.:01:. Habt ihr nen Rad ab?!

Aufgeregt schloss Ria ihren Koffer. Sie konnte es kaum erwarten, endlich aufzubrechen. Gestern hatte ihr Mann ihr eröffnet, dass sie durch das Land reisen würden. Eigentlich hatte er gesagt, er müsse auf Reisen gehen und Ria hatte darauf bestanden, ihn zu begleiten. Wenn schon ihre geplante Rundreise durchs Land geplatzt war, wollte sie sich wenigstens das nicht entgehen lassen.

„Wir haben noch zwei Tage Zeit." Belustigt zog Eleasar seine Frau an sich. „Warum hast du es denn so eilig?"

Ria lehnte sich entspannt an ihn. „Na, weil du es dir sonst vielleicht noch anders überlegst und einfach abhaust."

Resignierend legte er seinen Kopf auf ihrem ab. „Du würdest einfach hinterher kommen." Es war ein hoffnungsloses Unterfangen zu erwarten, dass sie Vernunft annehmen und in Sicherheit bleiben würde. Wenn etwas nach Gefahr schrie, war seine Frau die erste, die sich in dieses neue Abenteuer stürzte.

„Was für eine vernünftige und realistische Einschätzung", lobte sie ihn neckend.

„Und ich kann dich wirklich nicht dazu überreden, hier zu bleiben? Du kennst die Stadt noch gar nicht richtig. Warum erkundest du die nicht, während ich weg bin?", versuchte er ein weiteres Mal, sie von ihrem Vorhaben abzubringen.

Ungläubiges Schnauben. „Man sollte meinen, du hättest die Absurdität deines Versuches bereits erkannt. Ich bleibe hier doch nicht mutterseelenallein zurück! Die verstehen mich doch alle gar nicht."

Seufzend zog er sie aus dem Schlafzimmer. „Du sprichst die hiesige Sprache nahezu perfekt. Ich wüsste nicht, wo das Problem liegt." Durch Zufall hatte er herausgefunden, dass sie mehr verstand, als sie anfangs zugegeben hatte. Unbeabsichtigt hatte er sie in Landessprache angesprochen und sie hatte ihm geantwortet. Zwar in einem selten gebrauchten Akzent, aber das war zweitrangig.

Wieder schnaubte sie ungläubig. Sie war erst seit zwei Wochen hier in Anderswelt. Der Welt der Wesen, die neben der Menschenwelt existierte. Durch Portale konnte man zwischen den Welten hin und her reisen oder, wenn man so hoch in der Nahrungskette stand wie ihr Mann, sich einfach selbst einen Übergang erschaffen, der sich nach Benutzung sofort wieder schloss. „Solange Aussprache und Schrift übereinstimmen, ist das ja kein Problem, aber wenn das Wort sieben Buchstaben hat und nur vier ausgesprochen werden, stoße ich an meine Grenzen." Sie wusste, dass sie maßlos übertrieb. Sie sprach die Landessprache tatsächlich schon recht gut. Jedoch änderte es nichts daran, dass sie nicht alleine zurückgelassen werden wollte.

Eleasar ließ sie sich beschweren. Er wusste, dass sie sich sehr darum bemühte und bemerkte die täglichen Fortschritte, die sie machte. Selbst die, die ihr gar nicht bewusst waren.

Unten im Flur hielt sie plötzlich inne. „Wo bringst du mich hin?" Dabei beäugte sie ihn skeptisch.

Geheimnisvoll lächelnd ging er einfach weiter. Ria versuchte schmollend darauf zu warten, dass er es ihr sagte, musste sich jedoch schnell geschlagen geben. Neugierig lief sie neben ihm her. Es dauerte nicht lange, da konnte sie wenigstens ihr Ziel erraten. „Der Garten?"

Er spannte sie noch ein wenig weiter auf die Folter. Als sie auf der Gartenterrasse standen, zog er sich in einer lässigen Bewegung sein Hemd aus. Der Garten war eigentlich ein kleiner Wald, der an eine überschaubare Rasenfläche grenzte, die ihrerseits von der nach Süden ausgerichteten Terrasse weg führte. In den vielen kleinen Beeten wuchsen allerlei abenteuerlich aussehende Pflanzen in allen erdenklichen Farben und Formen. Sie verliehen dem Garten etwas Faszinierendes, als entspränge er einem Märchenbuch.

Ratlos starrte seine Gemahlin ihn an. „Was soll das werden?" Nicht, dass sein nackter Oberkörper kein Leckerbissen war, aber es verwirrte sie, dass er sie aus dem Schlafzimmer in den Garten schleppte, nur um zu strippen.

Lächelnd setzte er sich auf einen am Terrassentisch stehenden Stuhl. „Ich warte auf dich."

„Elea." Aufgebracht baute sie sich vor ihm auf. „Was soll das werden?"

„Du bist ja ganz nervös." Erfreut grinste er sie an. „Na, wer hätte das gedacht. Du forderst mich doch oft genug heraus, gegen dich zu kämpfen. Da habe ich einmal Zeit und dann versuchst du mir was genau zu unterstellen?"

Mit hochrotem Kopf warf sie ihm ihren Schuh entgegen. „Du weißt genau, was ich gedacht habe!" Ihren zweiten Schuh stellte sie auf den Steinen ab. Anschließend entledigte sie sich ihrer Weste, sodass sie in Shorts und Top barfuß vor ihm stand. „Dann komm, wenn du so scharf auf eine Abreibung bist." Sie freute sich riesig, dass er endlich Zeit und Muße fand, mit ihr zu trainieren.

Lächelnd erhob er sich. „Da bin ich mal gespannt."

Ria wartete, bis er den Rasen betreten hatte. Adrenalin jagte durch ihren Körper, als sie sich begeistert auf ihn stürzte. Sie war erfahren, was den waffenlosen Zweikampf betraf, doch Eleasar war es auch. Schnell machte sich der Altersunterschied der beiden bemerkbar. Nach einer Stunde war Ria schweißüberströmt und außer Atem.

„Wenn ich morgen blaue Flecken habe, bist du Schuld." Stöhnend ließ sie sich von ihm auf die Beine helfen.

Munter grinsend erklärte er ihr: „Du hast es unbedingt wissen wollen. Wenn es dich tröstet, du hast mich auch ganz schön erwischt." Anerkennend deutete er auf seinen linken Arm. „Ist nur schon wieder verheilt. Einem schwächeren Wesen hättest du den Arm komplett ausgekugelt."

„Na, da kann ich ja froh sein, dass du quasi aus Stein zu bestehen scheinst." Atemlos kehrte sie auf die Terrasse zurück und nutzte sein Hemd, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu tupfen.

Vorwurfsvoll beobachtete er sie dabei. „Das war mein Hemd."

„Ist es immer noch." Begütigend klopfte sie ihm auf die Schulter. „Muss nur gewaschen werden." Zur Entschädigung küsste sie ihm auf die Wange, als plötzlich etwas Unerwartetes ihre Sinne streifte. „Wer kommt denn da zu Besuch?" Neugierig drehte sie sich Richtung Tür.

Auch er hatte die Ankunft seiner Gäste bemerkt. „Lass nur, die finden den Weg schon."

Es gab nur wenige Personen, bei denen er das sagen würde. Und kurz bevor die Gartentür aufging, wusste Ria auch ganz genau, wer sie da besuchen kam. „Adele!" Begeistert fiel sie ihrer Freundin um den Hals. „Was macht ihr denn hier?"

Auch Adele umarmte sie heftig. „Ria. Huch, du bist ja ganz verschwitzt." Lachend ließ sie ihre Freundin los. „Was habt ihr hier getrieben?"

„Sport." Lautete ihre zweideutige, von einem verschmitzten Grinsen begleitete Antwort. „Gut siehst du aus. Wie geht es dir?"

Adele lachte vergnügt. „Du sprudelst ja über vor Fragen." Ihr Blick fiel auf Eleasar, der gerade ihren Mann Aram begrüßte. Die beiden waren nicht nur Cousins, sondern auch sehr gute Freunde. „Warum gehst du nicht duschen? Wir haben Kuchen aus der Stadt mitgebracht."

In Rias Augen funkelte es belustigt. „Ah, Heißhunger?"

„Wohl eher jede Menge Appetit. Du warst noch nie um die Mittagszeit auf der Fressmeile, oder?" Adele deutete auf die Schachtel, die sie bei ihrer Begrüßung auf den Stuhl gelegt hatte. „Dort riecht es himmlisch! Wir müssen unbedingt mal einen Ausflug dorthin unternehmen."

Sofort wanderte Rias Blick verdächtigend zu ihrem Mann. So sehr sie sich auch freute die beiden zu sehen, traute sie dem Braten nicht ganz. „Hast du die beiden her bestellt, damit ich abgelenkt bin und nicht bemerkte, wie du dich heimlich davonschleichst?"

Aram brach in schallendes Gelächter aus. „Ich hatte ja erwartet, dass sie dich verdächtigen würde, aber dass sie etwas so Durchtriebenes von dir erwartet..."

Eleasar seufzte tief. „Nein, die beiden sind hier, um uns zu begleiten."

Ria starrte ihn an, als habe sie ihn nicht ganz verstanden. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. „Was? Versteh mich nicht falsch, ich freu mich ja, aber HABT IHR NEN RAD AB?!?" Mit einer Mischung aus Wut und Fassungslosigkeit sah sie die beiden Männer an. „Adele ist schwanger!"

„Mitte dritter Monat", entgegnete Aram sachlich. „Diese Reise dauert nicht lange. Außerdem kann ich sie genauso wenig zu Hause lassen, wie Eleasar dich. Sollte es für sie gefährlich werden, brechen wir die Reise sofort ab." Dabei wirkte er fest entschlossen. Er würde seine Liebste beim kleinsten Anzeichen einer Gefahr in Sicherheit bringen.

Zwar nicht zufrieden, aber doch eine Spur besänftigt stapfte Ria nach oben ins Badezimmer. Sie freute sich für Aram und Adele, aber gleichzeitig empfand sie die Schwangerschaft ihrer besten Freundin als Belastung für ihre Freundschaft. Sie wollte Adele in Sicherheit wissen und gleichzeitig wollte sie sie so oft wie möglich bei sich haben. Schließlich war sie ihre einzige Freundin in dieser ihr noch unbekannten Welt. Sie wollte sie nicht an das Kind verlieren. Sie wollte nicht sehen, wie ihre Freundin eine Familie gründete und sie allein ließ.

„Hast du vergessen, wie die Dusche angeht?"

Schnell wischte sie die Tränen aus ihren Augen. „Nein, ich habe nur darüber nachgedacht, was ich gleich anziehen soll."

Eleasar legte seine Hand unter ihr Kinn und sah ihr forschend in die Augen. „Ich kann fühlen, dass das nicht stimmt. Ist es wegen dem Kind?"

Schweren Herzens nickte sie und suchte Trost in seinen Armen. „Ich fühle mich so mies, weil ich mich nicht ganz aufrichtig für sie freuen kann."

„Genieß doch die Zeit, die ihr noch miteinander habt. Sie wird nicht völlig verschwinden." Langsam zog er ihr das Top über den Kopf. „Du kannst sie jederzeit besuchen. Mein Vater würde sich freuen."

Ria brachte nicht mehr als ein halbherziges Schmunzeln zustande. „Ich weiß nicht. Irgendwie hatte ich gedacht, wir würden die erste Zeit hier zusammen sein und uns gegenseitig unterstützen können. Und jetzt ist da dieses Baby."

„Aber das ändert doch nichts an eurer Freundschaft." Er stellte das Wasser an und schob sie bestimmt in den Duschraum. „Wenn es soweit ist, werden wir schon eine Lösung finden."


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