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· Lux, lucis (f) ·
Lat. das Licht

× × ×

Während Newt mir von den letzten 3 Jahren seines Lebens erzählt, bekomme ich mehr und mehr das dringende Bedürfnis, meinen Kopf gegen die nächste Wand zu schlagen.

Labyrinth? Griewer? Frischlinge? Was?!?

Das klingt doch alles total unrealistisch!
Aber dafür kann ich ihn wohl kaum verurteilen. Als ob meine Story besser wäre...

Als er endet, ist es eine lange Zeit mucksmäuschenstill, nur unsere Atemzüge und das leise Gegacker von weit entfernten Cranks ist zu hören.

"Ich hasse ANGST auch",
flüstere ich leise. Dann drehe ich mich zur Wand und ziehe mir die Decke über den Kopf, als wolle ich mich vor der Welt verstecken; doch ich weiß, dass dies nicht so einfach ist. Das Schicksal findet einen immer, genauso wie ANGST. Früher oder später.

Von Newt bekomme ich keine Antwort mehr.

× × ×

A

m nächsten Morgen werde ich von einer hektischen Jungsstimme geweckt, die immer wieder "Hey!" schreit.

"Hallo",
murmel ich sarkastisch zurück und schlage mir die Hände vors Gesicht. Mann, bin ich müde...

"Da sind Cranks!",
dringt es dumpf zu meinem übermüdeten Gehirn durch und schlagartig reiße ich die Augen auf.

"Was?!",
japse ich und springe im nächsten Moment ruckartig auf die Beine. Wie auf Knopfdruck schießt das Adrenalin durch meine Adern und meine Sinne arbeiten auf Hochtouren, so wie immer, wenn ich mich in einer Gefahrensituation befinde.
Nun höre ich es auch: Das leise Tappen schwerer Schritte vor der Türe, gefolgt von irrem Gekicher. Jemand drückt die Klinke herunter, doch wir hatten ja gestern Nacht glücklicherweise abgeschlossen. Der Crank lacht heiser auf.

"Guuuuten Morgen!",
gurrt er und schlägt gegen die Tür, dass die Angeln nur so quietschen. Ich schultere hastig meinen Rucksack und öffne in einer fließenden Bewegung das Fenster. Newt sieht mir mit zweifelnder Miene dabei zu, beschwert sich aber nicht und äußert auch keine Kritik. Ich setze mich auf die Fensterbank und will schon die Beine hinausschwingen, werde im letzten Moment aber daran gehindert.

"Lass mich vorgehen und schauen, ob die Äste halten",
meint Newt mit ernster Miene.

Will er jetzt etwa den Beschützer raushängen lassen? Ich schüttel den Kopf und klettere auf den kleinen Vorsprung vor dem Sims.

"Damit ich gefressen werde? Nein danke!",
sag ich und strecke ihm die Zunge heraus, um meinen Worten den Ernst zu nehmen. Ohne auf eine Rückmeldung zu warten hantel ich mich langsam an der Hausmauer entlang, bis ich schließlich einen der Äste zu fassen bekomme. Sie waren anscheinend regelmäßig abgeschnitten worden, damit die Enden nicht die Fasade zerkratzen, und somit dicker als normale Zweige.

Noch einmal prüfe ich meinen Griff, dann lasse ich mich nach vorne fallen und baumel für einen Moment hilflos in der Luft, der Ast schwankt gefährlich stark auf und ab. Dann aber klettere ich weiter und spüre im nächsten Moment schon einen stärkeren Nebenast unter den Füßen, auf den ich mich stellen kann und grinse triumphierend. Ich habe schon ganz andere Dinge überstanden, für mich ist das hier nur ein Tropfen auf heißem Gestein.

Newt kommt ebenfalls ins Freie geklettert und tastet sich am kleinen Vorsprung entlang. Schon streckt er die Hand nach dem ersten Geäst aus, da fasst plötzlich eine Hand aus dem Fenster und packt ihm am Kragen. Newt schreit erschrocken auf und fuchtelt mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, gleichzeitig schlägt er wie wild auf den narbenübersähten Crankarm ein und versucht sich aus dem Griff zu winden.
Verdammt! Was soll ich jetzt tun?

In einer fließenden Bewegung lasse ich meinen Rucksack vom Rücken gleiten und krame hektisch darin herum. Schließlich finde ich, wonach och gesucht habe: eine Pistole.

Ich nehme das Killerinstrument in die rechte Hand und ziele damit auf Newt, der gerade durchs Fenster gehoben wird.

"Runter!",
brülle ich und keine Sekunde später drücke ich ab. Hoffentlich hat der Typ eine gute Reaktion, ansonsten...

Ein schriller Schrei ertönt, dann verschwinden die entstellten Hände an Newts Genick und er kommt frei. Schwer atmend klettert er abermals auf den Vorsprung und tastet sich eilig zum Baum nach vorne, strauchelt dabei ein paar Male.

"Ganz ruhig!",
rufe ich ihm zu und als er den Kopf dreht, wachel ich mit der Pistole um ihn zu zeigen, dass ich ihn sichere. Er nickt verständlich und geht nun langsamer, dafür viel sicherer vor. Die ganze Zeit über behalte ich das Fenster im Auge, doch entweder habe ich den Crank tödlich erwischt oder aber er hat eingesehen, dass es hier nichts mehr zu holen gibt, denn er lässt nich nicht mehr blicken. Als der Blonde schließlich keuchend neben mir am Ast hockt, stecke ich die Waffe in meine Manteltasche und beginne langsam den Abstieg. Verdutzt sieht er mir hinterher.

"Willst du nicht irgendwie... warten?",
fragt er und hustet ein paar Male. Ich schüttel bestimmt den Kopf.

"Der Schuss hat wahrscheinlich alle Cranks im Umfeld von keine Ahnung wie vielen Metern verständigt. Wenn du nicht willst dass wir hier wie die Katzen am Baum hocken und Zombiehunde unten am Stamm sitzen und uns anhecheln, würde ich dir raten, abzuhauen",
sage ich und überwinde die letzten Meter mit einem waghalsigen Sprung. Newt gibt keine Antwort, klettert dann aber ebenfalls langsam abwärts. Doch vor dem letzten Sprung scheut er sich.

"Ich hab 'ne Verletzung am Knöchel. Dann kann ich gar nicht mehr laufen",
meint er und lässt unruhig die Beine baumeln. Fragend ziehe ich die Augenbrauen zusammen.

"Aja? Davon hab ich bisher nichts gemerkt",
meine ich nur und zucke mit den Schultern. Dann ertönt das erste Lachen.

Drei Cranks kommen um die Ecke getorkelt, der eine hat eine hässliche Wunde an der Wange. Vermutlich hat meine Kugel ihn dort getroffen.

Sabbernd kommen sie auf mich zugewankt.

"Guuuuten Morgen!",
lallt das Trio und ich krame hektisch nach meiner Waffe. Mit einem dumpfen Aufprall kommt neben mir jemand auf, rappelt sich hoch und zerrt mich eilig einige Meter nach hinten. Newt war also doch gesprungen; braver Junge.

Ich ziele und treffe den ersten Crank im Knie, der daraufhin ächtzend zu Boden geht. Seine Freunde beachten ihn nicht wirklich und steigen einfach über ihn drüber, in ihren Augen glitzert Gier und Wahnsinn.

"Renn!",
schreie ich und setze mich im selben Moment in Bewegung. Zusammen sprinten wir die Straße entlang, die Cranks haben sich dicht an unsere Fersen geheftet und laufen wie die Affen auf allen vieren hinterher.

Immer wieder werfe ich einen Blick über die Schulter, nur um feststellen zu müssen, dass sie näher gekommen waren und vor allem: dass sie sich vermehren. Aus zwei wird vier, dann sieben und schließlich zähle ich ganze zehn Cranks, jeder mindestens im Übergang zum vierten Stadium und abgemagert bis auf die Knochen.

Wir sprinten gerade um die Ecke, als Newt auf einmal ruckartig stehen bleibt und ich somit volle Kanne in ihn hineinknalle. Fluchend stolpere ich zurück, werde aber sofort am Handgelenk gepackt und seitlich in eine Gasse geschupst. Newt zieht mich ruckartig hinter einen großen, umgekippten Müllcontainer, und ehe ich auch nur einen Pieps herausbekomme, presst er mir eine Hand auf den Mund und drängt mich in die Ecke zwischen Wand und Container. Ich spüre seinen heftigen Herzschlag, so dicht steht er bei mir, er hält den Atem an und zittert sogar ein wenig. Schwere Schritte brausen an uns vorbei, verwirrte Flüche werden ausgestoßen und verklingen langsam in den Straßen, bis schließlich wieder Ruhe einkehrt und alles still und verlassen daliegt.

Newt atmet tief ein und aus, dann macht er einen zögernden Schritt zurück und gibt mich somit frei. Ich weiche seinem bohrenden Blick bewusst aus und spähe stattdessen die Straße hinter.

"Die Luft ist rein",
sage ich monoton. Aus dem Augenwinkel sehe ich sein Nicken. Doch ehe ich aus der Gasse treten kann, hält er mich an der Schulter fest.

"Wohin gehen wir eigentlich?",
fragt er leise und mustert mich dabei aufmerksam mit seinen dunkelbraunen Augen. Ich zucke bloß mit den Schultern.

"Wir suchen deine Familie, schätze ich mal",
murmel ich und sehe ihn dabei direkt an. Er lacht bitter auf.

"Ja, suchen wir meine Familie. Ich würde sie zu gerne einmal kennenlernen."

Die traurige Note in seiner Stimme ist nicht zu überhören. Mir kommt in den Sinn, was er mir gestern Abend erzählt hat; dass er keinerlei Erinnerungen an sein Leben vor dem Labyrinth hätte. Also auch keine an seine Familie? Seine Freunde? Verwandte? Bekannte?

Naja, besser so, als zu wissen dass sie alle tot sind oder als halb verweste Zombies durch die Welt geistern.

"Naja, zu wem willst du denn?"

"Zum Rechten Arm."

Nun bin ich es, die sarkastisch auflacht.

"Nicht dein Ernst!"

Verwirrt sieht er mich an.

"Warum?"

"Was willst du dort?",
stelle ich die Gegenfrage und verschränke bockig die Arme vor der Brust.

"Dort sind meine Freunde. Denk ich mal",
nuschelt er, dabei huscht ein zweifelnder Ausdruck über sein Gesicht. Ich seufze und verdrehe die Augen.

"Dann halt zum Rechten Arm. Hauptsache du bleibst am Leben."

Wieder will ich mich zum gehen wenden, aber mein Begleiter hat da anscheinend andere Pläne. Er stellt sich breitbeinig vor mich und versperrt mir somit den Weg.

"Warum hilfst du mir eigentlich? Du kennst mich ja gar nicht",
sagt er und ich meine Misstrauen in seinem Blick zu erkennen. Unbeeindruckt ziehe ich die Augenbrauen hoch und recke das Kinn in die Höhe.

"Bisher sind alle, denen ich geholfen habe, innerhalb kürzester Zeit wieder verreckt. Bei ein paar hab ich es nochmal versucht, aber sie sind allein schon am zweiten Heilungsprozess innerhalb zehn Minuten gestorben. Ich will nur einen einzigen das Leben retten, bevor ANGST mich erwischt und mir das Blut aus den Adern melkt, oder mich ein Crank frisst. Einen einzigen, und das bist zufälligerweise du. Also jammer nicht rum und lass dir helfen."

Mir diesen Worten schlüpfe ich an Newt vorbei und gehe, ohne mich nach ihm umzusehen, die Straße entlang.

× × ×

Es ist dunkel und still, nur leise höre ich das Gekicher von Cranks in der Ferne. Wir waren auf einem Flachdach gelandet, die Leiter hinauf haben wir hochgezogen und sind somit cranksicher abgeschottet.
Ich liege auf dem Rücken, meinen Rucksack habe ich unter meinen Kopf geschoben, und blicke so hinauf in den sternenklaren Himmel.

Als kleines Kind habe ich früher immer gedacht, dass jeder Stern dort oben ein Diamamt wäre, der allein wegen seiner Schönheit leuchtet. Ich habe mir jahrelang nichts sehnlicheres gewünscht als einen dieser Diamanten zu besitzen, damit ich immer ein Licht habe, falls es mir zu dunkel wird. Meine Mutter hat mir daraufhin ein breites Lederarmband geschenkt, in das sie einen Mondstein eingeflochten hat, und dazu gemeint, damit könnte ich die Sterne bändigen.

Ich hänge nicht unbedingt sehr daran, wie viele Leute an typischen Erinnerungsgegenstände wie Ketten oder eben Armbändern ihrer Nächsten hängen, doch abgelegt habe ich es bisher trotzdem noch nie. Manchmal kommt es mir so vor, als würde der Mondstein in gewissen Situationen aufleuchten, als würde er mir den richtigen Weg zeigen wollen. Wenn er im Licht bläulich schimmert, kommen mir Bilder meines früheren Lebens in den Kopf; das beruhigt mich auf gewisse Weise.

Ich trauere nicht - schon lange nicht mehr - doch ich denke doch immer wieder gerne zurück an das, was einmal war.

Newt liegt einige Meter entfernt von mir und wälzt sich unruhig hin und her. Er hat keinen provisorischen Polster so wie ich, sondern muss sich auf seine Arme stützen und scheint beim besten Willen keine gemütliche Schlafposition finden. Ich stöhne genervt auf und schieben ihm meinen Rucksack hin.

"Schlaf da drauf, bei dem Krawall kann keiner pennen",
murre ich und drehe ihm den Rücken zu.

Newt murmelt einen schwachen Protest, doch dann höre ich das Knistern des Stoffbeutels und kurz darauf wird es still. Na geht doch...

"Ähm, eine Frage mal...",
stottert er leise in die angenehme Stille hinein. Ich schnaube auf und blicke über meine Schulter zu ihm hinüber. Im Mondlicht wirken seine Augen noch dunkler als sonst, sein verstrubbeltes, köterblondes Haar schimmert silbrig.

"Wie heißt du eigentlich?"

Ja, da kommt er ja früh auf die Idee, mich nach meinem Name zu fragen. Ich lache leise auf und drehe mich ganz zu ihm, richte meinen Oberkörper etwas auf und stütze meinen Kopf in die Hand.

"Ich habe viele Namen",
flüstere ich ihm zu und versuche meine Stimme möglichst geheimnisvoll klingen zu lassen, dabei grinse ich schief. Dann wende ich mich wieder um und schmiege mich in meine eigene Handfläche.

"Ernsthaft jetzt, wie heißt du? Also wirklich, nach deinen Eltern",
fragt Newt weiter. Ich seufze nur laut, antworte aber nicht.

Eine warme Hand legt sich auf meine Schulter und ich zucke erschrocken zusammen. Knurrend rolle ich mich zur Seite, aber Newt rutscht nach, schleift den Rucksack dabei hinterher.
"Ich werde dich so lange nerven, bis du es mir sagst",
sagt er mit schelmischem Grinsen und ich fauche ärgerlich auf. Sind wir hier im Kindergarten oder was? Wieder antworte ich nicht auf seine Frage und drehe dem Blonden demonstrativ den Rücken zu.

"Sag du mir doch deinen echten Namen",
gifte ich ihn an und er bleibt still.

Das hat ihn anscheinend getroffen; denn was ich mich erinnern kann, erinnert er sich nicht an seinen echten Namen. Okay, das war gemein...

Schuldgefühle machen sich in mir breit und ich wälze mich zögernd wieder herum. Newt liegt immer noch mit dem Gesicht zu mir, doch er hält den Blick auf seine Hand gesenkt, welche nachdenklich mit einem kleinen Stein herumspielt. Die andere hat er unter den Kopf verschränkt.

"Denk dir meinetwegen was aus",
flüstere ich leise, meine Unsicherheit ist deutlich herauszuhören.

Ein letztes Mal noch drehe ich mich, dann kneife ich die Augen zu und lasse mich von der Müdigkeit übermahnen.

Langsam werden meine Atemzüge gleichmäßiger, meine Sinne dämmern ein und ich spüre die wohlige Benommenheit des Schlafes durch meine Glieder kriechen.

"Lux",
haucht Newt, doch ich drifte bereits ab und falle in einen wohlverdienten, tiefen Schlaf.

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