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Ich hätte jede mögliche Reaktion von Newt erwartet.
Dass er einen Wutausbruch bekommt und auf die Drohne einschlägt, obwohl doch klar ist, dass dies nicht den geringsten Effekt zeigen wird.
Oder dass er zusammenbricht, zu jammern oder gar zu weinen anfängt. Seinem entsetzten Gesichtsausdruck zufolge scheint er die Personen recht gut zu kennen, eventuell sind es alte Freunde, die mit ihm zusammen im Labyrinth waren, und dort ums Leben gekommen sind.
Möglich wäre auch gewesen, dass er den Schmerz in sich hineinfrisst und nach außen hin keinerlei Regung zeigt; auch wenn Newt nicht der Typ Mensch ist, der sein Leid vor anderen verbirgt. Glaube ich.
Jedenfalls, dies alles hätte ich ihm zugetraut, hätte es ohne jeglichen Zweifel geglaubt, würde man es mir im Nachhinein erzählen. Doch dass er herumwirbelt, mich anfunkelt und dann wutentbrannt zischt:
"Sieh nur, was du angerichtet hast!";
das hätte ich bestimmt nicht vorhergesehen, wo er mir doch bisher so überlegt und weise vorgekommen ist.
Mit offener Klappe sehe ich Newt hinterher, wie er geräuschvoll die Treppe hochstampft, ohne mich eines weiteres Blickes zu würdigen. Mir gibt er die Schuld daran, dass seine Kollegen nun in der Patsche sitzen? Ausgerechnet mir, wo ich doch in der gleichen Situation feststecke wie er selbst? Mein Kinn hängt mir vermutlich bis zum Boden, als Jansons Stimme wieder aus den Lautsprechern tönen und ich mich gezwungener Maßen aus meiner Starre reisse.
"Es dürfte Newt wohl sehr getroffen haben",
bedauert der Vizedirektor mit einem dermaß künstlichen Mitleid, dass meine Hass ihm gegenüber wieder erneut aufflammt, wie wenn man in einen Haufen glühende Asche pusten würde.
Entweder bemerkt er dies nicht, oder er ignoriert es, denn er setzt seine kleine Rede unbeirrt fort.
"Bestimmt beruhigt er sich nach einer Weile wieder. Ich bin davon überzeugt, dass du ihn mit deinem weiblichen Charme zum Guten wenden kannst, und ihr zwei zu uns zurückkommt. Wir warten auf euch; die Drohne wird euch zu uns führen. Viel Glück!"
Das Gerät piepst leise, dann geht es surrend in den Sinkflug und setzt zart wie eine Feder auf dem Boden auf. Der Bildschirm wird schwarz und die Propeller werden immer langsamer, bis sie sich schließlich nur mehr ausdrehen. Stumm sehe ich das Gerät an, unschlüssig, was ich nun tun soll.
Weiblicher Charme?,
denke ich bei mir, und kratze mir nervös den Nacken. Haben sie etwa beobachtet, wie Newt und ich uns... geküsst haben? Nicht, dass dies mir unangenehm wäre, doch ANGST neigt dazu, aus anderer Leuten Schwächen ihren eigenen Nutzen zu ziehen. Für sie stellt es einen Vorteil da, doch wir würden gnadenlos draufzahlen.
Mit einem leisen Seufzer gehe ich vor dem Roboter in die Knie und betätige einige Knöpfe, worauf lange, komplizierte Zahlenkombinationen aufleuchten. Oft schon habe ich durch Drohnen mit anderen Leuten Kontakt aufgenommen, wenn ich wieder einmal vorübergehend in einer Stadt beheimatet war, und das nicht nur bei legalen Anlässen. Doch dies ist eine andere Geschichte, und soll ein anderes Mal erzählt werden.
Nach langem hin und herprobieren kann ich mich endlich in das Programm des Computers einloggen und schon leuchten die Koordinaten der Route auf, welche bis zum derzeitigen Aufenthaltspunkt von ANGST führt. Es ist ziemlich schwer, Entfernungen und Bodenbeständigkeit anhand weniger leuchtender Striche einzuschätzen, doch wenn ich mich nicht täusche, ist das Lager gar nicht mal so weit entfernt; nur gut zwei Tagesmärsche, sollten wir dauerhaft zu Fuß unterwegs sein. Nur läge dieser Standort dann auf einem Berghang, was bedeuten würde, dass die Zentrale unterirdisch ist. Wie der Bau eines Maulwurfs.
Viel mehr als der Fakt, dass, sollten wir aus irgendeinen Grund dort hineingelangen, kaum mehr lebend herauskommen könnten, macht mir die Tatsache sorgen, dass die Organisation scheinbar mir Problemfällen wie diesen gerechnet haben muss. Wieso auch sonst würden sie ein Ersatzquartier erbauen, wenn sie nicht die geringste Sorge hätten, jemals Schwierigkeiten zu bekommen? Ob ihr unterirdischer Bau ebenfalls die ganze Zeit über in Betrieb war und Experimente durchgeführt hat, die man nicht ans Tageslicht lassen wollte? Mir schaudert bei dem Gedanken, ANGST könnte sogar noch grausamer sein, als sie ohnehin schon sind.
Plötzlich höre ich polternde Schritte im Obergeschoß, und dumpfe Stimmen. Was ist da oben los?
XxX P.O.V.
Newt lief ungeduldig im Zimmer auf und ab, das regelmäßige Tok-tok seiner Schuhsohlen auf dem Bankett erinnert Ellie wage an den Rhythmus einer Trommel. Sie kann sich erinnern, wie ihr großer Bruder früher immer für sie auf seiner Gitarre gespielt hat, ihr Vater hat dazu spaßhalber mit dem Besteck auf Tisch und Teller geklopft wie bei einen Schlagzeug. Mutter hat ihn dafür stets gerügt, man spiele nicht mit dem Essen, doch das hinderte ihn nie daran. Er hat nur gelacht und sie auf den Scheitel geküsst, so oft, bis sie ebenfalls lächelte.
Was wohl aus ihnen geworden ist? Ellie weiß es nicht. Sie kann sich noch erinnern, wie die Türen geknarrt haben, als sich schwere Objekte dagegengeworfen haben, immer und immer wieder, sodass das Holz zersplitterte, wo die Angeln in dem Rahmen eingelassen waren. Ihre Eltern hatten verzweifelt geschrien, hatten sie und ihren Bruder aus dem Fenster gehievt, damit sie entkommen konnten. Theo hatte sie am Handgelenk gepackt und war davongerannt; doch Mum und Dad kamen nicht mehr nach.
Stattdessen waren Theo und Ellie alleine, doch dies auch nicht für allzu lange Zeit. Schon bald wurden sie wieder von diesen bösen, kranken Menschen angegriffen, und seit dem war sie alleine. Ganz alleine.
Keinen ganzen Tag hat sie in der Stadt überlebt, da wurde sie von den Monstern abermals angefallen; und wachte im nächsten Moment in den Armen eines fremden Mädchens auf, dessen Namen sie nicht kennt. Bis jetzt.
Insgeheim nennt sie sie Lassie, obwohl sie diesen Namen kindisch findet. Wie der mutige Hund, der alle rettet; denn genauso wirkt Lux auf sie. Wie der Retter in Not, der sein Leben für andere gibt. Doch bisher hat sie sich nicht getraut, den Namen kundzugeben, da ist Lux doch viel besser. Zumindest versucht sie sich dies einzureden, in Wirklichkeit findet sie ihren Namen passender.
Newts Stimme reisst sie aus ihren Gedanken.
"Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll! Es war falsch, sie anzufeinden, ja. Aber... aber sie ist ja irgendwie auch schuld! Aber irgendwie auch nicht... hach, ich weiß auch nicht!"
Der Blonde rauft sich verzweifelt das wirre Haar, dabei hält er keine einzige Sekunde inne. Ellie schüttelt nur verwirrt den Kopf und bleibt stumm. Sie weiß nicht, von was der Junge spricht; bis eben hat sie noch müde vor sich hin gedöst, dabei hat sie sich Lassies altes Kinderbett ausborgen dürfen. Natürlich hat sie davor noch einen Rundgang im Zimmer gemacht; sie ist neugierig, das kann sie nicht unterdrücken. Unter anderem hat sie ein altes Spielzeugpferdchen gefunden, dessen Fuß abgebrochen war; es war im Müll gelegen, doch Ellie tat es leid. Deshalb hat sie es zu sich genommen und ihm vor dem Schlafengehen versprochen, gut auf ihren neuen Freund aufzupassen.
"Aber ich muss Alby und die anderen retten. Ich schulde es ihnen. Sie sind nun alle immun, sie können problemlos in dieser Welt überleben! Wir müssen nur die anderen finden. Dann fangen wir dort ein neues Leben an. Im Paradies. Aber zuerst muss ich sie rausholen..."
Immer noch macht das Geplapper des Jungen keinerlei Sinn in Ellies Ohren. Wovon redet er nur? War etwas passiert? Sie spürt die Unruhe unter der Haut jucken wie ein Mückenstich und presst das Pferdchen unter ihrer dünnen Jacke an sich. Ein geschnitztes Ohr sticht ihr in den Bauch, doch das ist ihr egal. Das Tier soll sich beschützt fühlen.
"... vielleicht auch nicht. Aber weißt du was Ellie? Ich werde mit Lux reden. Sie ist schlau und wird mich verstehen. Bestimmt. Danke für deine Hilfe!"
Ansatzlos umarmt Newt die Kleine und drückt sie kurz an sich, ignoriert dabei ganz den eckigen Gegenstand, der sich zwischen sie gekeilt hat, und stürmt genauso hastig aus dem Raum, wie er vor etwa 10 Minuten gekommen war. Stumm sieht Ellie ihm hinterher, dann formen ihre Lippen ein lautloses "Bitteschön" und lässt sich wieder auf die Matratze zurücksinken. Ihr schmaler Kinderbrustkorb hebt und senkt sich stark, als sie tief durchatmet, dann schließt sie die Augen und vergräbt die Nase in die staubige, zottelige Mähne des Pferdes.
Souuu.
Ich wollte mit diesem Kapitel ein bisschen eure sentimentale Seite ankratzen, mal sehen wie es gewirkt hat :D
Hat euch Ellies Sicht gefallen, wenn auch objektiv? Ich finde, da ich bei Newt und Lux aus der Ich-Perpektive schreibe, sollte Ellie etwas distanziert werden.
Vergesst nicht, am Samstag Abend - 30.1. - kommt mein erstes eigenes Buch online :D ich hoffe ihr guckt mal rein :3 #EigenwerbungStinktAberBaum
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