Daves Arbeitskollege. Als er sah, wie gierig der Braunhaarige das Wasser verschlang reichte er ihm die ganze Plastikflasche, aus der er das Wasser eingeschenkt hatte.
„Ganz ehrlich? Ziemlich taub", antwortete Dave nach der halben Flasch. „Ich habe keine Schmerzen, aber ich spüre auch fast alles andere nicht mehr. Nur mein Hals ist furchtbar kratzig. Ich will gar nicht wissen, mit was ihr mich vollgeballert habt."
Tessa grunzte belustigt. „Nein, das willst du wirklich nicht wissen. Aber lass mich dir sagen: Nachdem was du abbekommen hast, brauchst du das. Es war wirklich unschön. Du hast Verbrennungen von Grad 2a bis leichte 3. Zudem eine leichte Gehirnerschütterung, Prellungen und du hast viel Rauch eingeatmet."
Das erklärte zumindest Daves staubtrockene Kehle.
„Wir sind froh, dass es dir gut geht Dave", meinte Simon mit ernster Mine. „Wir waren besorgt um dich. Du hast bei diesem Anschlag ganz schön was eingesteckt."
Dave war überrascht über die tatsächlich ernst gemeinte Erleichterung, die sich im Gesicht seines schwarzhaarigen Kollegen abbildete.
„Oh, Simon war da wirklich jemand so besorgt um mich? Ich fühle mich geehrt!"
Er kassierte einen unbeeindruckten Blick.
„Kannst du nicht einmal ernst bleiben?", meinte Simon leicht gereizt, bevor er tief durchatmete. „Wenigstens kann es dir nicht so schlecht gehen, wenn du schon wieder Späße schieben kannst."
„Ist ja gut, ich gehe ab jetzt todernst an die Sache heran", ruderte Dave zurück.
Für Simon klang das nach einer glatten Lüge.
Tessa ging mit ihrem Patienten ein paar Fragen durch. Dave kannte sie alle, hatte sie in jeder Ausführung und Umformulierung schon gehört und gesagt.
Nach der letzten Frage nahm Dave einen Schluck direkt aus der Wasserflasche, bevor er fragte: „Könntet ihr mich mal auf den aktuellen Stand bringen? Was ist alles passiert? Geht es Ian und meinem Vater gut? Sie muss es auch ganz schön erwischt haben, oder? Sind sie hier? Sind sie schon wach?"
Die Fragenflut von Dave war absolut berechtigt. Er hätte vermutlich noch mehr Fragen gestellt, wenn Tessa nicht den komischen Blick im Gesicht gehabt hätte. Dass er in keinen Hustenanfall ausgebrochen war, war vermutlich ein Wunder.
Die Blondine stockte in ihrer Bewegung, als hätte sie gehofft, dass das Thema nicht kommen würde. Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich. Simon blieb am Ende des Bettes stehen.
„Ja wegen dem... Lass mich dich auf den neuesten Stand bringen", entgegnete Tessa vollkommen ernst. „Es ist einiges passiert."
Besorgt über die plötzliche Seriosität zogen sich Daves Augenbrauen beunruhigt zusammen.
„Okay? Schieß los."
„Du warst mehrere Tage bewusstlos. Vielleicht ist es dir noch nicht aufgefallen, aber wir sind nicht mehr in London. Wir befinden uns in einem Nebenstützpunkt der ATSF in Rinnigill."
„Rinnigill?", wiederholte Dave ungläubig. Deshalb kamen ihm die Räumlichkeiten unbekannt vor. „Wir sind in den schottischen Orkneys? Und was bitte ist ATSF?"
„Ja sind wir. Die ATSF, oder auch Anti-Terror-Special-Force wurde nach den Anschlägen als Unterstützung nach London beordert."
„Moment Mal! Anschlägen? Als in Mehrzahl?"
Panisch krampften sich Daves Hände zusammen und ließen die Plastikflasche in seinen Händen knistern.
„Ja. In ganz London wurden mehrere Sprengstoffkörper platziert und gleichzeitig gezündet", antwortete ihm Simon. Der Schwarzhaarige holte einen kleinen Bildschirm aus seiner Hosentasche und öffnete eine Nachrichtenseite. Er reichte es Dave, der die Absätze einiger Artikel überflog und die Bilder vergrößerte. Von fünf gezündeten Bomben war in den zahlreichen Berichten die Rede.
„Das ist ja noch schlimmer, als ich dachte! Gab es viele Verletzte? Wie ist die Situation im Hauptquartier? Geht es den Leuten gu-„
Tessa stoppte ihn mit einer Hand an der Schulter.
„Die Zahl der Verletzten hält sich zum Glück in Grenzen und bis jetzt fand man sechs Todesopfer. Das Hauptquartier steht und läuft, die Explosion hat unseres Wissens keinen Schaden am Gebäude selbst angerichtet. Wir wurden aber aus Sicherheitsgründen nach Kirkwall gebracht."
Dave gab den Monitor wieder an Simon zurück.
„Wer ist wir?", hakte er nach. „Wer ist noch alles hier?"
„Du. Ich und Simon, weil wir für deine ärztliche Behandlung zuständig waren. Fenrir, Jenny und Mortimer haben uns nach Anweisung vom Sicherheitschef Geleitschutz gegeben. Außerdem ist Kommandant Arnold hier. Er erklärt die Umstände gerade der obersten Befehlshaberin der Special Force."
„Und Ian? Mein Vater?", kam es panisch aus Daves Mund. Warum ließ sie die wichtigen Teile aus?
„Ian ist auch hier. Aber..."
Dave hatte genug. „Tessa. Jetzt sag mir endlich was mit Ian ist!"
Es war Simon, der antwortete.
„Ian ist derzeit im Gewahrsam der Anti-Terror-Special-Force. Er gilt als Hauptverdächtige, die Anschläge verübt zu haben."
Dave brauchte ein paar Minuten, dass die Nachricht durch sein medikamentöses Hirn sickerte. Er schüttelte den Kopf.
„Das ist doch absoluter Blödsinn! Ian war doch-„
Tessa hob die Hand und brachte Dave gezwungenermaßen zum Schweigen.
„Das wissen wir und genau das versucht Mister Arnold gerade Frau Baranow zu erklären. Ian wurde mehrmals zu Befragungen geholt, aber verweigert jegliche Aussage, bevor er nicht gesehen hat, dass es dir gut geht."
„Das... das ist absolut absurd! Das...", stammelte Dave, bevor er sich vollkommen aufsetzte und die Decke zur Seite zog. „Bitte bringt mich zu Ian!"
Tessa drückte ihn zurück auf die Matratze und besah ihn mit einem belehrenden Blick. Selbst Sachmet, die mit wackelnder Zunge neben seiner Bettkante stand, schien ihn zurück ins Bett schicken zu wollen.
„Das ist doch nicht dein Ernst, Dave!", fuhr auch Simon ihn an. „Du bist gerade erst aufgewacht!"
Die Bewegung und die zu laute Stimme seines Kollegen, ließ Daves Kopf weiter dröhnen. Für einen kurzen Moment schwankte er gefährlich und er musste sich abstützen. Doch das war nichts, was ihn aufhalten könnte.
„Dann gib mir, was immer nötig ist, damit ich mich auf den Beinen halten kann!", wiederholte der Braunhaarige stur und rutschte weiter zum Bettrand vor.
Er drehte sich zu seiner blonden Kollegin und schenkte ihr seinen besten Hundeblick.
„Bitte Tessa. Das könnte so viel Ärger ersparen und ich will wissen, ob es Ian gut geht."
Simon schnaubte entnervt. Der Hundeblick funktionierte immer bei Tessa. Dafür war sie zu gutherzig und dann hatte Simon keine Chance, gegen die zwei anzureden. Dave war engstirniger als alle Patienten, die sie jemals gehabt hatten. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er sturer als jeder Esel.
„Du wartest hier", meinte Tessa knapp. „Ich hole einen Rollstuhl. Und noch eine Flasche Wasser."
Wenige Minuten später wurde Dave von Tessa in ein Nebengebäude transportiert. An seiner Seite trottete Sachmet. Tessa kontaktierte den britischen Kommandanten, um sie auf ihren Besuch vorzubereiten. Der Stützpunkt teilte sich in mehrere Komplexe auf und sie mussten diverse Sicherheitsposten passieren.
Auf ihrem Weg zum Treffpunkt trafen sie Fenrir und Jenny in einem der vielen Gängen. Dave wäre vorbeigelaufen, wenn sie nicht nach ihm gerufen hätten. Er nahm sie nur am Rande seines Bewusstseins wahr.
„Dave, du bist wach!", riss ihn Jenny aus seinen Gedanken, die sich gerade nur um Ian drehten. Die zwei Security-Mitarbeiter sprangen von ihrer Bank auf, als sie Dave kommen sahen.
„Oh, hey. Geht es euch gut?", fragte Dave und hielt sein Gefährt.
„Uns ist nichts passiert", entgegnete ihm Fenrir. Er schien unverletzt, aber die Ringe unter den Augen zeugten von mangelndem Schlaf. Jenny neben ihm sah nicht besser aus. „Wir warten auf Mortimer, der ist grade noch in einer Befragung. Er hatte Dienst im Foyer, als die Explosion losgegangen ist."
Jenny beäugte Dave in seinem Rollstuhl. „Geht es dir auch gut? Wie lange bist du schon wach?"
„Gerade aufgewacht", schmunzelte Dave und sah, wie sich Jennys Augen erschrocken weiteten. Er verbesserte: „Aber keine Sorge, ich habe keine Schmerzen. Ich wurde gut versorgt. Wir sind gerade auf dem Weg zu Ian."
Auf die Aussage wirkten beide Security-Mitarbeiter schon wesentlich entspannter. Fenrir nahm wieder auf der Bank Platz und drehte seine nervösen Daumen hin und her.
„Hat sich bei ihm schon etwas getan? Hat er schon etwas erzählt?"
Tessa schüttelte den Kopf und machte dann eine Kopfbewegung den Gang hinunter.
„Soweit wir wissen nicht. Aber hoffentlich ändert sich das jetzt bald."
Das brachte Dave auch wieder auf den eigentlichen Gedanken, wo er gerade hinwollte.
Simon blieb bei Jenny und Fenrir. Dave vertraute seine Hündin den zwei Security-Mitgliedern an und dann setzte er seinen Weg mit Tessa fort.
Vor einem Raum wurden sie von einer Sicherheitskontrolle aufgehalten.
„Wir wollen zu Frau Baranow und Herrn Arnold", entgegnete ihnen Tessa auf die Frage, was sie für Anliegen hatten. „Ich habe ihn bereits benachrichtigt und er erwartet uns."
Die Antwort schien gut genug zu sein, denn sie ließen Tessa und Dave passieren.
Arnold wartete auf sie in einem zweiteiligen Verhörzimmer. Neben dem Kommandanten hatten sich noch weitere Leute darin versammelt. Auf den ersten Blick aber keiner, der Dave bekannt vorkam. Ein paar davon waren in stattliche Uniform gekleidet, andere identifizierten sich als Soldaten oder Techniker. Eine großgewachsene Dame in der Ecke stach besonders heraus. Ihre dunkle Haut und Rastalocken verschmolzen mit den Tarnfarben ihrer Kleidung. Ihren Blick hatte sie auf die andere Seite des Raumes gerichtet.
„Mister Warner", entgegnete Hughs dem jungen Arzt im Rollstuhl. „Welch eine Freude, sie endlich wieder bei Bewusstsein zu haben. Vielen Dank für das Herbringen, Frau Häuserhain."
Während Tessa freundlich nickte, hatte Dave gerade anderes im Kopf, als auf die Nettigkeiten einzugehen.
„Wo ist Ian?", wollte er wissen.
Der rothaarige Kommandant hatte das schon kommen sehen und deutete Dave zu, einer große Glasfront vorzukommen. Er blickte in den kahlen Nebenraum, in dem ein einzelner Tisch und zwei Stühle standen. Auf einem saß Ian, mit Handschellen an den Tisch gefesselt. Vor ihm lagen ein unbeschriebenes Papier und ein Stift. Der neue Zuschauer blieb durch den Einwegspiegel unbemerkt.
Am Stuhl gegenüber saß eine Dame, die das Verhör zu leiten schien. Die pastellrosa Haarfarbe war ein extremer Kontrast zu der eisernen Stimme, die durch die Lautsprecher hallte.
„Ich frage noch einmal...", begann sie. „...weshalb waren sie zur Zeit der Explosion vor dem Hauptquartier?"
Stille folgte, in der Ian auf seine Hände starrte.
„Wie lange sind sie bereits in London?"
Keine Antwort. Die Frau lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
„In welcher Beziehung stehen sie zu Mister Warner?"
Ians Kopf schnelle nach oben und funkelte sie mit bösen Blicken an. Doch kein Wort kam über seine Lippen.
Dave wäre am liebsten aufgesprungen und dem Argentinier zur Seite geeilt. Weiter als zur verschlossenen Sicherheitsschleuse wäre er aber vermutlich nicht gekommen.
„Das ist bereits das fünfte Verhör und Ian verweigert jede Antwort", erläuterte Hughs mit dem Blick auf das Geschehen im Verhörraum gerichtet. „Die einzige Frage war, ob es dir gut geht. Außerdem lehnt er jegliche Nahrung ab. Er macht es uns gerade nicht leicht."
Besorgt nahm Dave den Argentinier noch mal genauer in Betracht. Die Ränder um seine Augen waren rot, die Haare ungekämmt und unordentlich. Er konnte auch an ihm weiße Verbände sehen. Die Wunde mochte vielleicht nicht so gravierend wie seine Eigenen sein, aber er konnte sehen, dass Ian an der Klippe der Erschöpfung stand.
„Tessa hat mir bereits davon erzählt", antwortete Dave. „Kann ich mit ihm reden Mister Arnold?"
Der Kommandant sah zu dem jungen Arzt im Rollstuhl hinab.
„Bitte", bettelte Dave mit Nachdruck.
Huhgs schien abzuwägen, aber nickte dann. Er klopfte mit zwei Fingern an die Scheibe. Zuerst passierte nichts und Dave meinte schon, dass die Insassen das Zeichen nicht gehört hatten. Ein Grummeln und leise Flüche in einer fremden Sprache drangen durch die Lautsprecher, ehe sich die Leiterin von ihrem Stuhl erhob.
„Wir sind hier noch nicht fertig", war ihr letzter Satz zu Ian, bevor sie durch die Sicherheitsschleuse trat.
Frustriert wurde die Türe in Schloss gezogen und die Dame wanderte zu Hughs hinüber. Sie war überraschend klein, wie Dave feststellte. In sitzender Position hatte sie sich größer vorgestellt. Auch auf den zweiten Blick sah er erst, dass sich mehrere große Tattoos auf ihrem linken Unterarm abbildeten. Ihre Größe machte sie dafür durch dominante Aura wett.
„Weshalb unterbrichst du mich, Arnold?", schnauzte sie den Kommandanten an. Für den unhöflichen Ton, reagiert der Hughs sehr gelassen.
„Zarya das hier ist Dave Warner", erläuterte er und deutete zu Dave hinüber. „Dave, das ist Zarya Baranow, die Leiterin und oberste Befehlshaberin der ATSF."
Zarya nahm sich die Zeit, Dave für mehrere Sekunden zu betrachten. Ihr Gesicht gab aber nichts von dem Preis, was in ihren Gedanken vorging. Lange kam keine Antwort, bevor sie in genauso neutralem wie monotonen Stimmlaut sagte: „Du bist der Junge, nachdem die Culebra fragt."
Sie sprach Ians Bezeichnung mit solcher Verachtung aus, dass Dave für mehrere Momente um den Argentinier bangte. Er musste schlucken, bevor er antwortete.
„Frau Baranow, Ian ist unschuldig. Er hat nichts mit den Anschlägen zu tun."
„Und warum sind sie sich da so sicher?"
„Ich war einer seiner behandelnden Ärzte und hab ihn über drei Monate begleitet. Er ist vor ungefähr drei Wochen bei mir eingezogen und mein Mitbewohner geworden. Ich würde behaupten, ich kenne ihn besser als alle andern hier im Raum!"
Sie beäugte ihn mit zweifelnden Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Pose ließ die Tintenbilder auf ihrer Haut zur Geltung kommen und Dave sah auch, dass ihr rechter Unterarm mit silbernem Metall glänzte. Je länger der junge Arzt darüber nachdachte umso schneller kam ihm die Realisation, dass es sich um eine Prothese handeln musste. Er war kein Experte in dem Fachgebiet künstliche Körpergliedmaßen, aber das was er sah, kam ihm vor wie hochwertige Arbeit.
„Und was soll das beweisen?", gab Zarya zurück. „Leute sind unberechenbar - vor allem Leute, die Verrat begehen. Weshalb waren sie zu der Zeit am Hauptquartier, Mister Warner?"
Dave fühlte sich in ihrem Kreuzverhör gefangen. Aber er antwortete wahrheitsgemäß. Er hatte nichts zu verstecken. Und Ian eigentlich auch nicht.
„Ich war im Headquarter unterwegs, als Ian mir geschrieben hat. Seine Nachrichten wirkten nervös und panisch. Er sagte mir, ich sollte im Hauptquartier auf ihn warten. Als er dann aufgetaucht ist, hatte er eine Stichwunde am Bauch und blutete stark. Er meinte, er wurde verfolgt. Von einer anderen Culebra. Wir wollten ihn in Sicherheit bringen, als alles explodiert ist. Danach erinnere ich mich an nichts."
Zarya schnalzte mit der Zunge. Die Antwort war ihr anscheinend nicht gut genug.
„Das soll noch gar nichts heißen. Er könnte sonst irgendwelche Lügen erzählen."
Hugs, der zwischen ihnen stand, rieb sich die Stirn.
„Was brauchst du denn noch für Beweise? "
„So viele, wie nötig sind", reagierte die Dame knapp und deutlich.
Die oberste Befehlshaberin der Anti-Terroreinheit hielt nicht viel von Arnolds Gutmütigkeit. Er war ein guter Menschenkenner, das musste sie ihm lassen. Dadurch passierten aber auch schnell Fehler. Fehler, die sie sich als Abteilungsleiterin nicht leisten konnte.
„Lassen sie mich mit Ian reden!", forderte Dave erneut. „Ich bin mir sicher, dass er ihnen dann alles erklären wird."
Die Antwort auf seinen Vorschlag kam prompt und knapp.
„Kommt nicht infrage."
Hughs schritt dazwischen und versuchte das Temperament der Befehlshaberin zu dämmen.
„Zarya, dem Jungen wird nichts passieren. Beiden nicht. Die Culebra - Ian - würde Dave nicht ein Haar krümmen. Einen Versuch ist es doch wert. Was hast du zu verlieren? Ich dachte du wolltest Antworten? Der Einzige, der hoffentlich noch genau weiß, was passiert ist, ist vermutlich Ian."
Die kurzgewachsene Dame sah lange und einschätzend von Dave zu Hughs. Ihre Finger spielten rhythmisch auf der Konsole, an der sie lehnte. Dann schnaufte sie.
„Zehn Minuten", entgegnete Zarya dann schroff. „Nicht länger. Bring ihn zum Reden. Ich brauche Antworten."
Dave nickte einfach nur dankbar, dass er endlich nach Ian sehen konnte. Zarya ging zur Türe und öffnete sie mit ihrer künstlichen Hand. Das schwere Eisen machte Platz, sodass Dave mit dem Rollstuhl durchfahren konnte. Hinter ihm wurde sie wieder geschlossen.
--.--
Ian hörte, wie die Türe aufgeschlossen wurde und machte sich auf eine weitere Runde sinnloses Verhör gefasst. Die Erschöpfung zehrte an ihm, der Wunsch nach Ruhe wurde größer. Es war die sechste Befragung innerhalb von drei Tagen und er hatte immer noch nichts von Dave gehört oder gesehen.
Gerade deswegen machte sein Herz einen Satz, als er den Kopf hob, um seinen Besucher zu begrüßen und dafür Dave durch die Türe rollte. Ian wollte aufstehen, zu ihm rennen und ihn in seine Arme schließen - doch die verdammten Fesseln an seinen Händen banden ihn an den Tisch.
Dave hatte dafür ähnliche Gedanken, als er sich mit drei kraftvollen Zügen zu Ian hinüberschob. Kaum in Reichweite des Braunhaarigen wurde er in eine feste Umarmung geschlossen. Ihre Position war genauso unbequem wie sie aussah. Aber beiden jungen Männern war das egal.
Ian gab ein erleichtertes Seufzen von sich. Er schloss die Augen. Weil er die Umarmung von Dave nicht erwidern konnte, drückte er Nase und Stirn auf die Schulter seines Mitbewohners. Er war umgeben von Daves beruhigendem Geruch und seinem bebenden Herzschlag. Für den Moment war alles in Ordnung.
„Ich bin so froh, dass es dir gut geht", hörte er Dave in seinen Rücken murmeln. Ian brachte ein schwaches Nicken zusammen.
Sie verharrten mehrere Sekunden in den Armen des anderen. Dann erinnerte sich der junge Arzt an die Bandagen am Körper des Argentiniers. Er löste die enge Berührung und sah Ian unter der Veränderung ihres Gleichgewichtes zusammenzucken.
„Du wurdest verletzt", wiederholte Dave seine Gedanken und scannte Ians Körper auf weitere Wunden. „Geht es dir gut? Haben sie dich versorgt?"
Ians Antwort wurde begleitet vom Rascheln der Sicherheitsschellen.
*Ich habe medizinische Versorgung bekommen, keine Sorge. Es war nur eine Stichverletzung.*
„Nur eine Stichverletzung? Mann, Ian. Du solltest dich reden hören! Dass die dich in deinem Zustand trotzdem verhören..."
Dave musste den Drang unterdrücken, um sich die Wunden unter den Bandagen nicht selbst anzusehen. Hoffentlich hatten die zuständigen Sanitäter ordentlich gearbeitet.
*Ich schwebe nicht in Lebensgefahr und bin bei Bewusstsein", meinte Ian nebenbei. „Das ist normal. Ich hatte schon Schlimmeres.*
„Heißt nicht, dass ich mir dadurch weniger Sorgen mache", antwortete ihm Dave mit einem Augenrollen.
*Wie geht es dir?*, wechselte Ian das Thema. *Ich habe nicht viel mitbekommen außer dass du am Leben bist. Mehr wollten sie mir nicht sagen.*
„Ich hab mir ordentlich den Kopf gestoßen und ein paar Verbrennungen durch die Explosion eingeholt. Das Schmerzmittel macht gerade alles ein wenig erträglicher."
*Sachmet?*
„Ihr geht es gut, keine Sorge", beruhigte er Ian. Beim Gedanken an Sachmet fiel ihm ein, dass er von einer einzigen Person noch nicht Bescheid wusste.
„Sag mal... weißt du auch, wo mein Vater ist? Ich habe noch gar nicht nach ihm gefragt, aber..."
Ians Miene blieb ausdruckslos, als er sich ruckartig zum Fenster in den Nebenraum wandte. Der Argentinier sah sich nur selbst im Einwegspiegel, hoffte aber er, dass irgendjemand da draußen seinen Blick auffing und verreckte. Warum hatte es ihm noch keiner gesagt?
Das Schweigen kommunizierte Dave, das etwas nicht stimmte.
„Ian? Was ist?"
Der Argentinier drehte sich wieder zu seinem Gesprächspartner. Die Unschlüssigkeit spiegelte sich in seinem Gesicht wider.
*Sie haben es dir noch nicht gesagt?*
„Was haben sie mir nicht gesagt?"
Noch mehr Schweigen hallte im Raum und Dave hatte nicht mehr die Nerven für spannungsaufbauende Momente. Dafür waren seine Erinnerungen zu wirr und er wollte endlich wissen, warum hier niemand Klartext sprach.
„Ian", brachte er gepresst hervor. „Was ist mit meinem Vater?"
Ian schloss für mehrere Sekunden die Augen, bevor sich seine Finger zu Worten formten.
*Dein Vater ist durch die Folgen der Explosion gestorben*, entgegnete er mit gesenktem Blick und zitternden Händen. *Es tut mir leid, Dave.*
--.--
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