.:23:. Kannst du es dir vorstellen?

Die Rückreise verlief ruhig und ereignislos. Je mehr sie sich von Marjans Schloss entfernten, desto niedergeschlagener wurde Ria. Irgendwann wurde es für Eleasar unerträglich. Er ritt neben sie und zog sie vor sich auf sein Pferd. Dankbar vergrub sie sich in seinen Armen.

Ich habe Angst, gestand sie ihm nach einer Weile.

Er fasste die Zügel in eine Hand, um ihr mit der anderen das Haar über die Schulter zu schieben und ihr einen zärtlichen Kuss auf den Nacken zu drücken. Ich weiß. Ich habe dich mit Cian beobachtet.

Ein liebevolles, gedankenverlorenes Lächeln trat auf ihre Lippen. „Er ist so niedlich. Es macht Spaß, ihm einfach nur zuzusehen."

„Das hat man dir angesehen."

Ria entging völlig, auf was er anspielen wollte. „Es war schön, einmal von allem weg zu sein. Es war so herrlich ruhig."

Du sahst bis vor Kurzem auch noch glücklich aus. Er wechselte wieder in die gedankliche Kommunikation, weil sein Tonfall zu intim war, um zuzulassen, dass ihre Begleiter ihn hörten.

Können wir nicht einfach hier bleiben und nie wieder in die Hauptstadt zurückkehren?

Du weißt selbst, dass das nicht geht. Wieder küsste er sie auf den Nacken. Das Gerede im Volk hat sich beruhigt. Wir haben intensiv Einfluss auf die Berichterstattung genommen.

In Rias Ohren klang das stark nach staatlicher Zensur. In diesem Fall war es ihr nur recht und in den übrigen wäre es ihr vollkommen egal gewesen, inwiefern der Kaiser oder ihr Mann die Zeitungen beeinflussen konnten. Das klingt irgendwie nach einem großen Aber.

Lächelnd fasste er wieder mit beiden Händen nach den Zügeln. Wir müssen hier schneller reiten. Diese Ebene ist bekannt für Räuber und ich habe keine Lust, mich mit ihnen herumzuschlagen. Kann ich es riskieren, ohne dass du wieder von der nächstbesten Klippe springst?

Sie schenkte ihm ein müdes Lächeln. Du weißt es, oder?

Er brauchte nicht erst zu fragen, was sie meinte. Ihm war aufgefallen, dass der Schatten um ihre Seele seltsam schwach war. Er ist nicht bei dir. Es wurmte ihn mehr als er zugeben wollte. Schließlich war der Schattendrache ihre einzige Chance, heil davon zu kommen. Seit wann?

Ihr leises Seufzen war kaum hörbar. Nach etwa einem Monat hat er es hier nicht mehr ausgehalten. Ich wollte ihn nicht aufhalten, denn dazu habe ich kein Recht. Sie machte sich ein wenig kleiner, da sie Vorwürfe erwartete, weil sie ihren Schattendrachen hatte ziehen lassen. Doch Eleasar sagte kein Wort, sondern trieb lediglich sein Pferd voran. Rias weiße Stute folgte seinem Schwarzen auf den Fersen.

Am Waldrand hinter der Räuberebene verlangsamte er das Tempo wieder und gestattete ihr, sich umzudrehen. Schwermütig sah sie ihm in die Augen. Wir müssen wohl langsam über eine Antwort nachdenken.

Er warf einen Blick über ihre Schulter und schüttelte leicht den Kopf. Nicht hier. Wir erreichen gleich eine Kleinstadt. Dort werden wir die Pferde zurücklassen und mit der Kutsche weiterreisen. Das ist angenehmer für dich. Außerdem sind wir dann für eine halbe Tagesreise ungestört.

Erleichtert ließ sie ihren Kopf gegen seine Brust sinken. Danke.

Keine zehn Minuten später erreichten sie besagte Stadt, die sie nach einem kurzen Imbiss auch schon wieder verließen. Ria war froh darüber, sich nicht mit den Wesen um sie herum unterhalten zu müssen. Ihr war ohnehin schon mulmig genug zumute, überhaupt mit Begleitschutz zu reisen.

In der schattigen Kutsche zog Eleasar sein Hemd aus. „Was für ein warmer Spätsommer."

Ria musste unwillkürlich schmunzeln. „Wenn ich jetzt auch anfange mich auszuziehen, hat sich das mit dem Reden wohl erledigt."

„Das hast du gut erkannt", entgegnete er ruhig. Sie schwiegen sich kurz an, bevor er mit ernster Stimme auf das Thema zu sprechen kam, vor dem sie sich die letzten Wochen erfolgreich gedrückt hatte. „Kannst du es dir vorstellen?"

Fragend sah sie ihn an. „Ich bezweifle, dass du die Tatsache meinst, dass du notfalls auch auf ein Bett verzichten würdest."

Nervös fuhr er sich durch die Haare. Er war es nicht gewohnt, sich so unsicher zu fühlen und er hasste es. „Eine Familie."

Rias halbherziges Lächeln erstarrte. Schmerz trat in ihre Augen, woraufhin sie ihren Blick schnell nieder schlug.

Eleasar kniete sich vor sie und nahm ihre Hände behutsam in seine. Schon jetzt widerstrebte es ihm sie dazu zu zwingen, sich mit einem derartigen Thema auseinander zu setzen. Bislang war Familiengründung für sie beide kein Thema gewesen und bis er sie mit Cian hatte spielen sehen, hatte er es sich auch nicht vorstellen können. Liebend gern hätte er einfach gewartet, bis sich auch in ihr der Wunsch nach Kindern entfaltete, doch leider zwang die Situation ihn dazu. „Nicht zeitlich begrenzt. Ich möchte eine allgemeine Antwort."

Ria dachte an Aram und Adele, die mit ihrem Kind so unendlich glücklich wirkten. Aber Cian war auch zu süß, um ihn nicht zu lieben. In der Abgeschiedenheit von Marjans Herrschaftssitz hatte sie es genossen, sich mit ihrer Freundin zumindest zeitweilig die Aufgaben einer Mutter zu teilen. Egal wie schlimm es war, hatte Adele ihr gesagt, Cian war jedes Leid der Welt wert. Damals, als sie Adeles Schwangerschaft bemerkt hatte, war es für sie keine Option gewesen, irgendwann einmal eigene Kinder zu haben. Seitdem war einiges passiert. Isla hatte sie beispielsweise gelehrt, sich mit den Dämonen ihrer Vergangenheit Stück für Stück auseinanderzusetzen. Sie war jetzt eine andere wie noch vor eineinhalb Jahren, als sie Elea getroffen hatte. Jetzt war sie sich sicher, dass Eleasar ihre Grenzen akzeptierte und sich bemühte, sie zu nichts zu zwingen, was sie nicht wollte. „Ganz allgemein?" Verhalten lächelte sie ihn an. „Ja."

Eine unbeschreibliche Leichtigkeit ergriff von ihm Besitz. Mit einem atemberaubenden Lächeln auf den Lippen küsste er sie vorsichtig-zärtlich. „Vergiss alles um uns herum. Das einzige, was wirklich zählt, sind wir. Und das, was zwischen uns ist."

Ein wenig zitternd löste sie sich von ihm. Sie konnte es selbst noch nicht ganz fassen, dass sie es tatsächlich in Betracht zog, eine Familie zu gründen. „Und was ist mit dir?"

Beruhigend strich er ihr über die sonnengebräunte Wange. „Ich musste dich nur mit dem Kleinen sehen, um zu wissen, was ich will."

„Und das wäre?", erkundigte sie sich unsicher.

„Dich mit meinem Kind spielen sehen. Zu sehen, wie du es anlachst, wenn es versucht, dir die Haare vom Kopf zu ziehen."

Einen Moment lang erlag sie dem Zauber, der zwischen ihnen herrschte. Dann fuhr die Kutsche über eine unebene Stelle, wodurch sie leicht durchgeschüttelt wurden. Mit einem Mal wurden ihr all die äußeren Umstände bewusst und sie knickte zusammen. „Ich kann das nicht", schluchzte sie an seiner Brust. „Ich kann nicht daran denken, wenn es so ist, wie es ist. Sie werden behaupten, das Kind wäre von einem anderen."

Sanft wiegte er sie hin und her. „Ein gebundenes Wesen kann sich nur mit seinem Partner fortpflanzen. Daher warten so viele ungebundene unter Umständen sehr lange, bevor sie sich ohne Bindung ein Kind zulegen."

Dieses Wissen beruhigte sie ein wenig. Es würde kein neues Gerede geben. „Das ist also quasi der ultimative Beweis dafür, dass die Beziehung in Ordnung ist?"

Eleasar nickte widerstrebend. „Aber das ist egal. Wenn du sagst, du bist nicht bereit, dann bist du es nicht." Fest sah er sie mit seinen klaren, dunkelblauen Augen an. „Lass es dir durch den Kopf gehen, wir haben noch Zeit. Eins kann ich dir gleich sagen - wenn du nicht so fühlst, klappt es nicht."

Ria verstand, was er ihr sagen wollte. Sie sollte nicht so tun als ob und sich selbst und allen anderen etwas vormachen. Vertrauensvoll sank sie in seine Arme. Sie war ihm so unendlich dankbar für die Zeit, die er ihr lassen wollte.

Die nächsten drei Tage der Reise verliefen ruhig. Eleasar ließ ihr die versprochene Zeit und bedrängte sie nicht. Er fasste sie nicht einmal an. Oh, er küsste sie schon noch, aber das war es dann auch. Auch wenn es sie traf, dass er diese Distanz wahrte, so wusste sie, dass er ebenso wie sie wusste, wie unentschlossen sie war. Täglich wechselte sie mehrfach ihre Meinung. Es war zum Verrücktwerden.

Wieder Zuhause angelangt erwischte Eleasar sie dabei, wie sie in einem der leeren Zimmer stand und gedankenverloren die Wand anstarrte. Er zählte eins und eins zusammen. Das hier war ein leeres Zimmer neben ihrem Schlafzimmer.

Mit geröteten Augen sah sie zu ihm auf. „Elea."

Er stellte sich dicht neben sie, eine Hand auf ihrer Taille ruhend. Warum hatte sie geweint? „Ria."

Mit einem schwachen Lächeln nickte sie in den Raum. „Kannst du es dir vorstellen? Ein Kinderzimmer?"

Forschend betrachtete er sie. „Ich werde Raphael sagen, dass es keine Option ist."

Überrascht sah sie ihn an. „Wieso das?"

„Weil du dich quälst. Das sind nicht die Voraussetzungen, die ich mir für uns wünsche."

Etwas wie Enttäuschung blitzte in ihren hellen Augen auf. „Heißt das, du nimmst Abstand von der Idee?"

Nachdrücklich schüttelte er seinen Kopf. „Nein. Ich will noch immer, dass du mein Kind zur Welt bringst. Aber vor allem", fügte er hinzu und sah sie dabei eindringlich an, „möchte ich, dass du glücklich bist. Es grenzt für mich an körperliche Schmerzen, dich leiden zu sehen."

Sein offenes Geständnis machte sie sprachlos. Mit geröteten Wangen wandte sie sich ab und lief ein paar Schritte. „Geh mit mir in die Menschenwelt. Ich möchte etwas herausfinden. Hier erkennt uns jeder."

Er trat dicht hinter sie und beugte sich langsam zu ihr herunter. „Und was ist das?"

Geheimnisvoll lächelte sie ihn an. „Ich denke, ich weiß, was ich wirklich will. Ich möchte nur sichergehen."

„Dazu brauchst du doch nicht in die Menschenwelt zu gehen", entgegnete er mit gerunzelter Stirn. Wenn es nach ihm ginge, sollte sie keinen einzigen Gedanken mehr an diese Welt verschwenden. „Du siehst nicht einmal mehr menschlich aus. Deine Haare sind zu lang und deine Augen zu orange."

„Kontaktlinsen", erklärte sie ihm in einem Ton, als wäre er minderbemittelt.

Er verstand nicht recht, was sie ihm sagen wollte. „Ein Experte in Sachen Menschenkultur bin ich nicht", brummte er und richtete sich wieder auf.

„Tragisch", meinte sie grinsend und ließ ihn einfach stehen.

Kopfschüttelnd lehnte er sich an die Wand. Wenn sie mit ihm spielte, war er ihr hoffnungslos ausgeliefert. Kein wirklich gesunder Zustand.

Mit einem leisen Lachen trat Raphael in den leeren Raum. Es war nicht ungewöhnlich, dass der Kaiser hier erschien, wenn er etwas Privates besprechen wollte. „Frauen. Sie rauben uns den letzten Nerv und doch können wir nicht ohne sie."

„Wie wahr", murmelte er träge. „Die drei Monate sind um, hm?"

Der Ältere nickte. „Ich brauche eine Antwort."

Eleasar seufzte schwer. „Es ist nicht so, dass du deinen quasi-Enkel nicht kriegen sollst. Aber ich will nicht, dass Ria sich quält."

„Ich hatte den Eindruck, dass sie sich entschieden hat. Emotional."

Das hatte er auch schon gespürt. Das bedeutete aber nicht, dass sie sich nicht wieder umentschied, sobald sie die sichere Atmosphäre seines Hauses wieder verließ. „Verlangst du eine offizielle Antwort?"

„Du willst mich anlügen?" Der Kaiser hob fragend eine Augenbraue.

Sein Protegé sah ihn gequält an. „Nein. Aber ich will den Druck von Ria nehmen. Ich kann dir sagen, dass wir es versuchen wollen. Du bekommst keine klare Antwort, wenn du mein Nein nicht akzeptieren oder es als Lüge abtun willst."

Raphael lächelte ihn zufrieden an. „Deine Frau wird nie erfahren, dass du ihretwegen meinen Wunsch missachtest?"

Er schnaubte. „Das ist dein privater Wunsch."

„Bei meiner Jahrfeier werde ich ja wissen, wie eure endgültige Antwort lautet." Sein unbeschwerter Ausdruck wich einer ernsten Miene. „Morgen und in einer Woche werden zwei wichtige Empfänge abgehalten. Alle haben da zu sein. Der Herrscher der Glasinseln wird beim zweiten Termin zu Gast sein. Morgen haben wir den Prinzen der Jenseitsinsel da."

Eleasar nickte knapp. Das waren beide Vertreter benachbarter Königreiche. „Spezielle Wünsche?"

Dasselbe knappe Nicken, wie er es zuvor selbst benutzt hatte. „Ein Abendempfang. Deine Frau soll sie umhauen. Isla wird sich nachmittags um ihre Garderobe kümmern."

Es gefiel ihm gar nicht, Ria als Werkzeug einzusetzen. „Meinetwegen könnte sie in eine Gardine gewickelt auftauchen."

Dieses Mal lächelte Raphael nicht. „Du weißt, wie angespannt die Lage ist. Wir müssen alle Karten ausspielen, die wir haben. Ria und Isla sind nun mal die einzigen Frauen in meiner Familie. Mir gefällt es genauso wenig, aber wenn wir dadurch die Atmosphäre ein wenig auflockern können, lässt es sich wohl nicht vermeiden."

Eleasar warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ich reiße dem Kerl den Kopf ab, wenn er sie auch nur falsch ansieht."

„Du solltest an deiner Eifersucht arbeiten", riet ihm der Ältere und verschwand.

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