.:11:. Ein etwas überstürzter Aufbruch

Weitaus weniger erfreulich war für Ria die Bekanntschaft mit dem Sohn des Kaiserpaares. Miro sah zwar ebenso gut aus wie seine Eltern, doch konnte sie darüber hinaus keine Ähnlichkeit feststellen. Ständig hielt er sich in ihrer Nähe auf und versuchte herauszufinden, warum sie jetzt im Palast wohnte und nicht mehr bei ihrem Mann. Als sie unmissverständlich klargemacht hatte, dass ihn das nichts anging, war er dazu übergegangen, sie über ihre Art auszufragen. Am liebsten hätte sie ihn endgültig zum Schweigen gebracht.

Mit wachsender Besorgnis beobachtete der Kaiser die immer größer werdende Anspannung zwischen den beiden. Ihm war klar, dass Ria sich nur deshalb zurückhielt, weil Miro sein Sohn war. Doch so sehr sie ihn ignorierte, es gab gewisse Gelegenheiten, da konnte sie es nicht. Besonders dann wurde ihre Abneigung seinem Sohn gegenüber deutlich.

Daher nahm er nach einer Besprechung seinen möglichen Nachfolger beiseite. Erst als alle anderen den Raum verlassen hatten, sprach er an, was ihm auf der Seele lag. „Wenn das so weiter geht, überlebt einer der beiden den nächsten Monat nicht."

Eleasar sah aus dem Fenster und hatte nur Augen für seine Frau. Ria spielte draußen im Garten mit einem kleinen Kind fangen. „Meinst du, sie ist dazu bereit?"

Raphael trat neben ihn und musterte ebenfalls die schwarzhaarige junge Frau. „Sie braucht Abstand zu meinem Sohn. Du bist der Experte, wenn es um Heilung seelischer Wunden geht." Vertrauensvoll legte er ihm eine Hand auf die Schulter. „Ria ist wie eine Tochter für mich. Ich würde sie dir nicht überlassen, hätte ich den Eindruck, es ginge erneut schief." Je mehr er in den vergangenen Wochen über das Mädchen gelernt hatte, desto mehr war sie ihm ans Herz gewachsen. Dass sie Vollwaise war, verstärkte seine väterlichen Gefühle für sie nur umso mehr.

Der Prinz nickte und wandte sich vom Fenster ab. „Ich werde sie fragen." Er schnappte sich seine Jacke und schickte sich an, den Raum zu verlassen, als der Kaiser ihn zurückrief.

„Ach, Eleasar." Er hielt inne und drehte sich um. Kaum merklich nickte Raphael zu Ria. „Was ist eigentlich mit ihrer Schwester?"

Ein dunkler Schatten wanderte über sein Gesicht. Dann warf er sich mit angespannten Bewegungen seine Jacke über und antwortete knurrend: „Tatsächlich ihre Schwester. Hoffen wir, dass Sem diese Verbindung nicht zu nutzen gedenkt."

Mahnend hob der Herrscher eine Hand. „Erkläre ihm nicht den Krieg, nur weil er über deine Frau an mich heran kommen möchte."

Sein Schützling nickte knapp. „Ich möchte Ria zu meinem Vater mitnehmen."

Raphael lächelte zufrieden. „Natürlich. Danach möchte ich hören, wie sie sich entschieden hat." Er wandte sich wieder dem Fenster zu und beobachtete die junge Schattenseele dabei, wie sie weiterhin mit dem kleinen Mädchen spielte und dann plötzlich freudig aufsah, als Eleasar in den Garten trat.

Glücklich fiel Ria ihrem Mann um den Hals. „Elea. Schon fertig?"

Eleasar küsste sie zärtlich. Es fiel ihm schwer, sich von ihr zu lösen, doch blieb ihnen später noch genug Zeit dafür. Zuerst mussten einige Dinge geklärt werden. „Ja. Würdest du dein Spiel bitte kurz unterbrechen?"

Eines der Dienstmädchen kam herbeigeeilt und brachte das Kind fort, während es das Mädchen ausschimpfte. „Offenbar ist es unterbrochen worden." Mit leicht gerunzelter Stirn sah Ria der Mutter nach.

Lächelnd zog er einen Zettel aus seiner Manteltasche. Es war schön zu sehen, dass sie sich Gedanken um so normale Dinge wie Kinder und Erziehung machte. „Adele hat dir geschrieben."

Von ihrem Unmut dem Verhalten der Mutter gegenüber war auf einmal nichts mehr zu sehen. Aufgeregt entriss sie ihm den Zettel. „Warum schickt sie den denn zu dir?" Gar nicht erst auf eine Antwort wartend, überflog sie die Zeilen. „Oh Gott." Hektisch drückte sie ihm den Brief in die Hand und rannte ins Schloss. Das konnte doch nicht sein. So viel Zeit war noch gar nicht vergangen, oder? Im Geiste versuchte sie nachzurechnen, wie viel Zeit denn nun vergangen war.

„Ria?" Verwirrt betrachtete die Kaiserin ihren halb gepackten Koffer.

Ria nickte ihr fahrig zu, bevor sie achtlos ein paar Hosen zu den anderen Sachen schmiss. „Isla, ich muss gehen."

„Habt ihr euch gestritten?"

Verwundert sah Ria auf. „Ach, du meinst Elea. Ne. Mist, den hab ich ganz vergessen. Elea!" Aufgedreht rannte sie den Weg zum Garten zurück.

Lächelnd wandte sich Raphaels Frau zur Tür. Eleasar lehnte ihm Rahmen, auf seinem Gesicht spiegelten sich Spuren von Verwirrung und ... ein klein wenig Eifersucht. „Deine Gemahlin sucht dich."

Gequält erwiderte er ihr Lächeln. „Sie hat mich wirklich vergessen." Es wurmte ihn mehr, als er zugeben wollte. Einfach so sitzen gelassen zu werden - für einen Brief.

Islas Lachen klang sehr herzlich. „Geht es um ihre schwangere Freundin?"

Seufzend nickte er. „Ich wollte sie fragen, ob sie mich begleitet, aber irgendwie rennt sie vor mir davon."

Er bekam einen nicht wirklich mitleidigen Blick. „Hast du gesehen, dass in der Stadt immer mehr junge Frauen ihren Stil nachahmen?"

Sein Blick verfinsterte sich augenblicklich. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll."

„Das Volk liebt sie. Sie ist jung, charmant, selbstbewusst und scheut sich nicht, sich in der Stadt blicken zu lassen."

Das konnte selbst Eleasar nicht übersehen. „Was bringt es, wenn sie beim Volk beliebt ist, aber keinerlei Interesse an den höheren Kreisen hat, in denen sie lebt?" Er hatte sie oft genug beobachtet, um sagen zu können, dass sie es nach Kräften mied, auf gesellschaftlichen Anlässen zu erscheinen. Sie behauptete zwar, das sei nicht ihre Welt, aber er war sich sicher, da steckte noch mehr dahinter. Wahrscheinlich ihre Unsicherheit. Soziale Interaktionen waren nicht unbedingt ihre Stärke. Zumindest dann nicht, wenn sie sich zusammenreißen musste.

Tapsende Schritte auf dem Gang kündigten eine Person an. „Elea!" Ria war zurück und klettere schwungvoll auf seinen Rücken. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich am Rahmen abstützen, sonst wären sie gemeinsam zu Boden gegangen. „Elea, kommst du mit? Aram und Adele besuchen?"

Er versuchte sie festzuhalten, da sprang sie auch schon wieder von seiner Schulter und machte sich erneut daran, hektisch Sachen in den Koffer zu werfen. Andächtig trat er neben sie. Er konnte ihre Aufregung wie einen aufgebrachten Schwarm Bienen spüren. Isla lachte herzlich, während er versuchte ernst zu bleiben und sich betont lässig gegen einen Bettpfosten lehnte. „Hättest du eine halbe Minute länger gewartet, hätte ich dich gefragt."

„Ach was", freudig strahlte sie ihn an. „Gut. Hab ich alles?" In Gedanken ging sie eine Liste durch. „Ahhh!" Frustriert raufte sie sich ihre Haare. „Ich hab das Geschenk vergessen! Elea, begleite mich in die Stadt, ich muss Shoppen!" Kopflos verschwand sie im Ankleidezimmer. Mit einem knielangen schwarzen Mantel kam sie wieder zurück.

Eleasar stand noch immer neben dem Koffer. Er wirkte ein wenig perplex. Mit so viel Elan hatte er nun wirklich nicht gerechnet. „Wir können gerne in die Stadt gehen. Ich hatte geplant, morgen abzureisen."

„Morgen?" Tadelnd sah sie ihn an. „Hallo, der Kleine wartete nicht, bis wir da sind. Ich kann doch die Geburt meines Patenkindes nicht verpassen."

Jetzt verstand er wirklich nur noch Bahnhof. Der Kaiserin schien es genauso zu gehen. Als Ria die ratlosen Mienen der beiden bemerkte, winkte sie ab. „Menschenbrauch. Also, gehst du jetzt mit mir shoppen oder nicht?"

Er zögerte kurz, bevor er leise lächelnd sagte: „Du weißt, dass das Spekulationen hervorrufen wird?"

Irritiert hielt sie inne, lief dann aber knallrot an, die Kaiserin hingegen lachte leise. „Gut, dann geh ich eben alleine."

Islas Lachen verstärkte sich. Sie lachte so sehr, dass kleine Tränen ihr die Wangen hinab rannen. „Ria, wenn du beim Kauf von Babysachen gesehen wirst, ist es egal, ob Eleasar dabei ist oder nicht."

„Sollen sie doch denken, was sie wollen", grummelte sie und warf ihren Koffer zu. „Hast du noch Dinge, die du erledigen musst?", fragte sie Eleasar ernst.

Ergeben schüttelte der seinen Kopf. „Ich muss nur kurz bei mir vorbei."

Fröhlich klatschte Ria in ihre Hände. „Ausgezeichnet. Ragna." Eine kleine Echse kletterte auf den freien Bettpfosten neben ihr und von dort auf ihre Schulter. „So, wir sind fertig."

„Ich werde Raphael ausrichten, dass ihr spontan abreist", erklärte Isla noch immer schmunzelnd und verschwand aus dem Raum.

Fragend trat Ria an ihren Mann heran. „Was meint sie denn damit? Das habe ich ihn doch schon gefragt."

„Das", sagte er und zog sie endlich an sich, „bedeutet, dass wir uns hier Zeit lassen können. Wir nutzen ein Portal. Das ist schneller als die Reise über Land."

Überrascht sah sie ihn an. „Das geht?"

Schmunzelnd schob er sie aus dem Raum. „Es hat so seine Vorteile, zur kaiserlichen Familie zu gehören."

Schulterzuckend lief sie neben ihm her. „Ich hätte jetzt Ragna genommen. Ich kenne kein zuverlässigeres Reisemittel an ihn." Nachdem sie einen Monat im Palast verbracht hatte, hatte der Kaiser den Zauber gelöst, der Ragnarök daran hinderte, seine normale Gestalt anzunehmen.

„Meinst du nicht, dass ein Drache bei Tageslicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zieht?"

Abrupt hielt sie inne. „Warte mal." Mit schlechtem Gewissen schlang sie ihre Arme um ihn. „Ich habe ganz vergessen, dich richtig zu begrüßen. Schön, dass du da bist." Langsam zog sie ihn an sich. „Ich habe dich vermisst." Nachdem sie ihn gebührend begrüßt hatte, schleifte sie ihn erbarmungslos nach draußen. Für ihn waren ihre plötzlichen Sinneswechsel eine Qual. Da er keinen Streit heraufbeschwören wollte, folgte er ihr wortlos.

Auf dem Weg in die Stadt, machten sie noch kurz an seinem Haus halt. Schließlich brauchte auch er ein wenig Kleidung.

Gelassen beobachtete Ria ihn beim Packen. Es hatte etwas Beruhigendes an sich, ihn bei so alltäglichen Dingen zu beobachten. Als ihr Blick auf das Bett fiel, wurde sie beinahe wehmütig. Sie war zwar froh über die Distanz, die es einfacher gestaltete, noch einmal neu anzufangen, doch fehlte ihr seine Nähe in den letzten Wochen zunehmend.

„Ria?" Seine Stimme klang auf einmal seltsam rau.

Sie sah ihn an und bemerkte verwirrt, dass sie sich unbewusst an ihn geschmiegt hatte. Verlegenheit überkam sie, doch überwog das wohltuende Gefühl seiner Nähe. „Ich lass dich nicht los", flüsterte sie und klammerte sich an seine Taille.

Es kostete ihm sichtlich Mühe, ruhig zu bleiben. Seine Muskeln verspannten sich merklich, als er seinen Impuls, sie aufs Bett zu ziehen unterdrückte. „Das solltest du aber."

„Wir haben Zeit", entgegnete sie leicht verträumt.

„Nicht, wenn du in der nächsten Stunde das Haus verlassen willst." Sie schüttelte ihren Kopf. Er gab seinen Widerstand auf und verwickelte sie in einen leidenschaftlichen Kuss. „Letzte Chance", murmelte er angespannt.

Mühelos riss sie die Ketten seiner Selbstbeherrschung weg. „Du bist nicht der einzige, der leidet."

.

Erst Stunden später kamen sie in die Stadt. Ria hatte das Gefühl, auf Wolken zu schweben. Bei ihrem Mann untergehakt, hüpfte sie das eine oder anderen Mal fast vor Freude. Als sie atemlos nebeneinander im Bett gelegen hatten, hatte er sie gebeten, wieder bei ihm einzuziehen. Sie hatte zwar leichte Bedenken, was das mit sich bringen würde, war jedoch der Überzeugung, dass die Grundfesten ihrer Beziehung standen. Also hatte sie zugestimmt.

Gemeinsam betraten sie ein Laden für Kinderbedarf. „Hoheit, es ist eine Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen." Eine leicht rundliche, hundeäugige Frau schüttelte Ria herzlich die Hand. „Wir haben uns alle gefragt, wann es denn endlich soweit sein wird."

Sie war so verdattert, dass sie kein Wort heraus brachte. „Wir sind auf der Suche nach einem Geschenk", sprang Eleasar erklärend ein.

Die Verkäuferin verneigte sich tief. „Sehr wohl."

Es dauerte nicht lange und Ria hatte ein geeignetes Geschenk gefunden. Im Anschluss daran wollte sie unbedingt noch in den Keksladen. In dem Schreiben hatte Adele sie gebeten, ihr welche zu schicken. Auf dem Weg dorthin fand sie noch einige Sachen, die sie ihrer Freundin ebenfalls mitbringen wollte. So kam es, dass sie mit viel mehr Tüten als geplant in eine Kutsche steigen, die sie zum Palast bringen sollte.

Ein wenig mitgenommen ließ sie sich in den Sitz sinken. Überall waren ihr die neugierigen Blicke der Bürgerinnen und Bürger aufgefallen. Viele hatten ihren Bauch gemustert. „Nicht, dass Isla mich nicht gewarnt hätte, aber das ist ja unerträglich."

Eleasar konnte sich sein Grinsen nicht verkneifen. „Du hättest einen Boten schicken können."

„Da kann ich ihr auch gleich nen Schneider schenken", widersprach sie stur. Dann grinste sie ihn kess an. „Na, was sind denn die Eindrücke des werdenden Vaters? Junge oder Mädchen?"

Sein leichtes Lächeln verriet nichts von dem, was in ihm vorging. „Dass du furchtbar aufgeregt bist."

Auch sie bemerkte, dass sie nervös am Griff einer Tasche herumspielte und stellte es ein. „Ist doch auch schön. Neues Leben sollte man gebührend begrüßen."

Er nickte zustimmend. „Ja, es wird ein Fest geben. Du kannst doch tanzen?"

Ihr entglitten die Züge. „Tanzen? Ich kann Capoeira. Das ist ein getanzter Kampfsport", erklärte sie mit schwachem Lächeln.

„Dir muss das friedliche Leben hier vollkommen fremd sein", bemerkte er resignierend. „Kennst du dich überhaupt mit Dingen aus, die auf gesellschaftlichen Anlässen gefragt sind?"

Sie wusste, dass er wusste, dass die Kaiserin ihr einen Kurs in Etikette aufgehalst hatte. Daher ging sie auf diesen Teil seiner Bemerkung nicht ein. „Ich hatte Zeit, meine Lebenseinstellung zu überdenken und mir darüber klar zu werden, was es bedeutet jemanden zu haben, der einem wichtiger ist als das eigene Leben." Seine Nähe suchend, kletterte sie auf seinen Schoß, ihren Kopf schmiegte sie vertrauensvoll in seine Halsbeuge. „Ich habe mich wieder daran erinnert, wie sehr ich die anderen Kinder in meinem Alter immer beneidet habe, wenn ihre Eltern sie abgeholt haben oder ihnen selbstgemachtes Essen mitgaben. Selbst um den emotionsgeladensten Streit habe ich sie beneidet. Das einzige, was ich zu der Zeit an Erinnerungen an meine Eltern hatte, waren die Bilder der blutigen Hinrichtung meines Vaters."

Tröstend legte er seine Arme um sie. „Du trägst zu viele Albträume mit dir herum."

Vertrauensvoll lag sie in seinen Armen und betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. „Das ist meine Vergangenheit. Es liegt hinter mir. Die Gegenwart sieht doch ganz vielversprechend aus."

Ihre Zuversicht rührte ihn. Ihm war aufgefallen, dass sie mehr in sich ruhte, als zu der Zeit, zu der sie ihn verlassen hatte. Nachdenklich spielte er mit ihren Haaren. „Du wirkst emotional stabiler."

Langsam rappelte sie sich auf und sah ihm aufrichtig in die Augen. „Du hast recht." Ihr Gesicht nahm einen nachdenklichen Zug an. „Im Nachhinein betrachtet, ist es gut so, wie es gelaufen ist." Ihre Worte klangen wage, als müsste sie den Klang erst einmal testen.

„Vermutlich", entgegnete er kühl. Seine Einstellung zu dem Thema sah ein wenig anders aus. „Wir sind da." Zeitgleich mit seinen Worten hielt die Kutsche vor den Palasttoren. Galant half er seiner Frau beim Aussteigen. Er wollte ihr auch die Taschen abnehmen, aber sie bestand darauf, sie selbst zu tragen. Von ihrer Sturheit hatte sie jedenfalls nichts eingebüßt.

Auf dem Weg durch den Palast musterte er sie eingehend. Sie war noch immer das kleine, zierliche Persönchen, das er damals von seiner Fensterbank gepflückt hatte. Ihre wohldefinierten Muskeln waren nur dann unter ihrer weichen olivfarbenen Haut zu erkennen, wenn sie vermehrt Kraft aufwenden musste. Sie trainierte also weiterhin regelmäßig. Etwas anderes hatte er auch eigentlich nicht erwartet. Ria war eine Kämpferin. Es war ein Teil ihres Wesens und sie genoss es, ihrer Natur zu folgen. Allerdings hatte sich etwas an ihr geändert. Ihr Gang war noch immer geschmeidig, doch hatte sich im Laufe der letzten Zeit noch etwas anderes darunter gemischt. Anmut. Und die Eleganz eines Raubtiers. Sie war tödlich. Und wenn sie sich nicht gerade mit schönen Dingen ablenkte, merkte man es ihr auch an. Sie war keine Verführerin, aber solche Frauen hatte er schon oft genug gehabt. Nein, Ria bedeutete Feuer und Aufregung. Ihr Auftauchen hatte seine Welt ordentlich auf den Kopf gestellt. Sie war jetzt sein Leben und er war fest entschlossen, sie glücklich zu machen. Das hatte sie verdient.

Der Gang bog um eine Kurve. Sie waren am Ziel. Über die leicht unsichere Miene seiner Frau schmunzelnd schob er sie in den vor ihnen liegenden Portalraum.

Dort angekommen stand sie unschlüssig vor den in den Boden eingelassenen Zeichen. „Und da soll ich mich jetzt einfach drauf stellen?"

„Und den Namen deines Zielortes nennen", fügte er mit einem leisen Lächeln hinzu. Er erinnerte sich daran, wie sehr das Weltenportal sie damals durcheinander gebracht hatte. Jetzt schien sie ein ähnliches Gefühl zu erwarten. Er konnte es ihr nicht verübeln. Für Wesen, die mit ihrer Umwelt verbunden waren, musste es schwer sein, plötzlich in andere Umgebungen einzutauchen.

„Willst du nicht vorgehen?", fragte sie skeptisch.

Er lachte. „Solltest du den Namen falsch aussprechen, kann ich dir nicht folgen."

Da hatte er durchaus einen Punkt. Misstrauisch schob sie ihren Fuß auf die Zeichen. Eleasar musste sich angesichts ihrer Anspannung ein Lächeln verkneifen. So taff sie auch war, wann immer es um die hiesige Technik ging, wurde sie unsicher. Als Ria merkte, dass sie nicht in eine Art schwarzes Loch gezogen wurde, atmete sie erleichtert aus. „Okay, wo will ich hin?"

Er nannte ihr den Namen von Marjans Schloss. Es dauerte eine Weile, bis Ria kopfschüttelnd auf den Boden deutete. „Das kann ich nie im Leben richtig aussprechen."

Belustigt lächelnd nahm er ihr einen Teil der Taschen ab und legte seinen freien Arm um sie. „Dann halt dich besser gut fest. Nicht, dass du noch irgendwo anders landest."

Noch bevor sie ihn richtig verstanden hatte, verschwammen die Konturen um sie herum. Um nicht gänzlich den Verstand zu verlieren, schloss sie die Augen und klammerte sich an ihren Mann.

„Ehm, ich möchte mich ja nicht beklagen, aber du kannst loslassen." Er klang belustigt.

Vorsichtig lugte sie unter ihren geschlossenen Lidern hervor. Sie standen in Eleasars Zimmer. Das Zimmer, in dem sie gewohnt hatte, bevor sie ihn getroffen hatte. Erleichtert ließ sie von ihm ab. „Hach ja, das weckt Erinnerungen", sagte sie munter und ließ sich rücklings aufs Bett fallen. „Ich finde, wir sollten noch mal im Wald spazieren gehen."

Eleasar stellte die Taschen ab und beugte sich über sie. „Du hast die Wahl. Entweder zu räkelst dich weiter auf dem Bett und wirst mit den Konsequenzen leben müssen oder du siehst zuerst nach deiner Freundin."

Erstarrt horchte sie ins Schloss. Keine aufgeregte Stimmung hing in der Luft, niemand eilte aufgeschreckt durch die Gänge. Ihr entging die erwartungsvolle Anspannung, in der er verharrte nicht. „Ich denke, die kann noch ein wenig länger warten."


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