19. Lang ersehnte Freiheit

London, 19. April

Der 19. April kam schneller als gedacht. Der Tag seiner Entlassung. Ein erster Startschuss in die Freiheit. Ian saß in der Bücherei und wartete Stunden auf den entscheidenden Anruf. Der, der ihn hier rausbringen würde. Die aufgeschlagene Seite vor ihm hatte er bereits zum sechsten Mal gelesen. Was genau darin stand, wusste er immer noch nicht. Jedes Klingeln und jedes Piepsen aus dem Raum ließen ihn aufschrecken, nur um frustriert festzustellen, dass es nicht Mortimers KOM war. Als der Anruf endlich kam, hing er sofort im Nacken des Geleitschutzes, um jeden Teil des Gespräches mitzubekommen. Ganz zum Leidwesen Mortimers.

Auf dem Weg zu seinem Apartment kam er sich vor wie ein hyperaktives Kleinkind. Seine Sachen hatte er schon früh am Morgen in eine geliehene Tasche zusammengepackt. Der Raum war nun so leer wie zu Beginn seines Einzugs. Die leere Wand, der blanke Schreibtisch – als hätte hier nie jemand gewohnt.

„Na komm, Dave wird bestimmt schon in der Eingangshalle warten", riss ihn Mortimers ungeduldige Stimme aus der Starre, in die er gefallen war. Er ließ den Blick ein letztes Mal wandern, dann trat er auf den Flur hinaus. Mit der Tasche über der Schulter folgte er Mortimer ins Foyer hinunter. In einem kleinen Nebenraum hinter dem Security-Tresen, erwartete sie bereits Arnold und Wyk. 

Der Sicherheitschef nahm ihm die Fußfessel ab. Er hatte sich über die Zeit so an das Gerät gewohnt, dass es sich nun seltsam anfühlte, ohne damit herumzulaufen. Nur ein heller Bräunungsstreifen zeugte davon, dass es einst an seinem Fuß befestigt gewesen war. Wyk packte die Fußfessel ein und entband Mortimer offiziell von seinem Dienst. Nach ein paar Dankeswörtern von Arnold verließen beide Security-Mitarbeiter den Raum.

Ian war ehrlich gesagt ein wenig enttäuscht von Mortimer. Ein einfaches Nicken zum Abschied? Er wusste, dass der Schwarzhaarige nicht der Typ für herzliche Umarmungen war, aber sie hatten doch viel Zeit miteinander verbracht. Wenn auch ungewollt.

Beinahe nahtlos kam Dave mit Sachmet im Schlepptau an und Ian konnte seine Vorfreude nicht mehr zügeln. Der Braunhaarige begrüßte ihn mit einem aufgeregten Lächeln. Hughs begleitete beide zum Haupteingang hinaus und reichte Ian feierlich die Hand. Es würde nicht das letzte Mal sein, dass er den Kommandanten sehen würde. Sie hatten sich auf ein regelmäßiges Treffen im Hauptquartier geeinigt, um mit der la Frontera-Situation auf dem Laufenden zu bleiben. Ian fiel ein, dass er noch immer den Translator besaß, der so gesehen nur geliehen war. Er reichte dem Kommandanten das Gerät als wortlose Aufforderung, es zurückzugeben, doch Hughs lehnte ab.

„Behalten Sie ihn. Sehen Sie es als Abschiedsgeschenk und als Dank für Ihre Kooperation", erklärte der Rothaarige. „Ich hoffe, Sie können sich gut einleben. Wir sehen uns dann in zwei Tagen. Melden Sie sich einfach an der Rezeption im Foyer."

Er verschwand wieder in das Hauptquartier und die anderen waren vor dem Eingang auf sich alleine gestellt. Dave drehte sich zu dem Argentinier.

„Hast du alles dabei?", fragte er mit einem Grinsen im Gesicht. Ian nickte energisch, also nickte Dave seinen Kopf in Richtung Underground. „Na dann, lass uns gehen. Ich bin schon sehr gespannt, was du sagen wirst."

*Ich hoffe, du hast aufgeräumt*, entgegnete ihm Ian mit sarkastischen Zügen.

„Natürlich Mama. Nur für dich", witzelte Dave zurück.

Mit zunehmender Distanz wurde Ian das wahre Ausmaß des Hauptquartieres bewusst. Die Augen des Argentiniers weiteten sich beim Angesicht der monströsen Anlage. Über drei Monate hatte er in dem Komplex verbracht. Lange blieb ihm der Anblick nicht, denn Dave führte sie über den Platz vor dem Headquarter und hinunter in eine Unterführung.

„Wir nehmen die Underground. Ich hoffe, das ist okay", informierte Dave über das Klappern der Stufen. „Wir müssen dir nur noch ein Ticket besorgen. Vielleicht nehmen wir gleich eines für die ganze Woche. Immerhin musst du ja doch regelmäßig ins Hauptquartier fahren."

Ein Wochenticket später schweifte Dave in eine vollständige Erklärung des Londoner U-Bahn-Systems ab, um Ian damit vertraut zu machen. Ian verstand gerade mal die Hälfte von dem was Dave erklärte. Sein überforderter Blick ließ Dave in seiner Rede stoppen und er versicherte dem Argentinier, dass sie ihm eine digitale Karte herunterladen werden. Bei all den einprasselnden Informationen und visuellen Eindrücken verspürte Ian einen Hauch von Enthusiasmus.

Nervöser wurde er, als sich die Menschenmenge um sie herum verdichtete. Der enge Raum, kombiniert mit umherhetzenden Personen, ließen Ian zweifeln, ob er die Underground überhaupt als Transportmittel in Betracht ziehen sollten. Er war viele Leute aus dem Hauptquartier gewohnt. Nur hatte er dort immer die Möglichkeit, ihnen aus dem Weg zu gehen. Und das hatte er meist getan.

*Ist es immer so voll?*, erkundigte Ian sich nach dem Einsteigen in die richtige Bahn. Sachmet verzog sich brav unter die Sitze, wo ihr niemand auf die Pfoten steigen konnte.

„Grundsätzlich ist die Underground nie komplett leer, aber das kommt auch auf die Route an", erklärte ihm der junge Arzt und streichelte beruhigend durch das Fell seiner Hündin. „Aber zu gewissen Stoßzeiten solltest du sie wenn möglich vermeiden. Dann wird es unangenehm voll."

Dave ließ von den Streicheleinheiten ab und sah plötzlich mit ernstem Blick zu Ian herüber.

„Wenn es dir zu viel wird, musst du nur etwas sagen. Wir verlassen sofort die Bahn."

Ian nickte und behielt den Vorschlag im Hinterkopf. Er kam sich dämlich vor, aber bei dem Gedanken, in einer engen Menschenmenge zu stehen, schnürte ihm die Brust zu.

*Ich werde es dir sagen, Danke für deine Nachsicht.* Der Argentinier sah zu Sachmet hinunter. *Sachmet wirkt ja sehr entspannt.*

„Ja, aber das war Gewöhnungssache. Mittlerweile mach sie das super."

Ian hoffte, dass ihm die Macht der Gewohnheit auch zu Gute kommen würde. Sie hatten Glück, denn die Underground blieb weitgehend übersichtlich. Sie zogen an mehreren Haltestellen vorbei, bevor Dave Sachmet aufscheuchte und Ian auf die Füße zog, um an ihrer Station auszusteigen. Sie traten aus dem Untergrund hinauf in eine Straße mit Wohnsiedlungen und vereinzelten kleinen Geschäften. Im Vergleich zum Trubel vor dem Hauptquartier war es hier beinahe idyllisch ruhig. Ian hätte sich gerne genauer umgesehen, jedoch wurde er von Dave und Sachmet weitergezogen.

Die Wohnung war das, was Ian sich vorgestellt hatte. Und irgendwie auch nicht. Von Daves Erzählungen wusste er, dass der junge Arzt gut verdiente. Gerade mit seiner Stelle im Hauptquartier. Deshalb war er verwundert, keinen protzigen Apartmentkomplex vorzufinden, dessen Außenfassade schon nach Geld schrie. Es war klein, schlicht und lag in einem mehrstöckigen Gebäude. Die Fassade wirkte beinahe antik, was aber in diesem Viertel keine Seltenheit war.

Dave schloss die Türe auf und ließ Sachmet eintreten. Dann machte er eine auffordernde Geste zu Ian.

Mi casa ist jetzt auch tu casa. Herzlich willkommen."

Im Inneren grüßten den Argentinier sanfte beige Wandtönen mit grünen Akzenten in den Vorhängen und Teppichen. Dave verzichtete auf viele Dekorationsgegenstände, aber nutzte dafür jeden freien Fleck in der Wohnung. Alles schien seinen festen Platz und Nutzen zu haben.

 Ian bemerkte gar nicht, wie er im Eingangsbereich festgefroren war. Erst ein freudiges Bellen von Sachmet und die ins Schloss fallende Türe hinter ihm ließen ihn von seinen Beobachtungen aufschrecken. Er tat es Dave gleich und zog seine Schuhe aus und folgte der aufgeregten Hündin weiter in die Wohnung hinein. Die freudige Nachmittagssonne erhellte den großen Wohnzimmerbereich, wo sich Sachmet auf dem Teppich vor dem Sofa platzierte und von unten hinauf blinzelte.

„Wie wärs? Soll ich dir eine Tour geben?", erkundigte sich Dave, der hinterhergestiefelt kam. Das ließ sich Ian nicht zwei Mal sagen und nickte aufgeregt. Der Braunhaarige deutete ihm zu folgen. Vom Wohnzimmer traten sie in einen kleineren Nebenraum. Die hellen Farben wirkten einladend und freundlich. Auch hier zog sich das Grünspektrum durch. Auf der linken Seite war ein hölzernes Bettgestell an die Wand geschoben. Rechts von ihm stand ein Schrank mit mehreren Schubläden. Unter dem Fenster, das zur Straße hinaus zeigte, thronte ein massiver Schreibtisch.

„Das hier ist dein Zimmer. Es ist noch etwas kahl, aber das lässt sich ja bald ändern."

Ian lehnte seine Tasche mit Wertgegenständen an der Wand an und trat in den Raum ein, den er sein eigen nennen durfte.

*Das alles ist für mich?*, deutete er mit Unglaube in seinen Augen. Dave, der am Türrahmen lehnte, antwortete mit einem ehrlichen Lächeln.

„Ja, das alles gehört jetzt dir."

*War das nicht teuer?*, fragte Ian schockiert.

Dave schüttelte den Kopf. „Nein, wir haben gebrauchte Möbel zusammengelegt, weil wir nicht wussten, was dir gefallen würde. Der Schreibtisch ist von Jenny und Fenrir konnte das Regal beisteuern."

Die Möbel waren nicht komplett aufeinander abgestimmt, aber das war Ian egal. Er war überwältigt von der Großzügigkeit seiner Freunde. Am Schreibtisch ließ er seine Finger über die Maserung des Tisches fahren. Trotz der Gebrauchsspuren des Möbelstücks hatte er jeden einzelnen Gegenstand bereits in sein Herz geschlossen. Das Grinsen auf seinem Gesicht würde ihm später noch einen Muskelkater bescheren, aber er konnte nicht anders. Die Vorstellung, hier zu wohnen, macht ihn komischerweise überaus glücklich. Mit Dave zusammen...

Der Rest der Hausführung bestand aus Daves Zimmer und dem Bad. Das Wohnzimmer und die Küche hatte Ian bereits beim Eintreten betrachtet. Dave war zum Kühlschrank gewandert, als etwas Ians Aufmerksamkeit weckte, das ihm zuvor noch nicht aufgefallen war. Über dem Sofa an der Wand reiten sich unzählige Bilderrahmen neben- und übereinander. Auf einigen Bildern meinte Ian, das bekannte Gesicht von Dave zu erkennen. Anhand des Datumstempels erkannte er aber, dass es sich bei manchen Aufnahmen um Daves Vater handelte. Jünger und mit weniger Falten sahen die beiden sich zum Verwechseln ähnlich.

Der Rest waren viele weitere Personen, die Ian nicht bekannt waren. Er ordnete einige Menschen Daves Familie oder Freundeskreis zu. Sein wandernder Blick über fremde Gesichter und blieb an einem quadratischen Fotorahmen hängen. Lennard hatte einen jungen Dave auf dem Schoß, der mit breitem Lächeln in die Kamera grinste. Hinter beiden Männern stand eine große Frau mit wallenden Haaren. Der weiche und sanfte Ausdruck in ihren Augen ließ in Ians Gedanken eine Frage aufkommen. Doch er war sich nicht sicher, ob er sie stellen sollte. Er drehte sich zu Dave, der aus der Küche kam und zwei Gläser Wasser auf dem Abstelltisch platzierte.

*Ist das alles deine Familie?*

„Ja", entgegnete Dave und trat neben den Argentinier. Er deutete auf den größten Bilderrahmen. „Das hier ist alle Verwandtschaft, die ich mütterlicherseits habe. Mit dem Großteil davon bin ich in einem Haus in Spanien aufgewachsen. Wobei auf dem Foto vermutlich noch drei oder vier Leute fehlen..."

*Du hast aber viel Verwandtschaft. Was ist mit der Familie deines Vaters?*

Dave schnaufte enttäuscht, bevor er antwortete. „Die Verwandtschaft meines Vaters lebt über ganz Großbritannien verteilt. Leider ist er nicht besonders gut auf sie zu sprechen. Sie haben sich mit jungen Jahren gestritten und kaum Kontakt mehr zum Großteil der Familie. Der Einzige, den wir regelmäßig besuchen, ist mein Großvater."

Ians Gastgeber begann über einzelne Fotos zu erzählen. Über das Haus in Almuñécar, in dem er seine Kindheit verbracht hatte. Als er die damals noch kleine Sachmet bekommen hatte. Ein Bild zu seiner Bachelorabschlussfeier, wo Lennard in feinem Anzug und mit stolzem Gesicht neben seinem Sohn stand. Ian lauschte mit stiller Faszination, die ihn in Daves Vergangenheit eintauchen ließen. Trotz allem konnte er nicht verhindern, dass seine Gedanken zu dem quadratischen Bilderrahmen zurückkehrten. Zu der bildschönen Frau im Hintergrund.

Der Argentinier zog sachte an Daves Ärmel und deutete auf das Foto.

*Ist das deine Mutter?*

„Ja", bestätigte Dave mit ruhiger und klarer Stimme.

*Sie ist eine wunderschöne Frau*

„Ja... das war sie." In Daves Stimme lag überraschenderweise keine Trauer, nur ein Hauch von Melancholie.
"Sie ist an einem bösartigen Hirntumor verstorben als ich 15 Jahre alt war. Meine Madre war großartig. Sie hat sich immer um andere gekümmert, ohne darüber nachzudenken. Sie hat mir gelehrt, immer dankbar zu sein und das Gute in Leuten zu sehen. Sie war mein größtes Vorbild."

Mit der Beschreibung erwachte Daves Mutter auf dem Bild vor ihm zum Leben. Ein Schmunzeln zog sich auf Ians Gesicht, während er aufmerksam horchte. Er sah jetzt, woher der junge Arzt seine Art hatte. Anscheinend lag das in der Familie.

*Deine Mutter wäre stolz auf das, was du jetzt bist*, meinte er zu ihm gedreht.

Mit einem leicht rötlichen Schimmer auf den Wangen antwortete Dave ein „Danke".

Dave sah auf die Uhr. Mittag war längst vorbei, aber das war noch lange kein Grund, hier in der Wohnung herumzusitzen. Vor ein paar Stunden war die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen. Aus solch einem guten Wetter sollten sie auch etwas machen.

„Was hältst du davon, wenn wir etwas zum Essen besorgen? Dann kann ich dir die Umgebung noch ein wenig zeigen. Das gute Wetter sollten wir ausnutzen, solange wir es haben."

Sachmet, die bis jetzt geduldig am Boden geruht hatte, hob interessiert den Kopf. Sich ein wenig die Beine zu vertreten, hörte sich auch in ihren Ohren ganz passabel an.

Dave hatte es sich einfacher vorgestellt, Ian durch die Innenstadt zu bugsieren. Ein simpler Spaziergang entpuppte sich vor allem für ihn als Geduldsprobe. Er musste Ian hinter sich herziehen, der vor jedem zweiten Schaufenster stehen blieb und das Innenleben bestaunte. Dave nahm es gelassen. Ehrlich gesagt, konnte er es dem Argentinier nicht verübeln und sie hatten es nicht eilig. 

Er führte ihn durch die Straßen des Wohnbezirks und dann einen kleinen Rundweg an der Themse entlang. Sachmet stolzierte vorne weg; die Route bereits bekannt von ihren Spaziergängen. Zurück in der Straße mit Daves Wohnung, kamen sie vor Marleys Café zum Stehen. Marleys Backwaren und ihr guter Ruf hatten Ian bereits damals im Hauptquartier erreicht.

Das Bimmeln des kleinen Türglöckchens ertönte bei ihrem Eintreten. Unzählige Aromen lagen in der Luft und gaben beiden Gästen eine grobe Idee, was heute auf der Speisekarte stand. Sie fanden Platz an einem Fenster, von dem man das Leben auf der Straße beobachten konnte. Sachmet kuschelte sich unter die Beine eines freien Stuhles. 

Ians Blick schweifte im Raum umher und begutachtete die außergewöhnliche Dekoration, vor der Dave bereits gewarnt hatte. Bilderrahmen verstreuten sich zwischen Hängepflanzen und altmodischen Wandleuchten. Ein dunkler stählerner Rahmen trennte den Raum in mehrere Teile und in einem Regal stapelten sich mysteriös aussehende Maschinen und Automaten. Worum es sich dabei auch handelte: Sie mussten uralt sein. Vermutlich älter als Ians und Daves Lebensjahre zusammengerechnet. 

Schmunzelnd ließ der Argentinier seinen Blick über eine ganze Reihe Miniaturautos gleiten, die auf der Fensterbank hintereinander im Stau standen. Knallige Farben in allen Formen und Größen. Sie waren nicht mit den Gefährten vergleichbar, die mittlerweile die Straßen befuhren.

„Die Einrichtung ist für manche Leute etwas gewöhnungsbedürftig", erwähnte Dave nebenbei. Ian schüttelte den Kopf und löste den Blick von den kunterbunten Fahrzeugen.

*Ich mag es. Es hat etwas besonders*

„Wenn du Genaueres wissen willst, musst du Marley fragen. Sie kann dir bestimmt zu jedem Stück eine eigene Geschichte erzählen."

„Na, wenn das mal nicht Dave ist", ertönte da eine herzliche Frauenstimme neben ihnen. „Hast du heute gar keinen Dienst?"

Als würde man vom Teufel sprechen. Ian hatte die Dame gar nicht bemerkt.

„Hallo Marley!", grüßte Dave zurück. „Nein, ich habe heute und die nächsten zwei Tage freibekommen. Ich habe einen neuen Mitbewohner und wollte ihn herumführen."

Das Gesicht von Marley war deutlich vom Alter gezeichnet, aber hatte nicht ein bisschen ihrer Freundlichkeit verloren. Stattdessen ließen die Grübchen sie umso sympathischer wirken.

„Ach so ist das!", meinte sie interessiert und wandte sich gleichzeitig zu Ian. „Aber ich glaube, wir kennen uns noch nicht, oder? Bist du eine Freundin von Dave?"

Bei dem Wort „Freundin" zuckte Ian irritiert zusammen, bevor er das Missverständnis aufgreifen konnte. Er sah zu Dave, der mit hochrotem Kopf dasaß und sich im nächsten Moment peinlich berührt darum bemühte, die ältere Dame aufzuklären. Bis er die richtigen Worte gefunden hatte, dauerte es ein paar Sekunden.

„Nein, Marley, du verstehst das falsch!", fuchtelte er herum. „Das ist Ian, mein neuer Mitbewohner. Er ist heute eingezogen. Ich kenne ihn... aus der Arbeit."

Marley drehte sich überrascht zu Ian, der ihr trotz Irrtum freundlich entgegenlächelte. Ihre Augen weiteten sich entsetzt, als sie ihren Fehltritt bemerkte. Sie schlug ihre Hand vor den Mund. „Oh nein! Wie peinlich! Das tut mir furchtbar leid, da habe ich einfach so Vermutungen aufgestellt!"

Ian konnte Marley ehrlich gesagt nicht böse sein. Sie war nicht die Erste, die ihm das weibliche Geschlecht zugeschrieben hatte. Er formulierte eine Antwort zu Dave, der die Gebärden kurzerhand für ihn übersetzte.

„Ian sagt, dass alles halb so wild sei. Er freut sich, dich kennenzulernen."

Ein Ansatz von Erleichterung wusch über Marleys Gesicht. „Da bin ich ja froh. Ich bin Marley, aber das hat dir Dave bestimmt schon gesagt."

Ein Scheppern erklang aus der Küche hinter dem Tresen, gefolgt von mehreren Stimmen.

„Oh nein, nicht schon wieder...", murmelte die ältere Dame, bevor sie sich wieder ihren Gästen zuwandte. „Tut mir leid, ich würde gerne noch etwas quatschen, aber die Arbeit tut sich nicht von selbst. Kann ich euch schon etwas zu Trinken bringen?"

Dave bestellte sich das Übliche und gab Ian einige Empfehlungen. Der junge Argentinier entschied sich kurzerhand für eine hausgemachte Eisteemischung. Wenige Minuten später kam eine andere Servicekraft. Sie brachte ihre Getränke und eine elektronische Speisekarte. 

Sie verbrachten den ganzen Nachmittag auf ihrem Platz vor dem Fenster. Ian hatte sogar die Möglichkeit, Marley nach der Einrichtung zu fragen. Es war verrückt, wie sie zu jedem Gegenstand eine eigene Geschichte hatte. Geerbt von ihren Eltern, gefunden auf Second-Hand-Börsen oder bekommen von Freunden. 

Die Zeit verging schnell, wenn Marley ihre Geschichten auspackte. Nach mehreren Stunden erleuchtete ein rötliches Licht die Häuserfassaden der Straße und es wurde von Minute zu Minute dunkler. Nicht nur, weil die Sonne sich dem Horizont neigte, sondern auch aufgrund der Gewitterwolken, die sich Richtung Meer zusammenbrauten. Dave war die letzten Minuten überaus intensiv mit seinem KOM beschäftigt, als er vorschlug zu gehen. Ian vermutete, dass er mit seinem Vater schrieb. Bestimmt etwas Dienstliches, sagte er zu sich selbst.

„Die Getränke gehen auf mich. Keine Widerrede", meinte Marley, als sie zahlen wollten mit einem Augenzwinkern. Jede Form der Beschwerde prallte von ihr ab und so musste Dave sich nur noch um ihr Essen kümmern. Sie verließen das Café in die abkühlende Luft hinaus. Ein kalter Wind fegte ihnen Blätter und kleine Regentropfen um die Ohren, doch zum Glück war ihr Weg zu Daves Wohnung nicht weit.

Nach kurzem Laufschritt standen beide vor der Türe und Dave zückte seine Schlüssel.

Ian trat zuerst in die dunkle Wohnung, gefolgt von Sachmet, die an der Schwelle zum Wohnbereich verharrte und mit intensivem Blick in die Dunkelheit starrte. Ians Augenbrauen zogen sich besorgt zusammen und seine rechte Hand griff unbewusst nach einer Waffe. In der abgedunkelten Wohnung konnte er nur die harschen Schemen der Möbel erkennen. Seine Hand kroch an der Wand nach vorne, fuhr über den Lichtsensor.

Das Licht ging an und ein Knall tönte durch Daves kleine Wohnung.

„Überraschung!!!"

So, die wochenlange Funkstille hat vorerst ein Ende! 
An dem Extra-Kapitel aus Ausgleich für letzte Woche muss ich noch arbeiten. Ich habe den größten Teil schon geschrieben, aber mir fehlen noch kleinere Überleitungen und Gespräche unter den Charakteren. Deshalb bitte ich euch noch ein bisschen um Geduld...

Auch wenn dieses Teil eher ein Füllerkapitel ist, hoffe ich, dass ihr euch auf die Zukünftigen Kapitel freut. 

Dieses Kapitel ist noch nicht Beta gelesen, das wird es aber bald :-)

Vielen Dank fürs Lesen und schönes Wochenende!

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