Es ist schon fast elf, als das LSD langsam in Form von bunten Mustern auf der grauen Straße seine Wirkung entfaltet.

„Du bist definitiv ein schlechter Einfluss", lacht Jace, der über die Flüsse aus bunter Farbe springt, die plötzlich über den Gehsteig fließen.

„Ich zeig dir nur, was diese hässliche Welt für bunte Alternativen bietet", grinse ich und fühle die Wärme des orangenen Himmels, die alles einfärbt.

„Und ich liebe diese Alternativen", seufzt Jace und starrt begeistert seine Hand an, „Oh mein Gott, ich habe sieben Finger!"

Ich lache und ziehe ihn auf eine kleine Wiese neben dem Bahnhof, wo wir uns rücklings in das nasse Gras fallen lassen, um in den bunten Himmel zu starren, über den Regenbogensternschnuppen fliegen.

„Ich fühl mich vom Leben ausgeschissen, aber auf die geile Art", stellt Jace neben mir begeistert fest und sein Finger deutet in den karierten Himmel, an dem jeder normale Mensch nur graue Wolken sieht.

Aber wir nicht, weil wir wissen, wie wir sie bunt färben.

Alles tanzt und die grellen Muster gehen ineinander über und verschwimmen zu einem weltganzen Kunstwerk. Alles zieht über das Bild von links nach rechts, wie in einer alten Fernsehshow, bei der man rechts den Bildschirm verlässt und links wieder betritt.

„Hast du auch so viele Gedanken, dass sie weg sind, bevor du über sie nachdenken kannst?", erkundigt sich Jace, der immer noch euphorisch seine Hand betrachtet.

Im Glanz des LSDs leuchten seine blonden Haare noch schöner als sonst.

„Die Gedanken sind wie Werbungen im Fernsehen", philosophiere ich nachdenklich, während ich das frische Grün der Wiese schmecke. Ein bisschen wie ein Gemisch aus Zuckerwatte und Gurke, „Wenn man gerade eine Werbung sieht, springt's schon zur nächsten."

Er lacht glockenhell in gelborange.

„Schau mal, deine Schuhe", ich grinse seinen Fuß an, „Ich liebe das Blau! Es schmeckt wie Lebkuchen mit Erdbeeren und klingt wie Ed Sheeran."

Er lacht über mich und Tränen kullern über seine Wangen. „Du magst Ed Sheeran? Sitzt du dann irgendwann volltätowiert mit einer Box im Park und singst zu Shape of you?"

Ich muss ebenfalls lachen und ergänze mit schmerzenden Bauchmuskeln: „Und du tanzt dann dazu, vor deinem Vater!"

Eine Ewigkeit liegen wir nur im Gras und lachen Tränen über Sätze, die wir längst wieder vergessen haben.

„Ich will mir die bunte Stadt anschauen", beschließt Jace schließlich und reicht mir die Hand, um mich auf die Beine zu ziehen. Dort, wo er mich berührt, sprüht es pinke Funken, die nach dem Parfum von Melly riechen.

Ich lache darüber und folge ihm durch die bebende Straße. Die grellen Farben blenden mich, doch ich bin es gewohnt.

Vielfältige Formen erscheinen vor mir aus dem Boden und bilden einen Kreis aus geschlossenen Linien um mich. Sie nehmen mich in ihrer Mitte gefangen.

„Fuck", fluche ich und Jace vor mir dreht sich um. Er hat Ziegenhörner und kichert über seinen Arm. „Geh ohne mich weiter, ich bin gefangen in diesen Linien", bitte ich ihn und starre ihn wehmütig an.

Ich opfere mich für das Team. Sollen die Linien mich fangen, aber Jace, er wird entkommen!

„Wir lassen niemanden zurück!", schreit Jace und stürmt auf mich zu. Funken sprühen um ihn herum und mit Leichtigkeit wirft er mich über seine Schulter, um mich über die Linien, die kampflos verschwinden, zu tragen.

„Du bist mein Retter", lache ich und meine es hundertprozentig ernst, während ich kopfüber über seine Schulter baumle und die lustigen Blumen auf dem Boden beobachte, die in Sekundenschnelle wachsen und wieder verblühen.

„Mhm, dann solltest du dich wohl bedanken", überlegt Jace und trägt mich immer noch. Die Blumen lachen mir zu.

„Danke edler Reicher, wie kann ich mich dafür jemals revanchieren, wo du doch schon alles hast?"

Jace setzt mich wieder vor sich ab und lachend starre ich in seine Augen, die wenigen Zentimetern über meinen verharren.

„Wir wäre es mit einem Kuss?"

Irritiert hebe ich die Augenbrauen, hinter ihm regnet es Herzen, die nach Schokolade schmecken.

„Ich dachte, das ist dem hetero Vorzeigesohn nicht erlaubt?", stelle ich überraschend nüchtern fest.

Jace lacht. „Ach weißt du was..."

Und dann küsst er mich einfach.

17.03.2019