.:44:. Schlechteste Kriminelle aller Zeiten

Sich ein Lachen verkneifend hob Eleasar sie aus dem Stuhl, um sich hinzusetzen und sie daraufhin auf seinem Schoß zu platzieren. In seinem Brustkorb vibrierte es leicht. Seine Hände ehrfürchtig auf ihrer Babykugel ruhen lassend, begann er zu erzählen. „Santys war eine Gruppe von Dieben, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, Adlige um ihre Schätze zu erleichtern."

„Klingt irgendwie nach Robin Hood", murmelte sie leise.

„Wen?", hakte Aram mit funkelnden Augen nach.

Dafür erntete er einen finsteren Blick. „Entweder, du bist blind und taub durch die Gegend gelaufen oder Adele hat verpasst, dir eine ordentliche Einführung in Sagen und Legenden zu geben." Verärgert darüber, dass sie schon wieder die Kulturkreise vermischte, verschränkte sie ihre Hände mit denen ihres Mannes.

Der Vampir zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Warum hätte ich mich dafür interessieren sollen?"

„Arroganter Mistkerl", knurrte sie. „Du hast doch ein paar Jahre dort gelebt."

„Bedeutet nicht, dass ich mich mit sämtlichen Bräuchen und Sagen auskenne. Das mit den Göttern und Glaubenskriegen fand ich schon abenteuerlich genug."

Rias Augen funkelten kurz auf. „Das weckt Erinnerungen. Ich sollte mal einen..."

Sie kam nicht dazu, die Geschichte des Auftragsmordes an einem Islamisten zu erzählen, da ihr Mann ihr entschieden die Hand vor den Mund legte. „Ich dachte, wir sind uns einig, was dieses Thema angeht", flüsterte er ihr scharf ins Ohr.

Schuldbewusst verkroch sie sich in seinen Armen. „Jedenfalls", wechselte sie äußerst unauffällig das Thema, „war Robin Hood jemand, der von den Reichen genommen hat, um den Armen zu geben."

Ein undefinierbarer Ausdruck huschte über Arams Gesicht. „Nur, dass Santys nichts abgegeben haben."

„Stimmt", schaltete sich auch Eleasar wieder ein. „Meinem Vater ist der Kragen geplatzt, als sie in Talishas Haus eingebrochen sind." Rias Finger umklammerten seine plötzlich fester. „Hey." Beruhigend strich er mit dem Daumen über ihren Handrücken. „Du weißt doch, dass sie das überlebt hat. Diese Wesen waren Diebe, keine Mörder."

„Hormone", warf Aram erklärend ein und setzte die Geschichte fort. „Wie bereits erwähnt, ist Marjan ziemlich ungehalten gewesen. Eleasar hatte gerade seine Ausbildung abgeschlossen und war zu Besuch. Ursprünglich wollten wir..." Er unterbrach sich und sein Blick wanderte erst zu seiner Frau, dann zu Ria.

Die schnaubte nur. „Ihr wolltet Frauen aufreißen. Benenn es doch ruhig. Schatzi und ich wissen beide, dass ihr nicht gerade Asketen wart." Das brachte sie zum Nachdenken. „Wenn ihr beide so frauenliebend wart... Also wie war das dann mit Adele? Ich weiß ja ziemlich genau, wann ihr zwei..."

Wieder verschloss Eleasar ihren Mund mit seiner Hand. „Ich will gar nicht wissen, was du alles weißt."

Aram lachte belustigt auf. „Denkst du etwa, ich hätte die armen verwirrten Seelen ausgenutzt, die bei mir Zuflucht gesucht haben?"

Ria starrte ihn an, als wüchsen ihm plötzlich zwei Hörner aus der Stirn. „Zuflucht gesucht. So nennt man das also heutzutage. Weiß du, worunter das in meinem Wortschatz fällt?" Sie wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern setzte sogleich ein entrüstetes „Entführung" hintendran.

„Jetzt schließt du aber von deinem Fall auf das Allgemeine."

„Moment mal", trotz Eleasars Protesten erhob sie sich und baute sich vor dem Mann ihrer besten Freundin auf. „Soll das etwa heißen, ich bin die einzige, die ihr entführt habt?"

„Genau genommen", bemerkte der Vampir mit verengten Augen, „hast du dich ergeben, als du festgestellt hast, dass du mich nicht töten kannst."

„Eine deiner klügeren Entscheidungen", bemerkte Eleasar finster und zog sie zurück auf seinen Schoß. „Willst du die Geschichte jetzt hören oder weiter mit Aram diskutieren?"

Kleinlaut griff sie nach ihrem Glas. „Dann erzählt."

Mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen führte Aram seine Erzählung fort. „Wie gesagt, Marjan war sauer und wir gerade zufällig vor Ort. Wir erhielten den Befehl, diese Gruppe ausfindig zu machen und so viele wie möglich von ihnen gefangen zu nehmen." An dieser Stelle seufzte er schwer. „Wie sich herausstellte, waren diese Leute geschickte Diebe, hatten das mit dem Weglaufen allerdings nicht ganz so gut raus." Er machte eine andächtige Pause, in der er grimmig lächelte. „Nach einem Monat gelang es uns, sie zu stellen. Sie waren gerade unterwegs zu einem weiteren Raubzug, als wir sie in einem Gebirge stellten." Eine erneute Pause wurde gemacht, in der die beiden Männer grinsend Blicke tauschten. „Es waren sieben Personen. Wir hatten mit weniger gerechnet und waren überrascht. Sie waren im Vorteil, auch wenn wir sie in einer Ecke festgesetzt hatten." An dieser Stelle seufzte er fassungslos. „Eleasar und ich rechneten mit einem schweren Kampf. Immerhin waren es berüchtigte Diebe und ihnen drohte der Tod. Nie im Leben hätten wir damit gerechnet, dass sie sich in ihrer heillosen Panik selbst ausschalten würden."

Ria, die eine epische Geschichte erwartet hatte, starrte fassungslos zwischen ihrem Mann und seinem Cousin hin und her. „Echt jetzt? Das Kopflosmanöver?" Nicht einmal ihr dümmstes Opfer hatte sich so dämlich angestellt und sich selbst erledigt. „Ich hätte wohl ziemlich doof aus der Wäsche geguckt."

Aram lachte. „Das haben wir auch. Von den sieben Personen haben drei nicht überlebt. Nein, vier", verbesserte er sich. „Da war ein kleiner echt flinker Bursche. Ihm gelang es uns zu entkommen - bis zur Klippe. Er hatte wohl vergessen, dass wir uns auf einem Gebirgspfad befanden."

„Autsch." Kopfschüttelnd stellte sie ihr Glas beiseite. „Das sind meiner Meinung nach die dümmsten Gesuchten aller Zeiten."

Da grinste der Vampir sie frech an. „Du bist gleich in einen Giftbusch gesprungen. Marjan hat seinen Leuten ordentlich die Leviten gelesen, dass sie dich überhaupt haben entkommen lassen."

„Giftbusch?", hakte Eleasar so kalt nach, dass seine Frau erschrocken von seinem Schoß sprang. „Wieso das?" Seine Stimme klang gefährlich ruhig, sein Blick ruhte auf seinem Freund.

Aram wirkte nicht minder überrascht. „Ich dachte, dein Vater hätte dir erzählt, weshalb er sie in dein Zimmer einquartiert hat."

„Das hätte er auch so getan." Finster dreinblickend erhob er sich. „Ich muss wohl mal ein ernstes Wort mit ihm reden."

„Elea!" Ria klammerte sich Halt suchend an Aram. Irgendwie wollte ihr Kreislauf nicht so recht. „Das war, bevor wir uns überhaupt kennengelernt haben. Steck es weg. Das ist etwas, was ich allein zu verantworten habe. Ich bin halt gestolpert", gestand sie kleinlaut. „Das war nicht Marjans Schuld."

Scheinbar besänftig kam er wieder zurück. „Setz dich", er rückte ihr den Stuhl zurecht. „Lass dir von Aram helfen." Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte, bevor er sich mit einem flüchtigen Drücken ihrer Schulter verabschiedete. Ria seufzte schwer. Ihr blieb nur zu hoffen, dass er sich wieder einkriegen würde. Einen Streit zwischen Vater und Sohn konnte sie jetzt nicht auch noch gebrauchen.

„Es wird mit jedem Tag schlimmer", kommentierte Ria Arams fragenden Blick.

Der Vampir nickte knapp. „Sieht ganz danach aus. Ich kann es ihm aber nicht verübeln. Ich bin bei Adele auch fast durchgedreht vor Sorge - und sie ist die Sanftmut in Person. Was man von dir nun wahrlich nicht behaupten kann."

Sie lächelte matt. „Nein, Sanftmut ist nicht gerade meine stärkste Eigenschaft."

Nickend deutete er auf die Fragen. „Das hast du bereits bei unserer ersten Begegnung klargemacht."

„Ich hatte eine Freundin zu verteidigen", erinnerte sie ihn leise lächelnd. Mit einem entschuldigenden Lächeln an ihre Mitschüler zog sie Zettel und Stift zu sich heran. „Was hat denn eure kleine Anekdote mit diesem Datum zu tun?"

„Daraufhin hat Marjan die Gesetze die Kriminellen betreffend so stark verschärft, dass die Kriminalitätsrate in seinem Land heutzutage lächerlich gering ist."

Gewissenhaft notierte sie sich die Informationen, die er ihnen gab.

Zehn Minuten später hatten sie all ihre Lösungen. Begeistert legte Ria ihren Kram beiseite. „Achja, so ein Vampirlexikon ist echt praktisch. Gibt's dich auch im Taschenformat?"

Lachend schüttelte er seinen Kopf. „Auf was für Ideen du kommst."

Sie lächelte milde, bevor ihr Blick zu ihrem Mann wanderte und sie eine ernste Miene aufsetzte. „Meinst du, du kannst da was drehen, dass Elea mir das jetzt nicht die nächsten zwanzig Jahre unter die Nase reibt?" Es war ein kläglicher Versuch zu retten, was noch zu retten war.

Der Vampir neben ihr lachte heiter auf. „Das hättest du dir vorher überlegen sollen."

„Das nächste Mal zapf ich einfach seine Erinnerungen an", grummelte sie verdrossen.

„Ich glaube kaum, dass du das schaffst, wenn er das nicht will." Sein Blick wanderte zu seiner Frau. „Wollt ihr Frauen morgen wieder shoppen?"

„Ich komm ja kaum noch alleine aus dem Stuhl. Wäre wohl etwas zu viel des Guten." Davon abgesehen war sie ja gerade erst mit Isla los gewesen.

„So fit, wie du bist, sollte das doch kein Problem sein", entgegnete er mit hochgezogener Augenbraue.

„Fit?" Sie schnaubte ungläubig. „So langsam muss ich in die Trickkiste greifen, damit ich nicht jedes Mal sofort auf die Matte geworfen werde."

Lächelnd erhob er sich. „Ich hab dir gleich gesagt, dass es eine blöde Idee ist, mit ihm zu kämpfen. Apropos kämpfen", interessiert grinste er sie an. „Ich habe gehört, du hast aus euren Problemen gelernt und deine Schwester davor gewarnt, dasselbe zu tun?"

Finster knurrte sie ihn an. „Ja, das findest du unterhaltsam, was?"

„Glaub mir", meinte er und streckte sich gespielt verspannt, „das mit euch war alles andere als lustig. Du erinnerst dich an Wasserstadt? Hat Eleasar dir schon erzählt, was er mit dem Typen gemacht hat, der dich angegriffen hat?"

Elea? Der Mann musste dringend sein Gedächtnis auffrischen. Diesem dummen Wachmann hatte Elea ganz sicher nicht die Leviten gelesen. „He, Nucki, du hast wohl vergessen, dass ich dem das Lachen vom Gesicht gewischt habe."

Aram lächelte nachsichtig. „Fängst du so früh schon mit Alzheimer an? Ich erinnere mich dunkel an ein Ereignis, das für dich weniger lustig war."

Finster starrte sie auf Seanas Wälzer. Es war wirklich keine schöne Erinnerung. „Ne, erzähl. Ich hab da gar nicht mehr dran gedacht."

Im Wasser schnaubte Eleasar ungehalten. „Das glaube ich gern."

„Immer diese unqualifizierten Kommentare von den billigen Plätzen. Aber ich meine mich an eines zu entsinnen: da waren wir noch nicht zusammen, mein Lieber. Da warst du noch der Meinung, ich solle alles vergessen." Sich streckend stand sie auf. „Also, was ist passiert? Ich erinnere mich nicht an die Woche danach."

Der langhaarige Vampir lachte leise. „Wenn ihr mich fragt, wart ihr damals schon zusammen. Er hat Tag und Nacht bei dir am Bett gesessen."

Gerührt sah sie ihren Mann an. „Ja, er ist schon toll, nicht?"

Perplex starrte Aram sie an. „Kann ich das bitte nochmal hören? Keinen bissigen Kommentar, um deine Verlegenheit zu überspielen? Was ist mit dir passiert?"

„Wirst du schon taub? Ich meine, in deinem Alter ist das ja nachvollziehbar, aber ... Adele, Schatzi, dein Mann kratzt bald ab. Du solltest dich schon mal nach Ersatz umsehen." Etwas am Rande ihres Sichtfeldes regte sich. Verdammt, sie hatte ihre anwesenden Mitschüler vergessen. Lächelnd wandte sie sich der kleinen, sich sichtlich unwohl fühlenden Gruppe zu. „Wir sehen uns dann im Unterricht. Danke fürs Vorbeikommen." Ein Diener erschien, um sie nach draußen zu geleiten. Ria war mit ihrer Aufmerksamkeit schon wieder ganz bei ihrer Familie.

Adele saß am Beckenrand und war bemüht, ihren Sohn beim Planschen nicht untergehen zu lassen. „Ich hoffe auf Spontanheilung", griff sie entspannt die Bemerkung von zuvor wieder auf. „Aber Aram hat recht, du bist viel offener geworden."

Am liebsten hätte sie spätestens jetzt irgendeinen Spruch gebracht, doch ihr Blick blieb an Elea hängen, der sie liebevoll anlächelte. „Das ist Eleas Schuld." Sie sah ihn aus dem Wasser springen und wartete, bis er direkt vor ihr stand, bevor sie nur für ihn hinzufügte: „Bei dir fange ich an, wieder an Träume zu glauben."

„Und zu deinen Gefühlen zu stehen", flüsterte er ihr sanft ins Ohr. „Da geht es nicht nur dir so."

Angesichts seines rührenden Geständnisses, füllten sich ihre Augen mit Tränen. „Ich liebe dich, arrogantes Prinzlein."

In seiner Brust vibrierte ein tonloses Lachen, als er sie so eng wie möglich an sich zog. „Genießen wir den heutigen Tag. Die nächsten werden wieder turbulent."

Fest entschlossen, seinen Vorschlag in die Tat umzusetzen, löste sie sich von ihm, um zu ihrer Freundin ins Wasser zu springen. Trotz Geschichte würde sie sich diesen Tag nicht verderben lassen.


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