.:14:. Wolken am Horizont

Jetzt wünschte Ria sich, sie hätte in ihren Briefen berichtet, was vorgefallen war. „Na, ich bin zur Hauptstadt geflogen, um den Kaiser zu bitten, mich in die Menschenwelt zu schicken. Der Plan war, da so in etwa zwanzig Jahre zu verbringen. Dann müsste ich mir nicht immer anhören, dass ich für irgendetwas zu jung bin. Auf jeden Fall war der alte Mann dagegen. Gezwungenermaßen bin ich dann in den Palast gezogen. Irgendwann ist Elea da aufgetaucht und der Hausherr meinte Kuppler spielen zu müssen. Wir haben uns geeinigt, nochmal von vorne anzufangen und eine gescheite Basis aufzubauen. Die Kaiserin hat mir angeboten, mir die Heilkunst näher zu bringen. So hatte ich tagsüber genug zu tun und abends kam Elea immer vorbei. Wenn wir wieder zu Hause sind, zieh ich zurück zu ihm."

Adele staunte nicht schlecht. „Warum hast du nie etwas gesagt? Also, dass du nicht mehr bei ihm wohnst? Dann hätte ich die Post direkt zu dir geschickt."

Entschuldigend hob Ria die Hände. „Anordnung des Kaisers. Elea hat die Post ja immer sofort mitgebracht." Sie wollte noch weiter ausholen, unterbrach sich jedoch als sie Camille spürte. „Kein Wort zu irgendwem", raunte sie ihrer Freundin zu und sprang von der Fensterbank.

Kurz darauf flog die Tür auf. „Kinder, ich habe gute Neuigkeiten. Alle eingeladenen Gäste kommen. Du wirst traumhaft aussehen Adele, wenn du das Kleid anhast, das ich für dich ausgesucht habe." Ihr Blick fiel auf Ria. „Was macht sie denn hier?"

Aram räusperte sich. „Liebes, würdest du uns kurz entschuldigen?" Er gab Adele einen flüchtigen Kuss, legte das schlafende Kind in ihre Arme und ging mit seiner Mutter vor die Tür.

„Fest?" Verständnislos sah Ria den beiden hinterher. „Wie kann sie denn jetzt an ein Fest denken? Dein Kind ist keine drei Tage alt."

Unglücklich sank ihre Freundin aufs Bett. „Camille mischt sich ziemlich stark in unser Leben ein. In drei Tagen soll ein großes Fest stattfinden. Zu Cians Ehren. Sie hat uns nicht einmal gefragt."

Tröstend legte Ria einen Arm um sie. „Du musst nur ein Wort sagen und wir bringen dich hier weg."

Tränen rannen Adeles Wangen hinab, als die frisch gebackene Mutter sich schluchzend an ihre Freundin lehnte. „Warum macht sie so was?"

Es tat Ria weh, sie so zu sehen. Und noch mehr schmerzte sie die Wahrheit. „Sie will dich zu ihrer Marionette machen. Sie denkt, du wärst leicht unterzukriegen, doch das bist zu nicht." Entschlossen sah sie ihrer Freundin in die glänzenden Augen. „Du bist stark. Anders als ich, aber trotzdem stark. So leicht lässt du dich nicht unterkriegen."

Ängstlich drückte Adele ihren kleinen Sohn an sich. „Ich will nicht, dass sie ihn kriegt. Er ist mein Sohn."

Hilflos strich Ria ihr über den Rücken. „Du bist nicht allein. Aram kämpft für euch. Er will dich und Cian vor seiner Mutter beschützen. Gib nicht auf." Vorsichtig nahm sie den Säugling an sich, damit Adele sich die Tränen aus dem Gesicht wischen konnte.

Zaghaft lächelte diese ihre schwarzhaarige Freundin an. „Hältst du ihn noch eine Weile? Camille scheint dich nicht zu mögen."

Da musste sogar Ria lachen. „Nicht mögen ist eine Untertreibung. Wenn du möchtest, trage ich ihn gern noch ein wenig mit mir herum."

Sie unterhielten sich noch eine Weile über Gott und die Welt. Um Adele von Camilles Verhalten abzulenken, erzählte Ria ihr von den Ausflügen, die sie in den letzten Monaten gemeinsam mit Eleasar unternommen hatte. Besonders die Geschichte mit dem Einkauf des Babygeschenks amüsierte sie. „Die werden demnächst alle auf deinen Bauch starren", lachte Adele atemlos.

„Vielleicht schnall ich mir ja ab und an ein Kissen um", überlegte Ria laut.

Als es dunkel wurde, tauchte Aram wieder auf. Im Schlepptau hatte er Eleasar. Er vergewisserte sich zuerst, dass es Adele und dem Baby gut ging. Da Ria den Kleinen auf den Arm hatte, zog er seine Frau liebevoll-besorgt in seine Arme. „Ich muss mich für das Verhalten meiner Mutter entschuldigen."

„Nein", widersprach Adele heftig. „Ganz allein sie ist dafür verantwortlich."

Misstrauisch beäugte der Vampir die Frau seines Freundes. „Ist das dein Verdienst?"

„Ich weiß nicht, was du meinst", erwiderte Ria stirnrunzelnd. „Aber ich kann dir sagen, dass ich seit heute Mittag die Super-Nanny bin."

„Ja." Adele sah ihren Mann begeistert an. „Wenn Ria ihn hat, wird Camille nicht versuchen, ihn uns wegzunehmen."

Arams Miene verfinsterte sich. „Wenn Ria ein Kind haben will, soll sie sich an Eleasar wenden."

„Ich und Kinder?" Fassungslos schüttelte Ria ihren Kopf. „Fragt in zwei Jahrzehnten nochmal nach."

Als wisse er etwas, was sie nicht wusste, grinste der Vampir sie an. „Trag ihn noch zwei Wochen mit dir rum, dann siehst du das bestimmt anders."

„Also die Freuden der Elternschaft sind die euren. Ich bin dazu da, ihn zu verwöhnen und euch dadurch das Leben schwerer zu machen. Sagt mal", vorsichtig fasste sie das Kind anders, „kann man den auch absetzen? Meine Arme werden schwer."

„Entschuldige." Schnell nahm Adele ihr den schlafenden Säugling ab und legte ihn ins Babybett. „Klar. Ich hab ihn nur im Arm gehalten, weil Camille hier war."

Ria bat ihren Schattendrachen, sich beschützend auf den Rand der Wiege zu setzen und Wache zu halten. Sie selbst ging zu ihrem Mann und legte einen Arm um ihn. „Ragna wird ihn bewachen", erklärte sie ihrer erstarrten Freundin, die die kleine Echse am Kinderbett erschrocken ansah. „Im Taschenformat hält ihn jeder für ungefährlich."

„Wenn du das sagst." Die junge Mutter klang nicht wirklich überzeugt.

Aram zog sie wieder an sich. „Morgen können wir nach Hause. Ich habe mit Eleasar gesprochen. Er wird Soldaten abstellen, die Cian und unser Haus bewachen." Dankbar nickte er seinem Freund zu.

„Muss das sein?" Ängstlich sah Adele zu ihrem Sohn.

Seine Antwort klang aufrichtig bedauernd. „Ich will weder dich noch meinen Sohn in der Obhut meiner Mutter wissen."

Mit traurigem Gesichtsausdruck willigte sie ein. „Hoffentlich sieht sie bald ein, dass es umsonst ist."

Ria wurde die bedrückte Stimmung zu viel. Wortlos lief sie aus dem Raum und machte erst Halt, als sie zwischen den Bäumen im Krankenhaus-Park ankam. Es war so ungerecht! Warum war Adele dieses kleine Bisschen Glück nicht vergönnt? Warum musste diese selbstsüchtige Person alle Hebel in Bewegung setzen, um die jungen Eltern unglücklich zu machen?

Irgendwann trat Eleasar neben sie. „Camille ist für ihre Intrigen bekannt. Sie hat bereits ihren ersten Schritt gegen dich unternommen."

Fragend sah sie ihn an. „Was hat sie gegen mich?"

Beruhigend schloss er sie in seine Arme. Wegen Camille sollte sie nicht unglücklich sein. Dafür würde er seine Tante zur Rechenschaft ziehen. „Du passt nicht in ihr Weltbild."

„Und warum muss Adele so darunter leiden?" Traurig kuschelte sie sich an ihn. „Ich verstehe das einfach nicht."

Liebevoll küsste er sie. „Mach dir keine Gedanken, wir haben schon etwas unternommen."

„Ich weiß gar nicht, ob ich wissen will, was du getan hast."

Langsam strich er ihr durchs Haar. „Camille hat sämtliche Persönlichkeiten eingeladen, die etwas zu sagen haben und mit ihr in Kontakt stehen. Sogar Sem."

„Sem?" Verwirrt sah sie ihn an. „Warum denn Sem?"

Ratlos schüttelte er seinen Kopf. „Ich weiß es nicht. Aber ich kann mir vorstellen, was sie plant."

„Wird meine Schwester dabei sein?"

Er antwortete ihr, dass es sehr wahrscheinlich sei, da er sie bei seinem letzten Aufeinandertreffen mit Sem an dessen Seite gesehen hatte. „Du wirst dich häufiger auf gesellschaftlichen Anlässen zeigen müssen", warnte er sie vorsichtshalber vor. „Wenn Camille gegen dich vorgeht, betrifft das auch mich. Sollte sie versuchen, die anderen gegen dich aufzubringen, wird es für dich nicht leicht."

Müde fuhr sie sich durch die Haare. Eigentlich wollte sie sich darüber keine Gedanken machen. „Was genau bedeutet das?"

Er griff nach ihrer Hand und spielte andeutungsweise mit dem Siegelring, den sie jetzt wieder trug. „Sie legt sich mit der kaiserlichen Familie an. Sollten Raphael oder Isla von ihrem Ränkespiel erfahren und es ihr nachweisen können, wird sie ihrer Rechte und Privilegien enthoben werden. Aber was ich dir eigentlich sagen will ist, dass du aufpassen musst, was du außerhalb meiner Räumlichkeiten tust. Halte dich von anderen Männern fern, sonst lässt sie dir schneller eine Affäre andichten als dir lieb ist."

Ria machte große Augen. „Du hast dem Kaiser davon berichtet, oder?"

Er nickte ernst. „Und Camille unter Beobachtung gestellt. Niemand vergreift sich an meiner Frau." Besitzergreifend lehnte er sich an sie. „Ich kann es nicht tolerieren, dass du ihretwegen so etwas durchmachst."

Seine finstere Stimmung war ihr gar nicht geheuer. „Verabschieden wir uns von den beiden und gehen... zum Schloss?"

Sein Atem kitzelte in ihrem Nacken. „Nein. Wir übernachten bei Aram."

„Was passiert, wenn sie Adele und ihr Kind entführt?"

Sein trauriger Blick ließ sie nichts Gutes erahnen. „Das geht uns nichts an." In gemäßigtem Tempo führte er sie nach oben, wo sie sich von Aram und Adele verabschiedete und Ragna darum bat, weiterhin Stellung zu halten. Selbst wenn er zu weit von ihr entfernt war, um gegen mögliche Entführer zu kämpfen, war er dennoch in der Lage, sie zu seinem Aufenthaltsort zu führen.


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