V. i. s. i. o. n. X.

Ein dumpfes Geräusch war zu hören und als Aurora die Augen öffnete, zuckte sie zurück. In ihr Gesicht schien ein kräftiges, grelles Licht und sie hörte ein Fluchen. Ihr Rücken durchfuhr ein rasender Schmerz, als sie sich aufsetzte. Hastig schnappte sie nach Luft und krallte ihre Nägel in den harten Betonklotz neben sich und spürte wie einige ihrer Nägel schmerzvoll einrissen. Nun war sie diejenige, die fluchte. Mit einem Blitz kehrten auch ihre Erinnerungen zurück und sie stand schnell auf und ignorierte die Woge des Schwindels, welcher sie am Ende doch wieder in die Knie zwang. „Du solltest liegen bleiben.", sagte die Stimme, die zuvor auch geflucht hatte. Es war die Russin, mit welcher sie vorher schon ihre Erfahrungen gemacht hatte. „Du?" Sofort war Auroras Laune im Keller. „Ja ich!", sagte die Russin schlicht. „Wo ist meine Mutter?", fragte nun Aurora hastig und völlig zusammenhanglos. Die Russin schwieg bedrückt und Aurora wich alle Farbe aus dem Gesicht. „Es gab eine Explosion. Die einzigen, die ich retten konnte waren den hier,", sie deutete mit einer ausladenden Geste auf einen noch immer ohnmächtigen Mann, „und dich. Amistra setzt es wohl darauf an, die kleine so schnell wie möglich zu finden. Aus Washington kommt sie jetzt vorerst nicht. Und der König scheut auch nicht weitere Angriffe auf die Stadt." Die Russin hatte sich neben Aurora gesetzt und starrte in die Ferne. Aurora lief eine Träne über das Gesicht und schrie dann einmal verzweifelt auf. Ihre Mutter hatte es nicht verdient ermordet zu werden. Sie war ein so gutherziger Mensch und hätte niemals einer Fliege etwas zu leide getan. „Ich weiß nicht wie du dich jetzt fühlst, aber ich spreche mein Beileid aus..." Die Russin schaute sie nicht an, während sie die Worte mit bedacht wählte. Aurora könnte nur zitternd nicken. Sie hatte ihren Vater getroffen, ihre Mutter das erste Mal wahre Stärke zeigen sehen und beide Elternteile am selben Tag verloren. Noch war es zu viel für die Italienerin alles zu erfassen und zu realisieren. Stattdessen sah sie nun die Soldatin an. „Ich bin Aurora Alice Amico." Das russische Mädchen sah sie nun direkt an. „Feodora Morosow. Ich freue mich deine Bekanntschaft zu machen. Auch wenn die Lage zur Zeit etwas... Misslich ist.", sagte die Russin und Aurora ließ sich den Namen ihrer Gegenüber durch den Kopf gehen. „Freut mich Feodora.", sagte sie ehrlich und die Soldatin nickte. Schweigend sahen die Mädchen sich an. Beide strahlten ihre eigene Art der Trauer aus und beide waren entschlossen sich einander zu helfen. Trotz der Startschwierigkeiten. Trotz der Tatsache, dass Aurora selbst halb amistranisch war. Trotz Feodoras Ruf, der härtesten Soldatin, die nie eine Träne vergoss und nie Gnade zeigte. „Wir müssen sie retten.", sagte Aurora unvermittelt, doch Feodora wusste, wen sie meinte. „Ja müssen wir."
Erst als der bewusstlose Mann sich neben ihnen anfing zu regen wendeten sie ihren Blick voneinander ab. Für Recht, für die Welt, für Amistra und für meine Mutter. Mit diesen Gedanken im Kopf stand Aurora von auf, ignorierte den Schmerz in ihrem Rücken und bückte sich zu dem Mann. „Können sie mich verstehen?", fragte sie in einem nahezu perfekten Englisch. Die Augen des Mannes zuckten und er blinzelte. Als er seine Augen komplett aufgeschlagen hatte starrte er Aurora wie hypnotisiert an. „Bin ich im Himmel?", fragte er stattdessen in das Gesicht des hübschen Mädchens. Feodora fing an zu lachen, doch Aurora war immer noch nicht zum Lachen bereit. „Nein Mister, sie befinden sich in Washington DC, am gesprengten Flughafen.", sagte sie und das Lachen der Russin verstärkte sich. Verwirrt murmelte der Mann einige, für Aurora unverständliche Worte und setzte sich dann auf. Er trug eine Uniform wie Feodora, weshalb Aurora vermutete, dass er auch ein Soldat war. Die kleine Flagge am Oberarm, seiner Uniform zeigte, dass er Amerikaner war. „Wir sollten in ein Krankenhaus... Er blutet am Kopf." Feodoras Lachen verklang. „Ich weiß nicht ob hier überhaupt noch etwas auf hat.", murmelte die Soldatin und besah dabei die Wunde des Soldaten. Noch immer blutete sie und die dunkelrote Flüssigkeit tropfte auf den Boden. Feodora wurde schlecht. Schnell sah sie weg und atmete hastig tief ein, um die aufkommenden Tränen zu verhindern. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Aurora den freien Blick in Feodoras Gedanken, welche wie ein Wirbelsturm in ihr wüteten. Doch eines erfuhr Aurora diesmal sofort: Die starke Russin vor sich hasste Blut. Schnell zog die Italienerin ihre zerissene Strickjacke aus und Band sie dem amerikanischen Soldaten um den Kopf. Dieser zuckte erschrocken zusammen und verzog sein Gesicht schmerzvoll. Sie mussten zu einem Arzt bevor sich die Wunde ernsthaft entzündete. Zwar war Auroras Beruf nicht Arzt, jedoch hatte sie während ihres Jura-Studiums mehrere Erste-Hilfe Kurse belegt. Und dieses Mal war sie verdammt froh deswegen.
Feodora massierte sich die Schläfen, während sie das Gefühl der Übelkeit zu unterdrücken versuchte. Es war egal ob es nun das Blut eines Menschen oder das eines Amistraners war. Blut war Blut und es gab nichts was Feodora mehr fürchtete. Als sie in die Russische Armee gekommen war, hatte sie gehofft diese würde ihr helfen ihre größte Angst zu besiegen. Wenn sie damals nur gewusst hätte, dass es gar nichts bringen würde, wäre sie zu Hause geblieben. Den Ruf den sie sich aus einer Mauer voller Ehrgeiz gebaut hatte, durfte nicht zerplatzen. Rasch griff Feodora in ihre Jackentasche und holte ihr Funkgerät heraus. In diesem Moment wandte sich die Italienerin um und sah Feodora an. Sie konnte es sich nicht erklären, aber sie wusste, dass etwas mit Aurora nicht stimmte. Diese großen Augen, welche jeden so ansahen, als wüsste sie alles. Es war fast schon gruselig, fand Feodora. Sie vergaß völlig das Funkgerät in ihrer Hand, während sie Aurora dabei beobachtete, wie sie aufstand und auf sie zu kam. Erst als Aurora ihr das Funkgerät ab nahm, realisierte sie, wie sie die Italienerin angestarrt hatte. „Was willst du mit meinem...", setzte sie an, würde jedoch heftig von Aurora unterbrochen. „Kann man damit anrufen? In einem Krankenhaus?", fragte sie und schüttelte das altmodische Gerät. „Nein... Ich denke nicht... Aber ein Handy habe ich auch...", stotterte Feodora verwirrt. Aurora sah sie glücklich an, ließ das Funkgerät fallen und hielt ihre Hand hin. Feodora zuckte erschrocken zusammen, als das schwere Plastik laut auf einem Felsen ankam und zersprang. Sofort fluchte Aurora laut auf italienisch auf. „Nicht schlimm, mein Kollege ist wahrscheinlich eh tot...", sagte die Russin, als sich Aurora bückte um die Plastikteile einzusammeln. Aurora seufzte leise. „Tut mir trotzdem Leid" Feodora schüttelte nur den Kopf und drehte sich weg. Davor jedoch drückte sie Aurora jedoch ihr Handy in die Hand. „Lass es diesmal nicht fallen."
Feodora sah nicht mehr, wie Aurora dankbar nickte und hastig eine Nummer in das Handy eintippte. In dem Moment leuchtete ein kleiner Chip in Feodoras Auge auf und sofort verarbeitete ihr Gehirn die eingekommenen Nachrichten.
Der Präsident ist laut Polizeiangaben von Amistra als Druckmittel gegenüber Marissa Lyvia Blackfield benutzt worden. Das Weiße Haus ist bis auf weiteres von Amistra besetzt. Die Truppen der Russischen Armee sind nach dem Angriff am Flughafen sehr geschwächt. Verzeichnete Tode finden sie jetzt im Anschluss.
Feodora las sich die Namen rasch durch, bis sie einen Namen erblickte. „Was...?", murmelte sie überrascht auf russisch. Aurora sah sie fragend an. Die Russin schüttelte ungläubig den Kopf und ordnete ihre Gedanken neu. Dann sah sie noch einmal auf die Liste. Doch es war wahr.
Mit großem Bedauern müssen wir auch den Tod einer weiblichen Soldatin beklagen. Wir sind in Gedanken bei ihr. Unser Sehen geht hinaus an Feodora Morosow...

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1253 Wörter

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