.:36:. Besuch

Entsetzt prustete sie das Wasser auf den Boden. „Oh." Sie griff hinter sich nach einem herumliegenden Handtuch und beseitigte die Zeugen des kleinen Sprühregens. „Heute."

Eleasar lachte herzlich. „Du siehst aus, als hättest du einen bösen Geist gesehen."

Fassungslos griff sie nach dem Schreiben. Marjans feinsäuberliche Schrift kündigte sie tatsächlich für den heutigen Tag an. In der Hoffnung, die sturmgrauen Buchstaben mögen sich neu anordnen, schüttelte sie das Blatt. Nichts geschah. „Das ist viel zu spontan", stöhnte sie entkräftet. „Was soll ich denn kochen? Ich habe nicht einmal wirklich Ahnung von der Küche hier."

Beruhigend strich er ihr mit dem Daumen über die trockenen Lippen. „Du solltest noch mehr trinken und dich dann hinlegen. Ich regle das schon."

Nachdem Ria sich unter einem Haufen Decken vergraben hatte, erledigte er alle nötigen Besorgungen. Sie hatten sich dazu entschieden, kein Personal mitzunehmen. Gelegentlich wurde geputzt, aber den Rest hatten sie bislang selbst erledigt. Und das war gut so. So hatten sie zur Ruhe finden und eine eigene, entspannte Routine entwickeln können. Ria war in den wenigen Tagen richtig aufgeblüht. Auch wenn sie mit den ersten Folgen der Schwangerschaft zu kämpfen hatte. Er war so unglaublich stolz auf sie und auf die Art, wie sie diese ungewohnte und sicherlich nicht immer leichte Situation meisterte.

Als er zurückkam, schlief seine Gemahlin friedlich auf dem Sofa. Ihr Haar hing dabei wie ein Vorhang von der Lehne herab und floss in dichten Wellen bis auf den Boden. Vor ihr lag ein aufgeschlagenes Buch, das über das Elternwerden informierte. Schmunzelnd nahm er es hoch, legte ein Lesezeichen zwischen die Seiten und stellte es zurück ins Regal. Sie war zwar sehr ängstlich, wenn es um ihr Baby ging, doch freute sie sich auch riesig darauf. Er konnte ihr tief empfundenes Glück spüren. Wären sie im Palast geblieben, hätte sie sich das wohl nicht eingestanden. Mit der Gewissheit, dass es ihr gut ging, machte er sich an die Arbeit.

Ihr knurrender Magen weckte Ria. Schon mit geschlossenen Augen konnte sie sagen, dass es herrliches Essen geben würde. Neugierig rappelte sie sich auf und tapste in eine warme Decke gewickelt in die Küche. Der Tisch war festlich gedeckt mit allen möglichen lecker aussehenden Speisen. „Ich wusste ja, dass du etwas kochen kannst, doch das hätte ich dir nicht zugetraut."

Eleasar trocknete gerade den letzten Topf ab. Nachdem er ihn verstaut hatte, drehte er sich freudig lächelnd zu ihr um und nickte dann in Richtung Tür. „Meine Eltern kommen gerade. Hältst du die fünf Minuten noch aus?"

„Es werden schwere fünf Minuten, aber ich denke schon." Kess zwinkerte sie ihm zu und ging zur Tür.

„Ria." Sara flog ihr um den Hals. „Ach, ich freue mich ja so für euch, Kinder!" Forschend musterte sie ihre Schwiegertochter. „Ja, du siehst eindeutig schwanger aus." Danach rauschte sie weiter ins kleine Haus.

Marjan lächelte Ria ungewöhnlich freundlich an. „Entschuldige. Sie ist, wie sie ist."

Schulterzuckend schloss sie die Tür. „Solange sie Hunger hat, ist mir alles andere gerade so ziemlich egal."

Sara tauchte munter schnatternd im Gang auf und zog sie in die Küche. „Kindchen, iss. Mein Sohn kocht seit Jahrzehnten nicht mehr, das muss ich erst einmal verdauen."

„Geht am besten mit vollem Magen", kommentierte Ria lächelnd und schaufelte sich begeistert ihren Teller voll.

Unterdessen plapperte Sara wieder munter drauf los. „Das erinnert mich glatt an die Zeit, als ich mit dir schwanger war. Dein Vater hat keine Nacht ruhig durchgeschlafen, weil ich immer wieder Heißhunger hatte."

„Seit wann schlafen Vampire nachts?"

Alle sahen Ria fragend an. Mit der auftauchenden Erkenntnis klatschte sie sich die Hand vor die Stirn. „Entschuldigt, falscher Kulturkreis. Menschen denken, dass Vampire nachts nicht schlafen."

Marjan lächelte sein leichtes, unheimliches Lächeln und erklärte ruhig: „Wir mögen die Sonne nicht sonderlich."

Da sie sich nicht noch einmal blamieren wollte, konzentrierte sie sich aufs Essen. Eleasar schenkte ihr Wasser nach und fragte seinen Vater beiläufig nach Kaiser Haru.

Der König wirkte aufrichtig verwundert. „Haru, das ist schon einige Jahre her." Nachdenklich betrachtete er Ria. „Glaubst du, sie entwickelt ähnliche Kräfte?"

„Oh, die Robbe hat mehr in Rätseln gesprochen als wirklich klare Auskünfte gegeben", murmelte Ria verdrossen.

Sara lachte herzhaft auf. „Als wir wegen Eleasar bei ihm waren, hat er auch wirres Zeug geredet. Ganz zum Schluss erst hat er Klartext gesprochen." Aufmunternd zwinkerte sie Ria zu. „Mach dir nichts draus, der ist nun mal verschroben."

„Haru", fuhr Marjan fort, als hätte es den Einwand seiner Freundin nie gegeben, „war vor dir die letzte Schattenseele in den kaiserlichen Reihen. Die genauen Umstände seiner Nominierung kenne ich nicht. Ich nehme an, ihr seid mehr an seinen Fähigkeiten interessiert."

Eleasar nickte knapp. „Es war nur eine Vermutung."

„Du bist trotzdem neugierig." Sein Vater sah ihn verständnisvoll an. „Das ging uns allen so. Niemand kennt die Talente der kaiserlichen Angehörigen, doch Haru war anders. Es ist schwer zu beschreiben, wenn man ihn nicht gekannt hat. Da war etwas an seiner Ausstrahlung, das viele in seiner Gegenwart hat vorsichtig werden lassen. Offensichtlich konnte er mit Geisterwesen, die nicht materialisiert waren reden. Eine verwirrende Angewohnheit. Ich bin mir auch sicher, dass er die Höflinge teilweise zu seinen Gunsten manipuliert hat." Er hielt inne, musterte Ria extrem aufmerksam und stand auf. „Deine Mutter. Was weißt du über sie?"

Verwirrt legte die junge Frau ihre Gabel beiseite. „Sie soll in der Menschenwelt gelebt haben. Also ihre ganze Familie. Allerdings hat mir niemand von dieser Welt erzählt. Außer Aleix. Und das auch erst, nachdem deine Einladung kam. Da war jeder, den ich nach meinen Eltern hätte fragen können bereits tot."

„Marjan, setz dich." Sara klang angespannt. „Das ist nur ein Gerücht."

Eleasar erschien es ähnlich zu ergehen wie seiner Frau, doch als seine Mutter auf dieses Gerücht zu sprechen kam, fiel bei ihm der Groschen. „Frag sie, sonst hast du schneller ein Messer im Herzen, als dir lieb ist." Er nahm Rias Hand und drückte sie beruhigend.

Langsam ließ der Vampir sich wieder auf seinen Platz sinken. „Es gibt zwei Möglichkeiten das herauszufinden."

„Was er damit sagen will", warf Eleasar finster ein, „ist, dass Haru seine Familie versteckt haben soll, bevor die Welten ihre großen Verbindungen verloren haben." Es gefiel ihm nicht, dass sein Vater vermutete, Ria könne Harus Erbin sein.

Marjan nickte knapp und bediente sich an seinem speziellen Getränk. „Zuerst könnten wir in die Halle der Ahnen gehen. Da begegnest du den Schatten deiner Eltern. Die zweite Möglichkeit ist, du lässt dich von mir beißen."

„Und ich dachte, ich hätte Glück gehabt und würde niemals als Snack herhalten müssen", fauchte Ria ungehalten. Die Situation war ihr sichtlich unangenehm „Warum ist es so wichtig? Ich komme auch so ganz gut klar."

Der Vampir lächelte schwach. „Mir ist es wichtig."

Darf ich deinem Vater den Hals umdrehen?

Nur zu. Ich glaube allerdings, dass es nicht allzu viel bringt. Mach dir aus seinem Vorschlag nichts. Er hat politische Gründe.

Ria war klar, was ihr Mann ihr damit sagen wollte. Das würde Eleasars Chancen auf den Thron steigern. Oder? Sie wusste herzlich wenig über die Auswahlkriterien, nach denen der neue Kaiser gewählt wurde. Willst du denn unbedingt Kaiser werden? Es überraschte sie zu bemerken, wie angespannt sie auf seine Antwort wartete.

Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Antwort bekam. Momentan möchte ich nur Zeit mit meiner Familie verbringen. Raphael lebt und solange er nicht im Sterben liegt oder die Zeichen der anderen beiden verblassen, bin ich ganz froh, nicht alleine die Verantwortung eines Nachfolgers tragen zu müssen.

Sie selbst dachte eine Weile darüber nach. „Diese Schatten", fragte sie schließlich, „kann man mit ihnen reden?"

Marjan nickte. „Bis zu einem gewissen Grad."

„Und ich muss nur meinen Eltern begegnen? Sonst niemandem aus meiner Vergangenheit?"

Sanft löste Eleasar die sich verkrampft um den Stuhl klammernden Hände seiner Frau. „Was beabsichtigst du?"

Ein wenig traurig sah sie ihn an. „Es wäre schön zu wissen, wo ich her komme. Zu wissen, wer meine Familie war. Meine letzten Erinnerungen an meine Eltern sind nicht schön." Ihr Blick wanderte zu ihrem Schwiegervater. „Bis auf die Augen bin ich quasi das komplette Ebenbild meiner Mutter. Warum fällt dir mein Aussehen erst jetzt auf?"

Sara schnaubte verärgert. „Weil er sich gerade erst wieder erinnert hat. Ria, Schätzchen, möchtest du nicht bis nach der Geburt warten? Du solltest dich schonen und euer Glück genießen."

Rias Miene war wie ausgewechselt. Sie strahlte Eleasars Mutter an und verkündete, glücklicher sei sie nie gewesen, doch habe das nichts mit ihrem Wunsch zu tun, ihre Eltern noch einmal zu treffen. Ich möchte dem politischen Wunsch deines Vaters nicht entsprechen. Ich muss es auch nicht jetzt herausfinden. Wenn du es nicht möchtest, verzichte ich vorerst darauf. Ich dachte nur, dass du mich vielleicht begleiten könntest. Manchen Geistern möchte man lieber nicht alleine begegnen.

Ihr Mann nickte verständnisvoll und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Ich bitte Raphael, die Kammer für dich freizugeben. Zu seinem Vater sagte er diplomatisch: „Wir ziehen die Möglichkeit in Betracht. Für heute hat sich ein Ausflug erledigt. Ria muss sich ausruhen."

Wie aufs Stichwort musste sie ein Gähnen unterdrücken. „Das machst du mit Absicht", klagte sie und stand auf. „Entschuldigt mich, ich lege mich was hin. Sonst trägt er mich gleich nur nach oben."

Sara lachte vergnügt. „Bevor er dich traf, hätte er das nie getan. Ich erkenne ihn manchmal kaum wieder. Komm, ich begleite dich, dann können wir Frauengespräche führen."

Eleasar wartete, bis die Frauen außer Hörweite waren, bevor er seinen Vater auf dessen Verdacht ansprach. „Harus Erbin? Kann man das über die Fülle an Generationen noch zurückverfolgen?"

Marjan nickte nachdenklich. „Es sind ihre Gesichtszüge. Die ehemalige Kaiserin war auch eine Schattenseele. Sie lebte in der Menschenwelt." Dort geborene Wesen waren von derselben Art wie ihre Mütter. „Die Brücken brachen zusammen und ich kann dir sagen, dass Haru alles unternommen hat, um seine Familie zu verstecken. Es war keine schöne Zeit." Traurig schüttelte der König seinen Kopf. „Er war gezwungen viele Aufstände blutig niederzuschlagen, um wieder Ruhe ins Land zu bringen. Danach hat er nie wieder von seiner Familie gesprochen und sich auch keine neue Frau genommen. In seinem Testament hat er jedoch verfügt, sollten seine Erben eines Tages nach Sídhe zurückkehren, sollten sie sein Erbe antreten."

„Und was genau ist das? Abgesehen von dem gesellschaftlichen Bonus?"

Schulterzuckend ließ Marjan sich in den Stuhl sinken. „Das könnte vieles sein. Er hat nicht einmal verfügt, was genau das sein soll."

Eleasar lächelte schwach. „Raphael hat es uns als Rätsel gezeigt."

Sein Vater sah ihn ernst an. „Wenn Ria seine Erbin ist, wird es schwer werden."

Entschieden verschränkte er die Arme vor der Brust. „Deshalb will ich es nicht wissen. Sie will ihre Eltern treffen, nicht mehr und nicht weniger."

„Früher oder später werde ich es herausfinden. Allerdings soll das jetzt nebensächlich sein. Camille versucht, bei mir wieder Fuß zu fassen. Sie wirbt stark um Arams Frau."

„Aram ist klug genug, das zu umgehen."

„Das schon. Wusstest du, dass dein Onkel ein Nekromant ist?"

Der Sohn sprang beunruhigt auf. Bislang hatte er sich nicht die Spur für seinen Onkel interessiert. Er war einfach der Mann der Schwester seines Vaters gewesen. Wirklich Kontakt hatten sie nie zueinander gehabt. „Und das erzählst du mir erst jetzt? Deine Schwester hat es auf meine Frau abgesehen!"

Beruhigend hob Marjan die Hände. „Ich habe es selbst erst vor einigen Tagen erfahren, als ein Todesgeist versucht hat, das Kind zu entführen. Es ist fraglich, ob Yanis stark genug ist, einen Geist zu Ria zu schicken."

Besorgt fuhr Eleasar sich durchs Haar. „Ich werde sie beobachten lassen."


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