V.i.s.i.o.n. VI.

Die dumpfen Schritte im Gras waren kaum zu hören. Sie schlich durch den Garten, darauf bedacht bloß nicht in die Fängen der vielen Kameras zu kommen. Sie musste hier weg, fürs Erste. Ganz leise schlich sie auf den Rosengarten zu, der einst ihrer Mutter gehört hatte, doch kurz bevor sie in dem kamerasicheren Gelände ankam, wurde Marissa an der Schulter gepackt. Erschrocken schrie sie auf und wirbelte herum. Doch es war nur Jason, der sie wieder einmal mit seinem ernsten Gesichtsausdruck begutachtete. „Wenn du schon abhauen willst, würde ich dir nicht gerade empfehlen bei helllichten Tag hier herumzuschleichen." „Ich will nicht abhauen... Nur einmal ohne Aufsicht in den Rosengarten meiner Mutter.", log sie und schaute ihn dabei störrisch in die Augen. Jason seufzte. „Das hat dir Mirá eingeredet, oder?" Marissa schüttelte den Kopf. „Nein... Da bin ich ganz alleine drauf gekommen." Mutig griff sie nach den Riemen ihres Rucksackes, den sie sich gepackt hatte. „Okay, gehen wir davon aus, du willst nur in den Rosengarten, warum hast du dann diesen Rucksack?" Jason hatte sie durchschaut, das tat er immer. Er kannte sie einfach zu gut, war ein zu guter Freund. „Verrat mich nicht, bitte." „Aber ich kann dich auch nicht einfach gehen lassen.", murrte er. „Bitte. Ich muss hier weg. Irgendwo hin, wo sie mich nicht finden. Wenn sie ankommen, werden sie das weiße Haus schneller stürmen, als du 'Amistra' sagen kannst.", flehte sie ihn an. Jason rang mit sich selbst. Er hatte den Auftrag, dafür zu sorgen, dass sie nicht fliehen würde, aber gleichzeitig wusste er, dass Marissa Recht hatte. Sie war mutiger als die letzten Male. Mirá musste ihr irgendetwas in den Kopf gesetzt haben. „Geh wieder in dein Zimmer und pack am Besten noch einmal um. Wir fliehen, wenn die Sonne am tiefsten Punkt des Tages steht. Ich komme zu dir und muss dir auch noch Waffen besorgen. Und bitte erfülle mir den Gefallen und schreibe deinem Vater einen Abschiedsbrief." Marissa nickte eifrig und umarmte ihn stürmisch. „Danke, danke, danke." Jason wusste, dass er sämtliche Regeln brach und Befehle missachtete. Aber Marissa war wie eine kleine Schwester für ihn. Er musste nur jedes Mal an die Tiefe Freundschaft denken, die ihre und seine Mutter gehegt hatten und er wusste, dass es bei Marissa und ihm nicht anders war und er ihr keinen Wunsch abschlagen konnte. „Verrat mir aber bitte eins... Wieso die ganze Aktion ohne Mirá?" Marissa zog unbehaglich die Schultern hoch. Jason zog ärgerlich die Brauen zusammen und schüttelte den Kopf. „Du hast doch nicht ernsthaft gedacht, dass du das alleine schaffst! Dir hätte bloß ein Verbrecher in die Quere kommen müssen und du wärst erledigt!" Jason wusste, dass er sich gerade zu sehr in diese Situation hinein steigerte. Doch allein der Gedanke, dass Marissa sterben würde zerriss ihm das Herz. Diese zog peinlich berührt die Schultern hoch und umfasste ihren dünnen Körper mit ihren Armen. „Ich dachte, dass ihr mich sowieso davon abhalten hättet wollen." „Ich denke, ich hätte das getan, aber Mirá eher nicht" Marissa schmunzelte über Jason's verzweifelten Gesichtsausdruck. „Komm jetzt erstmal mit in das Haus. Ich sag auch Mirá bescheid, wenn du das magst." Marissa nickte rasch und folgte Jason. Die Eingangshalle, hier war sie schon lange nicht mehr gewesen. Meistens ging sie durch zahlreiche Hintertüren aus dem Haus. Jedoch sah die Halle im Gegensatz zum letzten Mal sehr schmutzig aus. Auf dem Boden lag Schmutz und überall wo sich die Gelegenheit bot, lag Staub. Ihr Vater hatte nach der Drohung der Amistraner sämtliche Bedienstete entlassen. Und genau so sah es in der Eingangshalle aus.
Marissa eilte Jason hinterher, welcher bereits die Treppen hinauf gelaufen war. Sie kam an einer Reihe Portraits vorbei, die die Präsidenten und Präsidentinen der letzten Jahren zeigten. Vor ihrem Vater war es eine Frau gewesen, Lisa Midnights. Arrogant lächelte ihr die Blondine entgegen. Sie hatte sie nie leiden können. Schnell ging sie weiter, vorbei an dem Portrait ihres Vaters, der sie lebensfroh anlächelte. Doch dieses Lebensfrohe war schon so lange her. Sie kehrte auch diesem Foto den Rücken zu und huschte in ihr Zimmer. Jason wartete bereits auf sie und nahm ihr schnell den Rucksack ab. „In zwei Stunden komme ich dich abholen. Bis dahin gebe ich Mirá bescheid und melde mich vom Dienst ab." Marissa nickte und schenkte ihm schnell eine Umarmung, dann ging er. Zu erst setzte sie sich an ihren Schreibtisch und nahm sich einen Block und einen Stift zur Hand. Zehn Minuten saß sie vor dem Abschiedsbrief, bis sie sich aufraffte, etwas zu schreiben.

Ich muss gehen. Ich weiß, dass du alles für mich getan hättest, um mich zu beschützen, aber hier bin ich nicht sicher. Das weiße Haus wird ihr erstes Ziel sein. Ich bin in Sicherheit und einer der stärksten Soldaten begleitet mich. Du sollst wissen, dass ich immer an dich denke. Mom wäre so stolz auf dich, wenn sie dich jetzt sehen würde. Ich habe dich lieb Dad, aber ich muss gehen. Ich habe schon genug Leben auf dem Gewissen, deines soll nicht dazu gehören.
Bis bald, in einer neuen Welt. Hab dich lieb,
Marissa

Schwungvoll riss sie das Blatt aus dem Block und unterdrücke die Tränen, welche ihr drohten in die Augen zu schießen. Sie war zu so einer Heulsuse die letzte Zeit motiert! Energisch knallte sie das Papier auf ihren Nachttisch und ignorierte dabei das scherzhafte Kribbeln welches sich ihren Arm hinauffraß. Marissa stand auf und kippte ihren Rucksack noch einmal aus. Unterwäsche, Kleidung, Konversen, Verbandszeug und die Pistole lagen nun auf ihrem Bett verteilt. Bevor sie es wieder einpackte schloss sie noch rasch die Tür zu. Dann schaute sie sich ihre Kleidung an. Eine schwarze Jeans aus einem festen Stoff, ein dunkelgrünes T-Shirt, über dem sie noch einen dicken grauen Pullover trug und ein paar Chucks, welches sie sich eher gehetzt als überlegt angezogen hatte. Wenn sie jetzt nachdachte, erschienen sie ihr als eher unpraktisch. Deshalb zog sie sich diese aus und kramte in ihrem Schuhregal zwischen Sneakers und Lackschuhen ein paar noch fast unbenutzte wasserfeste Turnschuhe heraus und zog sie sich an.  Ihre Sachen packte sie überlegt wieder ein und legte am Ende noch ein kleines Taschenmesser und eine Packung Feuerzeuge dazu. Sie hörte bereits die Schritte, die sich vom Gang auf ihre Tür zu bewegten. Kurz darauf klopfte es auch und die Stimme der obersten Saaldienerin ertönte an der Tür. „Dein Vater schickt mich. Du sollst zu ihm.", sagte sie und Marissa spürte wie sich rasch Adrenalin in ihrem Körper verteilte und ihr Kiefer unangenehm zog. „Ich komme sofort." Sie schob ihren Rucksack unter ihr Bett und schloss dann mit einem leisen klicken die Tür auf. Vor ihr stand nun die große schmal gebaute Asiatin Miss Lin, die Saaldienerin des weißen Hauses. Miss Linn musterte Marissas Outfit kritisch. „Ich wollte Sport machen...", sagte Marissa rasch um Fragen auszuweichen. Miss Lin nickte misstrauisch und trat zur Seite. Bevor Marissa aus dem Zimmer trat warf sie noch rasch einen Blick aus dem Fenster. Sie erschrak, denn die Sonne stand bereits kurz vor dem Horizont. Bitte lass ihn mich nicht stundenlang aufhalten...

.......

Hallo!
Der 6. Teil der Geschichte, ich hoffe es gefällt euch. Anzahl der aktuellen Wörter: »1193«
MFG
~A

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top