.:17:. Gerüchteküche

Es dämmerte bereits, als sie endlich im Schloss ankamen. „Ich bin fix und fertig", erklärte Ria, ein Gähnen unterdrückend und kletterte umständlich aus ihrem Kleid. „Wir hätten doch auch bei Adele schlafen können."

Eleasar war kein Bisschen müde. Belustigt beobachtete er seine Frau bei ihren ungeschickten Verrenkungen. „Ich kann dir helfen, deinen toten Punkt zu überwinden." Anzüglich funkelte er sie an.

Fassungslos ließ sie sich aufs Bett sinken. „Wie kannst du nur so viel Energie haben?"

Die Matratze senkte sich, als er sich neben sie setzte. „Als möglicher Herrscher der vier Länder muss ich stärker sein als alle anderen. Das ist die Bedingung."

„Und mir erzählen, ich wäre die einzige mit ab und an zu viel überschüssiger Energie." Erschöpft versuchte sie, ihre Bettdecke über sich zu zerren. Da sie darauf lag, gelang es ihr nur mäßig. „Kannst du mir sagen, wie die nächsten großen Termine aussehen? Und ob die auch so lang werden?"

Auf dem Rückweg hatte er sie darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie ihn in Zukunft auf gesellschaftliche Anlässe würde begleiten müssen - vor allem auf die großen, vor denen sie sich bislang erfolgreich gedrückt hatte. Langsam stand er auf und legte seine eigene Decke über sie. „Der Jahresübergang, dein und mein Geburtstag..."

„Dein Geburtstag!" Schockiert schreckte sie auf. „Elea, ich weiß nicht, wann du Geburtstag hast!"

Amüsiert drückte er sie zurück ins Kissen. „Ich feiere nicht. Erst, wenn ich zweihundert werde."

„Ja, aber wann hast du denn jetzt Geburtstag?"

Andächtig küsste er sie, ehe er sich zu einer Antwort durchrang. „In deiner Zeitrechnung müsste das der zwölfte Februar sein."

Die Monate hier hatten zwar andere Namen, als in der Menschenwelt, dennoch galt im Prinzip das gleiche Monatssystem. Nur, dass das neue Jahr nicht im Januar, sondern im März begann. Sozusagen mit dem Frühlingsbeginn.

„Ich habe deinen Geburtstag verpasst", stellte sie traurig fest.

Beruhigend strich er ihr übers weiche Haar. „Ich bin dir nicht böse. Schließlich hätte ich dich auch darüber in Kenntnis setzen können."

Seufzend kuschelte sie sich ins Kissen. „Erklär mir mal, warum ich feiern soll?"

„Es ist okay, wenn du nicht möchtest. Der nächste große Anlass wäre der Jahresball. Bis dahin gibt es nur einige kleine Empfänge." Der Jahresball fand immer in der Mitte des Jahres statt.

Ein paar dieser kleinen Empfänge später, hatte Ria die Nase gestrichen voll. Mit verschränkten Armen stand sie in Eleasars Arbeitszimmer vorm Fenster und starrte schlecht gelaunt auf das bunte Treiben der Stadt hinab. „Ich gehe nicht noch einmal zu so einem Treffen und lasse mich anstarren als wäre ich eine Kuriosität."

Beschwichtigend griff Eleasar nach ihrer Hand. „Du wirst müssen. Je schlimmer die Gerüchte werden, desto häufiger müssen wir uns zusammen zeigen." Das erste war kurz nach Cians Geburtsfeier aufgetaucht. Es bestand keinerlei Zweifel daran, wann und wo die Wurzeln dieser sich verselbstständigenden Sache lagen. Und doch fehlten die Beweise. Gerüchten war immer schwer beizukommen.

„Ich kann nicht mal mehr in den Hafen gehen, ohne dass die Leute anfangen hinter meinem Rücken zu tuscheln." Kraftlos lehnte sie sich an ihn. Die Situation raubte ihr den letzten Nerv. Nur sein Beistand hielt sie davon ab, komplett zusammenzubrechen. Leider merkte sie mit jedem Tag deutlicher, dass ein Zusammenbruch unvermeidlich war. „Und ich war so glücklich hier ein weniger turbulentes, friedliches Leben führen zu können."

Wenn selbst Ria, die sich sonst nicht um die Gedanken anderer scherte so etwas sagte, musste es schlimm sein. Beschützend schloss er sie in seine Arme. „Es gibt ein neues Gerücht."

„Ich hab's gehört", fauchte sie wütend und verletzt. „Warum soll ich denn mit diesem Idioten eine Beziehung haben? Ich kann ihn nicht einmal ausstehen!"

„Nachdem du hemmungslos mit allen Männern in deiner Umgebung geflirtet hast, konnte er es einfach nicht mehr ertragen, dich so unglücklich zu sehen", bemerkte er zynisch und starrte finster auf die Stadt. „Sollte das Gerücht von Camille kommen, wird sie dafür sterben müssen."

„Aber sie ist deine Tante!" Schockiert trat sie einen Schritt von ihm fort. Er konnte doch nicht einfach ein Mitglied seiner Familie töten! Oder etwa doch?

Traurig schüttelte Eleasar seinen Kopf. Wenn jemand seiner Gemahlin schadete, unterschied er nicht zwischen Freund und Feind. Ria war sein Ein und Alles und er würde wenn nötig Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie wieder glücklich zu machen. Zu erfahren, dass sie sich schon nicht mehr alleine nach draußen traute, war ein Schock, den er noch immer nicht verwunden hatte. Dabei liebte sie es ungemein, Ausflüge in den Hafen zu unternehmen und das lebhafte Treiben zu beobachten. „Das ändert nichts daran."

Wie sich herausstellte, kam das Gerücht nicht von Camille. Ein Kopf rollte, doch die Gerüchte hielten sich weiter. Bis zum Jahresball hatte es sich so stark verschlimmert, dass Ria nicht einmal mehr für eine Sekunde von Eleasars Seite weichen wollte. Irgendwann ließ es sich dann aber doch nicht vermeiden. Elea wurde zu Raphael gerufen, während sie sich mit Isla unterhielt. Doch auch die Kaiserin musste ihren Verpflichtungen nachgehen und so kam es, dass sie schließlich alleine im Saal stand und verloren nach jemandem hielt Ausschau, den sie kannte. Ein Mann mit knallgelbem Haar und scharfen Zügen trat vor sie. Er erinnerte sie vage an eine Ratte. Eine gelbe Ratte. Wenn sie sich recht erinnerte, war das einer der Adligen aus Königin Rahels Reich. „Kaiserliche Prinzessin", begrüßte er sie mit einer nachlässigen Verbeugung. „Ihr seht bezaubernd aus."

Skeptisch erwiderte sie seine Begrüßung mit einem stummen und äußerst knappen Kopfnicken.

„Eurem Gemahl muss wenig an Euch liegen, wenn er Euch so schnell alleine lässt." Er bot ihr ein Glas mit champagnerähnlichem Inhalt an. „Stoßen wir auf das herrliche Jahr an."

Sie stieß an, machte jedoch nicht die geringsten Anstalten, zu trinken. „Was wollen Sie von mir?", fragte sie stattdessen ungeduldig.

„Nun", verstohlen sah er sich um und beugte sich dann verschwörerisch zu ihr herunter. „Ich habe gehört, Euer Gemahl kann Euch nicht glücklich machen. Eine Schönheit wie Euch so am Boden zerstört zu sehen, bricht einem Edelmann wie mir nun mal das Herz."

Ria glaubte, sich verhört zu haben. Bei seinen nächsten schleimigen Worten wurde ihr jedoch klar, dass das nicht der Fall war. Ihr wurde geradezu übel. Da sie jetzt unmöglich seinen Kopf abschlagen oder ihn erstechen konnte, musste sie sich etwas anderes einfallen lassen. Also beugte sie sich leicht zu ihm vor und flüsterte ihm ins Ohr: „Nun, ich denke, da liegt ein Missverständnis vor. Sollten Sie mir noch einmal Avancen machen, bricht bei Ihnen bald etwas anderes."

Sie ließ ihn stehen und rief im Geiste nach Eleasar, der keine Minute später neben ihr erschien. Können wir bitte gehen?

Er schüttelte leicht den Kopf und sah den Adligen, der sie eben belästigt hatte, vernichtend an. Leider nein. Wenn das noch einmal vorkommt, rufst du mich bitte sofort. Die Blicke einiger Gäste richteten sich mittlerweile neugierig auf sie. Der Mann mit den gelben Haaren starrte Ria noch immer so eigenartig an, dass es langsam an seiner Beherrschung zu zerren begann. Spontan zog er seine Frau an sich und küsste sie demonstrativ innig. Er spürte Rias fragenden Blick, als er sich anschließend zu dem Mann umwandte und ihm mitteilte, dass sie beide glücklich waren und keinerlei Bedarf an seinem Angebot hätten.

Was war das denn jetzt? Verdattert ließ sie sich von ihm zu Sara führen, die ihren Sohn begeistert anstrahlte.

Eine spontane Reaktion. Hat doch gewirkt, oder? Betont gelassen legte er seinen Arm enger um sie. In seinem Inneren brodelte es jedoch weiter. Niemand hat so etwas zu dir zu sagen. So langsam dämmerte ihr, dass er den Annäherungsversuch des Mannes in ihren Gedanken belauscht hatte. Nicht wissend, was sie davon halten sollte, konzentrierte sie sich auf ihre Schwiegermutter.

„Eifersüchtig ist gar kein Ausdruck", begrüßte Sara sie lachend und tätschelte ihrem Sohn liebevoll den Oberarm. „Dass der Mann noch am Leben ist, ist wohl dem Anlass geschuldet."

„Wie wahr", murmelte Ria. „Ich hätte ihn so gerne in Stücke gesägt."

Sara blinzelte überrascht. „Nun, dann hat er wohl gleich doppeltes Glück gehabt." Ihr Blick wanderte zu Marjan, der zu ihrer kleinen Gruppe trat. „Hast du Lust, die Gerüchteküche ein wenig anzuheizen?"

Fragend sah der König seine ehemalige Geliebte an. „Meinst du nicht, dass dein Sohn diesbezüglich genug unternommen hat?"

Sie winkte ab. „Der ist erwachsen und damit nicht mehr unser Problem." Munter hakte sie sich bei ihrem Sohn unter. „Lea, sei so nett und tanz mit deiner Mutter. Dein Vater hat ja keinen Bedarf."

Prompt bot Marjan Ria seinen Arm an. „Lassen wir die beiden besser nicht aus den Augen. Wer weiß, was Eleasar nachher sonst noch für Probleme hat."

Verwundert sah Ria den König an, schüttelte dann aber resignierend ihren Kopf. Auch wenn sie ihn noch immer nicht mochte, so war nicht von der Hand zu weisen, dass er ihr half. Und dafür war sie ihm dankbar. „Er hat mich auf euch angesetzt, weißt du?", begann sie im Plauderton. „Ich bin vermutlich nicht die Richtige, um dir das zu sagen, aber ihr steht offensichtlich noch aufeinander."

Ohne Vorwarnung wirbelte Marjan sie herum. „Tanzen wir, Prinzessin."

Ria fühlte sich alles andere als behaglich. Aber Eleasar tanzte mir seiner Mutter und tatenlos herumstehen wollte sie nicht. Zudem war Marjan einer der wenigen, die sie nicht als Freiwild betrachteten. „Wie geht es Aram und Adele?", fragte sie leise, um ein Gespräch in Gang zu bringen.

„Sie leben", lautete seine knappe Antwort. Damit erstickte er sämtliche Gespräche im Keim. Wenn er so gesprächig war, konnte Ria auch gleich mit dem Vorhang reden.

Nachdem das Lied beendet war, zog es sie schleunigst zu Eleasar. Allerdings vertrat ihr der Kaiser den Weg, bevor sie ihn erreicht hatte. Legten sie es heute darauf an, sie von ihrem Mann fern zu halten? „Sei so gut und gestatte mir diesen Tanz."

Zögerlich legte sie ihre Hand in seine. „Ich bin noch immer nicht besonders gut", entschuldigte sie sich im Voraus.

Aufmunternd lächelte er sie an. „Das sah doch eben ganz gut aus. Vertrau dich einfach meiner Führung an."

Das war leichter gesagt als getan. Einzig und allein Eleasar vertraute sie ohne zu zögern. Aber der stand jetzt bei einer Gruppe und unterhielt sich mit einem ihr unbekannten Mann. Hin und wieder wanderte sein Blick zu ihr, um seine Mundwinkel spielte ein leises Lächeln.

„Du wirst immer sicherer."

Verständnislos sah sie ihren Tanzpartner an. „Verzeihung, ich war abgelenkt."

Raphael lächelte leicht. „Ich sagte, auf gesellschaftlichen Veranstaltungen wirst du immer sicherer. Es muss schwer für dich sein, gleichzeitig das Gerede der Leute zu ertragen."

Beklommen starrte sie auf seine Schulter. „Früher war es mir egal, was die Leute gedacht haben. Seit ich hier bin, hat sich das anscheinend geändert. Zumindest was das anhaltende Gerede betrifft. Ich bin gerne in die untere Südstadt gegangen, obwohl ich überall angestarrt wurde. Das Starren hätte sich irgendwann gelegt. Jetzt fangen sie überall an zu tuscheln, sobald ich irgendwo auftauche. Eleasar versucht zwar sich nichts anmerken zu lassen, aber ich spüre seine Anspannung. Er ist kurz davor Camille zu töten."

„Ja", bestätigte der Kaiser traurig ihren Eindruck. „Aber das wird nichts an den Gerüchten ändern. Um das zu beenden gibt es nur wenige Möglichkeiten. Eine wäre wohl ein Exempel an ihr zu statuieren." Er zögerte kurz, bevor er sich seufzend korrigierte. „Streich das letzte. Das erste Exempel hat anscheinend nicht viel gebracht."

„Muss das wirklich sein?" Ihr war bei dem Gedanken nicht ganz wohl. „Ich meine, ich habe nichts dagegen sie selbst umzubringen, wenn sie mir auf die Nerven geht, aber sie berechnend vor Publikum umbringen? Würde das nicht eher den Unmut der Redenden mit sich ziehen?"

„Das ist die Kehrseite der Medaille. Kommt morgen früh vorbei, ich habe jetzt genug gehört und gesehen."

Ria fühlte sich als wäre sie durch einen Fleischwolf gedreht worden, als der Kaiser sie an Eleasar weiterreichte. „Wie lange müssen wir noch hierbleiben?", fragte sie atemlos.

Zärtlich umfasste er ihre Wange, ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Jetzt fühle ich mich aber gekränkt. Du tanzt mit meinem Vater und dem Kaiser und wenn ich dich bitten will, möchtest du gehen?" Im Gegensatz zu seinen Worten, klang seine Stimme alles andere als vorwurfsvoll.

Vertrauensvoll ließ sie sich von ihm an sich ziehen. „Ich habe nichts dagegen, den Rest des Abends mit dir zu tanzen. Irgendwann werde ich zwar einschlafen, aber du bist ja stark genug, um mich zu tragen."

Als die Musik begann, war es kein Vergleich zu ihren vorherigen Tänzen. Raphael und Marjan waren zweifelsohne gute Tänzer, doch mit Eleasar zu tanzen, war etwas vollkommen anderes. Sie hatte das Gefühl zu schweben. Ja, dachte sie glücklich, so kann der Abend weiter gehen.

Zwei Stunden später überredete Eleasar sie dazu, zu gehen. Erstaunlicherweise hatte sie einen Narren daran gefressen, mit ihm zu tanzen. Er konnte es ihr nachvollziehen. Mit ihr im Arm war es etwas Besonderes. Es war, als wäre sie ein Teil von ihm. Ihr grenzenloses Vertrauen und ihre Hingabe bedeuteten ihm unendlich viel.

Sie lagen bereits im Bett, als ihr etwas einfiel. Er konnte es an ihrer veränderten Körperspannung ausmachen. „Raphael will, dass wir morgen früh bei ihm aufkreuzen. Angeblich hat er genug von der Situation." Angespannt wartete Ria seine Reaktion ab.

Beruhigend strich er ihr durchs Haar. Es erleichterte ihn ungemein zu wissen, dass nun auch für das Kaiserpaar das Fass voll war. „Dann werden wir uns anhören, was sie zu sagen haben." Sanft aber bestimmt zog er sie zurück auf seine Brust. Seit sie wieder zusammen wohnten, schlief sie mehr auf ihm, als auf der Matratze. Ihm war es nur allzu recht, wenn sie seine Nähe suchte - das bedeutete aber noch lange nicht, dass er sie nicht ab und an deswegen aufzog.

Langsam schmiegte sie sich an ihn. Sie war müde. So unendlich müde. Und doch tat sie in dieser Nacht kaum ein Auge zu. Dafür war sie zu unruhig.

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