.:05:. Ärger im Paradies

Als der Boden immer näher kam spürte sie, wie Ragnarök sich von ihr löste und unter ihr materialisierte. Als er Sekundenbruchteile später seine feste Form angenommen hatte, setzte sie sich begeistert auf und genoss den Flug auf seinem Rücken. Ich habe nicht gedacht, dass das klappt, meinte sie erleichtert.

Dein Mann sieht aus, als würde er dich gleich knebeln und dann einsperren.

Der kann mich mal, antwortete sie trotzig und ließ sich entspannt und zufrieden nach hinten fallen. War das herrlich! Solange ich hier bei dir bin, kann er mir gar nichts.

Lachend flog der Drache eine letzte Kurve. Dabei löste er sich einfach auf, sodass Ria den Fall mit einer geschickten Rolle abfangen musste. Neben der Decke, auf der die anderen picknickten, kam sie zum Stehen. „Hach, tat das gut. Das solltest du auch einmal ausprobieren", riet sie Adele und schnappte sich ihr Wasserglas.

„Lieber nicht", antwortete diese schnell und rutschte ein Stück auf Aram zu. „Ich glaube, du kriegst gleich Ärger."

Ria musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass Eleasar hinter ihr stand. „Ah, da wünsche ich mir gleich, noch einmal nach oben zu klettern."

„Noch einmal und du landest geknebelt auf dem Pferd", knurrte er drohend hinter ihr.

„Ich war keine Sekunde in Gefahr", erwiderte sie stur, den Blick auf ihre Freundin gerichtet.

Eleasar sagte kein Wort. Er wandte sich einfach ab und setzte sich stumm neben Aram.

Ich hab's dir doch gesagt, bemerkte Ragna besserwisserisch, als Ria langsam ein schlechtes Gewissen bekam.

„Ist ja nicht so, als hätte er es nicht verdient", brummte sie ungehalten vor sich hin.

„Ria." Aram hielt ihr ein Stück Obst hin. „Setz dich doch."

Sie nahm es und ging dann Richtung Wald davon. Sie hatte keine Lust, sich ihre Vorwürfe anzuhören. „Wo willst du hin?", rief Adele ihr nach.

„Ragna zur Rennechse trainieren", lautete die abweisende Antwort.

„Ria, übertreib es nicht noch mehr", flehte Adele. „Wir hatten alle Angst um dich."

Seufzend kam sie zurück, kniete sich vor Adele, legte ihr die Hände auf die Schultern und erklärte sachlich: „Es ist wesentlich gefährlicher, mich auf ein Pferd zu setzen, als mich diese Klippen hochklettern zu lassen. Elea weiß, dass ich im Dschungel gelebt habe und ständig auf Wasserfälle oder Bäume geklettert bin. Du weißt das doch auch."

„Okay", versuchte die Schwangere zu schlichten. „Ihr habt euch jetzt gegenseitig einen Schrecken eingejagt. Damit seid ihr quit, oder?"

„Na, erzähl das dem da." Ungerührt wedelte sie mit der Hand in Eleasars Richtung. „Ragna." Der Schattendrache materialisierte sich im Taschenformat - eine kleine dunkelgrüne Echse, mit ledernen Flügeln und Glubschaugen - auf ihrer Schulter. „Lass uns spazieren gehen." Sie sah ihre Freundin wieder an. „Gebt Bescheid, wenn ihr weiter zieht. Ich komm dann nach."

Adele wollte sie noch zum Bleiben bewegen, da kletterte sie bereits erneut die Felsen empor. Dieses Mal blieb sie jedoch so tief, dass sie problemlos herunter springen konnte. Um Adeles Willen kletterte sie nicht weiter nach oben. Nicht, dass sie sich zu sehr aufregte und das Kind dadurch irgendwie zu Schaden kam.

Mitleidig sah Aram seinen Freund an. Eleasar war stinksauer. Noch nie hatte er ihn so sauer erlebt. Nicht einmal nach Sayanas Ermordung. Und so, wie er die junge Schattenseele kennengelernt hatte, würde die weitere Reise spaßig werden. Seufzend stand er auf und kletterte zu Ria auf den Felsvorsprung. Sie unterhielt sich in einer ihm fremden Sprache mit ihrem Geist, unterbrach das Gespräch jedoch, als er sich neben sie setzte. „Ich bin hier unten, damit Adele sich nicht solche Sorgen macht. Also was willst du?"

Beschwichtigend hob er die Hände. „Ich bin nicht deswegen hier. Meinst du nicht auch, dass du es gerade etwas übertrieben hast?"

„Vai caçar sapo", fauchte Ria ungehalten. „Ja, ist auch bei mir angekommen. Was meinst du, darf ich mir hier die ganze Zeit anhören?"

„Was hast du mir da gerade an den Kopf geworfen?", fragte er aufrichtig interessiert. „Die Sprache klingt so ähnlich wie eine, die hier vereinzelt gesprochen wird."

„Die freundliche Variante von ‚Scher dich zum Teufel'." Finster kickte sie einen kleinen Stein vom Felsen. „Ich bezweifle, dass Portugiesisch hier gesprochen wird. Wird in der Menschenwelt auch nicht allzu oft gesprochen."

Kopfschüttelnd stand Aram wieder auf. „Du weißt, dass ihr euch heute Abend wieder ein Zimmer teilt?"

„Ich schlafe bei Adele. Ihr teilt euch ein Zimmer."

„Vertragt euch wieder."

Gereizt sprang Ria auf. „Ich such mir nen anderen Felsen." Sie hielt inne und deutete auf einen kleinen Durchgang zwischen den Felsen, gute hundert Meter Luftlinie von ihnen entfernt. „Da geht's lang, oder?"

Aram nickte knapp. „Ja."

Mit einem erleichterten Lächeln sprang Ria auf den Boden. Das war doch mal etwas nach ihrem Geschmack. „Dann sehen wir uns dort."

„Die Pferde sind aber schneller", versuchte Aram sie ein letztes Mal zur Vernunft zu bringen.

„Ich steige auf keinen Gaul mehr." Sie wartete, bis Ragnarök es sich in ihrem Nacken bequem gemacht hatte, bevor sie losrannte.

Aram beeilte sich, zu den anderen zu kommen. Die hatten bereits begonnen, die Reste des Picknicks wieder einzupacken. „Sie wartet drüben auf uns", erklärte er schnell. „Ich frage mich nur, warum sie solche Angst vor Pferden hat."

„Sie ist nur stur", meinte Adele überzeugt.

Aram sah seine Frau nachdenklich an. „Das glaube ich nicht. Sie hat ja nicht gesagt, dass sie nicht mit Eleasar weiterreisen will, sondern nur, dass sie nicht wieder aufs Pferd steigt."

Kopfschüttelnd packte Adele die letzten Sachen zurück in ihre Reisetasche. „Manchmal verstehe ich sie einfach nicht."

Aram half ihr aufs Pferd, bevor er die letzten Sachen an seinem Sattel verstaute und selbst aufsaß. Eleasar hatte noch immer nichts gesagt und ritt schon langsam auf den Bergpfad zu. Wie angekündigt, hockte Ria auf einem der Felsen und wartete auf sie.

„Willst du vielleicht bei mit mir reiten?", versuchte Adele es hoffnungsvoll, doch Ria schüttelte nur wortlos den Kopf und sprang beherzt vom Felsen. Es schien ihr nicht das Geringste auszumachen, neben den trabenden Pferden her zu rennen. Es schien, als genieße sie es richtig.

„Ria." Ragnarök materialisierte sich in seiner vollen Drachengestalt und hetzte neben ihr her. „Versuch nicht wieder, dich umzubringen. Das eine Mal, als du ein einer solchen Stimmung warst, hat gereicht."

„Ich habe nicht versucht, mich umzubringen", fauchte sie ungehalten.

„Du bist offen in ein Haus voll schwer bewaffneter Leute gerannt." Er klang vorwurfsvoll.

„Du weißt, was davor war", entgegnete sie stur.

„Ja, du hast dich mit Blake gestritten. Da vorne ist eine Klippe und du wirst da nicht einfach runter springen, hörst du?"

„Tss."

Knurrend verstellte der Drache ihr den Weg. Ria wollte ihren Schwung nutzen, um über ihn zu springen, brach dann aber bewusstlos auf ihm zusammen.

Adele schrie erschrocken auf. Aram griff ihr in die Zügel, damit sie nicht zu ihrer Freundin ritt. Eleasar war vom Pferd gesprungen und hielt seine Frau in den Armen. „Genug jetzt." Er nickte Ragnarök zu, der sich langsam wieder auflöste.

Da fiel es Adele wie Schuppen von den Augen. Er hatte dafür gesorgt, dass ihre Freundin zusammenbrach! Das Gespräch zwischen Ria und dem Drachen hatte auch sie beunruhigt, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass Eleasar zugehört hatte. „Sie hatte doch nicht vor, sich etwas anzutun, oder?" Ängstlich sah sie ihre bewusstlose Freundin an.

Eleasar sah sie düster an. „Bete, dass es nicht so war." Er legte seine Frau kurz auf dem Boden ab, löste das Band aus ihrem Haar und nutzte es, um ihre Hände zusammen zu binden. Danach zog er sie mit sich aufs Pferd. „Reiten wir weiter, sonst schaffen wir es nicht rechtzeitig."

„Warum die Fessel?" Fragend sah Adele ihm hinterher.

„Damit er leichter Ria auf dem Pferd halten kann", erklärte Aram und strich seiner Frau beruhigend über den Arm. „Er ist zwar sauer, aber er liebt sie. Er wird ihr nichts tun."

Skeptisch folgte sie ihrem Mann und dessen besten Freund. Sie hatte sich zwar auch um Ria gesorgt, aber sie fand, dass Eleasar übertrieb. Schließlich hatte Ria ihr versichert, das nicht zum ersten Mal gemacht zu haben. Allerdings war sie froh, dass er eingeschritten war, um ihre Freundin vor einer großen Dummheit zu bewahren. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte sie sich über ihren Geist hinweggesetzt und die Klippe hinunter gestürzt.

Kurz vor dem Dorf, in dem sie zu übernachten planten, lenkte Eleasar sein Pferd zu einem kleinen See. Dort stieg er mit Ria in den Armen ab und lehnte sie vorsichtig gegen einen Baumstumpf, bevor er behutsam das Band von ihren Handgelenken löste. „Wach auf."

Langsam kam sie wieder zu sich. Wie eine Ertrinkende schnappte sie nach Luft, bevor sie sich schwer atmend nach vorn beugte. „Ich hab wirklich nicht versucht, mich umzubringen", japste sie atemlos. „Ehrlich."

Wortlos hielt Eleasar ihr eine Wasserflasche hin. „Trink."

Kopfschüttelnd zog sie die Beine an und verbarg ihr Gesicht zwischen den Knien. „Ich habe keinen Durst."

„Ich kann dich jederzeit dazu zwingen." Er stellte die Flasche neben ihr ab. „Bevor du die nicht getrunken hast, verlässt du diesen Ort nicht", erklärte er kompromisslos und gesellte sich dann zu den anderen beiden, die in ein paar Metern Entfernung warteten. „Warum geht ihr nicht schon vor? Das kann länger dauern."

„Geht es ihr wieder gut?" Besorgt sah Adele zu ihrer Freundin, die sich noch kein Stück gerührt hatte.

Eleasar musterte sie desinteressiert. „Gut ist relativ. Solange sie nicht wieder auf den Beinen ist, kann ich sie nicht mit ins Dorf nehmen."

Aufmunternd drückte Aram Adeles Hand. „Egal was er sagt, er würde niemals zulassen, dass Ria zu Schaden kommt." Beruhigt willige sie ein.

Sobald die beiden außer Hörweite waren, setzte Eleasar sich zu Ria ins Gras. „Du musst etwas trinken."

Ria hielt ihren Kopf weiterhin gesenkt und umklammerte krampfhaft ihre angewinkelten Beine. „Und wozu?"

Kapitulierend zog er sie an sich. „Weil ich mir Sorgen um dich mache."

Sein weicher Ton brachte ihre Abwehr zum Schmelzen. „Ich wollte mich wirklich nicht umbringen." Sie klang verletzt.

Liebevoll drückte er sie an sich. „Erzähl mir, was passiert ist."

Sie räusperte sich leicht, bemerkte das trockene Kratzen in ihrer Kehle und griff zur Wasserflasche. „Ich hatte einen Auftrag. Ich sollte den Boss eines Schmugglerrings ausschalten. Menschenhandel, um genau zu sein. Ich hatte richtig schlechte Laune, also bin ich kurzerhand zu einem Treffen hin, bei dem nicht nur die Zielperson, sondern auch ein ganzer Haufen bis unter die Zähne bewaffneter Leute waren. Ich habe sie ausnahmslos alle umgebracht. Dabei bin ich angeschossen worden. Als ich nachher im Krankenhaus zu mir kam, hatte ich solche Angst, dass Blake mich umbringen würde, weil ich bei dem Auftrag verletzt wurde. Das war bevor ich wusste, dass ich kein Mensch bin und er mich verschonen würde." Niedergeschlagen lehnte sie sich an ihn.

Eleasar schwieg eine Weile, bevor er etwas dazu sagte. Alles in ihm schrie danach, sie einzusperren, damit sie nie wieder so etwas Dummes tun konnte. Dass sie eine solche Aktion gestartet hatte, ohne um ihre eigentlichen Kräfte zu wissen, war bestenfalls lebensmüde. Was sie im Bewusstsein ihrer Kräfte noch alles tun würde, davor graute ihm bereits jetzt. Einen Vorgeschmack auf ihre möglichen kopflosen Aktionen hatte sie ihm vorhin geliefert. „Das war unüberlegt."

Ungerührt zuckte sie mit den Schultern. „Ich hatte nichts, was mir wichtig war. Kemal hatte ich seit fast zwei Jahren nicht mehr gesehen, Blake hat sich wie ein ... nun ja, nicht gerade rühmlich benommen und Aleix kannte ich damals nur als einen Polizisten, der zufällig einen meiner Aufträge untersuchte. Natürlich wusste er damals nicht, dass ich es war." Sie drehte sich so, dass sie ihm in die Augen sehen konnte. „Ich schwöre dir, dass ich so etwas nie wieder tun werde. Dafür bist du mir viel zu wichtig." Zögernd nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und lehnte ihre Stirn an seine.

Selbst ohne ihre Gefühle spüren zu können, war er sich sicher, dass es ihr ernst war. „Was hättest du getan, wenn du tatsächlich über den Felsen gesprungen wärst und festgestellt hättest, dass es eine Klippe ist?"

Schuldbewusst ließ sie sich nach hinten sinken. „Auf Ragna vertraut. Hat davor ja auch geklappt."

Fassungslos schnappte er nach Luft. So viel zum Thema, sie würde auf weitere Kopflosigkeiten verzichten. „Ich dachte, du hättest das schon häufiger gemacht?" Seine Frage klang unbeabsichtigt scharf.

„Sicher", antwortete sie ausweichend. „Ich bin ins Wasser gesprungen."

„Und du willst mir ernsthaft versichern, nicht mehr mit deinem Leben zu spielen", brummte er tonlos. Er konnte es noch immer nicht fassen, wie sie sich nur so gedankenlos in Gefahr bringen konnte.

„Na ja... Also ich werde nicht mehr in ein Haus voller böser Jungs gehen, mit nicht mehr als ein paar Messern und zwei Pistolen. Am Ende hatte ich wirklich Probleme mit der Munition. Waren doch mehr da, als erwartet."

Bestürzt legte er seinen Kopf auf ihre Schulter. „Bitte. Ich muss jetzt wirklich nicht noch mehr darüber erfahren."

Dass es ihm so viel ausmachte, hatte sie nicht geahnt. Betroffen zog sie ihn tröstend an sich. „Ich habe es vielleicht ein wenig übertrieben. Das tut mir leid. Aber du kannst nicht von mir erwarten, dass ich mich wie Adele verhalte und jeder Gefahr aus dem Weg gehe. Das wäre nicht ich."

Er befreite sich aus ihrer Umarmung und zog sie an seine Brust. „Ich wünschte, du hättest ein besseres Gespür für deine eigene Sterblichkeit."

„Das ist aber noch lange kein Grund, mir den Atem zu rauben", murrte sie vorwurfsvoll aus seinen Armen.

„Was hätte ich denn tun sollen?" Er klang ungewohnt hilflos. „Zuerst stürzt du dich von einer Klippe und dann muss ich mit anhören, dass du keinerlei Bedenken hast, dein Leben aufs Spiel zu setzen." Halt suchend vergrub er seine Hand in ihrem Haar. „Ich hatte noch nie so viel Angst um jemanden, wie heute um dich."

Zutiefst erschüttert schmiegte sie sich an ihn. „Das wollte ich nicht. Hilft es dir, wenn ich dich das nächste Mal vorwarne?"

Resignierend sackte er ein Stück in sich zusammen. „Nein, tut es nicht."

„Und wenn unten Wasser ist? Das habe ich ja wirklich oft gemacht. Ich hab nie eine zu flache Stelle oder einen Felsen erwischt."

Seufzend stand er auf. Er wollte dieses Thema definitiv nicht vertiefen. „Ich geb auf. Es ist hoffnungslos." Mit jedem weiteren Satz brachte sie ihn näher an den Rand der Verzweiflung.

Ria griff nach der halbvollen Wasserflasche und stand ebenfalls auf. „Nein." Ihre traurige Miene machte einem Grinsen Platz. „Du sagst selbst immer, dass sich das mit der Zeit legen wird. Du kannst also nur hoffen, dass du recht behältst." Geschickt kletterte sie auf seinen Rücken. „Und jetzt weg von hier, sonst könnte ich noch auf leichtsinnige Ideen kommen."

„Ich sollte anfangen Buch darüber zu führen, wann du mal keine hattest."


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top