Stiefvater

29.09.2021

Ausnahmsweise wachte ich an diesem Morgen einigermaßen erholt auf. Ich war wohl gestern müde genug gewesen, um den ganzen Stress der vergangenen Nacht einfach zu vergessen. Trotzdem musste ich mich aus dem Bett quälen. Die Nacht war einfach verdammt kurz. Ich dankte demjenigen, der die Wirkung von Kaffee entdeckt hatte. Und freute mich mal wieder, dass ich eine zuverlässige Kaffeemaschine besaß. Eine gute halbe Stunde nach dem Kaffee stellte ich mein Auto auf dem Parkplatz des Trainingsgeländes ab. Es war noch niemand hier. Dann erinnerte ich mich passenderweise an die Abmachung mit meiner Mutter. Ich nahm mein Handy hervor und begann mit dem Tippen einer Nachricht. ,,Guten Morgen, kommt heute Mittag um 12 Uhr zu der Pizzeria, wo wir das letzte Mal auch mit Papa waren." Meine Mutter schickte mir einen Daumen hoch zurück.

Ich schreckte hoch, als es an der Scheibe klopfte. Mats grinste mir entgegen. Schnell fuhr ich die Scheibe herunter. ,,Was hockst du noch in deinem Auto?", fragte er mich verwundert. Noch bevor ich ihm antwortete, stieg ich aus dem Auto. Der Parkplatz war gut gefüllt. Gemeinsam liefen wir zur Kabine. ,,Ich habe noch mit meiner Mutter geschrieben." Mats runzelte die Stirn. ,,Sie ist hier. In Dortmund." Wir betraten die Kabine. Ich sah Mats an, dass er gerne noch nachgehakt hätte, aber hier war einfach nicht der richtige Ort dafür. Beim Laufen passte er sich irgendwann meinem Tempo an, als er sah, dass ich alleine meine Runden drehte. ,,Was ist los? Alleine, dass sie hier ist, ist es doch nicht, oder?" Ich warf einen prüfenden Blick in alle Richtungen. ,,Sie hat ihren neuen Freund dabei." Daraufhin war selbst ein Mats Hummels erstmal still und wusste nicht was er sagen sollte. ,,Shit.", rutschte es ihm irgendwann heraus. ,,Das kannst du laut sagen." Mats schnaufte einmal tief durch. ,,Okay, dass mag sich jetzt vielleicht für dich doof anhören, aber vielleicht ist es gut so wie es jetzt ist. Zumindest für deine Mutter und dich. Du könntest glaube ich dringend einen liebenden Vater gebrauchen und wenn er deine Mutter liebt, warum dann nicht?" Mittlerweile standen wir wieder vor der Kabine und Mats hatte mir seine Hände auf die Schultern gelegt. Eindringlich sah er mich an. ,,Ich weiß, dass es nicht einfach ist, aber tu dir selber einen Gefallen und versuch es." Ich musste mich zu einem Nicken überwinden.

Zuhause blieb mir nicht viel Zeit mich fertig zu machen, wenn ich pünktlich an dem Restaurant sein wollte. Also entschied ich mich für einen relativ langweiligen Look. Dann machte ich mich zu Fuß auf den Weg zur Pizzeria. Ich sah die beiden schon von weitem vor dem Gebäude auf einer Bank sitzen. Sie hielten Händchen. Das hatte sie mit Papa nie gemacht. Als ich sah, wie die beiden sich küssten, spürte ich wieder die tonnenschwere Last auf meinen Schultern. Sie bete ihn danach gerade zu an. Dann sah meine Mutter mich. Sie sprang auf und kam mir entgegen. Wieder zog sie mich in ihre Arme und drückte mir einen feuchten Kuss auf die Wange. ,,Schön dich zu sehen mein Schatz." Ich überwand mich ihr zur liebe und erwiderte die Umarmung. Wolfgang stand inzwischen neben ihr und begrüßte mich ebenfalls freundlich, umarmte mich aber zum Glück nicht.

Uns wurde ein Platz in einer kleinen Nische zugewiesen, worüber ich ganz froh war. Nachdem wir unsere Getränke bestellt hatten wurde es still zwischen uns. Unangenehm still. Niemand schien zu wissen, was gesagt werden könnte. Schon komisch, immerhin wollte meine Mutter ja unbedingt mit mir essen gehen. Ich blickte auf, weil Wolfgang sich schließlich räusperte. ,,Vielleicht sollte ich dir erst einmal ein bisschen was über mich erzählen, was meinst du? Es ist doch okay wenn ich du sage, oder?" Ich nickte. ,,Ich bin 56 Jahre alt, von Beruf Polizeibeamter und wohne in Zürich. Ich lebe seit mittlerweile 3 Jahren getrennt von meiner Frau, habe einen Sohn, eine Schwiegertochter und eine Enkelin." Das mir mittlerweile viel zu bekannte Gefühl von Überforderung kam wieder einmal um die Ecke. Daran, dass ich eine ganze neue Familie mitbekommen könnte, hatte ich noch gar nicht gedacht. In diesem Moment kam das Essen.

Nachdenklich begann ich zu kauen. Ich wollte früher immer einen Bruder, der mit mir Fußball spielte. Meine Mutter hätte das, so glaubte ich zumindest, auch immer gerne gehabt. Aber bei meinem Vater hatte alles betteln nie etwas genutzt. Das musste für meine Mutter hart gewesen sein. ,,Schatz, ist etwas?" Meine Mutter holte mich abrupt zurück in die Gegenwart. ,,Ähm, klingt interessant. Also dein Beruf. Polizist." Ok, spätestens jetzt hielt er mich wahrscheinlich für komplett durch. Dachte ich zumindest. Aber Wolfgang schien meine gedankliche Abwesenheit gar nicht zu stören. Er lächelte erfreut, als er meine Aussage hörte. ,,Ja interessant ist es auf jeden Fall. Kein Tag ist auch nur ansatzweise wie der andere. Deswegen ist mein Daniel mir auch in den Polizeidienst gefolgt. Aber Profifußballer zu sein ist doch bestimmt auch toll, oder?"

Beim Sprechen kam ihm der stolz aus jeder Pore seines Körpers. Der Stolz auf seinen Beruf und auch auf seinen Sohn. Wieder kam mir mein eigener Vater in den Sinn. Aber ich schob den Gedanken weg, denn ich war ihm ja noch eine Antwort schuldig. ,,Ja, das ist es. Und wie habt ihr euch kennengelernt?" Wieder freute ich mich darüber, dass meine Mutter gerne redete. Ich hörte mir nur die ersten paar Worte an und begann dann ab und zu, hoffentlich zum richtigen Zeitpunkt, zustimmend zu nicken. So zog ich es das gesamte restliche Treffen weiter durch. Und meine Mutter schien es auch nicht zu stören. Mit gemischten Gefühlen ging ich am frühen Nachmittag nach Hause. Und schrieb direkt meinen Tagebucheintrag.

Liebes Tagebuch,

Der heutige Tag war echt komisch. Richtig komisch irgendwie. Ich habe mich wirklich mit meiner Mutter und ihrem neuen Freund Wolfgang zum Mittagessen getroffen. Erst ist nett. Verdammt nett. Ich würde ihn ja gerne gar nicht mögen, aber das wird glaube ich nichts. Er hat einen Sohn Namens Daniel und ist Polizist. Sein Sohn auch. Und er macht Mama glücklich. Und ich glaube, Papa hat das nie gemacht.

Greg

Hey Leute,

Herzlich Willkommen zu diesem neuen Kapitel. Ich bin irgendwie noch voll gehypt von gestern. Wie gehts euch?

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