007

„Oh mein Gott!"

„Was ist?", fragte ich verwirrt und schaute mich um, in der Hoffnung zu verstehen, was gerade passiert war.

„Wieso hast du nichts gesagt?"

„Weil du mich noch nicht zu Wort hast kommen lassen?"

„Nein, doch nicht zu mir!", rief sie. Entsetzen stand in ihrem Gesicht geschrieben.

Was war denn los? Ich ließ die Zeit seit sie ins Zimmer gekommen war, Revue passieren, aber mir fiel einfach nichts ein, was sie so hätte aufbringen können. „Ich weiß echt nicht, was du meinst. Was soll ich nicht gesagt haben? Was ist denn los?"

„Na, dass die deinen Namen falsch an die Tür geschrieben haben!", rief sie als wäre es das Offensichtlichste auf der Welt.

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus. „Ich verstehe nicht..."

„Du bist Elena Garcia!"

Mein Lächeln verrutsche und das ungute Gefühl wurde immer stärker. Woher kannte sie meinen echten Namen? „Das stimmt schon so." Es war nicht ganz richtig, aber 100% falsch war es auch nicht. Naja, eigentlich schon. Ich hatte keinen neuen Namen bekommen, aber da Christoph mich aufgenommen hatte und mich adoptiert hatte- zumindest glaubte ich das, aber ob der Papierkram wirklich fertig war, wusste ich nicht. Wir hatten nie wieder darüber gesprochen. Wie dem auch sei: er hatte die Rolle meines Vaters übernommen, auch wenn er für mich niemals mein Vater sein würde. Ich hieß zwar offiziell noch immer Garcia, aber das die Schule da einen Fehler gemacht hatte, war nicht so ungewöhnlich. In meiner letzten Schule hatten sie mich auch auf vielen Listen unter Elena Meissner geführt.

Kim schüttelte heftig den Kopf. „Nein, du bist Elena Garcia! Ich kenne dich!"

Was? Woher kannte sie mich? Sollte ich sie kennen? „Woher?" Ich schien heute wirklich keine gute Unterhaltung führen zu können.

Sie wollte gerade zur Antwort ansetzen, als die Tür erneut aufgerissen wurde. Kim schrie auf, rannte auf Robin zu und sprang ihm in die Arme. Robin hob sie hoch und wirbelte sie im Kreis. „Du bist wieder da!"

„Ja! Ich habe dich so vermisst!"

Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, schaute Robin zu mir und begann zu grinsen. Wie ich dieses verschmitzte Grinsen hasste! Er kam auf mich zu. „Es ist soweit! Du schuldest mir einen Kuss!"

„Du bist ein solch ekelhafter Dreckskerl! Wie kannst du es wagen!", schrie ich ihn an. „Ich hätte nicht einmal dir zugetraut, dass du so unverschämt bist!"

„Du hast es versprochen!"

„Da wusste ich auch noch nicht, dass du eine Freundin hast! Dass du das versuchst! Auch noch während sie neben dran steht! Ich fasse es nicht!"

Robin und Kim sahen sich an und fingen im selben Moment an zu lachen.

Kim war die erste, die sich wieder beruhigte. Das Lachen hatte zwar nicht aufgehört, aber es war soweit abgeklungen, dass sie sagen konnte: „Du hast da glaub ich etwas missverstanden! Er ist nicht mein Freund."

„Ist er nicht?" Heute war echt nicht mein Tag.

Kim schüttelte den Kopf, aber es war Robin, der antwortete: „Kim ist seit Jahren glücklich vergeben. Doch nicht an mich, sondern an Oli!"

„Oh.", war das einzige was ich in diesem Moment rausbrachte. Dann schüttelte ich den Kopf: „Aber warum hast du dann den Schlüssel? Hast du ihn Oli gestohlen?"

„Ich habe den Schlüssel, weil Kimmi meine Schwester ist."

„Schwester?", rief ich überrascht. Ich schaute die beiden abwechselnd an. Sie waren beide blond, aber das war auch schon die einzige Gemeinsamkeit, die mir auffiel. Sie sahen sich absolut nicht ähnlich. Beide sahen sie gut aus, aber nicht auf dieselbe Art.

„Meine Mutter hat seinen Vater geheiratet, also sind wir zwar nicht blutsverwandt, aber so etwas wie Geschwister. Aber eigentlich habe ich ihn schon immer als Bruder betrachtet. Wir sind seit dem Kindergarten die aller besten Freunde!", erklärte Kim mir.

Nun gut, sie waren nicht biologisch verwandt. Das erklärte die mangelnde Ähnlichkeit, aber mein Kopf brauchte immer noch Zeit, um diese neue Erkenntnis zu verarbeiten. Da hatte ich ja völlig danebengegriffen.

„Aber jetzt lasst uns Oli holen und zum See gehen! Lasst uns gemeinsam zu der Holzinsel schwimmen!" Kim schaute zu mir. „Du kommst doch mit schwimmen, oder?"

Robin antwortete für mich: „Nein, das tut sie nicht."

„Ach und wieso?", fragte Kim verwirrt.

„Weil Elle nicht schwimmen kann."

Das war der Moment, an dem Kim wieder anfing zu lachen. Diesmal verfiel sie in ein noch heftigeres Gelächter als noch vor wenigen Minuten. Sie schnappte nach Luft so gut sie konnte.

„Was ist so lustig?", wollte Robin von ihr wissen und guckte sie verärgert an. „Das war mein Ernst. Sie kann wirklich nicht schwimmen!"

Man verstand Kim kaum vor lauter Lachen: „Da hat sie dich aber richtig verarscht, mein Guter!"

Robin runzelte die Stirn und erwiderte zwar irgendetwas, aber ich hörte nicht genau hin. So viel zum Thema, dass ich die Ausrede nutzen konnte. Ich hatte mich zwar noch nicht entschieden gehabt, weil es ja nur die Hälfte der Probleme erklären würde, aber jetzt war das auch egal. Kim wusste wer ich war. Ich hatte zwar eine Ahnung woher, aber ich hätte nie gedacht, dass mich irgendjemand erkennen würde. Nicht nachdem mehrere Jahre vergangen waren. Vor allem waren die Fotos nie sonderlich gut gewesen.

Kim hatte sich mehr oder weniger wieder beruhigt und stützte sich, noch immer nach Atem ringend, an Robin ab. „Erinnerst du dich daran, dass ich vor vier oder fünf Jahren, als ich diesen Artikel in der Sportzeitschrift gelesen hatte? Als ich kurz davor war, das Schwimmen sein zu lassen?"

„Äh ja, glaub schon."

„Weißt du noch, worum es in dem Artikel ging?"

„Puh..." Er kratzte sich am Hinterkopf. „Es ging doch um diese eine Schwimmerin, die so gut war. War sie nicht ungefähr in deinem Alter, damals also 14 oder so und hätte trotzdem fast mit den Nationalschwimmern mithalten können?"

„Nicht nur fast, aber ja, genau!"

„Du wolltest so gut werden, wie sie.", erinnerte er sich weiter. „Sie war der Grund, weshalb du weiter gemacht hast und sogar mehr trainiert hast als vorher. Sie hat dich motiviert und du wurdest wirklich viel besser!"

Kims Wangen nahmen einen leichten Rosaton an, aber sie lächelte breit. „Ja, genau. Genau! Du sagst es! Sie war mein großes Vorbild!"

„In Ordnung, aber was hat das jetzt hiermit zu tun?", fragte er, als er sich wieder dem eigentlichen Thema besann. Er hatte es noch nicht verstanden und meine Gedanken rasten, aber ich konnte nichts machen. Tatsächlich war ich wie betäubt.

„Ihr Name war Elena Garcia!" Sie zeigte bei diesen Worten auf mich und ihre Augen leuchteten auf.

Na super, sie war also nicht nur eine Schwimmerin, sondern auch noch ein Fan. Ganz toll. Wieso eigentlich? Es gab nur einen einzigen Artikel über mich. Das war das erste und einzige Mal gewesen, dass meine Eltern einem Interview zugestimmt hatten. Ich war wirklich talentiert gewesen. Wenn ich irgendwo hinkam zu einem Turnier, hatten die meisten bereits von mir gehört, aber keiner wusste, wie ich aussah. Sie kannten nur meinen Namen. Mein Verein hatte damals keine Fotos hochgeladen. Also zumindest keine, auf denen man uns wirklich sehen konnte. Nur beim Schwimmen eben. Und das Foto, das in dem Artikel vorkam, war auch nicht wirklich besser gewesen. Ich sprang gerade von Startblock. Schwimmbrille auf und auch eine Schwimmkappe. Viel zu sehen gab es da nicht. Ach verdammt, daran hatte ich nicht mehr gedacht. Meistens gab es doch noch ein Foto von mir. Die Fotos der Siegerehrung. Ich gewann damals eigentlich jeden Wettkampf bei dem ich antrat. Ich war wirklich gut gewesen. Ein Ausnahmetalent, hatte man immer gesagt. Die Fotos hatten meist aber eine miserable Qualität und wurden auch nirgendwo gedruckt. Sie landeten auf irgendwelchen Verein Seiten, aber wer schaute sich diese Fotos schon an. Vor allem, wieso erkannte sie mich? Die Qualität war furchtbar und außerdem war selbst das neuste Foto über drei Jahre her!

„Und weiter?", fragte Robin, der noch immer verwirrt von mir zu Kim schaute. „Ihr Name ist Elena Meissner, nicht Garcia."

Kims schüttelte den Kopf. „Das ist Elena Garcia!"

Dann sahen mich beide abwartend an. Was für eine Wahl blieb mir denn? Ich hätte zwar nie gedacht, dass mich jemand einfach so erkennen würde, aber wenn man den Verdacht bereits hatte und sich dann dir Fotos raussuchte würde man die Ähnlichkeit auf jeden Fall bemerken. Ich seufzte. „Es ist wahr. Mein richtiger Name lautet Elena Garcia. Ich war das Mädchen aus diesem Artikel, aber das bin ich nicht mehr. Ich kann schwimmen, aber ich werde nicht mit schwimmen gehen. Heute nicht und auch sonst nicht. Mehr sag ich dazu nicht und ich wünsche mir, inbrünstig, dass ihr es auch dabei belasst."

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