.:35:. Neue Seiten

Eine ganze Lawine Steine fiel von Eleasars Herzen, als die Ärztin ihm am darauffolgenden Tag mitteilte, dass Mutter und Kind sich bester Gesundheit erfreuten. Weniger unbedenklich fand er ihren Rat, Ria sich austoben zu lassen. Da sie vom Vorabend noch immer niedergeschlagen war, beschloss er, sie mit ans Meer zu nehmen.

Er war gerade auf dem Weg zu Isla, um ihr mitzuteilen, dass sie für heute den Palast verlassen würden, da begegnete er Nathan und seiner neuen Freundin. „Eleasar. Hast du einen Moment?"

Ungeduldig blieb er stehen. Bevor er Ria getroffen hatte, kannte er dieses Gefühl nicht. Seit er wusste, dass sie schwanger war, machte ihn jede Sekunde, die er nicht bei ihr verbrachte fürchterlich nervös. „Kurz."

„Hör zu", begann sein Kontrahent langsam. „Ich wollte erst einmal gratulieren. Das ist gestern irgendwie untergegangen." Mit einem knappen Nicken nahm er die Glückwünsche entgegen. „Rory hat Unrecht." Ein Grinsen breitete sich auf Nathans Zügen aus. „Ich habe schon gehört, dass Ria in einer rauen Welt großgeworden und mit dem Töten vertraut ist, aber die Drohung, die sie Rory an den Kopf geworfen hat, hatte es echt in sich. Ich glaube, er nimmt sich jetzt in ihrer Gegenwart etwas mehr zurück."

„Das war keine Drohung", entgegnete Eleasar schlicht. „Das hat sie ernst gemeint."

Nathan lachte hart und kurz auf. „Sie ist vermutlich taffer als wir alle zusammen."

Unruhig sah er zum Palasteingang. „Danke. Ich möchte sie nicht warten lassen." Er nickte dem Mädchen in der Begleitung des Anderen unverbindlich zu und eilte dann den Gang entlang.

Die Kaiserin hieß den geplanten Ausflug willkommen und empfahl ihm, sich in den nächsten Tagen nicht blicken zu lassen. Nur zu gerne setzte er ihre Empfehlung in die Tat um und entführte seine Gemahlin in sein kleines Strandhaus.

Am Strand war es angenehm frisch. Zu dieser Zeit war es leider schon zu kalt, um baden zu gehen. Der Winter zögerte noch ein wenig mit seinem Einbruch - es machte die Luft angenehm und erholsam. Ria nutzte die günstige Witterung sogleich, um sich von ihm einen Pullover zu schnorren und ein wenig durch den Sandstrand zu joggen. Er selbst saß entspannt im Sand und blätterte ruhig in der Tageszeitung. Ab und an folgte er seiner Frau, die es zu genießen schien, sich endlich wieder austoben zu können, mit den Augen. Vereinzelt machte sie sogar Turnübungen. Bei einigen, wie zum Beispiel dem Radschlagen, musste er wegsehen. Er wusste, dass sie sich nicht verletzen würde, trotzdem war es momentan zu viel für sein Gemüt.

Atemlos ließ sie sich zu ihm in den Sand sinken. „Puh, das hat gutgetan." Vertrauensvoll lehnte sie sich an ihn und genoss den Ausblick aufs ruhige Meer. „Ist es wirklich okay, dass du dir meinetwegen eine Auszeit nimmst?"

„Euretwegen", korrigierte er sie lächelnd. „Das ist es durchaus. Raphael hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass er mich die nächste Woche über nicht sehen möchte." Er legte die Zeitung beiseite und strich andächtig durch die schwarze Mähne seiner Frau. „Hast du Adele schon geschrieben?"

Schuldbewusst sah sie zu ihm auf. „Noch nicht. Ich bin ja erst seit ein paar Tagen wieder hier. Meinst du, sie nimmt es mir übel?"

„Ich bezweifle es. Du kannst sie jederzeit einladen. Aber bitte nachdem meine Eltern da waren. Meine Mutter ist jetzt schon schlecht auf mich zu sprechen, weil ich es ihr nicht sofort erzählt habe."

„Hast du sie eingeladen?" Liebevoll legte sie einen Arm um seinen Nacken und spielte mit seinen Haaren. „Ich könnte etwas kochen. Aber dafür würde ich vorher in der Menschenwelt einkaufen wollen."

„Wenn du das wünschst."

Kopfschüttelnd richtete sie sich auf. „Was möchtest du tun? Ich meine, wir haben ein wenig Urlaub. Du musst doch irgendein Hobby haben, von dem ich vielleicht noch nichts weiß und dem du frönen möchtest."

Lachend zog er sie mit sich hoch. „Genießen wir einfach die Zeit, gehen in die Stadt und sehen, was kommt."

Das klang nach einem guten Plan. „Weißt du was? Ich geh duschen und dann gehen wir in die Stadt. Es gibt doch bestimmt so etwas wie Waffeln, oder? Setzen wir uns in ein Kaffee und tun so, als wären wir ganz normale Leute."

Perplex sah er ihr hinterher. Er hatte nicht erwartet, dass sie ihre Meinung so schnell ändern würde. Bevor sie aufgebrochen waren, hatte sie die Missgunst der Städter gefürchtet. Dass sie jetzt umso bessere Laune hatte, erleichterte ihn ungemein.

Als Ria angezogen aus dem Bad kam, wartete er bereits auf sie. Auch er hatte sich umgezogen und trug jetzt legere Alltagskleidung. Sie hatte sich ebenfalls für lockere Kleidung entschieden. Nur, dass sie eine dicke Sporthose und einen bequemen Pullover trug. „Meine Hose wollte mir nicht mehr passen", meinte sie schulterzuckend. „Wir müssen wohl wirklich einkaufen gehen."

Lächelnd bot er ihr seine Hand an. Das hatte sie davon, wenn sie gerne hautenge Sachen trug. Davon abgesehen übertrieb sie ein wenig. Nur wenn man sie kannte und darauf achtete, konnte man die kleinen Anzeichen erkennen. „Dann gehen wir einkaufen."

Die Leute starrten. Nie im Leben hätten sie damit gerechnet, Eleasar so unbeschwert und in normaler Alltagskleidung abseits der Nobelstraßen anzutreffen. Das Prinzenpaar wirkte unerwartet normal, wie es Hand in Hand durch die Straßen schlenderte. Einige mussten sich mehrmals umsehen, um sicher zu sein, wer da in die kleinen beschaulichen Läden kam.

Ria fand tatsächlich so etwas wie Waffeln. Genüsslich verspeiste sie den warmen Teig und leckte sich danach die Fingerkuppen sauber. „Du hättest mal probieren sollen", erklärt sie ihm versonnen lächelnd.

Liebevoll tippte er ihr auf die kühle Nasenspitze. „Wir sollten langsam neue Sachen für dich holen. Dir wird kalt."

Kopfschüttelnd hakte sie sich wieder bei ihm unter. „So schnell erfrier ich nicht. Oder willst du zurück? Ich mein, bei deinem Alter kann ich schon verstehen, wenn du mit meinem jugendlichen Durchhaltevermögen nicht mehr mithalten kannst."

Überrascht zog er eine Augenbraue nach oben. „Ich glaube, ich muss mich gerade verhört haben." Vor sich hin murmelnd ließ er sie stehen.

„Ah, das hättest du gerne", lächelte sie sanft und lief hinter ihm her. „Hey." Den Zuschauern fielen fast die Augen aus dem Kopf, als sie ihrem Mann auf den Rücken sprang, die Beine um ihn schlang und sich festklammerte. „Es schickt sich nicht, sein Date einfach stehen zu lassen."

Lächelnd löste er ihren Klammergriff um seinen Hals. „Wenn du mich erwürgst, hast du nicht mehr viel von mir."

„Hm, vermutlich hast du recht." Langsam rutschte sie von seinem Rücken. „Dann lass uns Mamakleidung shoppen gehen."

Die kleine Ansammlung Leute, die ihnen folgte, wirkte noch perplexer, als sie in ein Geschäft für Umstandsmode gingen. Die Verkäuferin schien sogar in eine andere Welt abgedriftet zu sein. Erst als Ria ein Kichern nicht mehr unterdrücken konnte, gelang es ihr, sich zu sammeln. Bestens mit Tipps beraten und einigen Taschen beladen verließen sie wenig später das Geschäft. „Dir ist schon klar, dass morgen die ganze Stadt von unserem Glück weiß?"

Selig knabberte sie an ihrem nächsten Waffelersatz. Diese Dinger waren einfach göttlich. „Mir egal. Ich hatte Spaß. Habe es immer noch."

„Hm, sechs Monate noch." Er lächelte seine Frau versonnen an. „Wir sollten langsam darüber nachdenken, wie wir das Zimmer herrichten."

„Ja, und einen Namen aussuchen, weil es ja schon bald soweit ist." Sie verdrehte die Augen und schlurfte über den Kiesweg. „Wenn nicht mindestens zehn Jahre vorher alles geplant ist, wird es nicht gut."

Seufzend warf er sich die Taschen über die Schulter. „Manchmal bist du unerträglich."

Sie grinste ihn ein wenig reumütig an. „Klingt vielleicht komisch, wenn ich dir das jetzt sage, aber ich glaube, dass das hier", sie deutete auf sie beide und dann auf ihren Bauch, „etwas ist, was wir nicht planen können. Wir sollten es auf uns zukommen lassen."

Auch wenn er ihr recht gab, konnte er es doch nicht lassen, sie aufzuziehen. „Stimmt, es klingt komisch. Wenn sie auch nur ein wenig ist wie du, werden die nächsten Jahre sehr erlebnisreich."

Ria hörte ihm ab dem zweiten Satz nicht mehr zu. „Sie? Wie kommst du denn auf die Idee?" Ihre Augen wurden schmal und sie blieb stehen. „Die Ärztin hat sich dir gegenüber doch nicht verplappert, oder? Ich will es nämlich gar nicht wissen."

Mit abwehrend erhobener Hand trat er auf sie zu. „Nichts dergleichen. Hättest du nicht gerne eine Tochter?"

„Ihr armes erstes Date", murmelte sie mitleidig. „Da wäre nen Junge, um den Weg zu ebnen doch besser."

Lächelnd beugte er sich zu ihr und küsste sie zärtlich. „Ich bin mir sicher, morgen werden einige Leute am Grundstück stehen und einen Blick auf dich erhaschen wollen."

Vergnügt zuckte sie mit den Schultern. „Solange sie nicht über mich tratschen und dabei diese unangenehme Energie ausstrahlen, ist es mir egal." Sie stahl sich noch einen Kuss und lief im Lichte der untergehenden Sonne auf das Meer zu. „Ist das nicht herrlich?", rief sie und drehte sich vergnügt im Kreis.

Ein etwas in die Jahre gekommenes Pärchen stand am Wegrand und sah Ria wohlwollend hinterher. Spontan ging er zu ihnen und begann ein unverfängliches Gespräch.

„Sie ist schwanger", stellte die Frau fest, ihr Blick erinnerungsträchtig, als sie seine Frau ansah. „So wie sie sich gibt, wird es ein gesundes Kind."

Eleasar nickte interessiert. „Sie haben nicht zufällig einen Rat, wie ich sie bei Laune halten kann?"

Der Mann lachte ironisch. „Das ist ein Unterfangen, das noch keinem Mann gelungen ist."

„Genießt die Zeit, Hoheit. Kinder sind anstrengend." Gutmütig lächelte die Frau ihn an.

„Meine Frau ist es auch", seufzte er und verabschiedete sich.

Ria wartete, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte. „Wie, jetzt so gesprächig? Und dann dem gemeinen Volk gegenüber? Du schockierst mich. Das mit der anstrengenden Frau habe ich übrigens gehört." Ihrem Lächeln nach zu urteilen, nahm sie es ihm nicht wirklich übel.

„Leugnest du jetzt etwa, dass ich wegen dir einige Jahre früher graue Haare bekommen werde?"

Munter plaudernd bogen sie auf den kleinen Weg zum Strandhaus ein. Es war seltsam, aber abseits ihres gewohnten Lebens fühlten sich beide wohl. Hier herrschte eine gänzlich andere Atmosphäre und erlaubte ihnen, sich wirklich zu entspannen. Dabei entdeckten sie aneinander neue Seiten und hatten seit langem das Gefühl, sich noch näher zu kommen. Eleasar zeigte ihr, wie sie das mit dem ungewollten Gedankenlesen in den Griff bekam und im Gegenzug zeigte sie ihm, wie sie die Welt wahrnahm. Die Klarheit und Stärke, mit der sie die Gefühlssuppe der Umgebung zu lesen vermochte, beeindruckte ihn. Er hätte nicht gedacht, dass diese Kräfte wirklich nützlich waren - auch wenn sie immer behauptet hatte, anhand dieser Eindrücke verschiedene Personen finden zu können. Jetzt wusste er, dass es durchaus möglich war. Sie verriet ihm auch, dass sie die meiste Zeit darauf verzichtete, die Atmosphäre um sich herum zu lesen, weil es sonst zu viele Eindrücke wären.

Nach einer Woche Strandurlaub traf ein Schrieben ein. Als Ria das Papier sah, verfinsterte sich ihre Miene augenblicklich. Fragend hielt er es ihr unter die Nase. „Das erinnert mich an meine erste Begegnung mit deinem Vater." Sie schüttelte sich leicht. „Bitte sag mir, was drin steht." In diesen Tagen war alles um sie herum zu intensiv. Eine starke Duftnote brachte sie ebenso stark aus dem Gleichgewicht, wie eine ungewollte Erinnerung.

Besorgt drückte er sie wieder auf den Stuhl. „Hast du schon genug gegessen und getrunken?"

Leicht zittrig griff sie nach einem herumstehenden Glas Wasser. „Anscheinend nicht. Vermutlich trinke ich in den nächsten Tagen einfach das Meer aus, damit das nicht mehr passiert."

Lächelnd setzte er sich neben sie und entfaltete das Schreiben, um es schnell zu überfliegen. „Meine Eltern kommen. Heute."


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