003
Ich machte das Paket nicht direkt auf. Irgendetwas in meinem Inneren hinderte mich daran und zwar, so dumm das auch klang, weil ich kein Geschenk öffnen wollte, welchen als Geschenk von meinem Vater betrachtet wurde, auch wenn das unmöglich war, denn mein Vater war nicht mehr am Leben.
Stattdessen packte ich meinen Koffer aus, bezog mein Bett und stellte mich dann raus auf den Balkon. Der See schimmerte blau und als wäre es nicht ohnehin klar gewesen, beschloss ich vor dem Abendessen runter zu gehen und ihn mir von der Nähe anzuschauen. Ein Blick zu den Seiten verriet mir, dass es auf unserer Seite des Hauses immer nur zwei Balkone pro Stockwerk gab. Nur wenige Zentimeter trennte unseren Balkon von dem nebenan. Privat war etwas anderes, aber nun gut. Privatsphäre war in einem Internat wohl sowieso schwierig. Man hatte keinen Ort, an dem man sich zurückziehen konnte. Es war wohl ganz gut, dass ich diese Möglichkeit immerhin für eine Woche haben würde. Wohl der einzige Vorteil an der Tatsache, dass meine Mitbewohnerin ausgerechnet eine Schwimmerin war. Sie hätte doch jeden Sport machen können, aber es musste das Schwimmen sein. Früher hätte ich mich darüber gefreut, aber diese Zeiten waren vorbei. Zu vieles hatte sich verändert.
Als ich mich doch überwand das Geschenk zu öffnen, bereute ich es nicht gleich gemacht zu haben. Ich hatte Christoph unterschätzt. Es war das perfekte Geschenk und er hatte auch an alles gedacht. Neben einer nagelneuen Kaffeemaschine, lagen dort Kaffeebohnen, mehrere Tassen, Zuckerwürfel und sogar eine Milchtüte. Dass ich meinen Kaffee schwarz trank, schien er wohl nicht zu wissen, aber das war mir egal. Zu sehr freute ich mich über die Möglichkeit zu jeder Zeit einen Kaffee trinken zu können, ohne in den Speisesaal laufen zu müssen.
„Danke Christoph.", murmelte ich und lächelte kurz.
Die restliche Zeit verbrachte ich auf dem Balkon. Noch waren am See zu viele Menschen. Ich musste mir erst einen Überblick verschaffen und eine ruhige Stelle finden. Dafür konnte ich keine Zuschauer gebrauchen. Unbekannte Gewässer schlugen oft noch stärker auf meine Psyche ein als die mir schon vertrauten.
Plötzlich fiel mir ein, dass ich Christoph noch nicht geschrieben hatte. Ich zog das Handy aus meiner Hosentasche und begann zu schreiben:
Hallo Christoph,
Ich bin vor ein paar Stunden im Internat angekommen. Alles in Ordnung.
Du hättest mir das mit dem Zimmer schon sagen können. Ich finde es nicht schlimm, aber wäre schon gerne vorher informiert worden. Deinen Freund hast du damit auch in eine unangenehme Lage gebracht... Naja, wie dem auch sei. Vielen Dank für das Geschenk. Die erste Tasse habe ich gleich getrunken. Ich habe mich sehr gefreut.
Grüße
Nach und nach verschwanden die Jugendlichen von dem See und als auch der letzte gegangen war, schnappte ich mir den Schlüssel und verließ das Zimmer.
Gerade als ich den Schlüssel aus dem Schloss zog, hörte ich eine tiefe und dennoch melodische Stimme hinter mir: „Du bist also die Neue. Elena, richtig?"
Seufzend drehte ich mich um und runzelte bei dem Anblick, der sich mir bot, die Stirn. Aus irgendeinem Grund passte er überhaupt nicht zu meinem Bild, das erst vor drei Sekunden in meinem Kopf entstanden war. Bei der Stimme hatte ich mit etwas anderem gerechnet, wobei ich gar nicht genau wusste, was genau ich erwartet hatte.
Er war groß, sehr groß sogar, hatte etwas längere blonde Haaren und an jedem Ohr einen, zugegebenermaßen recht kleinen, Tunnel. Eigentlich dachte ich, die Zeiten, an denen man das trug, waren schon lange vorbei. Doch nichts davon fesselte mich so sehr, wie seine Augen. Dunkel, fast wie zwei schwarze Steine, doch gleichzeitig schienen sie zu leuchten.
Als ich mich gefangen hatte, antwortete ich: „Ja und du bist?"
Lachend zeigte er auf die Tür neben sich. Die Tür direkt neben der meinen. Er war also mein Nachbar.
Ich las vor: „Oliver Hunter."
Scharf zog er die Luft ein und bedachte mich mit einem amüsierten Blick: „Ohoh. Es war eine 50:50 Chance, aber du hast leider danebengegriffen!"
Ich schaute ein weiteres Mal auf die Tür: „Da kann man nichts machen, Robin Daniels." Mit diesen Worten lief ich an ihm vorbei, doch es dauerte keine zwei Sekunden bis er lachend neben mir herlief: „Wohin des Weges?"
Skeptisch sah ich zu ihm nach oben. Was wollte er von mir? „Ich wollte noch kurz zum See vor dem Abendessen."
„Das klingt wunderbar!"
„Allein.", fügte ich hinzu.
Er griff sich ans Herz und flüsterte mit gespielt verletzter Stimme: „Das tat weh, Elena!"
„Oh, das tut mir aber leid.", sagte ich und verdrehte dabei die Augen. Konnte er nicht einfach verschwinden?
„Aber jetzt mal ernsthaft: ein wenig Begleitung tut dir bestimmt gut! Danach kann ich dir auch den Weg zum Speisesaal zeigen."
„Das schaffe ich auch gut ohne deine Hilfe."
Erneut lachte er auf: „Ach jetzt komm schon! Was ist denn schon dabei? Mit mir kann man wirklich Spaß haben!" Bei diesen Worten zwinkerte er mir zu und legte seinen Arm um mich.
„Ihu." Ich löste mich von ihm. „Verschwinde einfach."
Er verschwand nicht, aber zumindest blieb er den restlichen Weg lang still. Von Nahem sah der See noch schöner aus. Das Wasser schimmerte in einem wunderschönen blau und schien ganz klar.
Mit geschlossenen Augen atmete ich tief durch die Nase ein und nahm den Geruch in mir auf. Mein Inneres zog sich zusammen. Glückshormone trafen auf einen grausamen Schmerz. In meinem Inneren herrschte ein Krieg, der nie zum Ende kommen würde.
Das Wasser berührte ich nicht. Wenige Zentimeter trennten uns.
Robins Stimme riss mich aus der Trance. Fast hatte ich seine Anwesenheit vergessen. „Willst du denn nicht rein?"
Aus dem Augenwinkel sah ich wie er schon dabei war sein schwarzes Shirt auszuziehen. Ich stattdessen, machte auf dem Absatz kehrt: „Viel Spaß."
Zu meinem Bedauern folgte er mir und zog im Gehen sein Oberteil wieder an.
„Schade, ich hatte gehofft, ich bin dich jetzt los."
„Oh, Elena!" Ein schiefes Grinsen zierte sein Gesicht. „Irgendwann wirst du dich nach meiner Nähe sehnen!"
„Und wovon träumst du nachts?", fragte ich und schüttelte den Kopf.
„Ab heute wohl von dir!"
Ich tat als müsste ich mich übergeben, um ihn zu zeigen, wie ekelhaft ich diese Vorstellung fand.
Im Speisesaal nahm ich mir etwas zu Essen und war überrascht wie groß die Auswahl war. Nicht das, was man aus den Büchern kannte. Ein Blick verriet mir, dass es noch einige freie Plätze gab und ich entschied mich bewusst für einen Tisch, an welchem zumindest auf der Seite, wo ich mich hinsetzte nur noch ein freier Platz war.
Das blonde Mädchen, welches nun neben mir saß, lächelte mich kurz an und unterhielt sich dann wieder mit ihrer Freundin. Umso besser.
Schön war es hier. Da konnte man nichts gegen sagen. In der Kuppel standen überall Pflanzen. Kleine und große. Mit und ohne bunte Blüten. Licht bekamen sie hier wohl genug und uns boten sie schattige Stellen und eine wunderschöne Aussicht.
„Hey Mädels, würde es euch etwas ausmachen zu rutschen, damit Oli und ich uns hier hinsetzen können? Elena kennt hier ja sonst keinen." Dabei lächelte er die Blonde und ihre Freundin an. Diese schauten ihn mit großen Augen an und stammelten irgendetwas zustimmendes. Zu meiner Fassungslosigkeit rutschten sie tatsächlich und Robin setzte sich auf den Stuhl neben dem meinen. Er grinste zufrieden, ich hingegen schüttelte noch immer ungläubig den Kopf.
„Oli kommt auch gleich, also können wir leider nicht allein bleiben!"
Ich verdrehte, wieder einmal, die Augen und antwortete mit vor Sarkasmus triefender Stimme: „Das ist aber schade!"
Er ignorierte den Tonfall: „Ja, aber echt! Aber das können wir ganz bald nachholen!"
Bevor ich etwas erwidern konnte, nahm jemand auf den letzten freien Stuhl Platz. Es war Oli. Der Oli, der mich im Bus vorhin fotografiert hatte und wohl der gleiche, mit dem sich Robin das Zimmer teilte. Darauf hätte ich auch selbst kommen können. So groß war diese Schule ja nicht. Eher im Gegenteil.
„Hey Elle!", begrüßte er mich und lächelte mich freundlich an.
„Hey." Ich lächelte zurück.
„Krass! Habt ihr das gesehen?", rief Robin. „Elena hat gelächelt! Ein Wunder ist geschehen! Das hat sie noch nie gemacht!"
„Vielleicht liegt das einfach daran, dass es keinen Grund gibt zu Lächeln, wenn du in meiner Nähe bist!"
„Jetzt bin ich aber auch in deiner Nähe!", gab er siegessicher zurück.
„Ja, schon, aber Olis Anwesenheit kompensiert die deinige."
Oli, mein Held, wechselte mit einer Frage das Thema: „Wie gefällt es dir denn hier bisher?"
„Passt alles, aber nichts toppt den See. Der ist echt atemberaubend schön!"
„Ja, das ist er!", pflichtete er mir bei. „Willst du morgen mit uns schwimmen gehen?"
Allein das Hören dieser Worte löste in mir einen eiskalten Schauer aus. Was könnte ich jetzt sagen, ohne weiteres erklären zu müssen? Ich wollte wirklich nicht drüber reden. Nicht heute und wohl auch nicht morgen. Erst recht nicht, wenn Robin mir dabei zuhörte.
Ich warf Robin einen vielsagenden Blick zu und meinte: „Ich verzichte, aber vielen Dank."
„Ey!", rief Robin beleidigt. Naja, er war wohl nicht wirklich beleidigt, denn er hörte nicht auf belustigt zu grinsen.
Oli hingegen lachte laut auf und tätschelte Robins Schulter: „Das erste Mädchen, welches deinem Charme widersteht! Das muss ja wirklich ungewohnt für dich sein!"
„Ach, weißt du Oli, irgendwann wird sie meinem Charme doch noch unterliegen, und zwar eher früher, als später!"
„Das werden wir ja noch sehen!"
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