20. A litte Party never killed nobody

London, 19. April

(Warnung: Das Kapitel beinhaltet Charakter, die stark Alkohol konsumieren. Ich möchte nichts damit suggerieren, bitte kennt eure Grenzen!)

Überrumpelt blickte Ian auf die kleine Gruppe, die sich um den kleinen Wohnzimmertisch versammelt hatte. Lennard und Tessa hatten Konfettikanonen in der Hand, die sie gerade gezündet hatten. Jenny und Fenrir trugen kitschigen Partyhütchen auf dem Kopf, die das gleiche Muster hatten wie die Fahnenwimpel im Rest des Raumes. Um sie herum rieselte es münzgroße, glitzernde Partikel. Ian stand mitten drin und wusste nicht, wie ihm gerade geschah. Irritiert drehte er sich zu Dave, der kein bisschen überrascht zu sein schien. Stattdessen blickte der Braunhaarige unglücklich dem Konfetti hinterher, das sich in kleinen Häufchen am Boden sammelte.

„Echt jetzt Leute? Konfetti?", meinte er von seiner Position neben Ian. „Und wer soll das sauber machen?"

Da realisierte Ian, dass Dave seinen eigenen Part in der Planung der Überraschungsparty hatte.

*Du wusstest davon?*, deutete er dem jungen Arzt, der ihm unschuldig entgegenblinzelte.

„Irgendwer musste dich beschäftigen, solange hier vorbereitet wird."

Bevor Ian noch irgendetwas erwidern konnte, wurde er von zwei Armen weiter in den Raum gezogen.

„Jetzt komm schon!", meckerte Fenrir ungeduldig. „Wir haben Kuchen mitgebracht und haben auch vor, ihn zu essen!"

Mit einem stummen Kichern ließ sich der Argentinier auf die Couch ziehen, während sich Lennard und Tessa auf die Suche nach Besteck und Teller machten. Jeder der Anwesenden bekam ein Stück der mehrschichtigen Vanilletorte und ein prickelndes Sektglas in die Hand gedrückt.

„Auf Ians Entlassung!", reihten sich die ihre Stimmen im Chor, bevor angestoßen wurde. Die Geschmacksexplosion bei Ians erstem Bissen vom Kuchenstück hätte ihn beinahe zum Weinen gebracht. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal Kuchen gegessen hatte. Er genoss jeden Bissen davon und ließ sich Zeit.

*Und wer hat das alles geplant?*, wollte Ian nach seinem ersten Kuchenstück wissen

Unschuldig sahen sich Jenny und Fenrir an.

„Ich und Fenrir hatten die Idee", meinte Jenny achselzuckend und pickte an der Glasur ihres Kuchens herum. „Wir haben Dave gefragt, was er davon hält und ob es möglich wäre und er hat gesagt, er würde helfen. Tessa und Daves Vater haben wir kurzerhand mit ins Boot geholt."

„Mortimer und Simon haben wir auch gefragt", ergänzte Dave ihre Erzählung. „Simon hat abgesagt und Mortimer war unsicher, ob er kommen kann."

*Sie hatten bestimmt ihre Gründe. Dafür freue ich mich, dass ihr gekommen seid.*,

Als wäre die Überraschungsfeier nicht schon genug gewesen, packten die gekommenen Gäste kleine Geschenke aus. Jenny überreichte ihm eine weiße Tasse, auf der sein Name in fetten Druckbuchstaben geschrieben stand. Dave unterdrückte ein Stöhnen, wenn er an die vielen Tassen in seinem Schrank dachte, doch er hielt sich mit seiner Bemerkung zurück, als er Ians begeisterte Glitzernden in seinen Augen sah. In Fenrirs mitgebrachter Tüte lagen zwei Bilderrahmen mit gerahmten Fotos. Eines davon war von Jenny, Fenrir und Mortimer. Die zweite Aufnahme war ein Gruppenfoto aus der Kantine. Ians Mundwinkel zogen sich belustigt nach oben, während er den mehr als unperfekten Schnappschuss betrachtete. Tessas Geschenk war eine Zimmerpflanze mit gemustertem Übertopf. „Ich wusste nicht ganz, ob Pflanzen dein Ding sind, aber so hast du immerhin ein wenig Dekoration für deinem Zimmer", meinte sie lächelnd. Von Lennard hätte Ian nicht erwartet, etwas zu bekommen. Im Päckchen des älteren Mannes, war ein eingebundenes Notizbuch verpackt.

„Nutze es, wie immer du es willst. Ich hoffe, du findest Verwendung dafür", entgegnete Daves Vater.

Ian wusste gar nicht mehr, wie oft er sich noch bedanken sollte. All die Geschenke, all die Gastfreundschaft - und dass, obwohl er doch nie etwas für seine Gäste getan hatte. Hatte er das wirklich verdient?

Der Letzte, der sein Geschenk überreichte, war Dave. Und er trieb es auf die Spitze.

„Hier, das ist für dich", entgegnete Dave und hielt Ian eine kleine Tasche hin.

Er staunte, als ein kleines Gerät in seine Hand rutschte. Es war ein KOM. Ein anderes Modell als das von Dave, aber makellos und gut erhalten.

„Es ist mein altes, aber noch voll funktionsfähig", erläuterte Dave. Ian war sprachlos für mehrere Sekunden.

*Ist das dein Ernst?*

Er kam sich vor wie eine Maschine, die sich wiederholte. Er konnte nicht anders, denn all das fühlte sich so unreal an.

„Ja", lachte Dave. „Ich würde mich sicherer fühlen, wenn man sich im Notfall direkt kontaktieren könnte. Und nachdem du nicht mehr so oft im Hauptquartier bist, kannst du auch mit den anderen im Kontakt bleiben. Aber das ist noch nicht alles..."

Mit einer Geste wurde der Argentinier aufgefordert, ein weiteres Mal in die Tasche zu sehen. Er griff hinein und zog einen kleinen Schlüssel an einer Schlaufe empor. Er blickte fragend zu Dave.

„Der Wohnungsschlüssel. Den wirst du brauchen."

Ungläubig drehte der Argentinier beide Gegenstände in seinen Fingern. Mit einem Lächeln bedankte er sich.

*Danke. Ich weiß gar nicht, was ich noch sagen soll...*

„Dann sag am besten nichts weiter und nimm dein Willkommensgeschenk einfach an", schmunzelte Dave zurück.

Dave machte das KOM innerhalb weniger Minuten wieder funktionsfähig und zeigte seinem neuen Besitzer, wie es funktionierte. Die erste eingespeicherte Nummer war die von Dave, natürlich gefolgt von Jenny und Fenrir. In einem unbeobachteten Moment fügte der Kupferschopf auch Mortimers Nummer hinzu. Außerdem speicherten sie Lennards Kontaktinformation für Rückfragen oder Notfälle ab. Die Zeit, die sie alle auf der Couch verbrachten, verflog im Nu. Nach gewisser Zeit verabschiedeten sich Lennard und Tessa und machten sich auf den Weg nach Hause.

Beinahe zwei Stunden in ihre Einweihungsfeier hinein schrillte Daves Wohnungstür. Ein kurzer fragender Blick machte dir Runde und Sachmet hob interessiert den Blick. Dave hechtete zur Türe. Zu seiner größten Überraschung wartete Mortimer im hellen Licht der Flurbeleuchtung. Der Schwarzhaarige wippte etwas unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihm jemand aufmachen würde.

„Äh... Ich weiß, ich bin ein wenig spät. Ich habe es leider nicht eher geschafft, aber ich dachte, ich schaue mal vorbei...", druckste Mortimer herum.

„Das macht nichts, komm herein. Wir haben noch Kuchen übrig", antwortete ihm Dave aufmunternd und trat beiseite, um den neuen Gast hereinzulassen. Als der Neuankömmling in den Wohnbereich geführt wurde, drehte sich die Feiernden überrascht um.

„Morts! Endlich!", rief Jenny feierlich und hob ihr Glas. Fenrirs Augen blühten auf wie eine Blume an einem sonnigen Tag.

„Mormor! Du bist doch noch gekommen!", jubelte er im Aufspringen. Er hechtete übermütig zum Schwarzhaarigen hinüber und zog ihn hinüber zum Sofa, wo sich die Gruppe niedergelassen hatte.

„Jetzt kommt mal runter, ich kann auch gleich wieder gehen!", entgegnete Mortimer mürrisch. Trotz aller Drohungen machte er aber keine Anstalten aufzustehen, nachdem er in die weichen Kissen gedrückt wurde. Sachmet begrüßte den neuen Gast mit argwöhnischem Beschnuppern. Schnell ließ die Dame von ihm ab und suchte sich einen gemütlichen Fleck auf dem Teppich. Dort hatte sie das Geschehen voll im Blick. Hundeprüfung bestanden. Von den anderen wurde der Schwarzhaarige mit restlichem Kuchen und einem eigenen Glas Sekt eingedeckt, als er Ian heimlich und leise eine längliche Schachtel in die Hand drückte. Der Argentinier bekam die wortlose Aufforderung, es auszupacken. Heraus zog er ein brandneues Schachbrett mit minimalistischen Spielfiguren.

Mit einem Geschenk von Mortimer hatte Ian nicht gerechnet. Die Geste war klein - für manche Person sogar unbedeutend, doch Ian war gerührt. Er nahm das Brett mit einem breiten Lächeln an sich.

*Danke. Vielleicht hab ich dann doch noch eine Chance dich irgendwann zu schlagen.*

Der Schwarzhaarige schnaubte, als würde er sich über den Argentinier lustig machen.

„Das werden wir sehen, wenn es so weit ist."

Sie packten ein paar Kartenspiele aus und öffneten eine zweite Sektflasche, um sich die Zeit zu vertreiben. Die Verlierer mussten aufräumen. Nach einigen nervenaufreibenden Runden gaben sich Dave und Jenny geschlagen in die Küche und begannen Teller und Besteck abzuräumen. In all seiner Euphorie über das neue Schachbrett forderte Ian Mortimer zu einem Spiel heraus. Fenrir saß eine Weile zwischen ihnen und bestaunte das Hin und Her der Spielfiguren, doch die Langeweile trieb ihn schlussendlich in die Küche zu Jenny und Dave, die das Aufräumen in einen Karaoke-Contest verwandelt hatten.

Die zwei Spielenden am Tisch ließen sich nicht weiter ablenken. Ian verlor die erste Runde knapp an Mortimer aber wollte sich noch lange nicht geschlagen geben. Ihre Figuren standen in Reih und Glied und Ian fühlte sich sehr selbstsicher.

*Wenn ich die nächste Runde gewinne, fragst du Fenrir nach einem Date*, forderte er schamlos als Wetteinsatz. Mortimers Blick hätte ihn am liebsten in die qualvollsten Teile der Hölle befördert. Es war als neckender Scherz gemeint. Dass Mortimer ihm seine Hand entgegenstreckte, hätte er nicht gedacht.

„Wenn ich gewinne...", antwortete der Schwarzhaarige mit selbstsicherem Grinsen. „...gestehst du Dave, was du für ihn empfindest."

Der Argentinier wurde klar, dass es eine riskante Entscheidung war. Ihm war glasklar, was er für Dave empfand. Der junge Arzt war über die Monate eine unersetzbare Person geworden. Eine Person, die er nicht mehr mit einem freundschaftlichen Auge betrachtete. Nur... war er auch bereit, es Dave zu sagen?

Er ging auf volles Risiko und schlug ein.

*Deal.*

Der Kampf war wortlos, aber intensiv. Jeder Zug war durchdacht und für eine lange Zeit sah es wie ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen aus.

Bis Ian seine Taktik änderte und Mortimers Spielfiguren vom Schachbrett fegte.

Der schwarze König stand im Schachmatt.

Ein paar Minuten starrte Mortimer ausdruckslos auf das Endergebnis vor ihm.

„Du hast gewonnen", seufzte er, als er seine Niederlage gestand. „Gutes Spiel."

Ian wollte seinen Sieg noch ein wenig auskosten. *Du weißt was das heißt...*

„Ja, ja keine Sorge, ich halte mich an die Abmachung", entgegnete Mortimer und sammelte seine Spielfiguren zusammen.

„Hey! Ian, Mortimer!", rief Fenrir von der Küchentheke herüber. Die drei hatten über ihre nichts von ihren Abmachungen mitbekommen. „Jenny hat gerade vorschlagen, ob wir nicht noch ein wenig ausgehen wollen! Das ‚Old Pine' hat heute ‚Ale-and-Cider-Night'."

„Meinetwegen können wir gerne gehen", antwortete Mortimer und sah dann mit abwägendem Blick zu Ian. Der Argentinier überlegte aber nicht lange und zuckte mit den Schultern.

*Klar, warum nicht?*

Er verspürte nicht den Hauch von Müdigkeit und den anderen schien es da nicht anders zu ergehen. Jenny hibbelte voller Vorfreude auf ihren Beinen.

„Das Old Pine wird dir gefallen Ian! Es ist ein Pub im Shoreditch-Viertel. Mein Freund ist mit ein paar Freunden dort, dann kann ich ihn euch endlich vorstellen!"

Auf das Nicken von Ian schnappte sich die Braunhaarige ihr KOM und schickte eine schnelle Nachricht an ihren Freund. Ian verstaute all seine erhaltenen Geschenke in seinem neuen Zimmer und half mit, den Rest des Wohnzimmers sauber zu bekommen. Konfettischnippsel würden sie vermutlich noch die nächsten drei Tage finden.

Es war kurz nach Mitternacht, als sie zu fünft die Wohnung verließen. Dave brachte Sachmet zu seinem Vater, der auf sie aufpassen würde, solange sie unterwegs waren. Die Hündin in sicheren Händen, nahmen sie die Underground nach Shoreditch.

Jennys Freund wartete vor dem Pub auf die kleine Gruppe. Die meisten Häuser der Straße wogen sich in Stille. Aus den geöffneten Pforten des ‚Old Pine' drang das Geräusch des tosenden Lebens. Ein großgewachsener Lockenschopf stand unter einer hell erleuchteten Laterne und grüßte Jenny mit einem „Hallo Miláček" und einer herzlichen Umarmung.

„Hallo Poklad", antwortete die Braunhaarige und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Sie drehte sich zu Ian und Dave.

„Das ist mein Freund Miloslav."

Mit einem leichten Akzent in der tiefen Stimme ergänzte der Lockenschopf: „Aber bitte nennt mich Milo."

„Ich bin Dave...", entgegnete der junge Arzt und deutete dann zu Ian, der Milo freundlich zunickte. „...und das ist Ian. Freut uns."

Als sie ihre Vorstellungsrunde hinter sich gebracht hatten, hakte sich Jenny bei ihrem Freund ein und zog ihn in den Pub, dessen weinrote Außenfassade von grellen Neonreklamen erhellt wurde. Der Rest der Truppe folgte. Sie traten ein in die schwüle Luft, die von Gästen heiß und hitzig getanzt worden war. Harte, pumpende Bässe dröhnten von der kleineren Tanzfläche zum Barbereich herüber. Im warmen Schein der Deckenbeleuchtung gingen die Getränke der Barkeeper über die Theke, wie warme Semmeln beim Bäcker.

Dave und Mortimer erklärten sich dazu bereit, ihre Getränke zu holen und verschwanden in Richtung Bar. Jenny und Miloslav bahnten sich einen Weg durch die wogende Menge zu einem freien Platz. Ian ließ sich von Fenrir hinterherziehen und versuchte sein Bestes in der Menge nicht verloren zu gehen. Die Musik ließ seine Ohren vibrieren und wurde lauter und lauter, je weiter sie sich in das Hafenbecken der Tanzenden begaben. Ihre Wegweiser-Turteltäubchen grüßten hier und dort andere Gäste, verteilten Handschläge oder Schulterklopfer an bekannte Freunde. Von denen hatten sie hier anscheinend sehr viele davon.

*Die zwei kennen ja den halben Pub*, meinte Ian zu Fenrir.

„Das liegt daran, dass hier viele aus ihrem Tanzclub herkommen", entgegnete Fenrir mit einem Lachen. „Das kommt davon, wenn man Jenny aussuchen lässt. Aber die sind alle super nett."

*Tanzclub?*

„Ja, die zwei tanzen schon seit mehreren Jahren Swing in einem Tanzclub zusammen. Dort hat Jenny Milo kennengelernt."

Der Kupferschopf zog Ian an seinem Ärmel weiter, um zu Jenny und Milo aufzuschließen. Das Gedränge um sie herum wurde enger und Ian hoffte, dass ihre Schatzsuche nach dem richtigen Platz bald beendet sein würde. Seine Gebete wurden erhört.

Dave und Mortimer suchten sich schon bald ihren Weg zu ihnen mit ein paar Flaschen und Bechern in der Hand, die verteilt wurden. Dave blieb seiner Zitronenlimonade treu. Der Rest der Gruppe war bereit, die Nacht mit ein wenig Alkohol zu genießen.

„Prost!", lachte Jenny und hielt ihren Becher in die Runde. Die anderen stießen mit an und so begann der lustige Teil der Nacht.

Jenny legte ein steiles Trinktempo vor. Ian hatte noch nie jemanden so schnell trinken gesehen. Unter den Culebras gab es viele Soldaten, die sich regelmäßig im Geheimen die Birne mit Hochprozentigen zuschütteten und dann auch noch damit prahlen. Doch mit Jenny konnte keiner mithalten. Ian war ein wenig beeindruckt. Er selbst ging es aber langsam an. Miloslav war überaus sympathisch, auch wenn er charakteristisch das komplette Gegenteil von seiner quirligen und aktiven Freundin war. Der junge Tscheche diente als Pilot im britischen Luftwaffenprogramm und konnte deshalb nie besonders viel Zeit im Hauptquartier verbringen. Er war ein ruhiger, aber freundlicher Gesprächspartner.

Als sich zumindest Jenny, Fenrir und Ian einen ersten Alkoholpegel angetrunken hatten, verschwand Mortimer zur Bar und kam die nächste halbe Stunde nicht wieder.

Die Zeit verging, das Gedränge auf der Tanzfläche nahm zu und Ian wurde unruhig. Milo und Jenny sahen aus, als wären sie auf der Tanzfläche geboren. Der Rest der kleinen Gruppe ließ sich mit der restlichen tanzenden Menge hin und her wiegen. Zu Beginn versuchte Ian sich das Unwohlsein mit etwas Alkohol herunterzutrinken, aber das unabsichtliche Geschubse und Rempeln gingen ihm langsam auf den Zeiger. Trotz der hundert anderen Leute fühlte er sich auf der Tanzfläche zu sichtbar. Paranoia legte sich über seine Vision. Seine Gedanken spielten ihm einen Streich, er wusste das. Er sah Gesichter in der Menge, die er nicht sehen sollte. Mit jedem Schluck von seinem Becher schien die Musik, die durch die Boxen über ihnen hallte, lauter zu werden und in seinen Ohren zu dröhnen.

Ian spürte, wie sich seine Hand immer weiter in das Glas in seiner Hand hineinbohrte. Als seine Schmerzensgrenze überschritten war, drehte er sich zu Dave und versuchte ihm mit dem Getränk in der Hand zu deuten.

*Ich gehe an die Bar.*

Der Braunhaarige sah die Bewegungen im flackernden Discolicht und beugte sich zu ihm hinunter. „Ist alles okay?", fragte er über die dröhnende Musik hinweg. „Soll ich mitkommen?"

Ian schüttelte den Kopf. *Alles gut. Reizüberflutung. Ich warte am Rand auf euch.*

Während sich Ian durch die Menge schob, sah ihm Dave besorgt hinterher. Die anderen der kleinen Gruppe, die bis eben noch mit Tanzen beschäftigt waren, sahen nur Ians Flucht.

„Wo ist Ian hin?", wollte Fenrir wissen.

„An der Bar", entgegnete Dave etwas geistesabwesend. Zumindest sah er, dass Ian sicher an der Bar angekommen war. „Ist gerade etwas zu viel."

„Ganz alleine?"

Dave warf einen Blick zur Theke hinüber, wo Ian einen Barhocker ergattert hatte und einsam sein Getränk schlürfte.

„Ich geh zu Ian!", meinte der Braunhaarige mit einem Nicken zur Bar in der Hoffnung, dass man ihn gehört hatte.

„Geh schon, Loverboy!", lachte Jenny mit einem Arm um Miloslavs Schultern. Dave verkrümelte sich, bevor er sich noch mehr von dem Spektakel ansehen musste. An der Bar angekommen, merkte er erst, wie der Lärm der Musik seine Ohren klingeln ließ.

„Ist da noch frei?", meinte er lässig und ließ sich auf den freien Hocker neben Ian fallen. Der Argentinier schnaubte belustigt durch die Nase.

*Jetzt sitzt du eh schon.*

„Ich war mal so frei."

Ians zustimmendes Summen war kaum über die Musikanlage zu hören. „Willst du noch etwas zu trinken?", kommentierte Dave mit einem Zucken zum leeren Glas. Der Barkeeper mischte Ian das gleiche Getränk noch einmal.

*Die zwei können verdammt gut tanzen*, meinte er dann mit einem Blick hinauf auf die Tanzfläche, wo sich Jenny gekonnt und mit wehenden Haaren um Miloslav bewegte. Ihr Freund hing ihr aber in nichts nach.

„Neidisch?"

Ian schüttelte den Kopf. *Nein. Ich kann tanzen. Du bewegst dich, als hättest du einen Besen verschluckt.*

Dave hätte beinahe seine Zitronenlimonade ausgespuckt. Er fasste sich dramatisch an sein Herz.

„Au, der hat gesessen. Das Taktgefühl der Spanien hab ich leider nicht geerbt."

Ian tätschelte ihm aufmunternd die Schulter.

Ihr Lachen wurde vom Lärm der Musik übertönt. Doch wenige Meter entfernt hatte die kleine Gruppe von Jenny, Miloslav und Fen alles gesehen.

„Wie lange sind die zwei schon zusammen?", fragte Miloslav seine Freundin, die seinen Blick Richtung Bar sah. Jenny stöhnte entnervt.

„Gar nicht, das ist ja das Problem!", lallte sie unter Einfluss des Alkohols. Miloslav legte eine stützende Hand um ihre Hüfte, bevor sie im Ozean aus Tanzenden davontreiben konnte. Sie war nun doch schon an ihrem dritten Glas, dass irgendeine Mischung aus Energydrink und Wodka beinhaltete.

„Es ist so offensichtlich, dass es wehtut zuzusehen...", fuhr sie fort. Frustriert leerte sie ihr Glas in einem Zug und stellte es auf einen der Tische nebenan. „Aber ich glaube, Ian weiß genau, was er will", sinnierte sie weiter. Ihr Freund lauschte ihren Schlussfolgerungen mit offenem Ohr. „Dave ist da eher der begriffsstutzige zwischen den beiden. Fast so wie..."

Fenrir, der sich die ganze Zeit suchend umgesehen hatte, brüllte plötzlich „Ich bin kurz bei Mortimer!", bevor er sich aus ihrem Kreis quetschte und erst am Ende der Menge wieder auftauchte. Mortimer war zu einer Runde Bier-Pong herausgefordert worden, weshalb er nicht mehr wiedergekommen war.

„Urghhh ich bin von Idioten umzingelt...", flüsterte Jenny, bevor Miloslav sie näher zu sich heranzog und sie in eine schwungvolle Drehung verwickelte. Der Tscheche wusste bereits von Fenrir und Mortimer. Jenny versuchte seit über einem Jahr die Zwei näher zu bringen.

„Dann lass die Idioten Idioten sein und genieße den Abend mit mir", schmunzelte er, worauf
Jenny ihre Lippen auf die ihres Freundes drückte und sich dankbar in eine weitere Tanzpartie ziehen ließ.

An der Bar brach Ian in weiteres stummes Gelächter aus..

„...und das war das erste Mal, dass ich in einer Prüfung geschummelt hatte. Ich habe es geschafft, meine Spicker einmal herauszuholen, aber der Aufseher hat mich nicht mehr aus den Augen gelassen. Stell dir das mal vor, zu dumm zum Spicken."

Ian hustete belustigt. *Das glaube ich dir nicht!*

„Doch wirklich!"

*Dann bist du wirklich dümmer, als du aussiehst.*

„Na ja, aber ich habe meinen Abschluss trotzdem gesch-„„

„Dave? Bist du das?", unterbrach ihn eine aufgeregte weibliche Stimme. „Was für ein Zufall!"

Bevor er Dave versah, warf eine schlanke Gestalt ihre Arme um den jungen Arzt. Dave erkannte die junge Dame im bunten Scheinwerferlicht des Clubs.

„Isabel", reagierte er emotionslos und schüttelte sich aus der Umarmung seiner Ex-Freundin. „Was machst du hier?"

Isabel strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Ihr Auftritt war wie immer beängstigend makellos, mit betonendem Make-up und eng anliegendem Kleid und hohen Schuhen, dessen Absätze genauso gut als Mordwaffe dienen konnten. „Ich bin mit Walter und seinen Freunden unterwegs."

„Aha."

Ihr aufgehübschtes Gesicht fand Ian, der sie interessiert musterte.

Das war also Isabel.

„Und wer ist das?", erkundigte sie sich neugierig und mit einem falschen Lächeln. „Deine... Begleitung?"

Für Ians Geschmack suchte sie viel zu viel Körperkontakt. Jeder Versuch von Dave, die Schwarzhaarige abzuschütteln, war vergebens. „Ich sehe keinen Grund, warum dich das interessieren sollte."

Daves Ex war hartnäckig und das Gespräch ging hin und her. Isabel versuchte mehrere Male den jungen Arzt zum Mitkommen zu überreden. Genervt schob Ian sein Getränk auf die Seite und nahm all seinen Mut zusammen.

Der Alkohol hatte bestimmt seine Finger im Spiel. Vielleicht lag auch eigenes Verlangen darin. Er rutschte den Barhocker nach vorne, legte provokativ eine Hand auf Daves Oberschenkel.

Die Geste entging keinem der andern beiden. Nur die Reaktionen waren unterschiedlich.

Isabell verstand sofort, was die Berührung beabsichtigte und fixierte Ian mit hasserfülltem Blick. Ihr Starren hätte eine effektive Mordwaffe sein können.

Daves rot angelaufener Kopf hingegen schnellte zu ihm, während seine Augen fragten: „Was tust du da?" Unausgesprochen forderte Ian auf mitzuspielen. Der Braunhaarige verstand und legte seine Finger über Ians Hand.

Isabel zog sich wie elektrisiert ein paar Schritte zurück, als hätte der Kontakt zu Daves Haut ihr einen Ladung Strom verpasst.

„So ist das", entgegnete sie überraschend kühl und musterte beide jungen Männer mit tiefster Abneigung. „Hätte dich nie für eine Schwuchtel gehalten."

Sie plusterte sich auf, bevor sie überdramatischen ihre Haare herumwirbelte und durch die Menge wälzte.

Sprachlos sah Dave der schwarzhaarigen Schönheit hinterher. Sprachlos war er aber nicht aufgrund ihrer Schönheit, sondern nur, weil er sie noch nie so schnell losgeworden war. Wie auf Knopfdruck prustete es aus beiden heraus und auch wenn über die Musik schwer zu hören war: Sie konnte sich kaum zusammenreißen.

„Ich glaube, so schnell bin ich sie noch nie losgeworden", entgegnete Dave lachend und mit absoluter Begeisterung. „Der Blick in ihrem Gesicht. Sie hätte dich am liebsten umgebracht."

Für den Moment saßen sie sich gegenüber, Finger noch immer ineinander verschlossen, völlig vergessen im Drama um Isabel. Der dumpfe Bass dröhnte zusammen mit ihrem schnellen Herzschlag und brachte ihre Körper zur Erschütterung. Keiner von ihnen wollte ihre Berührung lösen.

„Sorry, ich hoffe, das war dir nicht unangenehm", murmelte Dave zögerlich und begann mit Ians Fingern zu spielen. „Isabel hat eine sehr extreme Meinung und nimmt kein Blatt vor den Mund."

Ein Kribbeln setzte in der Brust des Argentiniers ein, das langsam in sein Gesicht wanderte.

*Es war meine Idee, also halb so wild.*

In dem stillen Moment lagen zwei erwartungsvolle Blicke aufeinander. Das Knistern zwischen den beiden hätte jeder bemerkt. Die Worte formten sich in ihren Augen und Ian dachte an die Abmachung mit Mortimer. Auch wenn er das Spiel gewonnen hatte, änderte das nichts an seinen Gefühlen für den jungen Arzt. Dann kamen ihm wieder Bilder in den Kopf. Erinnerungen an einen blutigen und verstümmelten Körper, den er unter Trümmerteilen hervorgezogen hatte. Aarons geweitete Seelenspiegel, den Mund geöffnet zu einem letzten Hilfeschrei und die eigene folternde Hilflosigkeit, die er beim Anblick verspürt hatte.

Ian zog seine Hand aus der Berührung. Im nächsten Moment bereute er es und sehnte sich nach dem prickelnden Kontakt.

*Tut mir leid*, formulierte er mit dickem Kloß im Hals. Daves Enttäuschung entging ihm nicht und die Schuldgefühle keimten auf. Er sollte anderen nichts suggerieren, er würde sie nur enttäuschen. Oder selbst darunter leiden.

Sein Gegenüber seufzte, aber ging nicht weiter auf das Thema ein.

„Ich bin kurz auf dem Klo. Bin gleich wieder da." Dave tat sein Bestes nicht verbittert zu klingen, als er sich erhob. „Bestell dir noch etwas, wenn du willst, ich lasse dir meine Karte hier."

Ian nickte wortlos und sah dem Flüchtenden hinterher. Er suchte sich das stärkste alkoholische Getränk heraus, mit dem er seine rauchenden Nerven beruhigen konnte.

Frustriert schob sich Dave durch die wogende Menge. Für einen Moment hatte er wirklich daran geglaubt, dass Ian doch für etwas Gemeinsames offen wäre. Seine Hoffnung war aufgekeimt und hatte bereits zu blühen begonnen. Vielleicht hatte er sich dabei zu viel versprochen.

Schnaubend zog er an dem Bier-Pong-Tisch vorbei, wo Fen und Mortimer gegen zwei Gegner spielten.

Fenrir wollte sich eigentlich nur zu Mortimer stellen, doch wurde er sogleich in eine Bier-Pong-Olympiade gezogen. Nun befand er sich mit Mortimer in einem Team und auf der sicheren Schiene zum Sieg. Ein Außenstehender mochte vielleicht sagen, dass Mortimer die ganze Arbeit alleine machte, aber das war nicht wahr. Es war gerechte Arbeitsteilung. Mortimer warf den Ball. Fen trank, wenn der Gegner traf. Mortimers Zielgenauigkeit mochte vielleicht daran liegen, dass er mit nur einem Bier noch sehr nüchtern war - zumindest nüchternen als Fen. Das Talent des Kupferschopfes wurde just benötigt, als ein Ball den Weg in ihren Becher fand. Der Kupferschopf trank, ohne mit der Wimper zu zucken. Seine Geschmacksnerven hatten schon Schlimmeres erlebt und waren zu dem Zeitpunkt schon betäubt. Mortimer griff an, zielte und versenkte.

„Jo!", jubelte Fen und riss die Arme in die Luft. Ihre Konkurrenten fanden es nicht besonders lustig. „Manchmal habe ich echt das Gefühl, du kannst echt alles", brabbelte Fen weiter. Er fuhr auf dem Highway der Gefühle. Und des Alkohols.
„Ich meine, du hast die besten Ergebnisse, warst immer an oberster Stelle bei den Tests! Das ist der Hammer! Sogar beim Bier-Pong spielen bist du der Wahnsinn. Gibt es eigentlich irgendetwas, was du nicht kannst?"

Mortimer war gerade dabei seinen Gegenangriff vorzubereiten, hielt den kleinen weißen Ball abschätzend vor sein Gesicht und zielte.

„Mich endlich zusammenreißen und dich um ein Date bitten?", murmelte Mortimer kaum hörbar, doch Fen entging nichts.

„Was?", murmelte der Kleinere mit großen Augen. Hatte er sich verhört?

„Was?"

Mortimer war geschockt, als er erkannte, welche Worte gerade seinen Mund verlassen hatten - und noch schlimmer: dass sein Schwarm sie gehört hatte. Panik machte sich im Schwarzhaarigen breit. Fens Augen waren geweitet, während er mit einem Ausdruck absoluter Überraschung auf seinen Kollegen blickte.

„Was war das?", wiederholte er ungeduldig und sah Mortimer fordern an. Er wollte es noch einmal hören.

„Hey Richards!", tönte es laut von der Gegnerseite. „Wird das heute noch etwas?"

Ein Grölen ertönte über die laute Musik, als Mortimer den Ball mit herausragender Präzision in den letzten Becher versenkte. Verbittert schluckten die Verlierer ihr Bier.

„Weiß du...", meinte Fen während er sich näher und näher zu Mortimer hinüberlehnte. Außer Hörweite von ungebetenen Gästen flüsterte er dann: „...Wenn du mich um ein Date bittest, würde ich nicht Nein sagen."

Als Dave von der ruhigen Toilette wieder in den dröhnenden Raum trat, waren Mortimer und Fen nicht mehr am Bier-Pong-Tisch zu sehen. Lange suchen musste er nicht, denn er entdeckte sie in einer ruhigen Ecke. Schwer beschäftigt damit, sich gegenseitig die Zunge in den Hals zu stecken und auf Tuchfühlung zu gehen. Zu gerne hätte Dave gewusst, wer von den beiden den ersten Schritt getan hatte, doch insgemein freute er sich für die beiden.

Jenny und Miloslav hatten sich mit an die Bar gesellt und begonnen, mit Ian Shots zu trinken. Zumindest Jenny und Ian tranken. Miloslav hielt sich gekonnt zurück.

„Ah gut dass du da bist", lallte Jenny lustig und hielt Dave ihren letzten Shot hin, doch der Braunhaarige lehnte ab. „Hast du Mortimer und Fen gesehen? Irgendwie sind sie mir abhandengekommen."

„Die sind da drüben", entgegnete er und nickte in die Richtung, wo er die zwei Turteltäubchen gerade gesehen hatte. „Sind gerade etwas... beschäftigt."

Jenny fuhr herum und verfiel im nächsten Moment in lautlose Jubelschreie.

„Ich glaub's nich!! Endlich!"

Dave sah in das überglückliche Gesicht der Braunhaarigen.
„Du wartest schon lange auf den Tag, oder?", wollte er wissen und schnappte sich einen Stuhl.

„Du weißt gar nich' wie lange!"

Nachdem niemand ihren Shot haben wollte, also kippte sie ihn selbst runter.

Ians Hände schluderten, als er gebärdete.

*Warum haben sie denn so lange gebraucht? Es steht ihnen ja bereits in Gesicht geschrieben, dass sie aneinander interessiert sind.*

Die junge Dame seufzte und ließ sich an Miloslavs Schulter fallen. „Ah, das is'n bissl schwierig zu erklärn. Mortimer hat Angst, dass er Probleme mit der Arbeit bekommen würde. Bei Fenrir isses n bisschen komplizierter. Hat leider nich allzu dolle Erfahrung in Beziehungen gemacht. Sein letzter Freund war'n absolutes Arschloch, hat ihn manipuliert...", zählte sie auf. „Seitdem isser vorsichtiger geworden und... den Rest müsst ihr ihn selbst frag'n. Ich sollt das hier nich einfach so erzähln."

Die vier Verbliebenen wechselten das Thema und vertrieben sich die Zeit an der Bar. Um sie herum wurde es später und der Pub leerte sich. Jennys Freund hatte ihr mittlerweile eine Alkoholsperre erteilt und ihren Trinkplan auf Wasser umgestellt. Sie war nicht gerade begeistert, aber sie würde es ihm danken.

Fen und Mortimer gesellten sich eine halbe Stunde später dazu. Jenny warf ihnen trotz betrunkenem Zustand einen allwissenden Blick zu. Sie hätte zu gerne eine neckende Bemerkung von sich gegeben, aber ließ sie stecken. Fenrir machte keinen besonders gesunden Eindruck. Gierig nahm er mehrere Schlucke von Jennys Wasserglas, das ihm angeboten wurde.

„Ich bringe Fen nach Hause", meinte der Schwarzhaarige knapp und legte eine stabile Hand um die Hüfte des Kleineren.

Schließlich gingen sie alle. Sie näherten sich schon bald sechs Uhr morgens und neben ein paar anderen Betrunkenen waren sie die letzten Personen im ‚Old Pine'.

Sie verabschiedeten sich voneinander, als Miloslav seine Jenny in ein Taxi bugsierte. Fenrir wurde von Mortimer nach Hause gebracht, der seine Wohnung ganz in der Nähe hatte. Jenny ließ zum Abschied das Fenster herunterfahren und rief ihnen „Übertreibt es nicht! Safe Sex!" hinterher, als Milo die Braunhaarige wieder in das Auto zog, bevor ihr noch Schlimmeres passieren konnte. Ian und Dave nahmen die Metro.

Sie schafften es zur Metro. Irgendwie und haarscharf an ein paar dramatischen Unfällen vorbei, aber sie schafften es. Dave hatte den Argentinier einige Male davon retten müssen, um nicht vom Bordstein zu purzeln oder gegen eine Laterne zu laufen. Sein neuer Mitbewohner hatte eindeutig mehr getrunken als gedacht und der Alkoholpegel schlug an.

Bevor ihm Ian noch irgendwelche Treppen hinunterfallen würde, nahm Dave ihn kurzerhand huckepack. Der Kleinere nahm den überraschenden Höhenwechsel lachend in Kauf und legte seine Hände um die Schultern des Braunhaarigen. Als er einen sicheren Sitz auf Daves Rücken hatte, löste er seine Hände, die ein paar undeutliche Gebärden formulierten.

*Schöne Aussicht hier oben*, sprachen die Hände vor Dave. Er hörte, wie Ian einen tiefen Atemzug der frischen Nachtluft nahm.

Lachend antwortete Dave: „Pass mir bloß auf, dass du nicht zu viel Höhenluft schnupperst."

*Hab ich dir schon mal gesagt, dass deine Haare echt gut riechen?*

„M-meine Haare?", fragte er. Seine verräterische Stimme sprang dabei eine Oktave höher.

Ian ließ eine Hand durch die kurzen Locken von Daves Haarpracht fahren und stimmte mit einem kehligen Summen zu. Das Geräusch ließ Daves Körper vibrieren. Doch die Hände vor seinem Gesicht waren noch nicht fertig.

*Riechen wie... frisches Holz und Wald und... Meer. Warst du schon mal am Meer? Ich liebe die Luft, die vom Meer kommt.*

„So was nennt man Parfüm", stammelte Dave ein wenig nervös. Ians Gebärdengebrabbel war bestimmt das Ergebnis von zu viel Alkohol, aber er fand die Seite des Argentiniers ungewohnt niedlich. „Solltest du auch mal probieren. Viele stehen da drauf..."

*Bei mir funktioniert es auf alle Fälle.*

Die Worte ließen Daves Herz höherschlagen und er spürte, wie sich die verräterische Röte auf seinen Wangen ausbreitete. Doch er musste sich daran erinnern, was im Pub passiert war. Noch mehr zweideutige Signale und er würde durchdrehen. Er beschleunigte seine Schritte, bis sie endlich in der Metro auf dem Weg nach Hause saßen. Ian hatte die Müdigkeit übermann und schien zwischen Wachsein und Dämmerzustand hin und her zu dösen. Nach zwei Stationen fiel der Kopf des Weißhaarigen an Daves Schulter; die Augen geschlossen, der Atem ruhig. Wenige Minuten später musste ihn Dave schon wieder wecken, um an ihrer Endstation auszusteigen. Ian grummelte ein wenig, aber erhob sich schlaftrunken. Um ihn nicht zu verlieren, griff Dave nach seiner Hand und schloss seine Finger fest um die des Argentiniers. Er hoffte, dass Ian sich am nächsten Morgen im besten Falle an nichts erinnern würde. Es wäre vermutlich besser so.

Dave zog sie beide durch die Straßen bis zu ihrem Apartment. In der Wohnung angekommen, ließ sich Ian auf die Laken seines Bettes fallen und bewegte sich kein Stück mehr.

„Zieh deine Jacke aus, bevor du einschläfst", meinte Dave und holte zwei Wasserflaschen aus der Küche. Er seufzte, als er zurückkam und Ian noch immer angezogen im Bett liegen sah. „Na komm schon", meinte er und rollte den Betrunkenen herum, sodass er ihm die Jacke abstreifen konnte. Plötzlich packten ihn Arme von unten und zogen ihn weiter auf das Bett, bis er nur eine Nasenspitze von Ians Gesicht entfernt war. Hände schoben sich von seiner Brust über seinen Hals auf seine glühenden Wangen. Der Argentinier zog seinen Kopf herunter und presste ihm einen kleinen Kuss auf die Nasenspitze.

Dave war so perplex, dass er es einfach geschehen ließ. Auf seinem Gesicht hätte man Spiegeleier braten können. Auf Ians Gesichtszügen breitete sich ein wunderschönes Lächeln auf, bevor er den Größeren losließ und sich zur Seite rollte. Während Dave stocksteif über ihm verharrte, wanderte der Argentinier ins Reich der Träume und war dank des Alkohols innerhalb weniger Sekunden ausgeknockt.

Daves Gedanken drehten sich nur noch um die Geste der Zuneigung. Völlig unfähig über irgendetwas anderes zu denken, schwanke er ins Badezimmer und schloss die Türe hinter sich. Er rutschte an der glatten Fläche herab, bis sein Hintern den Boden berührten.

„Fuck", flüsterte er und fuhr sich mit kribbelnden Fingern durch die Haare. Er musste sich ablenken oder er würde noch durchdrehen, denn sein Gesicht war nicht das Einzige, dass auf Ians überraschend zärtliche Berührung reagierte. Die Widerworte im Pub waren vergessen.

Er riss sich die Kleidung vom Körper und ließ das kalte Wasser auf sich herunterströmen. Er versuchte nicht daran zu denken, doch es war wie verhext. Nachdem sein Organ in südlicher Richtung keine Veränderung zeigte, legte er selbst Hand an.

„Fuck", stöhnte er und sah den Resten seiner Ekstase hinterher, wie sie den Abfluss hinuntergespült wurde. Froh, zumindest ein Problem losgeworden zu sein, trocknete er sich ab und ließ sich mit frischen Klamotten in sein eigenes Bett fallen. Doch der glückliche Ausdruck auf Ians Gesicht und die Art, wie sich seine Hände so liebevoll und zärtlich um seine Wangen gelegt hatten...

„Fuck", murmelte Dave ein letztes Mal zur dunklen Decke hinauf, als er realisierte, dass dies eine lange Nacht werden würde.

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