.:21:. In deinem Kopf
Verwundert begrüßte Eleasar seine Frau an Deck. So früh hatte er sie nicht zurückerwartet. „Du siehst betrübt aus."
Ein schwaches Lächeln malte sich auf ihren Lippen ab. „Eigentlich eher melancholisch." Entschieden schob sie ihren Kummer beiseite, ging hinein und setzte sich hungrig zu den anderen an den gedeckten Mittagstisch. „Mit Ragna sind sie sieben."
„Er ist nicht bei dir." Ihr Mann klang angespannt.
„Nein", beruhigend nahm sie seine Hand in ihre. „Er wollte ein wenig dort bleiben. Es ist keine Distanz, über die ich ihn nicht erreichen kann. Wenn du dir sorgen machst, musst du mich nur in meine Wohnung bringen, dann hol ich meine Waffenkammer her."
„Du wirst hier ganz sicher nicht mit einem Schwert durch die Gegend rennen", murrte er.
Vorwurfsvoll sah sie ihn an. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich das in der Menschenwelt getan habe. Wenn das daran liegt, dass du denkst, ich kann nicht gut genug damit umgehen, kannst du dich ja gerne selbst davon überzeugen. Oh, und das könnte mich vor schleimigen Avancen anderer schützen." So langsam gefiel ihr die Idee, auch wenn es zuerst nur als Scherz gemeint war.
„Und dann triffst du auf jemanden, der besser ist als du." Finster nahm er ihr das Messer weg, mit dem sie ungehalten vor seiner Nase herumfuchtelte. „Das ist scharf, du könntest dich verletzen."
Belustigt musterte sie ihn. „Gilt das Gleiche nicht auch für dich?"
Er legte das Messer beiseite und sah ihr eindringlich in die Augen. „Ragnarök ist die einzige Waffe, die du unbemerkt mit dir herumtragen kannst. Niemand anderes kann ihn gegen dich verwenden."
„Unser Vertrag beruht auf Freundschaft und Gemeinsamkeit. Wenn er nicht will, kann ich gar nichts gegen andere ausrichten. Betrügt einer von uns den jeweils anderen, ist der Vertrag null und nichtig." Und ihn zu etwas zu zwingen wäre Verrat. Verstimmt warf sie die Gabel auf den Tisch und stand auf. „Er ist nicht mein Gefangener."
„Ria."
Sie drehte sich nicht um, blieb aber stehen. „Was willst du?"
Ergeben seufzend stand er auf. „Ich möchte dich keinem Risiko ausgesetzt wissen." Er spürte, wie sie mit aufkeimender Trauer und Hilflosigkeit kämpfte. Beschwichtigend wollte er sie in den Arm nehmen - und landete auf dem Boden.
Außerhalb seiner Reichweite ließ sie sich auf die Knie sinken, wo sie angespannt verharrte. „Du meinst, ich bin nicht in der Lage, mich selbst zu verteidigen?"
Sich das Handgelenk reibend, setzte er sich auf. Er hatte sich nicht wirklich verletzt, auch wenn ihr Angriff ihn überrascht hatte. „Willst du das ausdiskutieren?"
Ein angriffslustiges Lächeln malte sich auf ihren Zügen ab. „Ich bin mir sicher, das eine oder andere schlagkräftige Argument zu haben."
„Nennt man das in der Menschenwelt nicht häusliche Gewalt?", versuchte er sie aufzuziehen.
„Wie gut, dass das hier nicht die Menschenwelt ist und du dich nicht von mir scheiden lassen kannst, Liebling."
Eleasar lächelte schwach. „Bei deinen langen Haaren liegst du schneller auf dem Boden als dir lieb ist."
Mit einem Mal kam Leben in seine Frau. Sie sprang auf, lief zum Tisch und schnitt sich ihre Haare auf Schulterhöhe ab. „Hat sich gerade eben erledigt."
Kopfschüttelnd stand er auf. „Was soll das eigentlich werden, wenn du fertig bist?"
„Du hast mich gerade herausgefordert."
„Daran kann ich mich nicht erinnern." Langsam ging er zurück zum Tisch. Ria stand zwar ruhig da, aber er wusste, dass das nichts zu bedeuten hatte. Er spürte ihre abwartende Haltung nur allzu deutlich. „Du wirst wieder verlieren."
Scheinbar gelassen vertrat sie ihm den Weg. „Darauf würde ich jetzt nicht wetten."
Innerlich aufseufzend lenkte er ein. Sie musste sich dringend abreagieren. „Gewinnst du, ist alles in Ordnung. Wenn nicht, lasse ich mir etwas einfallen."
Schulterzuckend willigte sie ein. „Abgemacht. Aber lass uns raus gehen. Nicht, dass hier noch etwas zu Bruch geht."
Isla wechselte einen erstaunten Blick mit Raphael. Gleichermaßen belustigt wie neugierig entschieden sie sich dazu, die beiden zu begleiten. Es interessierte sie brennend, ob Ria in der Lage war, ihren Mann in Verlegenheit zu bringen. Schneller als von ihnen angenommen, griff sie Eleasar an. Er schaffte es problemlos auszuweichen, musste dann aber einen Schlag einstecken. So ging es eine Weile weiter und es schien, als wären sie gleich auf. Dann brach Ria plötzlich zusammen. Besorgt beugte Eleasar sich über seine schwer atmende Frau. „Alles in Ordnung?"
Sie nickte und rappelte sich mit zittrigen Gliedern nach Luft schnappend auf. „Versuch das nächste Mal bitte nicht, mir meine Rippen zu brechen."
„Das war keine Absicht." Er klang aufrichtig betroffen.
Isla trat neben sie und reichte ihr die Hand. „Das liegt daran, dass du ihm ganz schön eingeheizt hast."
„Nicht einmal annähernd", behauptete Eleasar unbeeindruckt.
„Auf jeden Fall", widersprach die erfahrene Frau schmunzelnd. „ Wie geht es deinem Fuß?"
Erschrocken setzte Ria sich auf. „Habe ich dich verletzt?"
„Überrascht, nicht verletzt." Demonstrativ trat er mit besagtem Fuß auf. „Nichts passiert." Ein barbarisches Grinsen erhellte seine Züge. „Du hast verloren."
Die Kaiserin ließ Ria los und zog sich zufrieden zu ihrem Mann zurück. Einen kurzen Moment hatte sie befürchtet, sie würden sich richtig in die Haare kriegen, doch schien zwischen ihnen alles in Ordnung zu sein.
„Willst du in der Halbzeit schon abhauen?" Ehe man sich versah, kämpften sie wieder gegeneinander. Dieses Mal, so konnte man den Eindruck gewinnen, kämpfte Ria aus Spaß an der Bewegung. Irgendwann zog das Kaiserpaar sich zurück. Sie wollten dem jungen Volk ein wenig Zweisamkeit gönnen.
Bei Anbruch der Dunkelheit unterbrachen sie ihre Kabbelei. Völlig außer Atem schleppte Ria sich ins Badezimmer. Deprimierenderweise hatte sie kein einziges Mal gewonnen. Die Zufriedenheit, die Eleasar, der ihr auf den Fersen folgte, ausstrahlte, jagte ihr einen Schauer nach dem anderen über den Rücken.
„Hast du Angst?", fragte er belustigt.
Sie schauderte erneut. „Nicht doch. Dass du überhaupt noch laufen kannst, ist ein Wunder."
„Wenn du noch langsamer schleichst, schlafe ich ein."
Hoffnung keimte in ihr auf. „Dann gute Nacht."
„Oder", flüsterte er ihr gut gelaunt ins Ohr und hob sie hoch, „wir beschleunigen die Sache ein wenig."
Als Ria am nächsten Morgen mit leicht steifen Gliedern an den Tisch kam, fragten Raphael und Isla sich, was Eleasar bloß mit ihr angestellt haben mochte. Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen und griff hungrig nach einem Brötchen. Raphael legte sein Besteck beiseite und lehnte sich entspannt nach hinten. „Sieht nicht so aus, als hättest du die paar Tage zur Entspannung genutzt."
Die junge Frau starrte ihn finster an. „Kein Wort. Diesen Sieg gönne ich ihm nicht."
Isla verschluckte sich an ihrem Getränk. „Er wird es zwar nicht zugeben, aber du bist wirklich gut. Wo hast du so kämpfen gelernt?"
„Überall auf der Welt", antwortete sie schulterzuckend. „Mein Ziehvater wollte, dass ich mädchenhaftes Zeug lerne... Reiten und so."
An dieser Stelle verschluckte sich auch Raphael, sagte aber nichts.
Dafür schenkte sie ihm ein dankbares Lächeln. „Als ich vom Pferd gefallen bin und mir den Arm gebrochen habe, hatte sich das für mich erledigt. Danach habe ich mit Kampfsport angefangen. Das ist jetzt sechzehn Jahre her."
„Sind alle Menschen so gut wie du?"
Ein vehementes Kopfschütteln. „Die meisten schaffen es keine fünf Minuten gegen mich. Ich habe mit anderen Jä... Schattenseelen trainiert." Es fiel ihr noch immer schwer, den andersweltschen Namen ihrer Art auszusprechen.
„Wie kommst du zu dem Schluss, Reiten sei Mädchensache?" Interessiert musterte der Kaiser sie.
„Noch nie drüben gewesen? Also so in den letzten hundert Jahren? Pferde sind schon lange kein probates Fortbewegungsmittel mehr."
Nachdenklich nippte er an seinem Getränk. „Menschen interessieren uns nicht."
Das hatte Ria ganz vergessen. Verlegen kaute sie auf ihrer Lippe herum. Dann schlug sie sich urplötzlich die Hand vor dem Kopf und begann wie wild zu fluchen.
Das Kaiserpaar wirkte bestürzt, doch Eleasar, der soeben den Raum betrat, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Mit einem Nicken begrüßte er die beiden und gab ihnen gleichzeitigt zu verstehen, dass mit Ria alles in Ordnung war. Die hingegen sprang auf, raufte sich die Haare, ließ sich auf den Boden sinken und schlang sich vor und zurück wiegend die Arme um ihre angezogenen Beine. Irgendwann hielt sie es auch in dieser Haltung nicht länger aus. Immer wieder massierte sie sich die Schläfen und knurrte unablässig Flüche in allen erdenklichen Sprachen vor sich hin. Sie war drauf und dran nach draußen zu stürzen und ins Wasser zu springen, als Eleasars Arm sich wie eine Fessel um ihre Taille legte. „Besser, du tust das nicht. Du möchtest doch nicht als Drachenfutter enden, oder?"
Gequält funkelte sie ihn an. „Das ist nicht zum Aushalten! Ragna, du geiler Bock, wenn ich dich in die Finger kriege", knurrte sie und schloss kopfschüttelnd die Augen. „Man sollte meinen, er hätte langsam genug."
„Wie viele männliche Drachen gibt es denn noch?", erkundigte ihr Mann sich betont neutral.
„Zwei." Sie klang, als wollte sie jedem einzelnen weiblichen Drachen den Hals umdrehen. Ragna und Storm waren die einzigen. Und Storm lebte nicht einmal in dieser Welt.
„Denk dran, Schattendrachen stehen unter Artenschutz", erinnerte er sie grinsend.
„Oh, wenn ich mit denen fertig bin, wird das nicht mehr nötig sein", gab sie drohend zurück.
„Vielleicht sollten wir zurück fahren. Ein Paarungstanz unter Drachen..." Er kam nicht weiter, denn seine Frau wand sich aus seinem Griff und rannte zur Tür.
„Ria. Denkst du nicht, dass es ihm andersum vielleicht genauso geht?" Es war ein letzter halbherziger Versuch sie davon abzubringen, ihrem Geist den Hals umzudrehen.
An der Tür hielt sie inne. „Der kann sich abschotten. Und ganz ehrlich? Ich bin nicht scharf darauf, einen weiblichen Drachen vor Geilheit anzufallen. Schon mal... ach, vergiss es."
Ich bin andauernd in deinem Kopf, erinnerte er sie lachend.
„Wir können die Köpfe gerne tauschen, ich habe nichts dagegen", murrte sie missmutig. „Warum kann ich eigentlich nie in Ruhe essen? Meint ihr alle, ich sei zu dick oder warum fallen immer genau dann irgendwelche Dinge an?"
Eleasar trat auf sie zu und ließ seine Finger durch ihr nun viel zu kurzes Haar gleiten. „Du hättest sie nicht abschneiden sollen."
Finster starrte sie ihn an. „Wirklich schön für dich, dass das dein größtes Problem ist. Mich stören diese kürzeren langen Haare keineswegs. Die sind eh schon wieder gewachsen."
Eingehend musterte er seine Frau. „Du hast recht. Länger, als sie sein dürften."
Wieder fuhr Ria sich verzweifelt durch ihr rabenschwarzes Haar. „Elea, bitte. Stell's ab. Ich dreh gleich komplett durch."
Er tat ihr den Gefallen und schottete sie von den unerwünschten Eindrücken ab. „Ich sollte dir beibringen, wie du das selbst machst."
„Die beste Idee des Jahrtausends", murmelte sie und setzte sich auf ihren Platz neben ihn. „Danke." Dann beäugte sie ihn skeptisch von der Seite. „Meinst du, Ragna ergeht es wirklich immer so?"
Lächelnd legte er sein Brötchen zurück auf den Teller. „Ich weiß, dass es nicht so ist. Ich schätze meine Privatsphäre sehr."
Erleichtert machte sie sich über den Rest ihres Frühstücks her. „Dann hat deine Eigenbrötlerei ja tatsächlich mal was Gutes."
Isla begann so herzhaft zu lachen, dass sie sich vom Tisch entschuldigte und den Raum verließ. Raphael sah seiner Gemahlin kopfschüttelnd hinterher. „Mit euch wird es wirklich nicht langweilig. Es ist Jahre her, dass sie so gelacht hat."
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