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Es fühlte sich anders an. Ich hatte so viele Stunden an diesen See verbracht und doch erschien er mir jetzt fremd. Ich hatte nicht gedacht, dass er sich nun so anders anfühlen würde und doch war es so.
Er hatte sich verändert, auch wenn ich nicht sagen konnte wie. Vielleicht stimmte es auch gar nicht und nicht der See hatte sich verändert, sondern nur ich.
Trotzdem war es gut. Der See half mir beim Nachdenken oder besser gesagt in diesem Fall half er mir, nicht mehr zu denken. Ich brauchte gerade eher die Hilfe, um mit dem Grübeln aufzuhören. Um einen leeren Kopf zu bekommen. Und für eine gewisse Zeit funktionierte es tatsächlich.
Die Sonne ging gerade auf und ließ das Eis auf dem zugefrorenem See glitzern. Es sah magisch aus. Als wäre der See aus einer verzauberten Winterwunderwelt entsprungen.
Auch wenn ich mich extra auf eine der Holzbänke gesetzt hatte, machte sich die Kälte schnell bemerkbar. Sie kroch in meinen Körper hinein und als die Sonne sich über den Baumkronen erhob, stand ich schließlich auf und lief zurück ins Haus.
Obwohl heute Heiligabend war, musste Christoph arbeiten. Vielleicht musste er auch nicht, sondern wollte, aber das änderte nichts. Er war nicht da und würde erst heute Abend nachhause kommen.
Es war komisch gewesen in den letzten Tagen. Wir hatten kaum miteinander gesprochen. Keiner schien zu wissen, was er sagen sollte. Trotzdem hatte ich mir einen Plan geschrieben. Ich war gestern einkaufen gegangen und heute würde ich für uns kochen.
In den letzten Jahren war unser Weihnachtsfest nicht sonderlich groß ausgefallen. Wir hatten meistens Essen bestellt, letztes Jahr chinesisch, zusammen gegessen, ohne viel miteinander zu sprechen, hatten unsere Geschenke ausgetauscht und waren dann getrennte Wege gegangen. Ich hatte mich entweder nochmal raus zum See geschlichen oder mich in mein Zimmer verkrochen.
Weder er noch ich, nahmen Weihnachten sonderlich wichtig. Wir waren beide nicht gläubig. Das war ich noch nie. Weihnachten war für mich immer nur ein Fest der Familie gewesen. Wir hatten es gefeiert, aber es war nie religiös gewesen. Es war einfach Tag gewesen, an dem man sich Zeit genommen hatte, um mit der Familie zusammen zu sein und als Kinder natürlich ein Tag, an dem man Geschenke bekam, was allein schon dafür sorgte, dass man den Tag liebte.
Jetzt aber waren mir Geschenke nicht mehr wichtig. Ich schenkte Christoph dennoch etwas und er auch mir, aber mehr weil es Brauch war. Der eigentliche Grund, warum ich Weihnachten geliebt hatte, war weg. War tot. Meine Familie und ich hatten immer viel miteinander gemacht, aber an Weihnachten war es doch nochmal etwas anderes. Wir zogen uns schick an und verbrachten den ganzen Tag zusammen. Jeder von uns räumte sich den gesamten Tag frei. Es gab nichts zu erledigen. Selbst das Schwimmen hatte ich an dem Tag ausfallen lassen, was ich sonst nie tat. Doch Heiligabend gehörte nur der Familie. Seit dem Unfall jedoch, seit ich bei Christoph lebte, war meine Liebe zum Weihnachten nicht mehr die gleiche. Ein Familienfest ohne Familie? Was sollte das?
Er schien auch kein großes Interesse gehabt zu haben Weihnachten zu feiern. Vielleicht lag es bei ihm auch an Julia.
Dieses Jahr wollte ich es aber anders machen. Dieses Jahr wollte ich einen schönen Abend planen. Ich hatte mir ein Weihnachtsessen überlegt, hatte Musik herausgesucht und sogar aus Zeitung Weihnachtsschmuck gebastelt, um damit die große Pflanze im Wohnzimmer zu dekorieren.
Es war kein Nadelbaum, aber den brauchte man auch nicht. Es gab kein Gesetz, das beschloss, dass der Weihnachtsbaum eine Tanne sein musste, oder doch?
Auch wenn ich ein wenig in Sorge war, dass sich Christoph nicht darüber freuen würde, begann ich, nachdem ich mich umgezogen hatte, damit den Baum zu schmücken und den Tisch feierlich zu decken.
Als ich damit fertig war, begann ich das Essen vorzubereiten, weil ich nicht abschätzen konnte, wie lange ich damit beschäftigt sein würde, doch als ich so weit war, dass nur noch die letzten Sachen gemacht werden mussten, beziehungsweise das Essen in den Ofen musste, setzte ich mich auf die breite Fensterbank im Wohnzimmer und begann zu lesen.
Es war ein Buch, das mir Robin vor den Ferien empfohlen hatte und wieder einmal hatte er mein Geschmack getroffen. Davor hatte ich zwar auch viel Gutes über „Der Marsianer" gehört, aber es hatte mich nie überzeugt. Jetzt aber bereute ich das. Es war großartig. Witzig, sarkastisch und auch schlau. Eine wunderbare Kombination.
Das einzig negative, was mir einfiel war die Tatsache, dass es mir wirklich schwer fiel das Buch aus der Hand zu legen. Trotzdem zwang ich mich dazu, weil die Küche nach mir rief. Ich wollte fertig sein, sobald er nachhause kam, aber dafür müsste ich jetzt weitermachen.
Es war überraschend einfach. Gut, wahrscheinlich verlernte man das Kochen nicht schon nach vier Monaten, dennoch hatte ich Sorgen gehabt, ob ich eingerostet war.
Es klappte aber wunderbar. Es würde nur noch zehn Minuten dauern, bis alles fertig war, als ich hörte wie die Tür aufging. So konnte sich Christoph noch kurz frisch machen nach der Arbeit und zum Essen kommen.
„Was riecht hier denn so gut?", fragte er noch immer am Eingang stehend, als ich auf den Flur trat.
„Ich hab gekocht.", antwortete ich. „Ähm... In zehn Minuten können wir Essen."
„Ach?"
Ich schluckte. Es war doch ein Fehler gewesen. Mit einem Schlag bereute ich es. „Sorry... Ich... Du... Wenn du nicht willst, dann ist das ok... Ich dachte nur... Also..."
„Wer sagt denn, dass ich nicht will?"
„Was?"
„Ich bin nur überrascht." Er lächelte mich an. „Ich hatte nicht erwartet, dass du kochen würdest. Ich bin davon ausgegangen, dass wir was bestellen, aber es riecht wunderbar."
„Oh!" Der Knoten, der sich eben in meinem Bauch gebildet hatte, löste sich wieder. „Gut! Ich- Äh... Ich muss zurück in die Küche. Zehn Minuten. Im Wohnzimmer."
„Ich zieh mich kurz um." Er zeigte nach oben zur Treppe. „Soll ich dir noch bei irgendwas helfen?"
„Nein, alles gut. Ist alles bereit."
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