.:06:. Schauergeschichten
Entrüstet knuffte sie ihm leicht in die Seite. „Hey, das ist gemein. Ich kann durchaus vernünftig sein." Ihr Blick fiel auf das wartende Pferd. „Das ist nicht dein Ernst."
Er setzte sie ab und drehte sich neugierig zu ihr um. „Warum eigentlich?"
In schmerzhafter Erinnerung verzog sie den Mund. „Weil ich als Kind vom Pferd gefallen bin und mir den Arm gebrochen habe. Danach hat Kemal nie wieder versucht, mich zu Reitstunden zu überreden." Kemal war ihr Ziehvater, der sie nach dem grauenvollen Tod ihrer Eltern bei sich aufgenommen hatte. „Seitdem mache ich Kampfsport."
„Du hättest wieder aufs Pferd gemusst", erwiderte er sachlich. „Spätestens nach dieser Reise wirst du es lernen müssen." Er griff nach den Zügeln und bedeutet ihr, sich auf das Tier zu setzen.
„Ich dachte, ich soll mich nicht mehr in lebensgefährliche Situationen begeben", grummelte sie, sobald er hinter ihr saß und das Pferd antrieb.
Mit einer Hand hielt er sie an sich gedrückt, während er mit der anderen das Pferd durch die Bäume lenkte. „Du hast gelernt zu fallen. Und solange es nur ein gebrochener Arm ist, kann ich damit leben."
Es gefiel ihr ganz und gar nicht, dass sie das Reiten würde lernen müssen. „Ich kann dich nicht irgendwie vom Gegenteil überzeugen, oder?"
Er lachte hohl. „Nein."
„Vielleicht sollte ich mir vorher den Arm brechen", dachte sie laut nach. „Oder mich sonst irgendwie verletzen, damit ich da nicht durch muss."
„Vergiss es", entgegnete er scharf. „Denk noch einmal daran, eine ähnliche Aktion wie heute Mittag zu starten und ich sorge dafür, dass du schwanger wirst. Dann hat sich das nämlich für die nächsten paar Jahre erledigt."
Eingeschnappt verschränkte sie die Arme vor der Brust. Sie wusste, dass er in der Lage war, Gedanken zu manipulieren und sie problemlos dazu kriegen konnte. Denn die Voraussetzung für eine Schwangerschaft unter Wesen war, dass beide Partner es sich wünschten.
„Tu das und wir sind geschiedene Leute", fauchte sie ebenso scharf. „Das heute Nachmittag lass ich dir durchgehen, aber wage es ja nicht, meine Gedanken einfach so zu beeinflussen."
„Dann zwing mich nicht dazu."
Kurz darauf hielt er das Pferd vor dem Gasthaus an. Sofort sprang Ria runter und stürmte in den Schankraum, wo Aram und Adele an einem Tisch saßen und ihr Abendessen genossen. Vor Adele stapelten sich die Teller. Brodelnd ließ sie sich neben sie sinken. Als sie die besorgte Miene ihrer Freundin bemerkte, versuchte sie von ihrer schlechten Laune abzulenken. „Heißhunger?" Frech grinste sie sie an.
„Ja, so langsam isst noch jemand anderes mit." Glücklich strich sie über ihren runder werdenden Bauch. „Er bewegt sich langsam."
Eleasar setzte sich neben Aram und lächelte Ria verhalten an. Die ignorierte ihn geflissentlich und versuchte sich für die werdende Mutter zu freuen. „Das ist ja ... unglaublich. Warum er? Erscheint dir dein Kind nachts in Träumen und erzählt dir, wie es dir das Leben schwer zu machen gedenkt?"
Aram lachte fröhlich. „Ich bin ja dafür, dass er eine sie ist. Aber Adele besteht auf das Gegenteil."
„Im Zweifelsfall hat die Mutter immer recht. Die Hormone machen sie unberechenbar, also wunder dich nicht, wenn du mit 'nem Messer in der Brust aufwachst und Adele lachend daneben steht."
„Ria!" Vor Schreck wäre der Blonden fast ihre Gabel aus der Hand gefallen.
Aram griff beruhigend nach der Hand seiner Frau. „Dann weiß ich, dass du versucht hast, meine Frau zu entführen." Er zwinkerte Ria zu.
„Das habe ich aufgegeben, bevor deine Lakaien mich hergeschleppt und diesem Verrückten ausgeliefert haben", antwortete sie wahrheitsgetreu.
„Wäre ich dir gegenüber nicht im Vorteil gewesen, würde ich dir jetzt dafür einen Orden verleihen."
„Lieber nicht", entgegnete Ria schroff. „Hätte ich gewusst, dass du ihr Leben auf diese Weise zu beenden gedenkst, hätte ich dich garantiert auseinander genommen. Vorteil hin oder her." Letzteres sagte sie in der Landessprache. Sie wollte Adele nicht dadurch beunruhigen, dass sie die Liebe ihres Lebens bedrohte.
„Warum bestellst du dir nicht etwas zu essen?", schlug Eleasar betont neutral vor. Du solltest deinen Frust nicht an Aram auslassen. Selbst, wenn er sich gerne dafür anzubieten scheint.
Mit hochgezogener Augenbraue schlug sie die Karte auf. Meinst du, das Zimmer würde es überleben?
Sie hörte ihn in ihren Gedanken seufzen. Könntest du bitte einmal etwas weniger halsstarrig sein?
Sie schickte ihm ein affektiertes Lachen. Da kannst du lange drauf warten.
Ihre mentale Kommunikation nach außen hin ignorierend begann sie, sich die aufgelisteten Gerichte anzusehen. „Also mittlerweile kann ich die Karte ja lesen, aber verstehen tu ich rein gar nichts. Was ist denn bitte ein ... dieses unaussprechliche Wort hier." Mit dem Finger auf das Gericht deutend legte sie die Karte auf den Tisch.
„Ein Tier", erklärte Eleasar gelassen. „Vielleicht solltest du noch einmal zur Schule gehen und dich dort mit Flora und Fauna anfreunden."
Mit abschätzig gespitzten Lippen sah sie ihn an, als wäre er minderbemittelt. „Nein."
Der Wirtsmann trat an den Tisch und fragte nach weiteren Bestellungen. Eleasar nahm Ria die Entscheidung ab, indem er einfach für sie mitbestellte.
„Ich hoffe, ich krieg gleich keine Heuschrecken oder Frösche." Frustriert klappte sie die Karte zu. Da gab sie sich solche Mühe, die Sprache zu perfektionieren und scheiterte an etwas so Banalem, wie der hiesigen Tierwelt.
„Ria, ich bin mir sicher, dass er dir etwas bestellt hat, was du magst. Warum bist du jetzt eigentlich auf sauer ihn? War das vorhin nicht noch umgekehrt?" Adele klang wirklich zuversichtlich. Manchmal wünschte Ria, sie hätte in gewissen Dingen so viel Vertrauen in ihren Mann, wie ihre Freundin es offenbar hatte. Aber wie hieß es so schön? Es konnten ja nicht alle gleich sein. Mit einer ähnlichen Einstellung wie ihre Freundin, hätte sie nicht lange überlebt.
„Eine lange Geschichte", antwortete Eleasar schnell. Es schien ihm Spaß zu machen, Ria beim brodeln zuzusehen. Denn das tat sie. Wann immer er etwas sagte, bröckelte ihre aufgesetzte Ruhe ein Stückchen mehr. Nicht mehr lange und sie würde ausrasten. Allein ihrer Freundin zuliebe hielt sie sich zurück.
„Reib mir noch länger unter die Nase, dass du versuchst, mich zu erpressen und ich dreh dir heut Nacht den Hals um."
„Dann solltest du aber eine gute Begründung haben. Der Kaiser will sicherlich erfahren, wie mein Ableben so war."
„Oh, ich schildere es ihm liebend gern haarklein."
Kopfschüttelnd schob Adele ihren leeren Teller beiseite. „Wenn man euch so zuhört, ist es schwer zu glauben, dass ihr frisch verliebt seid."
„Das Hochgefühl hat stark nachgelassen", meinte Ria schulterzuckend. Dabei hielt sie Eleasars eindringlichem Blick stand. Sie würde nicht kleinbeigeben. Darauf konnte er lange warten.
Verwirrt sah Adele zu ihrem Mann. „Ich versteh die beiden nicht."
„Ich glaube, das musst du auch gar nicht", bemerkte Aram schmunzelnd. Er konnte sich ziemlich genau vorstellen, was Eleasar Ria angedroht haben musste. Vor allem weil er wusste, wie wenig seinem Freund gefiel, dass sie darauf bestanden hatte, ihn zu begleiten.
Ria funkelte Aram warnend an. „Com certeza não."
Überrascht warf er einen Blick zu Eleasar. Der schien ebenso verwundert. „Ria. Sag nicht, du hast Arams Gedanken gehört."
Die junge Frau sah die beiden mit hochgezogener Augenbraue an. „Ne. Sollte ich?"
Beide schienen erleichtert zu sein. „Nein, alles in Ordnung."
„Was hast du denn gesagt?", erkundigte Adele sich neugierig.
Lächelnd lehnte sie sich zurück. „Ihm nur zugestimmt." Dann dämmerte ihr plötzlich, weshalb Aram sie so verständnislos angesehen hatte. „Sagt bloß, ich hab die falsche Sprache genommen?"
„Keiner von uns hat dich verstanden", erklärte der Vampir lächelnd. „Kommst du mit den Sprachen durcheinander?" Ein Hauch von Verständnis zeichnete sich auf seinen bleichen Zügen ab.
Kühl erwiderte sie sein Lächeln. „Ich bin gespannt, wie viele Sprachen du sprichst."
Nachdenklich runzelte er die Stirn. „Meine Muttersprache, die allgemeine Landessprache, zwei aus der Menschenwelt und das war's."
„Okay, das kann ich überbieten. Fünf aus der Menschenwelt und jetzt lern ich noch die hier."
„Fünf?" Verwundert drehte Adele sich zu ihr um. „Welche denn?"
„Deutsch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Japanisch. Latein zählt ja nicht, weil keiner mehr lebt, der das kann." Während der Auflistung zählte sie die Sprachen an ihren Fingern ab.
„Woher kannst du so viele Sprachen?", fragte der einzige Mensch der Runde verblüfft. Für Adele war es schwer vorstellbar, wie jemand nur so viele Vokabeln lernen konnte. „Sprichst du die denn auch alle fließend?"
Ria strahlte den Wirt, der gerade an den Tisch trat und das Essen darauf abstellte, begeistert an. Adele hatte recht behalten - Eleasar hatte ihr etwas bestellt, das sie mochte. Nachdem sie ein paar heiße Bissen herunter geschluckt hatte, antwortete sie ihrer Freundin. „Na, Englisch, weil niemand drum rum kommt, Deutsch, Japanisch und Portugiesisch, weil ich in den jeweiligen Ländern so einige Jahre gelebt habe und Spanisch musste ich irgendwann in der Schule dazu nehmen. Ist an sich auch nur ein Dialekt."
„Du bist wirklich erst zwanzig?" Ihre helle Stimme war vor Staunen kaum wieder zu erkennen.
Ria zwinkerte ihr betont fröhlich zu. Es war gut. Wenn sie nur wüsste, was sie alles hatte durchmachen müssen. „Kemal hat als türkischer Botschafter gearbeitet, daher mussten wir oft umziehen. Als seine Amtszeit in Brasilien geendet hat, sollte er nach Ägypten versetzt werden. Da hat er dann gekündigt und wir sind von Brasilia in den Amazonas gezogen."
„Manchmal bist du echt zu beneiden", seufzte Adele wehmütig. „Ich wäre auch gerne gereist."
„Sag das nicht", meinte Ria zwischen zwei Bissen. „Meine Schulwege waren alles andere als sicher. Zuerst hat er ja versucht, mich selbst zu unterrichten, musste dann aber schnell einsehen, dass wir uns dann nur in den Haaren lagen. Spätestens nachdem sich in Tokyo die dritte Frau mit ihrem Kind vor die Bahn geschmissen hat, hatte ich mich daran gewöhnt, kein Schuljahr ohne Zwischenfälle zu erleben."
„Ehren-Selbstmord?", fragte Adele zögerlich.
Sie nickte gleichgültig. „Der Prüfungsdruck ist in Japan echt enorm. Ich wurde immer für verrückt gehalten, weil ich mir nichts aus einer schlechten Note gemacht habe. Alles war besser, als Kemals echt miesen Erklärungsversuchen zu folgen."
„Schrecklich", flüsterte ihre Freundin entsetzt. „Mein Kind wird nie auf eine Eliteschule gehen, damit es gar nicht erst auf solche Gedanken kommt."
„Das ist japanisches Kulturgut", bemerkte Ria ironisch. „Ne, ernsthaft. Es gehört dort zum Alltag. Vor allem in den konservativeren Gegenden."
„Okay, ich beneide dich nicht mehr", erklärte die werdende Mutter schnell.
Überrascht schob Ria ihren leeren Teller beiseite. „Dabei habe ich dir noch gar nicht von meinem Lieblingsschulweg erzählt. Durch den Dschungel."
Adele wurde blass. „Lieber nicht."
„In der Geschichte stirbt keiner, versprochen."
„Und zerstückelt?", fragte sie vorsichtig.
Ria räusperte sich entrüstet. „Nein. Also was du immer denkst. Mir folgt der Tod nicht auf Schritt und Tritt."
„Wenn man dir so zuhört, könnte man das aber meinen", kam Aram seiner Frau zur Hilfe.
Schulterzuckend lehnte Ria sich in ihrem Stuhl zurück. „Das kommt euch nur so vor. Aber wenn ihr es schon zum Sterben zählt, wenn Krokodile jagen gehen..."
Adele sank in sich zusammen. „Du musstest an Krokodilen vorbei? Langsam frage ich mich, ob du überhaupt sterben kannst."
„Wieso?" Ratlos sah sie ihre Freundin an. „Ich war doch nie betroffen. Und sterben kann ich sehr wohl."
Eleasars geradezu mörderischer Blick brachte sie zum verstummen. „Es ist schön, dass du jetzt hier sitzen kannst." Seine Worte klangen wie eine in Samt gehüllte Klinge. Es war klar, dass das noch ein Nachspiel haben würde.
Aram schenkte seinem Freund ein dankbares Lächeln. Ria hingegen stand abrupt auf. „Wo ist das Zimmer?"
„Erster Stock, zweite Tür links." Ihr vampirischer Mitreisender überreichte Ria einen Schlüssel. „Euer Zimmer."
Sie lächelte ihn schwach an. „Vielleicht schlafwandle ich heute Nacht ja zufällig." Untypischer weise umarmte sie Adele. Dabei flüsterte sie ihr ins Ohr: „Entschuldige." Ohne ein weiteres Wort stieg sie die Treppe hoch. Eleasar verdiente einfach kein Gute Nacht.
Das Zimmer war nicht besonders spektakulär. Es gab eingroßes Bett, einen Schrank und ein kleines Badezimmer. Zudem stand ein kleinerTisch neben der Tür. Vermutlich für Post.
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