.:13:. Familiendramen
„Ich weiß nicht, warum ihr so ruhig bleiben könnt. Eleasar, sie ist deine Frau! Machst du dir keine Sorgen um sie?" Adeles besorgte Stimme hallte in ihrem Kopf wieder. Ria befand, dass es besser war, gleich wieder einzuschlafen. Ihrer Freundin ging es hörbar gut und das war alles, was zählte.
„Adele, Liebling, beruhig dich. Du bist noch nicht wieder gesund."
„Aber Ria ist fast gestorben bei dem Versuch, mich zu retten!"
„Glaubst du wirklich, Eleasar hätte das zugelassen? Sie muss nur wieder zu Kräften kommen. Genau wie du."
Innerlich stöhnte Ria auf. Könnten die bitte mal die Klappe halten?
Auch Eleasars belustigte Stimme hallte leicht in ihrem Kopf. Sie machen sich Sorgen. Es war sehr unüberlegt von dir.
Ja, schon gut, gab sie ungehalten zurück. Ich konnte sie doch nicht sterben lassen.
Ich habe ziemlich genau mitbekommen, was in dir vorgegangen ist. Willst du sie nicht langsam erlösen und ihnen sagen, dass du aufgewacht bist? Adele denkt, du hättest das Bewusstsein verloren.
Stöhnend zog sie sich die Decke über den Kopf. Nein. Lass mich noch ein wenig schlafen.
„Ria?" Jemand griff nach ihrer Hand. Schlanke, feminine Finger schlangen sich um ihre. „Bist du wach?"
„Nein", brummte sie müde.
„Adele." Aram schien seine Frau besänftigen zu wollen. „Eleasar ist deshalb so gelassen, weil Ria nie zusammengebrochen ist. Nicht wahr, Ria?"
Verärgert schlug sie die Decke zurück. „Was weiß ich, was in seinem Hirn vorgeht. Kann ich nicht endlich einmal schlafen?" Sie versuchte, den Vampir böse anzufunkeln, musste aber gegen helles Tageslicht blinzeln. „Ich bin müde, okay? Aber nicht halb tot." Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Licht.
„Was machst du nur für Sachen?" Adele drückte ihre Hand. Sie sah noch recht blass aus.
„Die Frage könnte ich an dich zurückgeben. Es war nicht gewettet, dass du dabei draufgehst." Ein wenig atemlos richtete sie sich auf. „Warum haben die Ärzte das nicht bemerkt?"
Eleasar setzte sich hinter sie, damit sie sich mit den Rücken an ihn lehnen konnte. „Ich würde sagen, du warst schneller", bemerkte er trocken.
„Wie geht es dem Baby?" Erst jetzt fiel ihr die Abwesenheit anderer Wesen auf.
Auf Adeles Gesicht breitete sich ein Strahlen aus. „Ihm geht's gut. Er schläft."
„Also doch ein Junge, hm?" Erschöpft kroch Ria auf Eleasars Schoß, der sie sofort fürsorglich in seine Arme schloss. „Na dann herzlichen Glückwunsch."
„Danke." Vergnügt umarmte ihre Freundin sie. Das stellte sich aus schwieriger heraus als geplant, da sie schon in Eleasars Armen lag, und Adele ihm nicht allzu nahe kommen wollte. Er war unheimlich respekteinflößend. „Du glaubst gar nicht, wie glücklich ich bin!"
Skeptisch zog Ria eine Augenbraue nach oben. „Also, ich weiß wie glücklich du bist. Ich kann Emotionen spüren, schon vergessen?"
Adele hatte es tatsächlich vergessen. „Wie dem auch sei", fuhr sie unbekümmert fort, „wenn du ausgeschlafen bist, musst du ihn unbedingt sehen! Camille lässt ihn mich nicht zu dir bringen. Sie hat wohl Angst, du würdest ihm etwas antun."
Ria schnaubte abfällig. „Ich klär das schon mit ihr." Diese Frau konnte Adele doch nicht das Baby streitig machen. Schließlich hatten die leiblichen Eltern ein Anrecht auf den Kleinen.
Aram warf seinem Freund einen mitleidigen Blick zu. „Ria, ich glaube, das wäre keine gute Idee. Es hat schon seinen Grund, dass Eleasar meiner Mutter aus dem Weg geht."
Empört sprang sie auf. Musste sich jedoch sofort wieder hinsetzen, da ihr Kreislauf das nicht ganz mitmachen wollte. „Aram, du bist gerade Vater geworden, also denk bitte an etwas anderes als an meine Probleme mit deiner Mutter."
Jetzt breitete sich auch auf seinem Gesicht dieses selige Lächeln frisch gebackener Eltern aus. Zufrieden zog er Adele an sich. „Wir sollten langsam zurück."
„He", protestierte Ria schwach. „Erst rückt ihr mit dem Namen raus."
„Cian", lautete die von einem Strahlen begleitete Antwort.
Das überraschte Ria. Nicht, dass sie den Namen nicht schön fand... „Irgendwie habe ich von dir etwas anderes erwartet. Wie hieß Dracula nochmal richtig?"
„Ria!" Adele war kurz davor, sich auf sie zu stürzen. Natürlich nur halbherzig, um dann nachher mit ihr gemeinsam loszulachen.
„Was denn?" Frech grinste sie ihre Freundin an. „Du hast doch so'n Faible für Vampire." Sie versuchte ein müdes Gähnen zu unterdrücken. „Schön, dass es dir gut geht. Und jetzt haut ab, ich will schlafen."
Adeles zuvor aufgebrachte Miene wurde besorgt. „Und dir fehlt wirklich nichts?"
„Ich bin nur müde", beharrte Ria. Und das stimmte. Sie hatte einiges von ihrer Energie auf Adele übertragen, sodass sie ihren eigenen Energiehaushalt wieder auffüllen musste.
Aram überredete Adele zu warten, bis Ria sie von sich aus besuchen kam. „Sie haut nicht ab, ohne ihn gesehen zu haben."
„Eben", bestätigte Ria nun doch herzhaft gähnend. Sie war in Eleasars Armen eingeschlafen, bevor die beiden aus dem Zimmer waren.
Ein leises Gespräch weckte sie. Eleasar saß am Fußende ihres Bettes und unterhielt sich angeregt mit seinem älteren Bruder Daniel. Sie war zu müde, um verstehen zu können, worüber sie sprachen. Auch, wenn sie es nur allzu gern gewusst hätte. Wie kam sein Bruder überhaupt hierher?
„Sie scheint aufgewacht zu sein", bemerkte Daniel plötzlich.
„Stört euch nicht", brummte sie verschlafen ins Kissen.
Es herrschte kurz Stille, dann strich Eleasar ihr sanft über die Stirn. „Wir haben kein Wort über dich gesprochen."
„Das kann nicht sein", wiedersprach sie leise.
„Sie fängt schon an, deine Kräfte zu benutzen? Oder entwickelt sie noch ihre eigenen?" Daniel trat interessiert näher an ihr Bett heran.
„Das geschieht scheinbar nur, wenn sie erschöpft ist und sich fragt, was los ist", antwortete Eleasar nachdenklich. „Ich hatte gehofft, es würde vorerst bei dem einen Zwischenfall bleiben."
Ria verstand nur Bahnhof. Sie war noch immer zu müde, um den beiden folgen zu können. „Würdet ihr bitte etwas weniger Informationen ausschütten? Mein Verstand muss auch erst wach werden."
Daniels tiefenentspanntes Lachen, erlöste sie von dem ängstlichen Schatten, der sich um sie gelegt hatte, als Eleasar ihr eröffnet hatte, niemand hätte über sie gesprochen. „Mit dir ist alles in Ordnung."
Sie streckte sich und setzte sich dann auf. „So, jetzt bin ich wach. Unterhaltet ihr euch mal weiter, ich geh Adele suchen."
Beherzt schwang sie ihre Beine aus dem Bett. Eleasar hielt ihr eine Flasche hin. „Erst trinkst du etwas."
Widerstandslos trank sie die Flasche in großen Zügen leer. Da sie merkte, wie das Getränk ihr Kraft gab, fragte sie: „Hast du auch was zu essen?"
Lächelnd nickte er. „Kommt gleich."
Nachdem Ria zu ihrer Zufriedenheit mit Essen und Trinken versorgt war, wandte Eleasar sich wieder an seinen Bruder. „Ich denke, sie bewegt sich damit auf Glatteis."
Daniel zuckte ratlos mit den Schultern. „Ich kann dir nur sagen, was mir zugetragen wurde."
„Sie weiß genau, wie angespannt die Lage ist."
Der ältere Bruder konnte auch keine Erklärung für das angeprangerte Verhalten finden. „Sie lebt in ihrer eigenen Welt."
Eleasar wechselte in eine Sprache, die Ria nicht verstand. Jedenfalls war er nicht gut drauf, das konnte sie mehr als deutlich spüren. Wortlos beendete sie ihre Mahlzeit und verließ das Zimmer. Sie wollte nicht Teil der Diskussion werden.
Vor Adeles Zimmer wartete die nächste Überraschung auf sie. Camille stand im Flur und redete beschwörend auf ihren Sohn ein. „Gib deine Stelle bei meinem Bruder auf. Zieht zu mir. Ich werde mich um deine Frau und dein Kind kümmern und du kannst deinen Vater bei seiner Arbeit unterstützen."
„Ich bin kein Kind mehr", entgegnete Aram schroff. „Das Schloss ist unser Zuhause."
„Da sind die beiden einer Menge schlechter Einflüsse ausgesetzt", versuchte seine Mutter es weiter. „Ihre Freundin ist kein guter Umgang für sie."
„Adele braucht Ria. Du kriegst die beiden nicht auseinander. Vielleicht solltest du Vaters Ratschlag beherzigen und dich nicht in Angelegenheiten einmischen, die dich nichts angehen."
Ungehalten trommelte Camille mit ihren Fingernägeln gegen die Wand. „Du sollst dich weiter mit Eleasar verstehen, aber seine Frau ist wirklich kein Umgang. Ich werde verlangen, dass deine Frau verlegt wird."
„Sie vergessen eines." Ria trat aus dem Schatten des Ganges. „Ich werde sie finden. Egal wo Sie sie vor mir verstecken."
Camilles Augen sprühten vor Gift, als sie die Schattenseele fixierten. „Du hältst dich von diesem lieben Mädchen fern."
Ria lächelte kalt. „Nein."
Die beiden lieferten sich ein Blickduell. Camille wutentbrannt, Ria entschlossen und mit kalter Miene.
„Ich werde dafür sorgen, dass du sie nie wieder siehst", drohte sie zischend.
Ria zuckte nur unbeeindruckt mit den Schultern. „Ich habe schon originellere Sachen gehört."
Der Blick der Älteren wurde hinterhältig. „Oh, ich werde meinen Neffen noch davon überzeugen, dass du ans Bett gebunden gehörst. Das ist der einzig richtige Ort für dich."
Das war der Punkt, an dem Ria sie gerne auseinander genommen hätte. Stattdessen lächelte sie Aram an, wünschte ihm einen guten Tag und trat ins Zimmer. Adele lag in ihrem Bett, mit einem kleinen Säugling im Arm. Das Kind schlief.
„Ria." Freudig winkte sie ihre Freundin zu sich heran. „Wie geht es dir?"
„Ausgeschlafen", grinste Ria betont fröhlich. Sie wollte ihren Zwist mit Camille nicht zu ihrer Freundin ins Krankenzimmer tragen. „Und du siehst auch schon besser aus. Und glücklich." Sie setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett.
Adele strahlte. „Oh, das bin ich auch. Die Ärzte sagen, ich hätte Glück, dass er so ruhig ist und wenig schreit. Stell dir vor, er ist kerngesund."
Ria konnte mit Adeles Freude nicht wirklich mithalten. Zu stark lasteten die hässlichen Emotionen von Eleas Tante auf ihrem Herzen. „Vielleicht nimmt er ja nur Rücksicht auf dich und mutiert zu einem Schreimonster, sobald du wieder auf den Beinen bist."
„Vielleicht", hauchte sie und wiegte ihren Sohn sanft hin und her. „Ist er nicht schön?"
Ria sagte besser nichts dazu. Es war nicht ihre Art zuzugeben, dass dieser Anblick sie rührte. „Ich habe das Kinderzimmer gesehen. Er wird es gut haben."
Adele nickte zuversichtlich. „Aram hat hier in der Stadt ein Haus. Er meint, wir sollten dem Kind die Reise zum Schloss nicht zumuten. Und eigentlich ist das im Schloss auch nur eine Wohnung, für den Fall, dass er viel arbeiten muss."
Da musste Ria dem Vampir zustimmen. „Ich finde es auch besser, wenn du dir nicht zu viel zumutest. Deine Kekse bring ich dir vorbei, sobald ich Gelegenheit hatte, sie aus dem Schloss zu holen."
Ihre Freundin versuchte sich umzusetzen. „Ach, Ria, könntest du ihn bitte kurz für mich halten?"
„Das ist wirklich nichts für mich", versuchte sie sich entschuldigend aus der Affäre zu ziehen.
Adele sah sie bittend an. „Ich möchte nur kurz ins Badezimmer."
Seufzend gab Ria sich geschlagen. „Ich kann aber nicht mit Neugeborenen."
Vorsichtig legte die junge Mutter das Baby in die Arme ihrer engsten Freundin. „Ich bin mir sicher, du kannst das." Dabei klang sie zuversichtlicher, als Ria sich fühlte.
Mit dem Säugling auf dem Arm trat Ria ans Fenster. Er schlief so friedlich, dass sie auf einmal das Bedürfnis verspürte, ihn vor allen Schrecken der Welt zu bewahren. Verschlafen öffnete das Baby ganz leicht eines seiner hellgrünen Augen. Als es seine Mutter nicht erkannte, wollte es anfangen zu quengeln. Ihr erster Impuls war es, hilflos nach Aram zu rufen. Dann fasste sie sich jedoch und wiegte den Jungen sacht hin und her. Dabei begann sie ein Weigenlied zu summen, das ihr wieder in den Sinn kam. Ihre Mutter hatte es ihr regelmäßig vorgesungen. Damals hatte sie die mystische Sprache wunderschön und faszinierend gefunden. Jetzt, wo sie jedes Wort verstand, fand sie es aus anderen Gründen wunderschön.
Während sie leise sang, spürte sie, wie alles um sie herum ruhiger und die stürmenden Wellen der Emotionen schwächer wurden. Ruhe kehrte ein und das Kind schloss friedlich seine Augen. Eine andächtige Stille trat ein, als sie geendet hatte.
„Ich wusste gar nicht, dass du so schön singen kannst." Staunend trat Adele neben sie.
Vorsichtig übergab Ria das Kind an seine Mutter. „Ich singe ja auch nicht oft. Eigentlich nie."
„Du hast so friedlich ausgesehen", bemerkte Adele, sich für ihre Freundin freuend. „So habe ich dich noch nie gesehen."
Ria seufzte ergeben. „Ich habe mich daran erinnert, wie meine Mutter mir dieses Lied vorgesungen hat, wenn ich unruhig war. Anscheinend hat es nicht nur auf mich diese beruhigende Wirkung."
„Ja, verglichen mit der Musik, die du sonst hörst, ist es wirklich gut."
„Sagt der Vampir-Fan, der kein Gothic-Metal hört", zog sie ihre Freundin auf. Das Musikthema hatte schon für einige Diskussionen zwischen ihnen gesorgt. In Rias Klischeebild von einem Vampir-Fan gehörte diese Musikrichtung einfach dazu. Dass Adele sich geradezu militant dagegen wehrte, entlockte ihr immer noch ein ungläubiges Kopfschütteln.
„Das ist aber kein Wiegenlied im eigentlichen Sinne", kam es von Aram, der an der Wand lehnend gelauscht hatte, „sondern ein uralter Segensspruch für Kinder. Der wird seit fast vierhundert Jahren nicht mehr verwendet."
Dafür erntete er einen vernichtenden Blick. „Ich habe nie behauptet, dass es allgemeinhin ein Wiegenlied ist."
Der frisch gebackene Vater nickte und sah sie fragend an. „Wo ist Eleasar? Er lässt dich doch keine fünf Minuten aus den Augen."
Mit hochgezogenen Augenbrauen setzte Ria sich auf die Fensterbank. „Wir wohnen nicht zusammen. Mittlerweile ist er es also gewohnt."
„Was?" Adele übergab ihren Sohn an Aram und baute sich dann vor ihrer Freundin auf. „Du musst mir alles erzählen, alles."
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