16.
„Du willst es doch jetzt nicht wirklich stehlen", zischt Jace, „Ich kann es dir zahlen."
Augenverdrehend ziehe ich die Hand aus der schlapprigen Hosentasche, in der ich soeben die Zigarettenschachtel verschwinden lassen habe.
„Wenn ich einen Moralapostel brauche, gehe ich in die Kirche", sage ich und lasse noch eine Schachtel in die andere Tasche gleiten. Der dicke Tankwart ist zu abgelenkt von der Frau in HotPants, die draußen vergeblich versucht ihren alten, klapprigen Wagen wieder zum Laufen zu bringen.
„Ach übrigens", meine ich, während ich ein Früchtemüsli in seinen Rucksack stopfe und mich schließlich mit einer billigen Tüte Chips an der Kasse anstelle, „Angel hat dich heute Abend mit zum Pizzaessen eingeladen. Du musst nicht kommen, wenn du nicht willst."
Jace grinst schief. „Wer sagt, dass ich nicht will. Wann hat sie das überhaupt gefragt?"
Der Tankwart scannt den Code der Chips mit seinem piependen Gerät ein.
„Als du noch nackt in meinem Bett geschlafen hast."
Sowohl Jace, als auch der Kassierer reißen die Augen auf.
„Pscht", zischt Jace, als hätte der alte Mann mit dem Bierbauch unser Gespräch noch nicht gehört, „Sag sowas doch nicht so laut!"
Ich lache trocken. Trocken wie die Sahara. „Ich vergaß, dein Ruf."
Das Grinsen des Tankwarts, als er mir mein Wechselgeld zurückgibt, sagt so viel wie Krise im Paradies und das könnte er auch laut sagen. Nur welches Paradies?
„Können wir sowas vielleicht nicht vor anderen Leuten regeln?", zischt Jace, während wir aus der Tankstelle trotten und ich den Blick von dem Kassierer im Rücken spüre, der natürlich nicht gemerkt hat, was ich alles mitgehen lassen habe.
„Der alte Mann braucht auch ein bisschen Unterhaltung, der bekommt doch sonst nichts mit von der Welt. Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert, da ist schwul sein okay."
„Bist du ernsthaft sauer, weil ich mich nicht outen werde, nachdem wir einen einzigen, belanglosen Onenightstand ohne richtigem Sex hatten?", fragt Jace mit hochgezogenen Augen.
„Es geht hier nicht um mich", behaupte ich, was natürlich gelogen ist. Es geht um mich und meine verdammten Gefühle, die nun einmal da sind und nicht verschwinden wollen. „Du bist schwul und das ist okay und ich finde, du solltest auch so leben, wie du das willst und nicht wie dein Vater es von dir verlangt."
Sobald wir hinter der Tankstelle auf dem schmalen Trampelpfad zurück zum Plattenbau sind, greift Jace in seinen Rucksack und drückt mir das unbezahlte Müsli wieder in die Hand.
„Es ist nett, dass du dir Sorgen machst, Freunde machen das schließlich", sagt er und lächelt falsch, „aber ich bin nicht schwul. Ich war nur auf LSD."
Ich grinse, und drücke ihn kurzerhand gegen die graue Mauer der Tankstelle. Überraschte keucht er auf, leistet aber keinen Widerstand und so lege ich einfach meine Lippen auf seine.
Sofort erwidert er den Kuss, als hätte er schon ewig darauf gewartet und damn, ich habe länger darauf gewartet.
„Und du bist also nicht schwul", grinse ich und lasse gegen meinen Willen wieder von ihm ab, bevor seine Zunge einen Eingang in meinen Mund findet.
Wehmütig blickt er auf meine Lippen, während er sich wieder von der dreckigen Wand löst.
„Vielleicht ein ganz kleines bisschen."
Ich lache, diesmal echt. „Man ist nicht 10 Prozent schwul, 35 Prozent asexuell und 70 Prozent hetero."
„Das sind 15 Prozent zu viel", klugscheißert Jace.
„Ich sag ja, das geht nicht", sage ich schulterzuckend, während wir wieder auf die geteerte Straße treten.
17.03.2019
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