~Kapitel 14~
War ich der Annahme gewesen, dass Morticia sich wieder netter gegenüber mir verhalten würde, seit unserem Gespräch gestern Abend? Ja, davon war ich ziemlich überzeugt gewesen, doch genau das Gegenteil war der Fall gewesen. Jetzt ignorierte sie mich die meiste Zeit und sprach nur noch das allernötigste mit mir.
Hatte sie etwa Angst, dass ich sie für schwach hielt, als sie fast geweint hatte?
Nein, das wäre doch schwachsinnig, immerhin weinte jeder Mensch einmal, daran konnte es nicht liegen.
Vielleicht wollte sie einfach nicht weiter mit mir zusammenarbeiten, nachdem sie mir erzählt hatte, warum sie Menschen so verabscheute? Das machte auch keinen Sinn, dann hätte sie mich auch einfach Niederschlagen können und verschwinden können, sowie Matrep.
„Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass ihr das unangenehm war, was sie zu dir gesagt hat", schlug ein Stimmchen in meinem Kopf vor, „deswegen hat sie vermutlich auch so schnell das Thema gewechselt."
Das wiederum würde Sinn machen, aber wieso war es Morticia unangenehm, dass sie das gesagt hatte?
Ich seufzte auf, beugte mich nach vorne und tätschelte Rickys Hals. „Wollen wir galoppieren?", fragte ich. Meine Begleiterin nickte nur und gab Nyx die Galopphilfe. Kopfschüttelnd preschte ich ihr hinterher. Sie hätte ja mal wenigstens mit Ja antworten können. Während wir dahin galoppierten ließ ich meinen Blick über die Landschaft gleiten. Über unsere ganze Reise hinweg hatte sich die Landschaft ziemlich verändert. Am Anfang waren wir noch über sanfte Hügel galoppierte, jetzt sah man am Horizont ein riesiges Felsmassiv und der Anstieg wurde immer steiler. Irgendwann parierten wir wieder durch und ich stellte eine Frage, die ich schon lange stellen wollte: „Wo ist Colums Festung eigentlich?" Morticia antwortete mal wieder nicht und deutete wortlos auf das Felsmassiv am Horizont. Ich rollte mit den Augen. Langsam nervte es mich, dass Morticia nicht mit mir sprach.
Im Schritt ritten wir nebeneinander her und meine Gedanken zogen zu meiner Familie. Meine Mutter war bestimmt schon krank vor Sorge, hoffentlich hatte meine Oma ihr die Wahrheit gesagt. Ob die beiden wohl ein Lebenszeichen von meinem Vater erhalten hatten?
Mein Herz zog sich zusammen, ich vermisste ihn so sehr. Eines nahm ich mir fest vor, wenn ich Colum besiegen würde, würde ich Terra bitten, mir zu sagen, ob mein Vater noch lebte. Als Göttin müsste ihr so was ja eigentlich möglich sein, oder etwa nicht?
Irgendwann stieg Morticia einfach vom Pferd und begann ihre Stute zu versorgen. Auf meinen fragenden Blick hin, redete sie heute die ersten drei Sätze mit mir: „Es wird bald dunkel. Außerdem müssen sich die Pferde ausruhen, wenn wir morgen den Rest der Strecke zurücklegen wollen. Am Samstag schleichen wir uns in Colums Festung" Ich nickte zustimmend und saß ebenfalls ab.
Und dann passierte alles auf einmal. Die Erde begann zu beben und die Pferde gerieten in Panik. Von der Felswand aus, neben der wir unser Zelt aufgebaut hatten, kamen Steine hinunter. Ich musste meine ganze Kraft aufwenden, damit Ricky sich nicht losriss.
Angst erfüllte mich, wenn uns einer von den Steinen traf konnte er erhebliche Schäden hervorrufen. Irgendwann hörte das Beben auf und ich konnte Ricky beruhigen. Mit zittrigen Fingern band ich meine Stute an. Suchend drehte ich mich nach Morticia um. „Morticia!" Panik erfasste mich, als sie nicht antwortete. Doch dann, sah ich schwarze Haare, begraben unter einem Berg an Steinen.
Oh nein, warum hatte ich nicht besser aufgepasst, wenn wir zusammengeblieben wären, dann wäre so etwas nicht passiert!
Hastig lief ich zu ihr und begann die Steine von ihr zu bewegen. Mit ganzer Kraft zog ich an einem großen Stein. „Was machst du da?", ertönte eine Stimme hinter mir und ich drehte mich ruckartig um. Morticia stand vor mir, ihr elektrisierend blauen Augen musterten mich scharf. „Ich dachte, du wärest unter den Steinen da begraben", sagte ich und ein Schluchzen entwich meiner Kehle. „Warum hast du nicht direkt etwas gesagt?", wollte ich wissen und Tränen rannten über mein Gesicht. Mein Blick glitt wieder zu den Steinen. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Haare gar nicht menschlich aussahen, sondern wie die eines Tieres.
Morticia antwortete mir nicht, stattdessen kam sie mit zwei großen Schritten auf mich zu gelaufen und nahm mich in den Arm. „Es tut mir leid, ich hätte dich nicht einfach mitten in dem Erdbeben stehen lassen sollen", murmelte sie. Ich versuchte zu nicken, doch es gelang mir nicht. Zu tief saß noch der Schock. „Komm, wir gehen ins Zelt, es wird beachtlich kühl", schlug Morticia vor und lächelte mich an. Schweigend folgte ich ihr.
Später am Abend, nachdem ich mich wieder beruhigt hatte fragte ich Morticia: „Warum hast du mich den ganzen Tag ignoriert? Ich würde niemals jemand davon erzählen, was du mir gestern erzählt hast." „Ich weiß, dass du es niemandem erzählen würdest, deswegen habe ich es dir überhaupt erzählt", sagte sie, doch meine Frage beantwortet sie nicht. Ich seufzte und bohrte nicht weiter nach. Dieses Mädchen war mir wirklich ein Rätsel.
Warum redete sie nicht einfach mit mir?
Der nächste Tag glich dem Tag zu vor, nur mit dem feinen Unterschied, dass Morticia zumindest ein paar Sätze mit mir redete. Ich verstand es einfach nicht. Erst war sie die Unfreundlichkeit in Person gegenüber mir dann war sie auf einmal total nett und jetzt redete sie nur noch so viel, wie nötig. Den ganzen Tag, beschäftigten mich solche Gedanken. Am Abend schlugen meine Gedanken dann einem anderen Weg ein. Langsam begann ich mir sorgen zu machen, ob wir wohl noch rechtzeitig zu unserem Ziel gelangen würden. Wir hatten zwar noch den ganzen morgigen Tag, aber ich wusste nicht, ob die Zeit reichen würde, um zu Colums Festung zu gelangen. Ich wusste ja nicht mal, wie weit es noch war. Morticia hatte zwar gesagt, dass die Festung im Felsmassiv liegen würde, doch es kam mir vor, als würde das Massiv noch weiter als einen Tagesritt entfernt liegen.
„Meinst du wir schaffen es bis Sonntag zur Festung?", fragte ich in die Stille hinein und warf einen Seitenblick zu meiner Begleiterin. Diese saß in ihrem Schlafsack und las. Sie blickte auf und klappte ihr Buch zu. „Ich denke schon, dass wir es schaffen. Wenn wir uns beeilen, müssten wir es bis morgen Nachmittag schaffen." Ich nickte kurz und dann kam mir ein neuer, beängstigender Gedanke. „Wie sollen wir Colum eigentlich besiegen? Immerhin sind Götter doch unsterblich oder etwa nicht?" „Eigentlich schon, doch es gibt einen Weg sie zu töten. Ich weiß nicht, kennst du Achill, aus der griechischen Mythologie? Er badete im Styx und war unverwundbar, bis auf seine Ferse, diese blieb sein verwundbarer Punkt. Und bei Terra und Colum ist es genauso. Terra musst du den linken Fuß abschneiden und Colum den Kopf, dann sind sie beide tot", erklärte Morticia und wandte sich ihrer Lektüre wieder zu.
Ich brauchte einen Moment um zu verarbeiten, was ich gerade gehört hatte. Doch als ich realisierte hatte, war in meinem Kopf nur noch ein schrecklicher Gedanke:
Ich muss töten.
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