.:12:. Drachenflug
Amüsiert zupfte Eleasar an seinem Hemd, das Ria sich übergezogen hatte. „Was soll das werden?"
Nervös schob sie seine Hand beiseite. „Nur so. Ach, ich bin halt aufgeregt, okay? Für mich gehört sie zur Familie. Auch ohne mit deinem Cousin verheiratet zu sein."
Besitzergreifend zog er sie sanft an sich. „Du erinnerst dich daran, dass du meine Frau bist und nicht Adeles?"
Jetzt schaffte sie es nicht mehr, sich zurückzuhalten. Zu stark wog die Sorge um ihre Freundin. „Was redest du denn da?" Kopfschüttelnd hakte sie sich bei ihm unter. Zumindest war das der Plan. In der Ausführung klammerte sie sich an seinen Arm, wie ein Ertrinkender an eine Holzplanke. „Du hast deine Ansprüche zur Genüge klargestellt", murrte sie leise.
Herzlich lachend führte Eleasar seine Frau durch die verlassenen Gänge bis zu Arams Wohnung. Vor der Tür hielt er noch einmal inne. „Sollte Aram dich anfahren, nimm ihm das bitte nicht übel. Er ist sehr besorgt."
Sie versprach es hoch und heilig, bevor sie an die Tür klopfte. Ein erschlagen aussehender Aram erschien im Türspalt. „Ria. Schön, dich zu sehen. Eleasar. Kommt doch rein." Er nickte ihnen freundlich zu und öffnete die Tür einen Spalt weiter. „Adele ist nicht hier", erklärte er, bevor Ria fragen konnte. Augenblicklich verspannte sie sich. Was hatte das zu bedeuten?
Mahnend legte Eleasar seiner Frau einen Arm um die Schulter. „Warte, bis er es dir erzählt hat."
Dankbar lächelte Aram seinen Freund an. Seine Stimme klang unendlich müde, als er erklärte: „Adele ist in der Stadt. Meine Mutter ist zurzeit bei ihr."
„Warum in der Stadt? Aram, was ist mit ihr?" Die wenigen Augenblicke Ungewissheit und Sorge waren für Ria kaum auszuhalten. „Gibt es Probleme?"
Der Vampir lächelte sie vorsichtig an. „Nein. Wir haben meine Eltern besucht. Dort hat sie unerwartet Wehen bekommen. Ich bin nur hier, um ihre Sachen zu holen." Plötzlich hatte es den Anschein, als würde er jeden Augenblick zusammenbrechen. Es war ein sehr unerwarteter Anblick.
„Setz dich." Entschieden schob Ria ihn ins Wohnzimmer. Als sie seine ungewöhnlich kalte Haut berührte, schauderte sie. „Was braucht sie alles? Ich packe. Geh Blut saugen, du bist kälter als Marjan." Marjan war der Vampir mit dem mit Abstand frostigsten Gefühl. Dass Aram sich diesem Zustand annäherte, erschien ihr bedenklich. Es half niemandem, wenn er zusammenbrach während Adele in den Wehen lag.
In Windeseile waren Adeles Sachen gepackt und Ria kehrte ins Wohnzimmer zurück. Erwartungsvoll sah sie die beiden Freunde an. Vor Aram stand ein leeres Glas, das einmal mit einer roten Flüssigkeit gefüllt gewesen sein musste. „Fertig? Dann können wir ja los."
Zweifelnd sah der Vampir sie an. „Bei der Dunkelheit können die Pferde nichts sehen."
Ria schnaubte. „Pferde. Ich bitte dich. Wie weit ist diese Stadt weg?"
Seufzend gab Eleasar ihr die gewünschte Information. Er ahnte, was ihr vorschwebte. „Eine halbe Tagesreise zu Pferd. Die Luftlinie wird um einiges kürzer sein."
Sie schien kurz nachzudenken. Tatsächlich aber hielt sie mit Ragnarök Rücksprache. „Okay", sagte sie schließlich und knöpfte Eleasars Hemd voll Tatendrang zu. „Dann los."
Nur zögerlich folgten ihr die beiden Männer. „Ria, ich denke, das ist keine gute Idee." Aram versuchte, sie mit leicht verzweifeltem Unterton zum Warten zu überreden.
Entrüstet fuhr sie zu ihm herum. „Nur weil ihr eure zweihundert Jahre auf dem Boden verbracht habt, bedeutet das noch lange nicht, dass Fliegen keine gute Alternative ist. Auf Ragna fliegt es sich wirklich komfortabel. Und es ist Nacht. Er sollte gar nicht auffallen."
Eleasar versuchte gar nicht erst, seine Frau vom Gegenteil zu überzeugen. Sie hatte ihm beim Reisen mit den Portalen vertraut, jetzt musste er wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und ihr ebenfalls vertrauen. Aufmunternd nickte er seinem Freund zu.
Draußen angekommen materialisierte sich der Schattendrache und funkelte Aram herausfordernd an. „Angst, ich könnte Hunger kriegen und dich als Zahnstocher benutzen?"
Seufzend kletterte der Vampir hinter Ria und Eleasar auf den Drachenrücken.
„Festhalten", verkündete Ria munter und griff beherzt in die schuppige Drachenhaut.
Ragnarök brauchte nur einen kurzen, seine Fracht durchschüttelnden Anlauf, ehe er sich in die kühle Abendluft schwang. Befreit ließ Ria sich nach hinten in die Arme ihres Mannes fallen. Sie genoss den Flug durch die Nacht in vollen Zügen. Ihre gute Laune färbte auch auf ihn ab und so dauerte es nicht lange, bis Aram der Einzige war, dem beim Anblick der rasant unter ihnen vorbeiziehenden Landschaft mulmig wurde.
Kurz vor dem Krankenhaus ging der Drache in einen sanften Sinkflug über. Aram sprang ab, bevor das Wesen landen konnte. Lachend rutschte Ria von ihrem Gefährten und in Eleasars Arme. „Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen", zog sie dessen Cousin neckend auf. „Aber sieh es positiv. Jetzt bist du wieder hier. Und das ohne einen halben Tag vertrödelt zu haben."
Er schenkte ihr ein gequältes Lächeln. „Auch ich kann sterben, wenn ich aus so einer Höhe falle."
Kopfschüttelnd hielt sie ihm Adeles Tasche hin. Der kam auf Ideen. „Na dann zeig mal, wo sie liegt."
Adele schlief, als sie leise ins Zimmer traten. Arams Mutter, Camille, trat auf ihren Sohn zu. Sie war eine schöne Frau, mit feinen Zügen und hellblondem Haar. Man konnte die Ähnlichkeit zwischen Marjan und seiner Schwester nicht übersehen. „Aram. So schnell habe ich nicht mit dir gerechnet. Hast du dich ausgeruht?"
Aram nickte und trat um den Vorhang, der Adele von dem kleinen Vorraum abschirmte ans Bett, vor dem er auf einen Stuhl sank und die Hand seiner Liebsten drückte. Ria schenkte Adeles Schwiegermutter im Vorbeigehen ein leichtes Lächeln, bevor sie sich auf die andere Bettseite stellte und leicht über ihre Freundin beugte. Freundlich zu sein konnte ja nicht schaden.
„Eleasar." Camille begrüßte ihren Neffen freundlich. „Was verschlägt dich zu dieser Stunde hierher? Bist du nicht immer schwer beschäftigt?"
Er erwiderte ihre Begrüßung ebenso freundlich. „Meine Frau hatte überzeugende Argumente."
Camilles Blick fiel auf Ria. „Was tut sie da?"
Eleasar beobachtete Ria eine Weile dabei, wie sie vorsichtig über Adeles Arm strich. Er hatte solche Gesten schon ein paar Mal gesehen - als Isla seine Wunden von Raufereien verarztet hatte, um genau zu sein. Es wunderte ihn noch immer, dass die Kaiserin ihr Wissen an seine Frau weitergab. Ebenso sehr wunderte ihn, dass Raphael und seine Gemahlin Ria so schnell in ihr Herz geschlossen hatten. „Sich vergewissern, dass es ihrer Freundin gut geht."
Seine Tante runzelte ungehalten die Stirn. „Ich weiß, man kann nichts gegen die Seelenbindung unternehmen, aber meinst du nicht, dass sie nicht ganz geeignet ist, deine Frau zu sein? Ich habe gehört, sie neigt zu unüberlegten Aktionen. Das könnte deinem Ruf schaden." Jedes ihrer Worte war unterschwelliges Gift. „Ein Mädchen wie Adele würde viel besser zu dir passen."
Abweisend wischte er ihre Worte beiseite und setzte er sich auf einen der Stühle an der Wand. „Ich möchte niemand anderen als sie. Sie ist deine kaiserliche Prinzessin und das hast du zu akzeptieren."
Camilles Mund wurde schmal. „Sie ist kein Mädchen für dich."
„Darüber", entgegnete er unterkühlt, „diskutiere ich nicht."
In diesem Augenblick sah Ria auf und musterte ihn aufmerksam. Stimmt etwas nicht?
Er bemühte sich um einen beruhigenden Ton. Offenbar war sie so sehr in ihre Bestandsaufnahme versunken gewesen, dass sie den Wortwechsel nicht gehört hatte. Nein. Wie geht es deiner Freundin?
Sie lächelte schwach. Soweit gut, denke ich. Sie hat Schmerzen.
Er hatte das dringende Bedürfnis, die Sorge aus ihren Gedanken zu vertreiben. Doch er wusste, dass das nichts bringen würde. Ihren Zorn hatte er schon zur Genüge auf sich gezogen. Komm her, gib Aram ein wenig Zeit mit ihr alleine.
Vorsichtig legte sie Adeles Handgelenk zurück auf die Decke und schlich zu ihm. Wenn ich mir das richtig gemerkt hab, wird es hier gleich hektisch werden. Einen besorgten Blick auf Adele werfend, kletterte sie auf Eleasars Schoß. Aber ich bin mir nicht sicher.
Du stehst noch am Anfang deiner Ausbildung, erklärte er ihr beruhigend. Mute dir nicht zu viel zu. Hier gibt es viele erfahrene Ärzte.
Unruhig lehnte sie sich an ihn. „Ich würde ja sagen, ich mache jemanden kalt, wenn sie zu Schaden kommt, aber das wäre wohl unangebracht."
Aram drehte sich lächelnd um, die Augen dunkel vor Sorge. „Denkst du immer noch, du kannst es mit mir aufnehmen?"
„Klar", entgegnete sie kampflustig. „Wir hätten noch Zeit, also wenn du Lust hast..."
Empört schnappte Camille nach Luft. „Aram, deine Frau steht kurz vor der Geburt und du willst dich mit ihr anlegen?"
Ria sprang auf und begann sich demonstrativ vor ihr zu dehnen. „Sie müssen sich nicht um Ihren Sohn fürchten. Ich habe heute nicht vor, ihn unter die Erde zu befördern."
Der älteren Frau entglitten die Züge.
„Ria." Entschieden zog Eleasar seine Frau zurück auf seinen Schoß. „Wenn du Aram ablenken willst, solltest du einen anderen Weg wählen."
„Sag bloß, du sorgst dich um mich?", feixte Aram schadenfroh.
Gleichgültig mit den Schultern zuckend schlug sie die Beine übereinander. Wenn Plan A nicht erlaubt war, musste eben Plan B herhalten - Ehrlichkeit. „Adele kann es gerade nicht und Elea ist zu zugeknöpft, um es zuzugeben."
„Du bringst dich wieder mal in Schwierigkeiten", meinte Aram lächelnd.
„Ich bin jung, ich darf das", erklärte sie selbstbewusst. Dann wurde ihre Miene schlagartig ernst. So schnell es ging, rannte sie zu Adele und griff nach ihrer Hand.
Camille wollte sie von ihrer Schwiegertochter weg reißen, wurde jedoch von Eleasar zurückgehalten, der ihr mahnend eine Hand auf die Schulter legte. Kurz darauf wachte Adele unter schmerzerfülltem Stöhnen auf. Aram saß hilflos neben ihr. Ria hingegen schien ihr helfen zu können, denn die Schmerzen ihrer Freundin schrumpften auf ein erträgliches Maß zusammen. „Ria?" Schweißperlen glänzten auf Adeles weißer Stirn. „Wie kommst du denn her?"
„Ich hab dir deine Kekse mitgebracht", erklärte sie, ihr ruhig durchs schweißnasse Haar streichend. Sie war froh, dass ihre beste Freundin wenigstens kurzzeitig schmerzlos und bei Bewusstsein war.
„Ja, aber wie kommst du so schnell hierher?" Unter neuerlichen Schmerzen verzog sie ihr Gesicht.
Ria lächelte sie aufmunternd an. „Ich hab Elea zaubern lassen."
„Ist er auch hier?" Ächzend versuchte sie sich aufzusetzen.
Prompt drückten Aram und Ria sie zurück in die Kissen. „Liegen bleiben."
„Ihr seid schrecklich." Stöhnend wand sie sich erneut.
Erleichtert trat Ria einen Schritt zurück. „Na, wenn du noch meckern kannst, kann es dir gar nicht so schlecht gehen."
Adele funkelte sie böse an. „Daran erinnere ich dich, wenn du kurz vor der Geburt stehst."
Schulterzuckend setzte sie sich auf die Matratze. „Das dauert bestimmt noch Jahre. Bis dahin verhätschle ich dein Kind."
„Wag es bloß nicht. Du weißt, ich werde es dir vergelten."
Ria lachte fröhlich. „Du bist nicht ansatzweise so nachtragend, wie du gerade behauptest."
Ihre Freundin stöhnte. „Wie lange hast du ihn zappeln lassen?"
Ihr war klar, dass sie sich auf ihre vorläufige Trennung von Eleasar bezog. „Wenn's nach mir gegangen wäre, ewig. Der Kaiser hat die Sache aber ein wenig anders gesehen." Dabei grinste sie ihren Mann herausfordernd an. Der gab vor, ihre Anspielung nicht verstanden zu haben.
„Kaiser?" Über ihre Verwunderung vergaß Adele eine Weile ihre Schmerzen. „Ria, niemand sieht den Kaiser." Eine neue Schmerzenswelle überrollte sie und brachte sie dazu, sich zu winden.
Besorgt griff sie nach Adeles verkrampfter Hand. „Halt still, du dumme Nuss. Ich kann dir nicht helfen, wenn du so wackelst."
„Hab du mal solche Schmerzen", fauchte Adele ungehalten.
„Da habe ich nichts mit zu tun."
Adele spürte eine neue Welle des Schmerzes nahen, die jedoch unerwartet verebbte. „Was?" Verwirrt starrte sie auf ihre Hand. „Wie hast du das gemacht?"
Ria lächelte sie entschuldigend an. „Ich kann dir nicht viel helfen, dafür weiß ich noch zu wenig."
„Nein Ria", widersprach Aram leise, „du bist eine große Hilfe. Wo hast du das Heilen gelernt?"
Sie schnaubte ungläubig. „Das ist nichts im Vergleich zu Isla."
„Du lernst von der Kaiserin?" Aram klang aufrichtig überrascht. „Sie hat seit Ewigkeiten keinen Schüler gehabt."
„Ich bin ja auch kein Kerl", lautete die sarkastische Antwort.
Überlass den Rest den Ärzten. Eleasar fielen als einzigem die kleinen Anzeichen von Rias Erschöpfung auf.
Sie sah ihn fast verzweifelt an. Ich kann ihr nicht viel helfen.
Lautlos stand er auf. „Gehen wir ein wenig nach draußen." Ria zögerte, sah irgendwann jedoch ein, dass es keinen Sinn hatte. Adele musste das alleine durchstehen. Auf wackeligen Beinen trat sie die paar Schritte auf ihn zu. Damit niemand ihren Schwächeanfall merkte, stützte er sie unbemerkt mit dem Arm, den er um sie legte.
Vor der Tür hob er sie hoch. „Kein Protest. Du hast dich stärker verausgabt, als ich gedacht habe." Besorgt küsste er sie auf die Stirn. „Du ruhst dich aus. Geburten können dauern."
Ria war zu müde, um ernsthaft zu protestieren. „Wo bringst du mich hin?" Ihr Kopf lehnte erschöpft an seiner Schulter. Sie war eingeschlafen, bevor er ihr eine Antwort geben konnte.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie in einem Bett. Offenbar befand sie sich noch im Krankenhaus, denn dieses Zimmer ähnelte dem von Adele. Aber warum lag sie hier?
„Wo willst du sonst schlafen, wenn nicht in einem Bett?" Eleasar lächelte sie zufrieden an. „Ausgeschlafen?"
Sie nickte. „Wie geht es Adele?"
Seufzend legte er die Zeitung beiseite, in der er bis eben gelesen hatte. „Treibt Aram in den Wahnsinn."
„Dann ist das Kind also noch nicht da." Erleichtert ließ sie sich ins Kissen sinken. „Ich hatte befürchtet, es zu verschlafen."
Gemächlich setzte er sich neben sie auf die Matratze. „Ich hätte dich geweckt. Du solltest aber noch nicht zu ihr gehen."
Sie krabbelte zu ihm hin und suchte mit fragender Miene seinen Blick. „Warum?"
Fürsorglich griff er nach der Decke und drapierte sie um ihren Körper. „Camille mag dich nicht."
„Das ist mir egal", aufgebracht verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Adele ist meine Freundin. Nicht einmal du oder Aram könnt etwas daran ändern."
Besänftigend zog er sie an sich. „Camille besitzt eine Menge Einfluss. Ihr ist egal, ob du den Schutz der kaiserlichen Familie genießt oder nicht."
Gequält rollte sie sich auf seinem Schoß zusammen. „Ich soll meinen Kontakt zu Adele aus politischen Gründen einstellen? Ist es das, was du mir sagen willst?" Ihre Stimme klang merkwürdig monoton.
„Nein. Ich sage dir nur, dass du bei meiner Tante aufpassen musst. Vor fünf Jahren ist Arams Schwester geboren worden", begann er zögerlich zu erzählen.
„Aram hat eine Schwester?" Ihre Überraschung hätte größer nicht sein können.
Lächelnd schob er ihr die Haare aus dem Gesicht. „Eva ist fünf. Deshalb war sie auf unserer Feier nicht dabei. Camille hat versucht, mich zu einer Verlobung mit ihrem Neugeborenen zu überreden."
Fassungslos kuschelte sie sich an ihn. „Das hat sie nicht wirklich getan."
„Du klingst nicht sonderlich überrascht." Eine schlichte Feststellung.
„Ich habe schon zu vieles gesehen und gehört." Als sie spürte, wie er leise in sich hinein lachte, stieß sie ihn empört an.
„Entschuldige. Du klingst nur so, als hättest du schon Jahrhunderte gelebt."
Seufzend kroch sie unter der Decke hervor. „Manchmal fühle ich mich auch so. Also, deine Tante. Reicht nicht, wenn ich sie vermöbel, oder?"
Er lachte herzlich. „Wohl kaum. Mein Vater wäre auch wenig begeistert. Sie ist seine kleine Schwester."
Plötzlich zuckte etwas durch sie hindurch. Sie konnte nicht sagen, woher diese Gewissheit kam, aber Adele ging es gar nicht gut. „Wie sterblich ist Adele?" Entsetzt sprang sie auf.
„So wie du", antwortete er verwirrt. Er konnte ihre Panik nicht ganz verstehen.
Kopflos sprang sie aus dem Bett und rannte wie von der Tarantel gestochen zu Adele. Das ihr entgegen dröhnende Babygeschrei interessierte sie herzlich wenig. Sie stieß Camille achtlos zur Seite, als sie ihr den Weg vertrat. „Bleib stehen, du unmögliches Ding."
Ohne nachzudenken, brach Ria ihr die Hand, mit der sie sie festhielt und rannte weiter. Verzweifelt beugte sie sich über Adele. „Stirb mir hier nicht weg, hörst du? Ich habe dir noch so vieles zu erzählen." Verzweifelt griff sie nach ihrer Hand. Sie spürte, wir ihre Energie allmählich in Adeles sterbenden Körper überging, sich in ihr verteilte und die Wunden langsam schloss. Zu langsam. Sie brauchte noch mehr Energie. Warum wollten sich die Wunden denn nicht schließen? Verzweifelt klammerte sie sich an ihre Freundin. Sie war nicht bereit, sie gehen zu lassen. Nicht jetzt. Vielleicht niemals.
„Ria? Ria, lass los. Ria." Jemand versuchte, sie von ihrer Freundin zu ziehen. Verbissen versuchte sie sich dagegen zu wehren, aber Adeles Hand entglitt ihr. „Ria, der Arzt kümmert sich um sie. Es ist gut. Du hast sie gerettet."
Andere Arme griffen nach ihr, zogen sie fort von ihrer Freundin. Hände legten sich auf ihre Schläfen und um ihre Handgelenke, dann wurde alles dunkel.
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