.:18:. Lösungen?

Am nächsten Morgen brachen sie schon früh zum Kaiserpalast auf. Ria hatte die Nacht so gut wie gar nicht geschlafen und Eleasar wollte es endlich hinter sich bringen.

Isla kam ihnen schon in der Eingangshalle entgegen. „Schön, dass ihr schon da seid." Lächelnd ergriff sie Rias Hände. „Du siehst schrecklich müde aus."

„Ich konnte nicht sonderlich gut schlafen", antwortete sie schleppend.

„Das sieht man dir an. Meinst du, du überstehst das Gespräch?" Besorgt drückte die Kaiserin ihre Hand. „Danach kannst du dich hinlegen."

Auf das schwache Nicken der Jüngeren hin führte sie die beiden in ihre Privaträume, wo ihr Mann auf einem Sofa saß und in ein Schreiben vertieft war. Als sie eintraten, sah er zu ihnen auf. Ein leises Lächeln zeigte sich auf seinen ernsten Zügen. „Eleasar, Ria. Setzt euch."

Ria wartete, bis Elea sich auf das Raphael gegenüber stehende Sofa gesetzt hatte, bevor sie auf seinen Schoß kroch. Es war ihr egal, was der Kaiser und seine Frau darüber dachten, sie brauchte seine Nähe.

Raphael legte das Schreiben beiseite und lehnte sich vor, die Ellenbogen auf seine Knie stützend. „Ich habe mir das jetzt lange genug angesehen. Deine Tante hat etwas in Gang gesetzt, das schädliche Ausmaße annimmt. Es war gestern unübersehbar, dass ihr einander liebt und doch bezweifle ich, dass die Gerüchte sich legen werden. Es ist an der Zeit, dass wir uns ein Vorgehen überlegen." Sein Blick verweilte auf Ria, die abgekämpft und müde wirkte. Als er sie vergangene Woche seit Langem wieder einmal privat gesehen hatte, hatte er einen Schrecken bekommen. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Eleasar nickte. „Ria hat mir schon erzählt, dass du darüber reden möchtest." Während er sprach, strich er seiner Frau sanft durchs Haar. „Was hältst du für angemessen?"

Sie diskutierten eine Weile das Für und Wider verschiedener Maßnahmen. Dabei stellte sich heraus, dass keine ohne große Konsequenzen bleiben würde. Am Ende kamen sie wieder bei der öffentlichen Hinrichtung an. Das würde deutlich machen, dass der Kaiser es trotz aller Güte nicht tolerierte, wenn jemand mit den Mitgliedern seiner Familie spielte. Der Nachteil daran war, dass auch einer der andern beiden Anwärter ein Problem hatte. Rorys Ex-Freundin hatte vor zehn Jahren ein uneheliches Kind auf die Welt gebracht. Das war soweit nichts Ungewöhnliches, doch war sie jetzt auf die Idee gekommen herumzuerzählen, Rory wäre der Vater. Demnach müssten sie auch die Mutter des Kindes umbringen lassen.

Eleasar hatte die vergangene Nacht damit verbracht, sich über weitere Möglichkeiten den Kopf zu zerbrechen. Denn genau wie seine Gemahlin hatte er nicht in den Schlaf finden können. Dass ihnen nun nichts wirklich Sinnvolles einfallen wollte, brachte ihn dazu, ihnen eine weitere mögliche Lösung zu präsentieren. „Ich werde Ria in die Menschenwelt zurückschicken." Traurig sah er auf seine Frau herab, die unruhig in seinen Armen schlief. Die Besprechung war für sie anstrengender verlaufen als er erwartet hatte. „Da ist sie vor dem Gerede sicher." Auch wenn es ihm nicht gefiel, war es doch die geeignetste Möglichkeit, ihr zumindest ein wenig Ruhe zu verschaffen.

Die Kaiserin war strikt dagegen. „Das ist keine dauerhafte Lösung. Sie braucht dich jetzt mehr als alles andere. Ihr vergesst bei eurer ganzen Diskussion, dass es noch einen Weg gibt, dem Gerede Einhalt zu gebieten. Jeder weiß, dass das nur funktioniert, wenn Seelengefährten im Einklang sind."

Eleasar sah sie ernst an. „Das ist für Ria keine Option und es würde nichts an der jetzigen Situation ändern."

Isla sah ihren Mann eindringlich an. „Wir haben uns damals zum gleichen Schritt entschieden. In Kombination mit dem gestrigen Abend sollte das alle Zweifel aus dem Weg räumen."

Raphael sah nachdenklich zu Eleasar. „Sie ist wie ein Mensch konditioniert, weil sie in deren Welt aufgewachsen ist. In spätestens zwei Jahren wird sie ihren Standpunkt diesbezüglich überdenken."

„Sie ist zweiundzwanzig", warf der Prinz ungehalten ein.

„Es wäre nur für die nächsten zwei Jahrzehnte", versuchte Isla ihn zu beschwichtigen. Eleasar wusste, was sie meinte. Er selbst hatte Ria gegenüber eine ähnliche Position vertreten, als sie sich nicht damit hatte abfinden können, dass Adele jetzt für den Rest ihres Lebens eine Familie hatte.

Ihr Mann nickte bestätigend. „Nächstes Jahr steht die Feier zu meinem achthundertfünfzigsten Thronjahr an. Das wäre der ideale Zeitpunkt."

Eleasar drückte seine schlafende Frau schützend an sich. „Ich werde sie nicht zu etwas überreden, was sie nicht möchte."

Das Kaiserpaar seufzte ergeben. „Ich könnte mit ihr darüber reden. Von Frau zu Frau", erbot sich die Herrscherin.

„Sie sieht es bei ihrer Freundin", widersprach er abweisend.

„Sei vernünftig. Du weißt, dass bald etwas Schlimmeres geschehen wird als gestern Abend - sollte deine Tante sie noch immer loswerden wollen."

Er wusste, dass Raphael recht hatte. Ebenso wusste er, dass Camille niemals aufhören würde. Und dennoch. Er konnte und wollte seinem Herz nichts aufzwingen. Er würde sie damit nur wieder verletzen.

Mit Engelszungen versuchte Isla ihn von ihrer Idee zu überzeugen, doch Eleasar lehnte es rundweg ab, es auch nur in Betracht zu ziehen. „Das ist eine Sache, auf die sie sich freuen sollte. Und das kann sie unter den gegebenen Umständen nicht." Schließlich waren ihnen nur zwei Kinder vergönnt. Da sollten sie jedem die gebührenden Gefühle und Ruhe entgegenbringen können.

Schwer seufzend stand Raphael auf. „Das führt zu nichts. Wir warten die Auswirkungen des gestrigen Abends ab. In drei Monaten verlange ich eine endgültige Antwort." Sein Blick wurde weicher, als er auf das junge Paar fiel. „Mir gefällt es selbst nicht. Auch für mich ist sie fast noch ein Kind."

„Einer der großen Nachteile der Seelenbindung", bemerkte Isla traurig. „Es gefällt keinem von uns. Und doch wäre es so möglich, die Lage zu beruhigen und deine Tante ohne großes Aufsehen zu erregen aus dem Weg zu nehmen."

„Adoptiert sie", warf er eine weitere Option in den Raum. Er wollte Ria partout nicht mit dem Thema Familienplanung belasten.

Beide hielten inne. „Adoptieren?"

Eleasar nickte langsam. „Niemand wagt es gegen eure Entscheidung aufzubegehren." Hoffentlich würde das Gerede dann abnehmen. Raphaels und Islas Name war eine ganz andere Nummer als seiner.

Raphael sah ihn ernst an. „Wir werden es in Betracht ziehen. Allerdings wird es an Bedingungen geknüpft sein."

Nachdenklich musterte die Kaiserin Ria. „Warum reisen wir nicht ein wenig? Du hast gesagt, deine Frau möchte die Insel der Schattendrachen sehen? Es wäre ein Statement, dass wir euch unterstützen, ohne gleich in so feste Bahnen zu lenken. Dann können wir in drei Monaten noch einmal sehen, wie weit es gekommen ist." Auch sie seufzte nun. „Ich denke jedoch nicht, dass das Gerede aufhören wird. Im schlimmsten Fall werdet ihr das alles stoisch über euch ergehen lassen müssen."

„Danke." Erleichtert lächelte Eleasar sie an. „Bis dahin bringe ich sie zu meinem Vater."

„Dein Vater hält sich noch immer in der Stadt auf", bemerkte Isla lächelnd. „Sara hat sich ihn geangelt."

„Zu schade, dass Ria gerade schläft. Sie hätte das gerne gehört." Nach Cians Geburtsfeier hatte sie ihm begeistert von ihrer Entdeckung erzählt. Er freute sich für seine Eltern, dass sie noch einmal zueinander gefunden hatten.

Raphael lachte. „Sie hat Marjan gestern gesagt, dass er sich ran halten soll."

Mit hochgezogener Augenbraue sah Eleasar auf seine schlafende Frau hinab. „Manchmal denke ich, sie sollte weniger lebhaft sein."

„Aber genau das macht sie so liebenswert. Sie erinnert mich an einen kleinen Jungen, der vor Jahren an den Palasttüren stand und verzweifelt nach Hause wollte." Isla warf ihm einen bedeutungsschweren Seitenblick zu.

Er erwiderte ihr Schmunzeln und lagerte seine Frau so, dass er sie beim Aufstehen halten konnte. Dabei rutschte sein Hemdsärmel unbeabsichtigt nach oben.

„Warte." Raphael sah Eleasar durchdringend an. „Leg deine Frau ab."

Isla nahm ihm Ria ab und versprach, sie ins Bett zu legen. Erst als sie aus der Tür war, griff der Kaiser nach Eleasars Arm. „Seit wann verändert es sich?"

Verwundert betrachtete nun auch Eleasar das Mal auf seinem Unterarm. Es hatte sich tatsächlich verändert. Die Anordnung der unzähligen ineinander verschlungenen Sichelmonde hatte sich verschoben, der kreisrunde Rand sah leicht verwaschen aus. „Vor drei Monaten war es noch ganz normal. Ria hat mich darauf angesprochen."

Mit gerunzelter Stirn besah Raphael sich die Ränder. „Es wird sich weiter verändern. Hat sie noch etwas gemacht, außer dich darauf anzusprechen?"

Eleasar dachte kurz nach. „Sie hat die Muster nachgezogen. Das war aber nicht das erste Mal, dass sie es berührt hat."

„Hat sie, nachdem ihr den Bund eingegangen seid, irgendwelche neuen Fähigkeiten entwickelt?"

„Ich weiß nicht", brachte er zögerlich hervor. „Ich weiß nicht, ob sie meine Fähigkeit adaptiert oder sie selbst entwickelt, aber sie kann Gedanken lesen. Genau wie ich muss sie sich darauf konzentrieren. Bei ihr geschieht das nur, wenn sie erschöpft ist und sich fragt, was vor sich geht."

Nachdenklich sank Raphael in seinen Stuhl zurück. „Deine Frau ist schon sehr ungewöhnlich. Ich habe noch nie von einer Schattenseele gehört, die sich im Kindesalter gebunden hat. Und dann auch noch an einen Schattendrachen."

„Ihre Fähigkeiten waren in der Menschenwelt versiegelt. Angeblich durch ihre Mutter und den Geist."

„Keine Schattenseele kann Kräfte unterdrücken."

„Worauf willst du hinaus?" Angespannt wartete Eleasar auf eine Antwort.

Der Kaiser sah ihn eine lange Zeit an. Er hatte keine Antwort zu dem Rätsel, das die junge Schattenseele darstellte. Es gab nicht mehr viele von ihnen und ihm war keine bekannt, die er fragen könnte. Einmal ganz davon abgesehen, dass es bedeutete, eine Person ins Vertrauen zu ziehen, deren Integrität nicht erwiesen war. Das war zu riskant. „Du bist der erste, dessen Zeichen sich ändert. Ich kann jedoch nicht sagen, ob das an deiner Frau liegt oder an deiner Entwicklung. Daher werde ich Isla bitten, Ria im Auge zu behalten. Sollte sich auf ihrem Körper etwas zeigen, wüsste ich gerne davon." Er erhob sich. „Du kannst jetzt zu ihr gehen. Wir stechen in drei Tagen in See."

Eleasar nickte und verließ wortlos das Zimmer. Es beunruhigte ihn, dass sich das Mal auf seinem Unterarm änderte. Ob es eine positive oder negative Änderung war, konnten weder er noch der Kaiser sagen.

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