.:04:. Rache ist süß
Kurz bevor sie am späten Nachmittag den Hafen erreichten, weckte Eleasar seine Frau. Verschlafen blinzelte Ria aus dem Fenster. „Das ist nicht der Hafen, in dem wir gestern waren."
Sacht strich er ihr die Haare ein Stück zurück. „Nein, das hier ist der Nordhafen." Auf ihren fragenden Blick hin erklärte er ihr, dass die kaiserliche Hauptstadt, in der sie lebten, auf einer Insel lag. Diese Insel war umgeben vom Sternenmeer, das seinen Namen seiner Form zu verdanken hatte. Umrandet wurde es seinerseits von den Ländern, die der Kaiser zur Verwaltung in die Hände der ihm untergebenen vier Könige gegeben hatte. „Wir wohnen im Süden der Stadt. Da unser Ziel Sems Hauptstadt ist, ist der Seeweg vom Nordhafen aus kürzer."
Sem war einer der vier Könige und herrschte, soweit Ria informiert war, über das westliche Gebiet. Außerdem war er derjenige, der sie als Grund angeführt hatte, um gegen Eleasars leiblichen Vater, König Marjan, Krieg zu führen. Die Sache war vorm Kaiser gelandet, der Marjan letztendlich im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung seine Unterstützung zugesichert hatte.
„Hast du schon etwas wegen der Sache mit Suzi gehört?", fragte sie unsicher. Sie wusste noch immer nicht ganz, was sie von der Geschichte halten sollte. Sem hatte die rothaarige junge Frau, die eine verblüffende Ähnlichkeit zu ihrem Vater aufwies, zu dem Treffen beim Kaiser mitgebracht. Dort erst hatte Ria erfahren, dass sie angeblich eine Schwester hatte. Zu gerne hätte sie es rundweg abgestritten, doch das Mädchen war ihrem Vater nun mal wie aus dem Gesicht geschnitten.
„Die Nachricht sollte uns spätestens in der Hauptstadt erreichen."
Damit war die Sache für Ria abgehakt. Sie schloss kurz ihre Augen, um ihre Lebensgeister zu wecken, dann grinste sie ihre ihr gegenüber sitzende Freundin unternehmungslustig an. „Meinst du wir finden hier nochmal so leckeres Eis?"
Adele wurde blass. „Nicht, wenn uns wieder jeder anstarrt. Da bleibe ich lieber bei meinen Keksen."
Bevor Ria ihre Freundin zu einem Ausflug überreden konnte, sprang Aram ein. „Wir werden nicht viel Zeit haben, da die Fähre bald ablegt. Der Hafen wird abgesperrt sein."
Bedauernd betrachtete sie die vorbeiziehenden Läden und kleinen, einladenden Gassen. „Dann werde ich mich irgendwann alleine inkognito einschleichen müssen. Schade eigentlich."
Am Dock hielt die Kutsche schließlich an. Ungeduldig, wie sie war, war Ria die erste, die heraussprang, als die Tür geöffnet wurde. Der Hafenmeister starrte sie überrascht an. Er hatte damit gerechnet, zuerst den kaiserlichen Gesandten zu treffen und keine übermütige junge Frau.
Eleasar folgte ihr auf den Fersen und begrüßte den perplex wirkenden Mann. Innerlich lächelnd stellte er ihm seine Frau und seine Begleiter vor. Ihm war schon aufgefallen, dass Ria ihren ganz eigenen Eindruck auf Fremde machte. Wie genau sie das zustande brachte und woran das geknüpft war, hatte er noch nicht herausfinden können. Kurz darauf hatte sich der kleine rundliche Mann wieder gefangen und begleitete sie das letzte Stück zur Fähre, wobei er unablässig auf Eleasar einredete.
Ria hatte schnell genug gehört. Der Kerl redete von irgendwelchen uninteressanten Entwicklungen und Plänen. Missmutig musterte sie die adrette Reihe an Soldaten, die in ihren prachtvollen Uniformen die Leute davon abhielten, sich ihnen zu nähern. Was Adele wie ein Segen erscheinen musste, kam ihr vor wie ein Fluch. Sie wollte keine Sonderbehandlung, nur weil sie durch ihren Mann Teil der kaiserlichen Familie war. Sie war doch auch nur eine von vielen.
Aufmunternd hakte Adele sich bei ihr unter. „Du kannst doch jederzeit her kommen. Aram sagt, Zagora ist eine wirklich schöne Hafenstadt. Ein wenig wie Venedig."
Zagora. Das war angeblich das Ziel von Rias Eltern gewesen, als ihre Mutter mit ihr schwanger gewesen war. Ob das Zufall war? Wollte Eleasar der Sache weiter auf den Grund gehen? Ihre Aufregung war mit einem Mal dahin. Eigentlich wollte sie jetzt doch lieber hier bleiben. Sie war nicht besonders scharf darauf, das Thema wieder aufzuwärmen. Solange sie wusste, wer ihre Eltern gewesen waren, war doch alles in Ordnung. Es zählte keine Sekunde, wo sie geboren worden war.
Eleasar bemerkte ihren Stimmungsumschwung. Sollen wir einen anderen Hafen nehmen?, fragte er besorgt.
Ria lächelte leicht. Nein. Du musst deine Reiseplanung nicht über Bord werfen. Ist ja nicht so, als wären meine Eltern in dieser Welt gestorben und das ihre letzte Station gewesen. Sie wollte diese dumme und unnötige Verhandlung vergessen. Bis geklärt war, ob Suzi wirklich ihre Schwester war, plante sie, alles, was damals gesagt wurde zu vergessen.
„Was meinst du", sinnierte Adele, die die gedankliche Kommunikation zwischen den beiden Vermählten nicht bemerkt hatte und Rias aufgesetztes Lächeln falsch deutete, „gibt es dort viele kleine Boote? Ob wir auch mit solchen fahren können?"
Ihr stand der Sinn nicht im Geringsten nach einer Hafenbesichtigung. „Ich würde sagen, Gleiches mit Gleichem vergelten und die Stadt ebenso schnell verlassen, wie den Hafen hier."
Verwirrt drehte Adele sich zu Aram um, der schulterzuckend neben ihr her ging. „Vielleicht hat Ria ja Angst vor dem Meer."
Tadelnd wedelte die Schwarzhaarige mit der Hand durch die Luft vor sich. Angst vor dem Meer, also wirklich! „Nicht im Geringsten. Ich muss mich nur nicht länger in Sems Gebiet aufhalten, als unbedingt notwendig."
Nachdenklich legte Adele die Stirn in Falten. „Ich habe noch gar nicht daran gedacht, aber du triffst dann auf deine Schwester, oder?"
Ria nickte zögerlich. „Wenn sie denn meine Schwester ist." Dieses Thema behagte ihr nicht. Allein Adele davon zu erzählen, hatte ihr einiges an Überwindung gekostet.
Mittlerweile standen sie vor den Stufen, die auf die Fähre führten. Ria ließ Aram und der schwangeren Adele den Vortritt, bevor sie sich von Eleasar ins Boot helfen ließ. Aber nur, damit die Leute sehen, was für ein Gentleman zu bist, neckte sie ihn und ließ ihre Hand in seine gleiten.
Weil ich privat ja so schrecklich herzlos und gemein zu dir bin, ging er gelassen auf ihre Bemerkung ein.
Du hast es erfasst.
.
Die Überfahrt nach Zagora dauerte nicht allzu lange. Nach nur zwei Stunden legte die Fähre an einem zentral gelegenen Dock an. Es dämmerte bereits und so kamen sie in den Genuss des sich auf dem Meer spiegelnden Farbenspiels des Sonnenuntergangs. Ihr Gepäck wurde währenddessen zu dem Gasthaus gebracht, in dem sie übernachten würden, um dann am nächsten Morgen ihre Reise zu Pferd fortzusetzen. Das war Eleasars Wunsch gewesen. Er ritt wesentlich lieber selbst als in einer Kutsche zu reisen. Seine Frau sah das ein wenig anders, war aber kompromisslos überstimmt worden.
Die ganze Zeit bis zu ihrem Aufbruch hielt Ria ihren Mann argwöhnisch ihm Blick. Sie hatte ihm kein Stück geglaubt, als er ihr versichert hatte, keine Nachforschungen zu ihrer Herkunft mehr anstellen zu wollen. Eleasar seinerseits behielt sie ebenso im Auge. Das lag daran, dass er herausfinden wollte, ob das mit dem Gedankenlesen ein einmaliger Zwischenfall gewesen war oder sie es immer wieder tat. Keiner von beiden kam zu dem befürchteten Ergebnis. Ria beantwortete keine nicht gestellten Fragen und Eleasar schlich sich nicht davon.
Es stellte sich heraus, dass Zagoras Hafen komplett im Wasser gebaut wurde, die Häuser sich jedoch alle an Land befanden. Adele war ein wenig enttäuscht darüber. Sie hatte sich darauf gefreut, in einem Kanu durch die Stadt zu fahren. Ria hingegen machte das gar nichts aus. Was ihr Unbehagen bereitete, war das Pferd, auf das sie sich setzen sollte. Ungläubig sah sie zu Adele, die bereits auf ihrem thronte. „Du kannst reiten?"
Sie schenkte ihr ein überraschtes Lächeln. „Ja, Aram hat es mir beigebracht. Er meinte, wenn man mit Eleasar unterwegs ist, sollte man das können."
Finster starrte Ria ihren Mann an. Das mit den Pferden war ein Schock gewesen. Ihr Stolz gebot ihr jedoch nicht zuzugeben, dass sie diese Tiere nicht sonderlich mochte. „Soso, sollte man das?"
„Ich weiß nicht, was du hast. Das ist ein ganz normales Fortbewegungsmittel." Verständnislos begutachtete Eleasar ihr ungesatteltes Pferd. An dem Tier war nichts auszusetzen.
Ria erkannte, dass sie auf verlorenem Posten kämpfte und schwang sich missmutig auf den Pferderücken. „Das nächste Mal reise ich mit unserem Gepäck."
Jetzt musste Eleasar doch lächeln. „Du könntest es auch einfach selbst lernen", schlug er vor und stieg hinter ihr auf. „Natürlich mit Sattel."
Ria beschloss, seine Schadenfreude zu ignorieren. Eingeschnappt rief sie nach ihrem Gefährten. Ragnarök war ein Geist aus dieser Welt. Ein Schattendrache, um genau zu sein. Rias Art, die Schattenseelen oder geborenen Jäger, wie sie in der Menschenwelt hießen, konnte einen Vertrag mit den Geistern von Anderswelt schließen. Diese Geister waren dann an die Seelen der Partner gebunden und unterstützten diese.
Ja? Der Schattendrache klang ebenso amüsiert wie Eleasar.
Ich hoffe, du kannst dich in ein Kamel verwandeln? Ich habe das Gefühl, dass Elea mich gleich fürchterlich erschrecken wird.
Das vergnügte Lachen des Drachen hallte durch ihren Kopf. Na, du traust deinem Mann ja einiges zu.
Es macht ihm viel zu viel Spaß mich aufzuziehen. Und da er weiß, dass ich Pferde nicht sonderlich ab kann... Ich hoffe, du hast noch ein Ass im Ärmel, sodass ich mich nachher revanchieren kann.
Das Pferd setzte sich ruckartig in Bewegung, woraufhin sie ihre Hände reflexartig in der Mähne vergrub. Sie konnte Eleasars stummes Lachen an ihrem Rücken spüren. Dieser Blödmann.
Bis Zagora hinter einem nahe gelegenen Berg verschwunden war, verlief die Reise ruhig. Dann aber befanden sie sich auf einer weiten Ebene, die von den Ausläufern eines großen, scharfkantigen Gebirges eingefasst wurde. Hier sollten sich Rias Befürchtungen bewahrheiten. Aram warf Eleasar einen herausfordernden Blick zu und trieb sein Pferd an. Ohne sich die Mühe zu machen, Ria abzusetzen, ließ auch er sein Pferd losgaloppieren. Angespannt krallte sie sich noch fester in die Pferdemähne. Eleasars Lachen bestärkte sie nur noch mehr in ihrem Vorhaben, es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen.
„Wie es aussieht, hast du gewonnen", meinte Eleasar, der sein Pferd nach beendetem Rennen neben Aram parieren ließ.
„Ich glaube, du bist auch auf deine Kosten gekommen", lachte Aram und warf Ria ein Band zu. „Hier. Adele meinte, du könntest dir die Haare hochbinden wollen."
Schnaubend sprang Ria vom Pferd. „Ihr Idioten!" Adele, die langsam zu ihnen stieß knurrte sie ein missmutiges „Sag den beiden, ich bin weg" zu und stapfte hoch erhobenen Hauptes mit zittrigen Knien davon.
Neugierig folgten ihr die Blicke ihrer Mitreisenden, als sie an einer nahegelegenen Klippe hochkletterte. „Ria, komm da runter. Das ist gefährlich." Eleasars Stimme klang aufrichtig beunruhigt.
„Nicht gefährlicher als mit dir auf einem Pferd zu reiten", gab sie stur zurück.
„Ria, ich meine es ernst. Wenn du runter fällst, verletzt du dich nur unnötig."
Also, jetzt hast du es weit genug getrieben, meldete Ragna sich mitleidig. Er wird das bestimmt nicht wieder tun.
Doch, seufzte Ria und zog sich mühelos auf einen Vorsprung, etwa zehn Meter über dem Boden. Sobald ihm danach ist. Sie betrachtete die anderen, die jetzt alle abgesessen waren, um nahe ihres Felsens zu rasten. Aram hatte aus seiner Satteltasche etwas zu Essen und zu Trinken ausgepackt und es auf eine Decke gestellt, auf der Adele bereits saß. Sie schien nicht halb so besorgt wie Eleasar, der finster zu ihr hinauf starrte. „Jetzt komm da runter."
Sie zeigte ihm den Vogel und kletterte noch ein Stück höher. Du weißt, dass das kindisch ist, versuchte Ragnarök sie zur Vernunft zu bringen.
Du bist doch ein Drache. Da solltest du doch fliegen können, oder?
In ihrem Kopf zog ein Sturm auf. Das ist nicht lustig! Du kannst dich an mich kuscheln, aber nicht davon ausgehen, dass du auf mir fliegen kannst.
Entweder das, erwiderte sie fest, oder ich laufe nach Hause.
„Ria!", hallte es von unten herauf.
Ich glaube, jetzt ist er wütend.
Ja, stellte sie mit düsterer Zufriedenheit fest, sieht ganz danach aus. Also?
Als Ragnarök unzufrieden aufseufzte, war sie sich seiner Unterstützung sicher. Ein kurzer Blick über ihre Schulter genügte, um festzustellen, dass sie hoch genug war. He, Ragna. Erinnerst du dich an den Wasserfall im Amazonas? Irgendwie habe ich das Springen von den Klippen vermisst. Dabei achtete sie darauf, dass Eleasar ihre Worte ebenfalls hörte und sprang, seine Warnung ignorierend, in die Tiefe.
Adeles ängstliche Rufe hörte sie nur am Rande. Kaum hatte sie den Kontakt zum Felsen verloren, jagte ihr Adrenalin durch die Körper und katapultierte sie in euphorische Höhen. Sie genoss das Gefühl des Windes auf ihrer Haut und das Adrenalin, das durch ihren Körper strömte. Jetzt wusste sie wieder, weshalb sie früher so gerne schwimmen gegangen war.
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