》18《
"WAS?!"
Es ist still.
Tief in mir drin, ganz tief, unter der harten Schale, bestehend aus Angst, Panik und Verzweiflung - alles Emotionen, welche mich gerade auf den Grund hinunterzerren wollen - bin ich ruhig. Ruhig wie ein Toter.
Jedes Dump-dump meines Herzschlags hallt durch meine leere Hülle wie ein Echo und füllt mein Inneres aus, meine Fingern zittern durch den Hall. Oder ist es doch die Nervosität, welche mich schlottern, mich vibrieren lässt, dass die ganze Welt plötzlich doppelt und dreifach erscheint? Und es kann doch unmöglich die Hitze sein, welche meine Kehle von einem Moment auf den anderen plötzlich ausdorrte, sodass mein Speichel plötzlich in meinem Hals brennt wie zähes Gift? Auch meine Lungen verweigert mir den Dienst, das Atmen wird zum Kampf, so schwer erscheint es mir auf einmal.
"Was?",
sage ich noch einmal, meine Stimme klingt piepsig und gleichzeitig rau wie Sandpapier. Oskar zieht die buschigen Brauen zusammen und mustert mich abschätzend.
"Alles okay?"
fragt er, so strohdumm, wie er nun einmal ist.
Das brachte das Fass letztendlich zum überlaufen. Mit einem leisen Schrei Stürme ich vorwärts, meine Hände legen sich um seinen Hals und ich presse ihn gegen einen alten, ausgetrockneten Baum, welcher unter der schweren Last protestierend aufknackt. Der Junge japst erschrocken auf und versucht sich aus meinem Griff zu befreien; vergebens. Viel zu stark ist das Adrenalin, welches gerade durch meine Adern pumpt und meine zarten Finger zu schraubstockähnlichen Klauen verwandelt.
"HALTE SIE SOFORT AUF!",
brülle ich Oskar von zwei Centimeter Entfernung ins Gesicht, man kann förmlich erahnen, wie der Köter in ihm die Ohren anlegt und feige den Schweif einzieht. Obwohl er einen Kopf größer ist als ich, schrumpft er plötzlich auf die Hälfte zusammen. In seinen Augen flammt Angst auf, doch dies kümmert mich wenig.
"Ich... ich kann nicht...",
schluchzt er wie ein Kleinkind. So ein Weichei.
Wütend stoße ich ihn von mir, er fällt zu Boden und rollt den Hang ein Stück hinunter. Sofort springe ich nach und bohre meine Ferse in seinen Bauch, damit er nicht davonrobben kann.
"Bring mich zu deiner kleinen dreckigen Widerstandbewegung!"
knurre ich ihn aggressiv an, wie in Trance nickt Oskar und rappelt sich schniefend hoch. Entweder hat der Rechte Arm ihn zu solch einer Pussy erzogen, oder er ist von Natur aus ein Schoßkind, ansonsten hätte er bestimmt wenigstens ansatzweise Widerstand geleistet. Stattdessen aber dackelt er brav wie ein Schoßhündchen vor mir her, stetig angetrieben von meinen gezischten Drohungen. Mein Puls rauscht mir wie der dumpfer Bass von Discomusik in den Ohren, und etwas Nasses rinnt mir die Wangen hinunter. Schweiß? Nein... eine Träne.
Eine verdammte Träne.
Jahrelang habe ich nicht mehr geweint, und gerade jetzt werde ich schwach? Da bin ich ja nicht besser wie der Jammerlappen vor mir.
Der Außenposten des Rechten Arms stellt sich als ein chaotischer, unorganisierter Campingplatz heraus, wo niemand eine richtige Übersicht zu haben scheint. Etliche bewaffnete Männer und Frauen laufen kreuz und quer über die kleine Lichtung, stoßen an und ab einmal zusammen und entschuldigen sich dann beieeinander, ohne sich dabei überhaupt anzusehen. Allen in allem macht die Truppe nicht wirklich den Eindruck, dass sie gerade kurz davor waren, die versteckte Zentrale von der größten Organisation weltweit zu eliminieren.
Oskar wirft mir einen Seitenblick zu, als erwarte er, dass ich ihn nun entlassen werde, doch stattdessen packe ich ihn an der Schulter und schupse ihn weiter.
"Bring mich zu demjenigen, der die Explosion leitet",
zische ich ihm ins Ohr und er nickt heftig, dabei kann ich ihn deutlich schlucken hören. Mit schnellen Schritten durchquert er den Platz und steuert auf ein eilig errichtetes Zelt zu, aus welchen gedämpfte Stimmen dringen. Auf den Weg dorthin versuche ich, möglichst Blickkontakt zu vermeiden und niemanden allzu lange anzusehen, damit ich nicht auffalle. Trotz der nicht vorhandenen Disziplin hier sind unangemeldete Gäste bei solch einer Aktion Scharf sicher nicht gerne gesehen, weshalb ich mit die Streitereien im vornherein ersparen will.
Als ich durch den Eingang ins Innere des Zeltes trete, steigt mir sofort der widerliche Gestank von abgestandenem Tabakrauch in die Nase und ich muss kurz husten. Dadurch sehen die Personen, welche sich gerade über einen Tisch beugen und scheinbar eine Karte oder ähnliches betrachten, zu mir auf. Den einen erkenne ich als Vincent wieder, der Kopf des ganzen Rebellschaft. Er mustert mich mit seinen Schweinsaugen von oben bis unten und fährt sich dabei mit der Zunge an der Unterlippe entlang, was bedingt ekelig aussieht. Mein Räuspern bringt ihn in die Realität zurück.
"Ich bin hier um euch zu sagen, dass ihr die Basis nicht sprengen dürft. Da sind noch Leute drin, die wir befreien müssen."
Gegen meine Erwartung klingt meine Stimme fest und entschlossen, ganz gegen meine tatsächliche emotionale Lage. Am liebsten hätte ich Vincent meine Pistole an die Schläfe gepresst und ihn angeschrien, er solle diese Explosion verhindern, jedoch würde mir das als Einzelpersonen wohl kaum etwas bringen.
Der Dicke runzelt seine Stirn, als verstehe er meine Worte nicht ganz, doch dann richtet er sich gerade auf und kommt langsam auf mich zugeschlendert.
"Das können wir nicht. Wir müssen ANGST vernichten, jetzt oder nie."
Mit mahlendem Kiefer sehe ich zu dem Mann hoch, der nun genau vor mir zum stehen gekommen war. In seinen Augen kann ich nicht die geringste Regung sehen, völlig emotionslos sieht er auf mich herab. Wahrscheinlich sind ihm die Unschuldigen total egal, er will dem ganzen Projekt schlicht und endlich ein Ende bereiten. Wer würde das nicht gerne? Nur nicht mit diesen Verlusten...
"Das könnt ihr nicht machen!",
fauche ich angespannt, verzweifelt versuche ich die aufsteigende Panik in Wut umzuwandeln, damit ich nicht schwach werde. Es muss einfach einen Weg geben, um es zu verhindern. Es muss...!
Kopfschüttelnd wendet Vincent sich von mir ab, doch da hat er auch schon meine Pistole unter der Nase. Oskar entfährt ein heller Schrei und auch die übrigen Personen geraten in Aufruhr, während ihr Anführer die Waffe einfach nur anglotzt, als wüsste er nicht, wie er nun reagieren sollte. Ehe ich einen Ton äußern kann, packen mich mehrere Arme von hinten und ich werde rückwärts von Vincent weggezerrt. Dabei entreisst man mir meine Pistole, ich bekomme ein Knie in den Rücken gerammt und mit Ellbogeneinsatz zu Boden gerungen. Da hilft auch meine starke Gegenwehr nicht, gegen mehrere Männer kann ich wohl oder übel nichts ausrichten.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Vincent etwas von einem Tisch nimmt, ein schuhschachtelgroßes, metallernes Gerät, welches in allen Farben blinkt.
"Sie ist sicher eine Spionin! Wir können nicht mehr warten!"
ruft er mit vor Aufregung hochrotem Kopf, dann saust seine Faust auf einen unheilvoll aussehenden roten Knopf nieder, welcher dem Gerät ein leises Piepsen entlockt. Eine böse Ahnung beschleicht mich und mit einer ruckartigen Bewegung bekomme ich meine linke Hand frei, ramme meinen Handballen gegen die Nase des Typen, der mich an der rechten Seite festhält, und sprinte in Höchsttempo aus dem Zelt.
Die Sonne draußen blendet mich einen Moment und ich muss meine Augen mit einer Hand beschatten, um mich umsehen zu können. Alle blicken mit offenem Mund Richtung Berghang, wo gerade die oberste Schicht Gestein abbröckelt und mit einem dumpfen Gedonner ins Tal rollt. Einige Herzschläge lang ist dies das einzige Geräusch, welches zu hören ist, doch dann erwachen die Menschen aus ihrer Starre. Sie strecken die Hände in die Luft, jubeln, umarmen sich, schreien Sachen wie Da habt ihr das, was ihr verdient, ihr Bastarde! . Die Freudenslaute vermischen sich zu einem gewalten Krawall, der mir in den Ohren klingelt und mein Hirn zum rotieren bringt.
Dann zerfetzt ein lauter, grellender Schrei die Luft. Ein Schrei, der so voller Schmerz und Verzweiflung ist, und ein jeden sofort zum Schweigen bringt. Ein Schrei, der einem Gänsehaut bereitet und die Nackenhaare zu Berge stehen lässt, einer, der das Blut zum gefrieren bringt.
Ich falle auf die Knie und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen, welche tränennass sind. Doch es ist egal. Mir ist das sowas von scheißegal. Die Welt kann mich doch mal. Ich lege den Kopf in den Nacken und schreie nochmal, lauter als zuvor. Schriller als zuvor. Es ist das Geräusch aus meinem tiefsten inneren, jenes, welches ich so lange zur Stille gezwungen habe. Doch nun darf es raus. Nun gibt es keinen Grund mehr, es zu unterdrücken.
Newt ist tot.
Ellie ist tot.
Und mit ihnen alles, was mir noch im Leben geblieben ist.
Nämlich die Hoffnung auf ein besseres Leben.
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