.:40:. Männer, die in ihre Frauen vernarrt sind
In den folgenden Wochen unternahm Ria alles nur erdenkliche, um sich abzulenken. Sie las viel, besuchte gewissenhaft den Unterricht, schrieb Adele noch häufiger als zuvor, schrieb sogar ihrer Schwester und trieb so viel Sport, wie möglich. Und doch wurde sie das Gefühl nicht los, immer stärker beobachtet zu werden. Nach einer Lektion mit Haru ließ sie sich geschafft auf den Boden sinken und klagte ihm ihre Sorge.
Er hockte im Schneidersitz vor ihr und sah ihr tief in die Augen. Wenn er das tat hatte sie jedes Mal das Gefühl, er würde auf den Grund ihres Wesens Blicken. „Mach deine Augen auf für die Geister in deinem Umfeld. Für die, die sich tarnen. Du wirst so stark beschützt, weil meinem Nachfolger aufgefallen ist, dass andere Kräfte dich beobachten. Ein wirklich würdiges Kerlchen. Bekomm ein Auge dafür und du wirst sehen, dass die anderen sich nur um dich sorgen und dir nicht das Leben schwer machen wollen." Er half ihr auf und deutete auf ihren rundlichen Bauch. „Deinem Kind geht es gut. Ich kann die Energie spüren, auch wenn ich nur ein Geist bin", fügte er lächelnd hinzu. „Aber es wird nicht mehr so lange dauern, wie angenommen. Deine Anspannung beunruhigt es ebenfalls. Und tu dir selbst einen Gefallen und halte dich von diesem lausigen Historiker fern. Der hat keine Ahnung. Ich kann dich über alles ins Bild setzen, was während und nach meiner Herrschaft geschah."
Ein leises Lächeln malte sich auf ihren müden Zügen ab. „Ich traue mich schon fast nicht mehr Eleasar zu bitten, etwas mit mir zu unternehmen, weil er dann immer so bemüht ist, mir alles abzunehmen."
„Er ist auch nur ein Mann, der in seine Frau vernarrt ist", entgegnete der Tote schulterzuckend. „Meine Frau hat mir regelmäßig Predigten gehalten. Half alles nichts. Beim zweiten Mal ging genau dasselbe wieder von vorn los."
Jetzt musste sie wirklich lächeln. „Wer hätte gedacht, dass du eine so weiche Seite an dir hast?"
Spöttisch erwiderte er ihr Lächeln. „Jeder noch so kalte Mann hat eine Schwäche. Es ist schwer zu akzeptieren, dass sein eigenes Herz plötzlich nicht mehr im eigenen Körper ist, sondern frei Nase durch die Welt streift."
„Übernimmst du jetzt langsam die Rolle der verständnisvollen Großmutter?"
Er lachte hohl. „Ah, jetzt unterstellst du mir Einfühlungsvermögen. Sorge dich um deinen Nachwuchs, Kleines. Alles andere ist zweitrangig."
„Oh, ich werde ganz sicher dafür sorgen, dass mein Kind niemals das Ausmaß deiner Eitelkeit erreicht." Vergnügt richtete sie sich auf. Verdammt, das wird auch Tag für Tag schwerer. Das mittlerweile beachtliche Babybäuchlein brachte sie regelmäßig aus dem Gleichgewicht.
Haru reichte ihr galant seine Hand. „Eine schwangere Frau sollte sich immer helfen lassen."
„Wow. Mein Urgroßvater flirtet mit mir", frotzelte sie dankbar.
„Deine unvergleichliche Schönheit fordert jeden Mann dazu auf", erwiderte er zwinkernd.
„Oh, sag das mal meinem Geschichtsprofessor. Der hasst mich zutiefst. Gut, dass Elea nie um eine Erklärung verlegen ist." Ihr Blick wanderte Richtung Ausgang und gefror. Ihr verhasster Geschichtsprofessor stand im Eingang und starrte sie an.
„Ich glaube, Kleines, wir sind aufgeflogen." Haru klang durchaus vergnügt. „Ich rede mal mit ihm."
„Nein, das tust du nicht. Damit schadest du mir."
„Ich war Kaiser, er muss mir gehorchen." Da war sie wieder samt und sonders - seine Arroganz. Sie versuchte ihn aufzuhalten, doch er löste seinen Arm einfach an der Stelle auf, an der sie ihn berührte.
„Gewöhnlicher Gelehrter. Mein Antlitz muss Ihnen die Sprache verschlagen haben. Lassen Sie mich Ihnen vorstellen, wer ich bin: Kaiser Haru. Wie ich hörte, sind Sie meiner Urenkelin nicht wohlgesonnen." Er beugte sich zu dem Gelehrten vor, der ihn mit großen Augen anstarrte. „Das wird sich natürlich ab sofort ändern. Sie werden auch unsere Begegnung hier unerwähnt lassen. Niemand würde Ihnen glauben."
Ria lief ein Schauer den Rücken runter. Das hatte er schon einmal mit jemandem gemacht. Dieses Manipulations-Dings war ihr unheimlich. Dass er es selbst in seiner Geistergestalt noch schaffte, solchen Einfluss auf Lebende auszuüben, war gleichermaßen beeindruckend wie beängstigend. Davor, dass er sie selbst beeinflussen könnte, hatte sie keine Angst. Er hatte ihr direkt zu Anfang gezeigt, wie sie solche Beeinflussungen bemerkte und sich erfolgreich dagegen verteidigte.
Der Geschichtsprofessor nickte benommen und verließ wie in Trance die Hallen. Zufrieden drehte der Geist sich zu seiner Nachfahrin um. „Sollte er dich noch einmal ärgern, bring ihn um."
Sie war sie nicht sicher, ob sie richtig gehört hatte. „Du ermunterst mich doch nicht gerade zum Mord? Mein Vater reißt mir den Kopf ab, wenn er das mitbekommt."
„Dein Vater ist noch toter als ich es bin, Kleines." Fürsorglich schob er sie zum Ausgang. „So, und jetzt geh zu deinem Mann."
Noch immer fassungslos verließ Ria die Höhle. Eleasar erwartete sie bereits davor und bewunderte seine Frau, die langsam auf ihn zu kam. Jedes Mal, wenn er von einem auswärtigen Auftrag wieder kam, hatte ihr Bauchumfang sich ein wenig vergrößert und mit jedem Tag, den die Schwangerschaft fortschritt, wurde sie schöner. Lächelnd streckte er seine Arme nach ihr aus, um ihr die letzten Stufen hinunter zu helfen.
„Na, eine lehrreiche Stunde gehabt?"
Sie strahlte ihn an und ließ sich vertrauensvoll in seine Arme fallen. „Du bist wieder da."
Dieses Mal war es nur eine Angelegenheit im Südhafen gewesen. Nichts, was eine mehrtägige Abwesenheit erfordert hätte. Und doch kam es ihm vor, als seien Tage vergangen. Sie fühlte sich so gut in seinen Armen, so geborgen. Plötzlich stupste sie ihn an. Ganz sacht, als hätte sie ihr eigentliches Ziel verfehlt. Stirnrunzelt sah er auf sie hinab. Begannen etwa jetzt schon die möglichen Koordinationsprobleme? War das nicht ein wenig früh? Laut Ärztin war sie noch einige Wochen davon entfernt. „Wofür war das denn?"
Irritiert sah sie zu ihm auf. „Ich freue mich auch dich zu sehen. Ich habe dich umarmt, was denn sonst?"
Er wollte ihr antworten, bemerkte dann aber ein paar Schaulustige. Um etwas Privatsphäre zu haben, brachte er sie per Schnellverfahren nach Hause. In ihrer Palastwohnung angekommen, half er ihr aus dem Mantel. „Du hast mich geknufft."
Verwirrung stand in ihrem bezaubernden Gesicht. „Warum sollte ich das getan haben?"
Jetzt war auch er überrascht. „Ich bilde mir das doch nicht ein."
Auf einmal schnappte sie nach Luft.
Alarmiert legte er einen Arm um sie. Sie durfte nicht schon wieder ohnmächtig werden. Das hatte doch vergangenen Monat erst aufgehört. „Alles in Ordnung?"
Atemlos legte sie ihre Hände auf den Bauch. „Ich glaube schon, ich..." Der Rest ihres Satzes verklang ungehört. Mit großen Augen starrte sie ihren Bauch an, die Augen ehrfurchtsvoll geweitet. „Unser Engel hat sich bewegt."
Tränen standen ihr in den Augen und liefen langsam ihre rosigen Wangen hinab, noch bevor er das Ausmaß ihrer Worte erfasst hatte. Wie erstarrt stand er da und beobachtete, wie sie beide Hände auf ihren Babybauch legte und leicht darüber strich.
„Komm her", flüsterte sie tonlos und griff nach seiner Hand, die sie sorgsam auf ihrem Bauch platzierte. „Fühl."
Angespannt wartete er. Eine Weile - eine unerträglich lange Weile - geschah rein gar nichts. Dann, auf einmal bewegte sich etwas unter seiner Hand. Nur ganz sacht, als würde jemand seine Hand wegtreten. Fassungslos starrte er auf seine und Rias Hände.
„Unser Baby."
Noch immer wortlos kniete er sich vor sie, die Hände auf ihrem Bauch ruhend. „Ich weiß nicht, wie ich euch jetzt noch außer Haus lassen kann."
Ria schnaubte. „Toll, jetzt hast du diesen schönen Moment kaputt gemacht." Ihre Worte klangen zwar vorwurfsvoll, ihr Ton hingegen quoll fast über vor Liebe. Sie löste eine ihrer Hände von ihrem Bauch, um ihm durchs Haar zu streichen. „Du wirst mich absolut nicht daran hindern, mich weiterhin so unfrei zu bewegen, wie ich es eh schon tue."
Nur widerstrebend löste er sich von der Sensation der ersten Babybewegungen seines Engels. Der sanfte und zugleich unnachgiebige Blick ihrer orangenen Augen ruhte auf ihn. „Du bist mein Leben, Ria. Ich kann nicht zulassen, dass euch etwas zustößt. Du kannst immer weniger die Balance halten. Wie willst du dich da verteidigen können? Von jetzt an bist du noch schutzloser als sonst."
Anstatt an die Decke zu gehen, wie sie es in den letzten Wochen so oft getan hatte, kniete sie sich vor ihn und nahm sein Gesicht in ihre zarten Hände. Ein durch und durch liebevoller Ausdruck spiegelte sich auf ihren Zügen, als sie verständnisvoll sprach: „Hör mal. Ich habe immer mindestens eine Person zu meinem Schutz dabei und Ragna. Wenn es zu gefährlich wird, bringt er mich fort. Immerhin kann er fliegen. Und sagtest du nicht selbst, dass es kaum stärkere Geisterwesen gibt als Schattendrachen?"
Innerlich musste er schwer aufseufzen. Er hasste es, wenn sie seine eigenen Aussagen gegen ihn verwandte. „Manchmal würde es dir nicht schaden, weniger scharfsinnig zu sein."
Ein leises Lachen stahl sich aus ihrem Mund. „Ich liebe dich auch, Hoheit."
Mit leichtem Kopfschütteln entzog er sich ihrem Griff. „Na komm, Liebste." Im Aufstehen zog er sie mit sich. „Wir müssen wegen nächster Woche noch ein paar Dinge abklären."
Genervt zog sie eine Schnute. „Ich will aber nicht. Das ist viel zu viel Aufwand um meine Person."
Lächelnd tippte er ihr an die Nasenspitze. „Du hast zugesagt. Es ist auch nur eine kleine Feier."
„Ich hab doch erst in zwei Wochen Geburtstag", brummte sie muffig. Es gefiel ihr gar nicht, dass sie sich dazu hatte breitschlagen lassen. Sara hatte sie solange belagert, bis sie eingeknickt war und einer kleinen Feier zugestimmt hatte. Zum Glück waren lediglich Familienmitglieder eingeladen. Sprich: Aram und Adele mit Cian, Marjan und Sara, Eleasars Geschwister, sowie Raphael und Isla. Mehr Personen hätte sie auf keinen Fall geduldet.
Liebevoll schloss er sie in seine Arme. „Mach kein Drama daraus. In deinem Alter sollte man sich freuen, wenn man Geburtstag hat. Da hat das alles noch eine ganz andere Bedeutung."
Störrisch verschränkte sie die Arme vor der Brust. Das war in Anbetracht ihres Bauches kein so leichtes Unterfangen mehr. Etwas stupste gegen ihren Arm. Sofort erschien ein Lächeln auf ihren Lippen. „Na toll, unser Engel solidarisiert mit dir."
Eleasars Lachen färbte auf sie ab. Ehrfurchtsvoll legte er seine Hände auf ihren Bauch. „Du bist ein Wunder, du kleines Wesen."
Eine Weile standen sie noch sich gegenseitig umarmend in der Gegend herum, dann löste er sich langsam von ihr. „Wir sollten langsam planen."
Seufzend ergab sie sich ihrem Schicksal. Das würden anstrengende Wochen werden.
.
Nachdem ihr Baby sich das erste Mal bei seinen Eltern bemerkbar gemacht hatte, musste Ria auf der Hut sein. Wann immer sie sich anmerken ließ, dass sie aus dem Gleichgewicht geriet oder ihr Engel sie so trat oder boxte, dass ihr die Luft ausblieb, tendierte Eleasar dazu, sie übertrieben vorsichtig zu behandeln. Die Redewendung jemanden in Watte zu packen, traf dann nicht einmal ansatzweise zu. Es war mühsam, ihn jedes Mal daran zu erinnern, dass sie nicht draufging, sondern nur schwanger war. Selbst die Ärztin, die sie in dieser Zeit betreute, stieß diesbezüglich häufiger an ihre Grenzen. Daher flüchtete sie sich in die Höhle und in die Schule, wenn er da war und sobald er fort war, begann sie mit ihrem Training. Allerdings fing er an, die Dauer seiner Ausflüge zu reduzieren. Sie war also gezwungen, kreativer zu werden.
„Ist dein Mann so überfürsorglich, dass du jetzt schon zu mir flüchtest, um zu trainieren?"
Sie erschrak heftig und geriet aus dem Gleichgewicht. Starke Arme griffen nach ihr und fingen sie auf, bevor sie mit dem Boden Bekanntschaft schließen konnte.
„Du überanstrengst dich noch." Harus Stimme erklang dicht an ihrem Ohr. „Du wirst unvorsichtig, Prinzessin." Er stellte sie sicher auf dem Boden ab, bevor er von ihr zurück trat und sie musterte. „Mach es deinem Mann doch nicht schwerer, als es sowieso schon für ihn ist."
Genervt verzog sie die Mundwinkel. „Mein Mann würde mich am liebsten ans Bett ketten, damit ich mich nicht bewege." Stöhnend streckte sie sich. „Man, ist das anstrengend schwanger zu sein."
„Du solltest dich langsam schonen." Seine Quecksilberaugen durchbohrten sie förmlich.
„Aber ich kann doch nicht einfach nutzlos herumsitzen und erwarten, dass mich alle von vorne bis hinten bedienen. Irgendetwas muss ich doch machen." Bekümmert ließ sie sich zu Boden sinken. Ihr Bauch war mittlerweile so groß, dass sie außer improvisierten Dehnübungen nicht mehr viel machen konnte. Zudem war ihr Kleines in diesen Tagen sehr aktiv. „Alle im Palast versuchen, mich von jedweder Stressquelle fern zu halten. Es geht sogar so weit, dass sie mich meiden oder mir offenkundig Dinge verschweigen. Ich könnte mich aufregen!" Frustriert schlug sie mit der Faust auf den Boden. „Ich kann das nicht mehr. Ich bin doch nicht krank!"
Mit vor Sorgenfalten zerfurchter Stirn kniete der Alt-Kaiser sich neben seine Urenkelin. „Kleines, sie meinen es doch nur gut mit dir. Wenn du immer das tust, wonach dir der Sinn steht, musst du mit solchen Aktionen rechnen. Komm ihnen ein wenig entgegen, dann solltest du mehr Freiheiten haben."
Zweifelnd sah sie ihn an.
Er redete eine Weile beschwörend auf sie ein, bis sie sich dazu bereiterklärte, den anderen die Chance zu geben, sich um sie zu sorgen. Nachdem er sein Ziel erreicht hatte, brachte er ihr noch einige kleine Dinge bei, bevor er sie mit einem „Mach mich stolz, meine wunderschöne Erbin" zum bevorstehenden Neujahrsempfang verabschiedete.
Draußen wurde sie bereits von Rory erwartet, der anscheinend das Pech hatte, sie heute bewachen zu müssen. Seit dem denkwürdigen Abendessen vor knapp vier Monaten sprach er kaum noch mit ihr. Es war nicht von der Hand zu weisen, dass er sich in ihrer Gegenwart nicht mehr wohl fühlte. Sie konnte es ihm nicht verübeln.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top