23. Und alles geht schief
London, 05. Mai
Die dritte Woche seit Ians Entlassung war angebrochen und der junge Argentinier fühlte sich so gut wie noch nie. Letzte Woche hatte er mit June ihre Gebärdenkurse geplant und gestern hatten ihn Jenny und Fenrir auf eine Sightseeingtour durch London mitgenommen.
Das Kochen mit Dave war chaotisch, aber machbar. Außerdem machte es großen Spaß – wenn man mal davon absah, welches Chaos sie in der Küche anrichten konnte.
An eine Sache würde sich Ian so schnell nicht gewöhnen und das war das Einkaufen.
Es war eine Aufgabe, die Ian nur ungern für Dave übernahm. Grundsätzlich blieb ihm aber keine Möglichkeit, da Dave aufgrund seiner Dienstpläne selten die Zeit oder die Nerven dazu hatte, nach einem langen Arbeitstag noch volle Taschen heim zu schleppen. Ian hatte kein Problem mit der Wäsche, mit dem Putzen und Aufräumen. Das übernahm er gerne. Aber sich durch die vollgepackten Lebensmittelschränke zu schieben, wirren Einkaufswagenfahrern auszuweichen und bei nervigen Kassendränglern die Ruhe zu bewahren, trieb ihn an einen neuen Rand seiner Belastbarkeit.
Er hatte ein paar letzte Sachen für das Wochenende besorgt. Sie wollten Churros machen, eine spanische Süßspeise, von der Dave schon oft erzählt hatte. Er schrieb seinem Zimmergenossen eine kurze Nachricht, dass er zur Wohnung zurückkehren würde.
Den Stave Hill Park hatte er bei seinen längeren Spaziergängen mit Sachmet entdeckt. Er folgte dem kleinen Flusslauf der Anlage entlang. Eine kleine Entenfamilie tummelte sich auf dem stillen Gewässer und zogen ihre Bahnen dem Strom entgegen. Ians Schritte hatten sich verlangsamt, bis er schließlich am Rande des Kiesweges zum Stehen kam. Ein sanfter Wind ließ Schatten über der Wasseroberfläche tanzen und für einen kurzen Moment verlor er sich in der Ruhe seiner Umgebung.
„Schön für diese Jahreszeit, nicht wahr? Ich dachte, in London würde es immer regnen."
Die ölig schmierige Stimme, die hinter ihm ertönte, ließ das Blut in Ians Adern stocken. Er setzte dazu an, sich umzudrehen, doch ein bohrender Druck durch seine Jacke festigte ihn an Ort und Stelle.
„Wag es nicht dich umzudrehen...", flüsterte es bedrohlich um seine Ohrmuschel und Ian konnte deutlich die Spitze einer Klinge durch den Stoff spüren. „Wir wollen doch keine Aufmerksamkeit erregen..."
Aus seinem Augenwinkel sah er den großgewachsenen Schatten hinter sich. Er brauchte keine visuelle Bestätigung, denn die geschmacklosen Worte, die ihm einen eiskalten Schauer durch den ganzen Körper rasseln ließ, würde er überall erkennen. Dante nahm die größte Freude daraus, seine Opfer zu peinigen. Er war der wiederwertigste Mensch, dem Ian jemals begegnet war.
Er war immer Gesprächsstoff beim Militär gewesen. Mythen ranken sich um den Mann mit seinem Küchenmesser, der vermutlich die grausamsten Taten in der Geschichte des SAS vollbracht hatte - und das ohne mit der Wimper zu zucken.
Stattdessen trug Dante immer ein unangenehmes Grinsen in seinem vernarbten Gesicht.
Ians Gedanken überschlugen sich mit Fragen, doch er wagte nicht, sich zu bewegen. Die versteckte Drohung in den Worten des anderen waren nicht unbemerkt an ihm vorbeigegangen. Außerdem sollte man das Messer des Mannes nicht unterschätzen. Es vermochte auf den ersten Blick schwer und klobig wirken – aber Dante hielt Grita immer scharf.
„Du scheinst dein neues Leben hier ja sehr zu genießen, Agénto."
Bei der Nennung seines Codenamens zuckte Ian instinktiv zusammen.
„Kein einziges Mal hast du an deine armen Culebra-Kollegen gedacht. Das ist wirklich sehr traurig. Ich hab dich schon vermisst."
Eine Hand krabbelte seinen Rücken hinauf und blieb auf seiner Schulter liegen. Im nächsten Moment grub sie sich in seine Haut wie ein Enterhaken.
„Wirklich beeindruckend, wie du dir ein ganz neues Leben hier aufbaust. Aber leider muss ich dir mitteilen, dass der Gouverneur alles andere als begeistert ist."
Die Stimme wurde lauter und lauter, als Dante sich über seine Schulter vorwärts lehnte. Der heiße Atem, den er an seiner Wange spürte, ließ ihn frösteln. Er konnte das hässliche Grinsen in der Visage der anderen Culebra aus den bloßen Worten heraushören.
„Aber glaube nicht, dass du einfach so davonkommst. Ich werde dafür sorgen, dass du leidest. Dass du Qualen erleidest, die du dir in deinen wildesten Träumen nicht vorstellen würdest. Dieses ausgeklügelte Spiel, das du hier spielst, wird wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen."
Eine Nase in seinem Nacken ließ Ian versteifen. Die Hand von seiner Schulter lag nun in seinem Genick.
„Weißt du... Eigentlich habe ich ganz einfache Befehle bekommen... Dich unschädlich machen, zurückkehren und berichten. Aber weißt du was? Heute ist dein Glückstag. Ich hab mir etwas ganz Besonderes für dich einfallen lassen. Es ist eine kleine Überraschung. Nur für dich. Es wird ein schönes Feuerwerk geben, nicht nur eines. Ich hoffe, es gefällt dir."
Ians Augen weiteten sich und für den Moment vergaß er das Messer in seinem Rücken. Abrupt drehte er sich um und schwang seine Einkaufstüte auf den Schatten hinter sich. Doch dort, wo er eben noch aus dem Augenwinkel Dante erkennen konnte, war niemand mehr.
Die Plastiktüte traf ins Leere, wo nichts als Luft war, und stattdessen verteilten sich seine Lebensmittel auf dem Kiesweg. Er hatte die verwirrte Aufmerksamkeit von ein paar Passanten geweckt, die ihn irritiert anblickten. Ian drehte sich verzweifelt umher, doch von der Culebra war keine Spur.
Er war verschwunden.
Seine Hände schwitzten und machten sie beinahe unbenutzbar. Nur weil Dante aus seinem Sichtfeld verschwunden war, war das hier noch nicht zu Ende. Ian musste weg. Untertauchen und unsichtbar werden.
An seine Einkäufe dachte er nicht mehr, als er in einen schnellen Laufschritt ausbrach. Seine Gedanken überschlugen sich genauso schnell wie seine Füße, als er den Park durchquerte und Richtung Underground lief. Ein Ort, wo er sich vermutlich in der Menschenmenge verlieren konnte. Dante war unberechenbar – vor allem, wenn er jemanden quälen wollte. Dann tat er das mit den hinterlistigsten Methoden.
Sofort musste Ian an Dave denken. Er hastete über Treppen hinab in die unterirdischen Tunnel und zog sich in eine Nische im toten Winkel zurück. Hier sollte er für die anderen unsichtbar sein. Er fummelte sein KOM heraus und öffnete den Gesprächsverlauf mit Dave.
>Wo bist du?<, schrieb er, so schnell es seine Finger zuließen.
Ein Vibrieren ging durch das Gerät und eine Nachricht erschien.
>Auf dem Weg zu meinem Dad ins HQ. Ich hab Sachmet dabei. Wieso?<
Ian atmete auf. >Bleibt im HQ. Alle beide. Ich komme zu euch. Es ist was vorgefallen. Ich muss mit Arnold reden.<
>Okay?? Ist alles gut?<
>Ich erklär es dir, wenn ich bei dir bin. Hab keine Zeit.<
>Na gut, bis gleich. Warte am Haupteingang auf dich.<
Ein absichernder Blick ging in die Halle hinaus, bevor Ian los sprintete. Er eilte weitere Treppe hinunter und konnte gerade noch in die Türen einer abfahrenden U-Bahn schlüpfen - ganz zum Leidwesen einiger Fahrgäste.
Die Türen glitten hinter ihm zu und die Bahn verließen den Bahnsteig. Unruhe überrannte Ian, während er sich an der Haltestange festklammerte. Er begann nervös von einem Bein auf das andere zu treten und warf hektische Blicke um sich. Mit jedem Atemzug zwang er sich zur Beruhigung, nur so würde er klare Gedanken fassen können. An einem Fleck verharren könnte er in seiner derzeitigen Situation nicht, also lief er langsam der Länge der Metro entlang.
Zählte die Stationen bis zum Hauptquartier. Er musste in Bewegung bleiben, aber so unauffällig wie möglich.
Ian war einer der Ersten, die aus dem Wagong huschten und über die Rolltreppe an den Leuten vorbei nach oben hastete. Die Station am Headquarter hatte die unglückliche Lage, dass mehrere Knotenpunkte zusammenliefen und somit mehrere Ebenen für die vielen einlaufenden Bahnen vorhanden waren. Ian war in der vorletzten Ebene und sah schon die Stufen, die auf den Platz vor den Hauptkomplex des HQ führten. Er nahm seinen letzten Atem zusammen und setzte zu einem Sprint an.
Bevor er den Rand der Treppe erreichen konnte, kollidierte er urplötzlich mit einer fremden Person.
Der Aufprall schickte Ian zu Boden und ließ ihn über die Fliesen schlittern. Er blinzelte gegen das helle Röhrenlicht der unterirdischen Beleuchtung. Gerade wollte er sich gerade auf seine Beine schieben, da durchzog ein schmerzhaftes Stechen seinen Unterleib und er taumelte. Dort, wo er gerade mit dem unbekannten Körper aufeinandergestoßen war, steckte die Klinge eines Messers in seinem Fleisch. Ian umfasste den Griff mit seiner Hand und zog ihn kurz und bündig heraus.
Frisches Blut ergoss sich wie Farbe aus der Wunde und über seine Kleidung, die begann feucht zu werden. Erst jetzt wagte er denjenigen anzusehen, mit dem er zusammengestoßen war. Der Fremde, der sich aufrappelte, trug eine tief hängende Kappe im Gesicht, Halstuch vor dem Mund und schwarzem Kapuzenpullover. Das Messer in Ians Hand war nicht Dantes und beim genauen Hinsehen passten auch Statur und Gesichtsprofil des anderen nicht.
Besorgten Passanten waren zu ihnen getreten, die mitansahen wie Ian dem Fremden mit donnernder Wut eine Faust ins Gesicht verpasste. Geschockt wichen einige der Schaulustigen zurück, als der Argentinier den Mundschutz seines Angreifers herunterzog.
Es war tatsächlich nicht Dante. El Diablo hätte sich auch nie so leicht umhauen lassen.
Während der Kapuzenmann weiterhin am Boden lag, stolperte Ian mit großer Mühe die Treppen hinauf. Die Wunde machte seine Bewegungen zu keinem Sonntagsspaziergang. Mit einer Hand umfasste er das Treppengeländer, mit der anderen presste er auf seine Seite, wo das Messer eingetreten war. Als ihn endlich das Tageslicht umfasste, atmete er bereits schnappartig. Ein Zittern hatte sich bis zu seinen Kniescheiben ausgebreitet.
Doch er musste weiter vorankommen. Er war kurz vor seinem Ziel.
Mehr stolpernd als laufend passierte er die Menschengruppen auf dem Platz vor dem Hauptquartier. Ein paar Köpfe drehten sich fragend zu ihm. Auf der Hälfte des Weges verließ ihn die Kraft in seinen Beinen. Er sackte neben den Stufen des Brunnens zusammen und fasste sich an die nun brennende Wunde. Die Haut drum herum fühlte sich heiß an. Viel zu heiß. Ian konzentrierte sich richtig zu atmen, um die verschwommene Sicht loszuwerden, als ein bekannter Haarschopf vor ihm auftauchte.
„Ian!", vernahm er den Klang von Daves Stimme. Er fühlte Finger um Kinn und Wange, die seinen Kopf hoben. Sein Sichtfeld füllte sich mit dem besorgten Blicken von Dave, Lenard und Sachmet.
„Was ist passiert?", erkundigte sich Daves Vater mit einem Blick auf Ians Zustand. Die Hündin wuselte unruhig hin und her und winselte herzzerreißend.
Der Argentinier zog seine Hände weg von seiner Wunde und deutete ihnen mit blutverschmierten Fingern ein Wort.
*Verfolgt*
„Was? Verfolgt? Du wirst verfolgt?", übersetzte Dave. Der junge Arzt legte seine Hände dort hin, wo Ian sie gerade weggezogen hatte und übte Druck auf die Wunde aus.
Ian nickte abwesend, dann buchstabierte er *C-U-L-E-B-R-A*.
„Eine Culebra ist hier? Und sie ist hinter dir her?"
*Weg hier*, deutete Ian und wiederholte die Worte mit Dringlichkeit, während er zwischen sich selbst Dave und Lennard herumzeigte. *Weg hier*
„Bringen wir dich rein", reagierte Lennard. „Deine Wunde müssen wir uns ansehen. Ich kontaktiere Arnold. "
Vater und Sohn halfen Ian, sich unter Schmerzen in die Höhe zu stemmen.
„Kannst du gehen?", fragte Dave hastig, als er seine stützende Hand um die Hüfte des Kleineren legte. Ian brachte ein schwaches Nicken zustande und so begann Dave den Weißhaarigen holpernd mitzuziehen. Daves Vater konnte so loslassen, um Sicherheitspersonal zu holen und den Kommandanten zu kontaktieren.
Ian sah bereits die Türen des Hauptquartieres, sah ein paar Sicherheitsbeamten auf sie zu rennen. Er hörte Lennards Stimme vor ihnen, wie er den Sachverhalt dem Kommandanten über sein Kommunikationsgerät erklärte.
Ians Erinnerung danach wurde schwammig.
Er erinnerte sich an Sachmets wildes Gekläffe, das kaum zu bändigen war. Der fettige Geruch einer Fish-and-Chips-Bude ganz in seiner Nähe. Blubberndes Fett und undeutliches Gemurmel von Schaulustigen um sie herum.
Doch im nächsten Moment war alles vorbei. Das Murmeln um sie herum wurde übertönt von einem Krachen.
Ian, Dave, Lennard und Sachmet wurden mitsamt anderen Personen von einer enormen Druckwelle erfasst und über den Boden geschleudert.
Dann versank die Welt um sie herum mit krachendem Getöse zu einem Sturm aus Feuer, Rauch, Plastikteilen und heißem Fett.
--.--
Mit Dröhnen im Kopf und Sirren in den Ohren erlangte Ian sein Bewusstsein wieder. Er hatte Probleme, sich zu orientieren. Im nächsten Moment drang der Schmerz zurück in seine Glieder, schlug ein wie eine Wucht und frischte sein Erinnerungsvermögen auf. Die Begegnung mit Dante im Park, der Fremde in der Underground, seine Messerwunde und – die Explosion.
Dantes Worte zogen erneut durch seinen Kopf und er erkannte, dass sein Culebra-Kollege alles von Anfang an geplant hatte. Er war direkt nach seinen Strippen gelaufen. Ian drehte sich mit beiden Händen auf den Bauch, zuckte aber augenblicklich zusammen, als Schmerz durch seinen Unterleib schoss. Er atmete sich durch die Wellen hindurch zu einem klaren Verstand, bevor er sich umsah. Trümmerteile säten sich rund um den Explosionsradius und Rauchschwaden erschwerten die Sicht. Aus der Ferne dröhnten Sirenen und panische Rufe.
Endlich auf den Knien sitzend, entdeckte Ian einen Körper wenige Meter neben ihm. Sein panischer Herzschlag begleitete ihn, als er sich hochstemmte und mit aller Kraft zu der leblosen Gestalt humpelte.
Er erkannte den ehemaligen weißen Kittel, der von Schrott- und Trümmerteilen umgeben war. Als er die Person auf den Rücken drehte, bestätigten sich seine Befürchtungen.
Lennard war unter der verbrannten Haut kaum wiederzuerkennen. Er konnte nur spekulieren, woher das Blut stammte, wobei es bei diesem Anblick keinen Sinn hatte. Sein Brustkorb war eine Mondlandschaft, übersäht von blutigen Kratern und rabenschwarzen Schmieren, während an seinem Kopf eine tiefe Wunde klaffte.
Mit zitternden Händen griff Ian die Schultern des Mannes und versuchte ihn wachzurütteln. Müde Augen öffneten sich und ein verschleierter Blick fand den von Ian. Lennard bewegte den Mund mehrmals, bevor er mit rauchiger Stimme stammelte: „Ei-n Glück... dir geht e-es gut."
Der Arzt versuchte tief Luft zu holen, brach aber in einen Hustenanfall aus, der ihm die Luft nahm. Er keuchte Blut hervor. An den rasselnden Atemzügen erkannte Ian, dass es um Daves Vater nicht gut stand. Er nahm seine Jacke ab, knüllte sie zusammen und presste sie auf den malträtierten Oberkörper, in der Hoffnung, irgendeine der vielen Blutung zu stoppen. Um dem Älteren das Reden zu ersparen, versuchte er ihm mit einem Kopfschütteln klar zu machen, dass er schweigen sollte. Doch Lennard dachte nicht mal daran.
„W-wo ist mein Sohn?", röchelte er und fasste mit überraschender Kraft Ians Oberarm.
Der Argentinier wusste keine Antwort darauf und schaute er sich um. Alles, das er sah, waren flackernde Flammen und ungenaue Umrisse. Dave konnte er auf den ersten Blick nicht erkennen.
Ein Kläffen riss Ian von Lennard fort. Hoffnung keimte ihn ihm auf, dass Sachmet die Explosion überstanden hatte. Und wo sie war, war vermutlich auch Dave. Er wollte sich auf die Beine ziehen, um seinen Verdacht zu überprüfen, als Lennard aufatmete.
„W-warte", brachte der Mann hervor und festigte seinen Griff um Ians Körper. Seine Stimme war nichts weiter als ein Rauschen im Wind. „Du musst das hier D-dave geben."
Ian fühlte einen glatten Gegenstand aus der faltigen Hand des Älteren in seine eigene hineingleiten.
„Gib ihn meinen... Sohn. Es war der von seiner Mutter."
Es war ein Abschiedsgeschenk, eine Botschaft, die Ian übermitteln sollte. Er verstand.
Daves Vater würde es nicht mehr schaffen. Die Realisation sickerte ein, aber der Argentinier wollte die Tatsache so nicht hinnehmen. Er würde den alten Mann nicht einfach so aufgeben.
In Ians Augen sammelten sich Tränen, während er wild den Kopf schüttelte und den Druck auf den Stoff verstärkte. Lennard sah, was Ian versuchte und es bescherte ihm ein mildes Lächeln in den verunstalteten Gesichtszügen. Gleichzeitig zu Reden und zu Atmen fiel dem Verletzten bereits sichtlich schwer.
„I-ich weiß, wann es zu spät ist, Ian. Es gibt es keine Medizin... und keine Maschine, die mich wieder zu-zusammenflicken könnte."
Daves Vater war für Ian über die Monate zu einer unersetzbaren Person geworden. Gemeinsam mit Dave hatte er sein Leben bereichert. Jetzt eine Person, der er fast schon väterliche Züge zuschreiben konnte, in seinen Armen sterben zu sehen, brach ihm das Herz.
Umso mehr ein Grund, weshalb er den letzten Wunsch erfüllen wollte. Mit Tränen in den Augen schloss er den Ring aus Lennards Besitz fest in seine Hand.
„Geh schon", hauchte der Verletzte am Boden, aber seine Lippen zierten ein Lächeln. „Und pass gut auf meinen Sohn auf. I-ich vertraue ihn dir an."
Ein letzter Druck, dann erschlafften die Finger um Ians Oberarm, als aller Kraft aus ihnen entwich. Der Argentinier konnte sie gerade noch rechtzeitig packen und behutsam auf den Untergrund legen.
Seine Fingerkuppen glitten über die Konturen des Ringes, als ein Zerren an seiner Kleidung ihn aus seinen Gedanken holte. Außer ein paar Rußflecken und Schmutz im weißen Fell, schien es der Hündin gut zu gehen. Ian dankte dem Schutzengel, der sie beschützt hatte.
Sachmet hatte sich in den Saum seines Unterhemdes verbissen und zog ruckartig daran. Als wollte sie ihm etwas zeigen. Er hing den Ring, der für Dave bestimmt war, an die Kette um seinen Hals, um sie nicht zu verlieren. Dann ließ er sich von der rußverschmierten Hündin leiten, bis beide vor einem regungslosen Körper ankamen. Für einen Moment setzte Ians Herz aus, als er Daves erkannte.
Mit einer Hand fühlte er nach einem Puls. Er hätte vor Erleichterung aufgeschrien, als er ein regelmäßiges Pochen unter der Haut vernahm. Doch Dave reagierte auf kein Rütteln, kein Zerren – nicht mal auf Sachmets nasse Zunge. Panik machte sich in Ian breit. Er musste Hilfe suchen.
Um ihn herum kam Leben in das Chaos. Sanitäter und hilfsbereite Passanten riefen nach Überlebenden und Verletzten. Auch Ian begann sich umzusehen und nach Rettunskräften Ausschau zu halten. Das einzige, das Dave nun helfen konnte war eine gute medizinische Versorgung.
Im nächsten Moment ertönte ein lautes „Culebra!!" hinter seinem Rücken. Mehrere Arme packten ihn grob und rissen ihn von Daves Körper weg.
Das Zeichen der Schlange an seiner Haut wurde von nichts mehr überdeckt. Die Jacke hatte er bei Lennard gelassen und die war mittlerweile blugetränkt.
Ian zappelte gegen den festen Griff der fremden Hände. Bei dem Versuch, sich zu befreien, schmerzte sein Körper mit jeder Faser. Der Boden kam ihm immer näher. Sobald er unter seinen Kontrahenten begraben war, hatte er in seinem Zustand keine Chance mehr. Atemlos stemmte er sich dagegen, der zunehmende Schmerz in seinem Unterleib völlig vergessen. Er sah, dass er sich immer weiter von seinem bewusstlosen Mitbewohner entfernte – oder besser gesagt, entfernt wurde. Schließlich gingen seine Knie zu Boden. Der Rest seines Körpers folgte wenige Sekunden später.
Er musste zu Dave.
Worte drückten sich aus seinem Hals heraus, doch sie gingen im Handgemenge unter. Er erkannte beinahe seine eigene Stimme nicht mehr.
„Da-ve! Da-!"
Zwei Damen mit einer ersten Hilfe Ausrüstung gingen neben Dave in die Knie und begannen an ihm herumzuhantieren. Ein Rauschen flutete Ians Ohren und neues Adrenalin half ihm beim Versuch, sich hochzustemmen.
„Das Knock-out-Serum, gib mir das Knock-out-Serum!!", schrie jemand panisch in sein Ohr, während die Hände weiterhin gnadenlos auf ihn stemmten.
Ein Stechen im Nacken und er spürte wie dickflüssige Substanz unter seine Haut drang. Es zeigte sekündlich seine Wirkung, als seine Muskeln erschlafften.
Seine Gedanken schrien nach Dave, bevor auch sein Verstand sich leerte und er in die Bewusstlosigkeit geschickt wurde.
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ielen Dank für den absolut besten Support von euch allen!! Respekt an alle, die es bis hier her geschafft haben und ich hoffe ihr seid auch weiterhin mit dabei! 💚
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