8.

„Verdammt Henry, was ist passiert?", höre ich jemanden fragen und die grauen Wolken verziehen sich an den Rand meines Blickfeldes, sodass ich in Jaces besorgte Augen blicken kann.

Natürlich ist er es, wer sonst kann die Wolken so gut vertreiben?

„Fuck", hauche ich nur und spüre meinen Körper kaum. Er ist mir irgendwie fremd, aber nicht so wie wenn ich auf LSD bin und er einfach nicht existent ist, sondern eher auf eine schlechte Art. Als wäre mein Körper zu schwer und leblos, aber ich trotzdem in ihm gefangen.

„Oh mein Gott", entfährt es Jace, er betritt ebenfalls den Fahrstuhl und drückt auf ein anderes Stockwerk. Der Lift fährt hinauf und als er mit einem Pling die Tür öffnet, greift Jace mir unter die Arme und schleift mich in den hellbeleuchteten Flur.

Mein dröhnender Kopf ist so schwer.

Ich beobachte, wie er die Tür öffnet und ich stütze mich auf seiner Schulter ab.

Sein Smoking riecht gut, ein bisschen nach Lavendelwaschmittel.

„Komm Henry", flüstert er mir zu und meine aufgeplatzten Lippen verziehen sich zu einem gequältem Lächeln, während er mit mir in sein lichtdurchflutetes Apartment stolpert.

Es ist modern eingerichtet, die meisten Möbel sind schwarz oder weiß und ein riesiges Gemälde von einem lachenden Frauenkopf bedeckt die gesamte Wand des Flures. Sie scheint mich direkt anzulachen, als würde sie sagen: Sieh das Positive in der Situation. Du bist bei Jace zu Hause.

Aber eine böse Stimme in meinem Kopf antwortet darauf nur: Ja, aber sieh dich an. Du bist ein Schwächling, der seine Hilfe benötigt. Du bist sein verletzter Drogendealer, mehr nicht.

Er zieht mich durch eine offenen Durchgang in das Wohnzimmer. Der Nachthimmel scheint durch die Fensterwand, Jace klatscht einmal und das Licht geht an.

Sanft setzt er mich auf der schwarzen Ledercouch ab, die weder nach Rauch riecht, noch quietscht wie unsere Sofas zu Hause.

„Ich hol ein Kühlpack", teilt er mir mit und eilt in die angrenzende Küche. Alles ist ganz offen gestaltet und voller Licht.

In meiner Wohnung ist nie so viel Licht.

„Hier", sagt Jace, der gerade wieder im Türrahmen auftaucht und reicht mit ein blaues Eispack.

„Normal kühle ich mit Tiefkühlgemüse", witzle ich, doch jede Bewegung in meinem Gesicht tut weh. Jace lächelt, doch wird sofort wieder ernst.

„Wer hat das getan?", Sorge steht ihm ins Gesicht geschrieben und mein Herz geht auf, weil es Sorge um mich ist.

„Nicht so wichtig. Nur ein aggressiver Kunde", antworte ich vage und zische auf, als er das Kühlpack versehentlich zu fest gegen meine geschwollene Wange drückt.

Ich könnte es ihm abnehmen und selber kühlen, aber mir gefällt die Nähe.

„Das ist nicht nur ein aggressiver Kunde. Du solltest ihn anzeigen, sowas geht gar nicht!", empört sich Jace und starrt mich fassungslos aus diesen braunen Augen an, die von dunklen, langen Wimpern umrandet werden.

„Und was soll ich sagen? Er ist ausgerastet, als ich ihm sein Kokain gegeben hab?", frage ich und schüttle leicht meinen dröhnenden Kopf.

Ich brauche etwas aus meiner Bauchtasche, egal was. Vielleicht ein wenig Heroin oder Morphin, dabei habe ich mich bisher davon ferngehalten. Aber irgendwann setzt jeder, der mit Drogen zu tun hat, seinen ersten Schuss.

Und dann ist es oft nicht mehr weit bis zum goldenen Schuss.

„Aber trotzdem", meint Jace und lässt sich neben mir auf die Couch sinken, während er weiter meine Wange kühlt, „Damit kann er doch nicht durchkommen!"

Ich zucke nur mit den Schultern. „Berufsrisiko. Sehe ich sehr schlimm aus?"

Jace schaut mich an und nickt dann mitleidig grinsend. Ich lache leise auf und nehme ihm dann doch das Kühlpack ab, um es an meine andere Wange zu halten.

„Danke, Mann. Ich bin dir echt was schuldig", sage ich dann seufzend und er schüttelt nur den Kopf.

„Hatte gerade eh nichts zu tun. Deine Prügelei kam mir ganz gelegen, hat mich von dieser schrecklichen Party gerettet."

„Wieso denn schrecklich?", grinse ich, dabei weiß sogar er, dass ich diese Party gehasst habe. Wir haben uns an der Tür kurz begrüßt und ich hatte schon Zeit mich über den ätzenden Geschmack der Oberschicht auszulassen.

Da war er aber noch der Meinung, dass sein Abend zusammen mit Melly, die ein atemberaubendes dunkelblaues Abendkleid trug, dessen Ausschnitt einen grandiosen Einblick auf das gewährte, was Jace eigentlich heute Nacht sehen hatte wollen, schön werden würde.

Zumindest war das der letzte Stand der Dinge, als er Hand in Hand mit der Blondine den Raum betrat und mich mit meinem ersten Kunden zurückließ.

„Ich sollte nicht jammern, dein Abend war mit Sicherheit schlimmer als meine", meint er und hat damit definitiv recht. Trotzdem will ich wissen, was für graue Wolken ihn gejagt haben.

„Melly ist so anstrengend", entfährt es ihm und er seufzt auf, „Sie jammert und zickt und alles muss nach ihrer Fresse gehen. Ich bin immer im Unrecht, immer. Nein Jace, dass ist nicht Laurel sondern Esmeralda. Nein Melly, das ist meine Tante Laurel, ich bin mit ihr verwandt, also werde ich wohl wissen, wie sie heißt."

Er stöhnt auf und schließt genervt die Augen.

„Tja, das ist halt Liebe. Es gibt immer etwas, was einen nervt", meine ich sachlich, dabei habe ich keine Ahnung von Liebe.

Von Sex ja, ebenso von schlechten Beziehungen und vom Fremdgehen auch, aber nicht von Liebe.

„Das ist ja das Problem", seufzt er, „Ich liebe sie nicht. Nur mein Vater liebt die Version von mir, die eine hübsche Freundin hat und von ihr auf seine Partys begleitet wird. Weil es sich so gehört."

Er atmet tief ein und unsere Augen treffen sich. „Ich kann sie nicht lieben", sagt er und der intensive Augenkontakt setzt meinen Körper unter Feuer.

„Weil", er sieht mich aus großen Augen an und soviel Schmerz treibt in dem Rehbraun, „ich keine Mädchen liebe."

Ich will irgendetwas aufmunterndes sagen, ihm verraten, dass ich auch bi bin, aber heute verlässt kein Wort meine Kehle.

Stattdessen beuge ich mich vor und küsse ihn.

17.03.2019

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top