6.
Ich hasse den Supermarkt.
Die glücklichen Menschen, die ihr gesundes Essen kaufen und mit ihrem perfekten Leben angeben.
Ihr falsches Lächeln ist auf ihrem Gesicht festgewachsen und nur weil sie alle so glücklich aussehen, erwartet jeder von mir das selbe.
Als ob ich lächeln würde, während ich Kartons voller Milch vom Lager ins Kühlregal schleppe oder laktosefreien Joghurt einordne.
Der einzige Vorteil ist, dass ich in der Früh, bevor die ersten kaufwütigen Omas ins Geschäft humpeln, vor dem Lager gemütlich eine rauchen kann.
Der süßliche Geruch liebkost meine Nase und erleichtert es mir, das falsche Lächeln auf den Lippen zu behalten.
„Scheiß Wetter heute", sagt der magere Tim, der mir gegenüber sitzt und ebenfalls einen Joint raucht.
Ich bin froh, dass ich die Schicht mit ihm und nicht der alten Gertrud oder der spießigen Gabi habe. Sie würden mich sofort verpfeifen.
Aber Tim nicht. Er ist wie ich, lebt auch im Plattenbau zwei Straßen weiter und versorgt seine an Demenz erkrankt Oma, während er nebenher eine Ausbildung als Bürokaufmann macht.
„Wie lange bleibst du heute?", frage ich, weil ich gerne etwas früher gehen würde, um mich zusammen mit einigen meiner Freunde an den Waldrand zu chillen und ein bisschen was von der Pappe zu nehmen.
Ich liebe den LSD Trip; es ist als würde man seine Welt hinter sich lassen und eine neue betreten, die so viel bunter ist, dass man die Farbe sogar schmecken kann.
„Ich glaub bis zum Ladenschluss. Hab letztes Mal schon früher aufgehört und der Schröder hat's auf mich abgesehen. Du?", meint er und pustet den weißen Rauch in die morgendliche Luft.
Schröder ist der Chef und ein Arschloch. Alle Chefs sind Arschlöcher, sogar mein Bruder.
„Ich denk, ich geh früher", antworte ich und lehne mich zurück, um den Regen zu bewundern, der vor dem Vordach den Boden in eine einzige große Pfütze verwandelt. Wie Pfeile schießt er aus dem Himmel herab, richtig bösartig.
Vielleicht will er uns ja töten, aber kann es nicht, weil er nur aus Wasser besteht.
Und wenn der Regen richtig böse ist, wird er zu Hagel, sodass er uns wirklich verletzen kann.
Weil der Regen aus den grauen Wolken kommt und die grauen Wolken alles verderben. Sogar den Regen.
Ich lache und Tim lacht auch. Vermutlich hat er ähnlich abwegige Gedanken, denn der süßliche Rauch bringt sie in uns allen zum Vorschein.
In dem Moment klingelt mein Handy und ich erhebe mich, um ans Telefon zu gehen, ohne dass der neugierige Tim alles mitbekommt.
„Ja?"
Am anderen Ende ist David.
„Du musst mir 'nen Gefallen tun", sagt er und ich höre Stimmen im Hintergrund.
„Was gibt's?", frage ich seufzend. David benötigt des Öfteren Gefallen, vom einfachen an die Tanke gehen und Zigaretten klauen zum Leihen von all dem Geld, das ich besitze.
„Ich sitz bei dem Bullen fest und komm erstmal nicht weg", sagt er und ich seufze genervt auf.
„Dein Ernst? Was hast du diesmal gemacht?"
Die möglichen Konflikte von David mit dem Gesetz sind breit gefächert, von Erpressung und gefälschten Papieren zu Drogenmissbrauch und Diebstahl.
„Bin zu schnell gefahren und sie wollen jetzt einen Drogentests machen", meint er ruhig. Dabei wissen wir beide, dass der Test positiv sein wird, obwohl David im Gegensatz zu mir nur hin und wieder etwas konsumiert.
„Und was soll ich machen?", frage ich und nehme einen weiteren Zug. Nicht das erste Mal, dass er bei der Polizei festsitzt, und mit Sicherheit auch nicht das letzte Mal. Aber mein Bruder hat Kontakte.
Er kommt wieder frei, so ist es immer.
„Du musste eine Lieferung heute Abend übernehmen."
„Was und wohin?" Der Regen durchnässt meine Klamotten und macht sie unangenehm schwer. Er versucht mich zu Boden zu drücken, aber der Joint zieht mich hoch.
„Zucker und auf die Party von deinem Freund Jasper."
„Jace", korrigiere ich ihn und unwillkürlich schleicht sich ein Lächeln auf meine Lippen.
Nachdem ich Emma die Drogen gebracht habe, sind wir noch durch den Park gewandert und schließlich zum McDonalds, ein paar Burger holen. Jace hasst saure Gurken auf dem BigMac, dafür liebt er den Käse.
In der Schweiz gäbe es den besten Käse, hat er gesagt, als wir an einem der keinen Tische neben den Toiletten saßen und ein Kind neben uns geweint hat. Ich weiß nicht mehr wieso.
Jace war schon in der Schweiz, er war schon fast überall, während ich nur einmal aus Eichenfeld hinaus gekommen bin, um auf die Beerdigung meiner Großmutter in Berlin zu gehen, abgesehen von der Zeit, als ich bei meiner Mutter in Neukölln gewohnt hab. Und nicht einmal war das mehr als eine halbe Stunde Fahrtzeit.
Nach dem Essen ist Jace wieder gegangen, aber das Glücksgefühl hielt noch eine Weile an. Weil wir jetzt offiziell Freunde sind, zumindest soviel, dass er an seine Drogen kommt.
„Noch da?", kommt es vom anderen Ende der Leitung. Ich bejahe.
„Der Zucker liegt unter der Couch in der Küche zusammen mit 'nem Zettel der Namen. Bezahlt haben sie schon."
Ich bejahe wieder. Meine Pläne am Waldrand kann ich wohl aufgeben. Stattdessen muss ich mich wohl oder übel in Davids Secondhand Smoking zwingen, mich zwischen die Reichen mischen, die mich mit ihren abgehobenen Blicken anstarren werden und Kokain an die Bedürftigen verteilen.
„Und du nimmst nichts davor. Nicht, dass du noch was verschenkst, verstanden?"
Wieder bejahe ich gehorsam.
„Du weißt ja, wo's ist. Und wehe du fällst auf, ich hole dich nicht raus, wenn sie die Bullen rufen."
„Du hast gut reden, sitzt ja selbst gerade ein", antworte ich provozierend.
„Halt die Fresse, Henry. Wir brauchen des Geld."
„Ich weiß, mach dir keine Sorgen. Ciao."
Damit lege ich auf und schlendere wieder unters Vordach, um mich neben Tim zu setzen, dessen Joint langsam stirbt.
„Stress?", fragt der Rothaarige verständnisvoll.
Ich zucke mit den Schultern. „Nichts womit ich nicht umgehen könnte", und nehme noch einen Zug.
17.03.2019
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top