055

Wir hatten die erste Schulwoche nach den Ferien gut überstanden und saßen zu viert in dem Zimmer der Jungs und genossen den Samstag. Zumindest bis ich bemerkte, dass Robin mich die ganze Zeit über anstarrte.

„Was ist?"

Er schüttelte sich kurz. „Ich habe mich nur gefragt, wie es deinem Freund geht."

Der Satz allein könnte man als eine freundliche Aussage betrachten, aber durch seinen sarkastischen Tonfall klang es fast schon nach einer Beleidigung. Doch noch bevor ich etwas darauf erwidern konnte, schnellte Kims Kopf zu mir. „Deinem Freund?!"

„Hah!", rief nun Robin. „Du hast ihr also doch nichts von ihm erzählt! Wusste ich es doch!"

Ich verdrehte die Augen. „Ich hab ihr von ihm erzählt."

„Hast du nicht." Sie runzelte die Stirn. „Hast du?"

„Klar und du erinnerst dich auch."

„Jetzt beschwör sie doch nicht." Robin verschränkte die Arme vor der Brust. „Wehe du lügst für sie!"

„Das muss sie gar nicht, weil es die Wahrheit ist."

„Und warum war sie dann überrascht, dass ich nach deinem Freund gefragt habe?"

„Weil du dich irrst."

„Womit irre ich mich?"

„Mit vielen." Ich seufzte. „Aber in diesem Fall damit, dass du ihn nicht beim Namen nennst."

„Wie jetzt?"

Ich wendete mich Kim zu. „Robin spricht übrigens von Adrian."

„Achso!" Kim lehnte sich zurück nach hinten gegen die Wand. „Ja, okay, von dem weiß ich, aber ich dachte-"

„Du dachtest richtig.", unterbrach ich sie. „Robin hat nur mal wieder gedacht, dass er alles besser wüsste und gleich irgendwelche Schlussfolgerungen gezogen, die ich nie bestätigt habe."

„Wovon sprecht ihr?", wollte Robin wissen, während sein Blick zwischen uns hin und her wanderte.

„Wir sprechen davon, dass du dir nur zusammengereimt hast, dass Adrian mein Freund ist. Das habe ich nie behauptet, weil es auch nicht wahr ist."

„Was?" Seine Gesichtszüge entglitten. „Wie jetzt?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Adrian ist ein Freund, nicht mein Freund. Du hast von Anfang an gedacht, dass ich mit ihm zusammen bin, aber das bin ich nicht und war ich auch nie. Das hast du nur gedacht."

„Wieso hast du das nicht gesagt?"

„Wieso sollte ich?", fragte ich und fühlte mich sehr an die letzte Unterhaltung mit ihm über Adrian zurückerinnert. „Ich muss dir nichts von ihm erzählen und wenn du meine Nachrichten liest und dann etwas falsch verstehst, ist das dein Problem, nicht meins. Warum also sollte es meine Aufgabe sein dich darüber zu informieren, dass du ein Depp bist."

„Ey!"

Ich verdrehte die Augen und schaute zu Kim. „Trainierst du heute allein?"

„Ja, warum?"

„Wenn du willst, komm ich heute mit."

Ihre Augen weiteten sich. „Wirklich? Ja bitte! Wie cool!"

„Oh, da komm ich mit!", meinte Robin.

„Nein.", stellte ich fest. „Sorry, Kim, aber wenn er mit kommt, bleibe ich hier."

„Jack, lass die beiden das doch allein machen.", meldete sich nun Oli zu Wort, der bisher geschweigen hatte. „Wir wollten doch noch an unserem Kunstprojekt arbeiten."

„Aber-"

„Kein aber." Oli stand auf. „Viel Spaß euch."

„Danke!", rief Kim und sprang zur Tür. Ich folgte ihr.

Kim schwamm ein paar Bahnen, um sich aufzuwärmen, während ich mich auf eine ruhige Atmung konzentrierte und versuchte meinen Körper zu überzeugen, dass alles in Ordnung war.

Als sie am Rand ankam, sah sie mich erwartungsvoll an. „Was jetzt?"

Mit geschlossenen Augen atmete ich ein letztes Mal tief durch und richtete meinen Blick auf sie. „Okay, Kim, ich möchte dich daran erinnern, dass ich das hier zwar mache, aber ich keine Ahnung vom Trainieren anderer hab."

Sie verdrehte die Augen. „Ja, ich weiß. Trotzdem machst du das super!"

„Ich hab doch gar nichts gemacht."

„Doch, hast du! Die Tipps letztes Mal waren großartig!"

„Wie du meinst." Ich zuckte mit den Schultern. „Wo legst du den Fokus beim Training?"

Sie runzelte die Stirn. „Ausdauer."

„Warum?", wollte ich wissen und griff fest in das Handtuch, das mir um den Hals hing.

„Wenn du viel Kraft hast, aber keine Ausdauer, bringt es dir nichts. Vielleicht bist du dann ganz am Anfang besser, aber wenn du nach kurzer Zeit schlapp machst, dann ist auch jemand der schwächer ist plötzlich besser als du und gewinnt."

„Ja." Jeder Atemzug fühlte sich an als würde ich Feuer in meine Lungen saugen und keine Luft. „Das ist die Erklärung, warum du Ausdauer wichtiger findest als Kraft, aber ich würde meinen Fokus anders legen."

„Bei Kraft?"

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, weder noch."

„Worauf dann?"

„Technik."

„Technik?", wiederholte sie und wische sich etwas Wasser aus dem Gesicht.

„Jap." Ich drückte mit Daumen und Zeigefinger auf meinen Nasenrücken, zwischen meinen Augen, in der Hoffnung, dass meine Kopfschmerzen dadurch nachließen. „Ausdauer und auch Kraft braucht man beides. Es ist beides wichtig, aber mein Fokus lag immer auf der Technik, und zwar aus einem ganz einfachen Grund. Beherrschst du die richtige Technik brauchst du weniger Kraft und auch weniger Ausdauer. Je sauberer die Technik ist, desto weniger Kraft musst du anwenden und desto länger kannst du schwimmen, ohne am Ende zu sein."

„Das... Das ergibt Sinn."

Ich lachte kurz auf. „Ab und zu ergeben auch meine Worte Sinn."

„So meinte ich das nicht."

„Schon klar." Mit gerunzelter Stirn betrachtete ich das Becken. „Wie tief ist das Becken? An der tiefsten Stelle?"

„Äh... Vielleicht etwas über einem Meter? Weiß nicht genau."

„Aber du kannst überall stehen?"

„Ja, locker!"

„Sehr gut." Ich nickte und öffnete meine Tasche. „Bist du bereit für ein paar... ähm... sagen wir: unübliche Methoden?"

„Sicher."

„Na, dann komm mal raus."

Sie folgte meiner Anweisung.

Mit einem Seil in der Hand und dem Schwimmbrett, was Kim mir am Anfang aus der Gerätekammer geholt hatte, stellte ich mich vor sie. Penibel darauf bedacht, dass genügend Sicherheitsabstand zwischen uns bestand.

„Was hast du vor?"

„Ich möchte von dir, dass du dich auf einzelne Bereiche konzentrierst. Die Reihenfolge darfst du dir gerne aussuchen. Einmal schwimmst du nur mit den Beinen, einmal nur mit den Armen. Wenn du das beides gemeistert hast, dann schwimmst du ohne Beine und ohne Arme, nur mit deinem Körper."

„Nur mit meinem Körper? Wie soll das denn funktionieren?"

„Deine Beine darfst du schon benutzen, aber eben nur zusammen. Es ist quasi wie Mermaiding, nur ohne Flosse."

„Mermaiding?"

„Jap. Ich zitiere jetzt mal eine Serie, die ich als Kind sehr gerne geschaut habe: Das Wasser ist dein Freund." Selbst wenn sich das für mich nicht mehr so anfühlte. „Viele Schwimmer schwimmen mit dem Wasser als Feind. Sie kämpfen dagegen an. Betrachten das Wasser nur als einen Widerstand, gegen den sie anschwimmen müssen, aber es geht auch anders. Du kannst das Wasser für dich benutzen, wenn du dich an das Wasser anpasst, dann schwimmst du nicht mehr dagegen an, sondern es unterstützt dich. Das ist das Ziel."

„Das Wasser als Freund."

„Genau. Viele Meerestiere benutzen das Wasser als Freund. Sie nutzen die Strömung und klar ist das für dich hier nicht so möglich, wie sie das tun, aber grundsätzlich kann das Wasser auch für dich arbeiten, wenn du es zulässt. Du hast schwerer als ein Delfin. Die haben sich darauf angepasst. Der menschliche Körper ist natürlich nicht stromlinienförmig und in einem Becken gibt es auch nicht keine Strömungen wie im Meer, die viele Tiere verwenden, um sich fortzubewegen. Aber das Wasser in einem Becken ist nicht still. Du setzt es beim Schwimmen in Bewegung und diese Bewegung, die du beim ersten Zug erschaffen hast, kannst du für deinen zweiten nutzen oder bei einem Wettkampf kannst du sogar die Bewegung deiner Gegner nutzen, wenn du im richtigen Rhythmus schwimmst."

„Das funktioniert?"

„Bei mir hat es funktioniert."

„Dann will ich es probieren."

„Gut. Womit willst du anfangen?"

„Ich würde erstmal gerne wissen, wofür das Seil ist."

„Mit dem Brett sorgen wir dafür, dass du deine Arme nicht verwendest, für deine Beine brauchen wir zusätzlich das Seil, weil du mit deinen Beinen das Brett nicht greifen kannst." Ich reichte ihr schonmal das Brett. „Das Seil wird um deine Beine gebunden, sodass du sie nur noch zusammen bewegen kannst und das Brett kannst du dir dazwischen klemmen."

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