Kapitel III

Ich öffnete die Augen und atmete so tief ein, dass ich husten musste. Der Schock dieser Erinnerung ließ mich einen Schauer durch meinen ganzen Körper laufen. Sie wiederholte sich immer wieder in meinem Kopf, immer schneller und schneller, und alle Gefühle, die ich empfunden hatte, kehrten zurück und saugten all meine Kraft auf. So viele Fragen schwirrten durch meinen Kopf, doch ich bemühte mich, wieder in die Gegenwart zurückzukehren.

Zuerst dachte ich, es hätte sich nichts an meiner Umgebung geändert, aber als ich alles genauer betrachtete, erkannte ich, dass ich mich in einem anderen Raum befand. Dieser war kleiner und es befanden sich weniger „Behälter" darin. Ich war wieder allein.

Ich stand auf und wollte den Raum weiter erkunden, sehen, wer oder was sich in den anderen Behältern befand. Als ich aufstand fühlten sich meine Beine etwas taub an, aber ich hatte genügend Stabilität, um ein paar Schritte zu gehen. Als ich an mir hinuntersah, bemerkte ich, dass ich ein Art Kleid trug, das an eine Patientenkleidung erinnerte, nur, dass es etwas länger war, blassblau-weiß gestreift war und eigentlich relativ eng anlag, wobei mich die Streifen wiederum an einen Häftling erinnerten. Über der Tür hing eine digitale Uhr: 09:38. Ich hätte niemals die Uhrzeit einschätzen können, nicht nur weil sich in keinem der Räume, in denen ich bisher war, ein Fenster befand und ich somit nicht einmal annehmen konnte, welche Tageszeit es war, sondern auch, weil ich einfach über kein Zeitgefühl mehr verfügte - es war wie verschwunden, wie wenn man es für lange Zeit nicht mehr gebraucht hatte. Gerade als ich mich umgedreht hatte und mich auf den Weg zu einen der Behälter machte, hörte ich, wie sich die Tür öffnete.

„Miss Grey, bitte setzen Sie sich wieder", sagte eine bekannte Stimme.

Ich tat, ohne nachzusehen, wer es wirklich war, wie mir sozusagen befohlen wurde. Gleich nach dem bekannten Gesicht mit den schwarzen, kurzen Haaren schlich seine viel zu dünne Assistentin herein.

„Bemerkenswert, dass Sie bereits aufstehen konnten. Starke Konstitution - schreib' das auf, Verona."

„Vielleicht liegt es ja daran, dass ich endlich wissen will, was hier passiert", sagte ich energisch, doch ich wurde ignoriert. Beide hefteten ihre Blicke auf diese Art Brett vor ihnen. Was sollte ich noch tun, wenn ich schon nicht beachtet werde. Wann würde endlich diese essentielle Frage beantwortet werden?

„Also, Miss Grey, ich bin jetzt fertig mit Ihnen. Verona wird Sie ins Ankunft-Zimmer begleiten. Dabei ist es sehr wichtig, dass Sie sich an ihr abstützen. Lassen Sie sie auf keinen Fall los, bis sie es Ihnen sagt. In einem Monat sollten Sie zur Nachkontrolle bei mir erscheinen - Verona wird Ihnen noch einen Notizzettel mit dem Datum überreichen. Wir sehen uns dann in einem Monat! Viel Glück!"

Viel Glück? Was sollte das denn nun? Auch hätte ich nun erwartet, dass er mir die Hand reicht, doch alles was er tat, war, dass er seine rechte Hand auf seine linke Schulter legte und ohne weiteres mit einem Satz umdrehte und aus dem Zimmer rauschte. Verona stand bereits vor mir und bot mir ihren Unterarm an. Langsam stand ich auf, diesmal war es nicht so ungewohnt wie das letzte Mal. Langsamen Schrittes und ohne jedes Wort gingen wir zur Tür hinaus. Kaum waren wir aus dem Zimmer, hörte ich ein sanftes „links" von Verona. Ich war überrascht, dass sie überhaupt etwas sagte. Der Gang, in den wir einbogen, sah von der Gestaltung her nicht sehr viel anders aus. Alles war weiß, nur waren Türen links und rechts vorhanden. Es sah alles so gleich aus und ich fragte mich, wie man sich hier zurechtfinden konnte. Am Ende des Ganges sah ich zwei silberne Türen, die mich an einen Lift erinnerten. Ich versuchte unauffällig ein wenig schneller zu gehen, um schneller ans Ziel zu gelangen, aber Verona hielt mich zurück.

Plötzlich fiel mir die Stimme aus meiner Erinnerung wieder ein und ich fühlte mich besser als je zuvor. Ich fragte mich, wer der Mann war und ob ich ihn bald sehen würde. Ich wollte an mehr von ihm denken, als bloß seine Stimme. Doch meine Gedanken wurden unterbrochen als wir das Ziel erreichten. Verona drückte auf den Knopf auf der rechten Seite der silbernen Türen und ohne Verzögerung glitten die beiden Türen zur Seite - es stand fest, es war ein Lift. Er war eigentlich sehr groß, aber nirgends war ein Spiegel angebracht. Erst jetzt dachte ich daran, wie ich überhaupt aussehen würde und war mir nicht sicher, ob ich es überhaupt erfahren wollte. Ich konnte mich nur an mein Spiegelbild aus der Vergangenheit erinnern, doch wie würde es jetzt aussehen? Hatte sich etwas verändert? Oder würde ich einfach nur ausgelaugt aussehen?

Als wir in den Lift traten, war ich irgendwie erleichtert, weil er eine Abwechslung zum Weiß von vorhin war, denn er war mit Holz vertäfelt, was mich doch sehr wunderte und gleichzeitig wohler fühlen ließ. Nur der Boden war mit denselben weißen Kacheln wie vorhin ausgelegt. An der Seite waren unglaublich viele Knöpfe, die wohl für Stockwerke stehen mussten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Gebäude so viele Etagen haben könnte.

„Nun, ist es äußerst wichtig, dass Sie sich an dem montierten Geländer festhalten und es bis zum Schluss nicht mehr loslassen", sagte Verona mit einer ebenso sanften Stimme wie vorhin, doch ich verstand nicht wirklich, was das zu bedeuten hatte, vor allem, weil sie auch ihre Hände an meine Taille legte, anscheinend, um so mehr Unterstützung zu gewährleisten.

Ich hörte ein Geräusch wie beim Anwerfen einer Maschine und plötzlich schoss der Lift in die Höhe. Die Geschwindigkeit drückte mich schon fast zu Boden, aber Verona stand völlig normal neben mir und brauchte sich nicht einmal festzuhalten, ihre Hände waren ja an meiner Taille und ich war dankbar dafür, denn sonst wäre ich bereits zu Boden gepresst worden. Ich spürte wie meine Arme ihre Kraft verloren und ich konnte noch immer nicht glauben, was da geschah. Wie konnte ein Mensch eine solche Geschwindigkeit ohne jegliches Bemühen aushalten? Warum behandelten diese Leute jemanden wie mich so, dass er schwächlich mit einem solchen Kraftaufwand zurecht kommen musste? Auch meine Beine wurden immer schwächer und ich hoffte einfach nur noch darauf, dass dieser Lift bald anhalten würde. Und kurz bevor ich am völligen Ende meiner Kräfte war, verlangsamte sich der Lift. Als der Lift endgültig zum Stehen kam, klammerte ich noch immer am Geländer. Ich konnte den Mut nicht fassen, loszulassen, denn ich hatte das Gefühl, dass ich, sobald ich mich loseisen würde, wie ein Brett umfallen würde. Doch Verona wusste, was sie tat: Sie löste langsam meine Hände vom Geländer, nahm mich unter den Schultern und setzte gemeinsam mit mir einen Fuß nach dem anderen nach vorne. Ich wunderte mich, dass die Lifttüren so lang aufblieben, obwohl wir, wie mir schien, eine halbe Ewigkeit brauchten. Hinter mir hörte ich wieder das Geräusch, wie bei unserer Abfahrt und ich zuckte automatisch zusammen. Verona schien das alles nicht zu stören.

Wieder sah ich einen Gang vor mir, der genauso aussah wie der, von dem wir kamen. Hatten wir überhaupt die Etage gewechselt? Bildete ich mir diese Liftfahrt bloß ein?

In der Mitte des Gangs hörte ich ein leises „rechts". Nun löste sie einen Griff von meiner Schulter und holte eine Plastikkarte aus einer ihrer Taschen. Sie hielt sie oberhalb der Türklinke hin, ein grünes Licht leuchtete auf und die Tür sprang einen Spalt weit auf. Künstliches Licht erfüllte den Raum, in dem graue Spinde aneinander gereiht standen - alles war damit ausgefüllt, jeder Winkel, sie waren gerade so gestellt, dass man zu zweit durchgehen konnte. An den Spinden konnte ich vereinzelt Namen in digitaler Schrift erkennen: Davorson, McSalisburgh, Konrad,... Schließlich blieben wir vor einem Spind stehen auf dem mehrere Namen standen, darunter Charda und Grey. Wieder hielt Verona ihre Plastikkarte vor den Verschluss und wieder Sprang die Tür einen Spalt auf. Mit einer Hand fasste sie hinein und holte ein weißes Handtuch und ein graues Gewand mit vereinzelten grünen Flächen hervor. Sie schloss die Tür wieder und wir gingen ans einzige Ende des Raums, wo keine Spinde standen, sondern nur eine weiße Tür zu sehen war.

„Hinter dieser Tür befindet sich rechts eine Dusche und links ein Ankleideraum. Ich werde Sie begleiten, denn Sie sind eindeutig noch zu instabil. Keine Sorge, das ist bei den meisten so", sagte sie mit einem freundlichen Lächeln. Ich stutzte. Es passte mir nicht.

Diesmal war keine Karte notwendig, die sie an die Türklinke halten musste. Sie öffnete die Tür, wie jede andere. Links sah ich ein Waschbecken mitsamt einem Spiegel und instinktiv drehte ich mich in diese Richtung, denn meine Neugier überwog, aber Verona drängte mich nach rechts. Mir wurde beinahe schwindlig, als ich die Dusche sah, denn sie war von oben bis unten mit weißen Kacheln bedeckt. Auf den ersten Blick sah ich keinen Duschkopf nur den Abfluss. Erst als ich nach oben blickte, wobei ich wirklich ein wenig ins Wanken geriet, sah ich kleine Löcher. Ich ging ein paar Schritte von Verona zurück und brachte meinen Mut auf. „Ich möchte das allein machen", brachte ich mit aller Kraft, die ich hatte, hervor. Sie sah mich verwirrt an.

„Aber... aber... das geht nicht!"

„Was ist denn so schwer daran, hier zu stehen und das Wasser über sich fließen zu lassen", erwiderte ich mit einem bitteren Unterton.
Noch immer blickte sie mich mit ihren großen Augen verdutzt an.

Sie dürfte wohl nicht die reichste Frucht am Ast sein. Nein! Ich schämte mich sofort für meinen Gedanken. Woher ich diese Redewendung kannte, aber sie huschte sofort durch meinen Kopf.

Nachdem sie ihre Fassung wieder halbwegs erlangt hatte, sagte sie verunsichert: „Naja, wie Sie wünschen. Ich werde aber nur ein paar Schritte entfernt sein." Mein Inneres freute sich irrsinnig über diesen Erfolg.

„Aber beim Entkleiden muss ich Ihnen trotzdem helfen."

Ich fasste an meinen Rücken, wo ich an meiner Kleidung Knöpfe spüren konnte, die wohl bis ganz unten reichten, wohin meine Arme nicht mehr gelangten. Meine innere Freude von vorhin krachte wieder zusammen.

Ich drehte mich resignierend um und Verona begann, die Knöpfe zu öffnen. Ich schämte mich. Ich wollte nicht, dass sie mich so ungeschützt sah, auch wenn sie eine Krankenschwester oder etwas Ähnliches war.

Ich ging bedrückt in die hinterste Ecke der Dusche, wo sie mich nicht sehen konnte. Ich zwang mich meine Gedanken zu ändern. Ich dachte an das Wasser, das gleich von oben auf mich prasseln würde. Jeder einzelne, warme Tropfen der mich reinigen würde, würde mich gleichzeitig irgendwie befreien und erleichtern. Ich wusste nicht, warum ich so fühlte. Wahrscheinlich weil Wasser etwas war, dass ich hier endlich kannte.

Ich wunderte mich, warum hier kein Hebel oder Regulator war, womit ich die Dusche steuern konnte. Verona würde wohl diesen Job übernehmen.

All die wohlen Gedanken, die ich gerade hatte, wurden augenblicklich zerstört.

Das Wasser schnellte über meinen Kopf. Es war eiskalt. Jeder einzelne Muskel meines Körpers zuckte zusammen. Meine Augen schlossen sich fest, aber mein Mund öffnete sich, um einen kurzen Schrei entkommen zu lassen. Ich umklammerte meinen ganzen Körper, in der Hoffnung irgendwoher Wärme zu bekommen. Ich wollte dem Wasser entkommen, aber der einzige Ausgang aus der Nische war der in den Vorraum. Das würde ich nicht zulassen. Ich konnte nicht einfach aufgeben, obwohl jede Stelle meines Körpers, die vom Wasser berührt wurde, brannte. Selbst meine eiskalten, durchnässten Haare auf meinen Schultern kamen mir so vor, als würden sie meine Haut verätzen. Ich wusste nicht, wann der eiskalte Fluss wieder aufhören würde. Jede Sekunde quälte mich mit Schmerzen. Ich dachte kurz, sie würden selbst das letzte Gefühl in mir erkalten lassen wollen.

Endlich, endlich hörte der fast gefrorene Regen auf, aber ich regte mich kein Stück. Ich hielt meinen Körper noch immer umklammert und zitterte mit jeder Faser, die mir noch bewusst war. Noch immer sah ich nur schwarz vor meinen Augen. Ich wagte nicht, meine Augen aufzumachen.

Ein verhältnismäßig warmes Handtuch umschloss mich von hinten. Noch immer reagierte ich nicht. Hände rieben das Handtuch an meinen Schultern, bis ich schließlich doch danach griff. Ich wickelte das große, warme Handtuch so fest, wie es ging, um mich. Ich glaubte, Stunden seien vergangen, bis endlich warmes Blut durch meine Glieder pochte und somit fast alles zum prickeln brachte. Langsam öffnete ich die Augen und blickte um mich. Nirgends konnte ich Verona finden. Was sollte ich tun?

Einfach stehenzubleiben war wohl keine allzu gute Option, also setzte ich einen Fuß nach vorne, wobei ich wieder dieselbe Taubheit wie schon einmal verspürte.

Als plötzlich die Tür aufschwang, machte mein Herz einen Satz und ich erstarrte in meiner Bewegung. Ich sah nur zu Boden, ich wollte nicht nach der Person sehen, die gerade reinkam.

„Hier, ich habe Ihnen noch ein Handtuch für Ihre Haare gebracht", sagte ihre Stimme.

Ich sah, das weiße Fleckchen, das sie mir unter die Nase hielt. Sofort griff ich mit einer Hand danach, aber trotzdem darauf bedacht, dass mein jetziges Handtuch nicht herunterfiel. Ich wickelte es um meine Haare, hielt meine Augen dabei aber immer am Boden. Jetzt hielt ich meinen Kopf aufrecht, nur damit das Handtuch nicht herunterfiel. Diesmal spürte ich sofort Wärme die sich von meinem Kopf aus ausbreitete. Dankbarkeit überströmte mich. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so dankbar gewesen war, obwohl ich schwören konnte, dass ich diese Assistentin, als ich in der Dusche stand, hätte ich klar denken können, gehasst hätte. Mich überkam der Drang sie zu umarmen, doch ich hielt mich zurück.

Als nächstes gab sie mir die Kleidung, die sie vorhin aus dem Spind holte. Ich wollte ohne jedes weitere Wort in das Ankleidezimmer weitergehen, aber mein Plan wurde durchkreuzt.

„Halt, halt! Jetzt muss ich Ihnen wirklich helfen. Zumindest mit dem Oberteil. Diese Verschlusstechnik werden Sie alleine nicht herausbekommen. Keine Widerworte!"

Genauso bedrückt wie ich vorhin in die Dusche ging, schritt ich nun ins Ankleidezimmer. Verona drehte mich sofort vom Spiegel weg, bevor ich überhaupt bemerkte, welche Gelegenheit sich mir gerade bot. Sie entfaltete die Kleidung und ich erkannte, dass es Unterwäsche, eine Hose, ein Unterhemd und eine Art Bluse waren. Nachdem ich alles über mich ergehen gelassen hatte und Verona mir die komplizierte Verschlusstechnik der Bluse zweimal zeigte und erklärte, blickte ich an mir herunter und streifte automatisch mit den Händen die wenigen Falten glatt. Ich bemerkte, dass jedes einzelne Kleidungsstück mir wie angegossen passte, obwohl ich keines zuvor getragen hatte. Die Hose war lang und schmal geschnitten, die Bluse hatte war halb offen und hatte lange Ärmel, die sogar das Handgelenk überdeckten. Als letztes zog ich Sneakers in den denselben Farben und Mustern an, die ebenfalls perfekt passten, obwohl ich bei Schuhen immer schon Probleme hatte. Zum Schluss föhnte sie meine Haare.

Als anscheinend alles fertig war, sagte Verona zufrieden: „Wir haben Ihnen Ihre Lieblingsfarbe bereitgestellt, ich hoffe, das ist so in Ordnung."

Ich nickte nur und gleichzeitig wollte ich mich umdrehen und in den Spiegel blicken.

„Bitte folgen Sie mir, ich denke Sie kommen mittlerweile ohne Gehhilfe zurecht."

Eine Idee keimte in mir auf: „Könnte ich noch einen kleinen Augenblick für mich haben?"

Wieder sah mich Verona mit demselben kindlich verdutzten Blick an und ich merkte, wie ich davon genervt war.

„Naja... Wenn es Ihnen so wichtig ist", sagte sie und ging rückwärts, ohne sich umzudrehen durch die Tür und behielt mich bis zum Schluss genau im Auge.

Als sie endlich durch die Tür verschwunden war, drehte ich mich sofort um, um in den Spiegel zu blicken.

Ich wusste nicht wen ich in dieser Spiegelreflexion sah. Es sah aus wie eine kränkliche Version von mir und doch sah ich anders aus als zuvor. Meine Haut war fahl, grau und gleichzeitig rot an manchen Stellen. Meine Augen waren geschwollen, doch sie hatten nicht denselben kalten Blick, wie die des Doktors. Meine Haarlänge hatte sich nicht verändert, aber meine Haare wirkten irgendwie gräulich. Ich entdeckte eine kleine Narbe auf meiner Stirn, die mir neu war. Meine Lippen waren trocken, rissig und von kleinen, roten Flecken übersäht. An meiner Nase konnte ich keinerlei Veränderungen feststellen. Diese Reflexion wollte aussehen wie ich, sie tat es aber nicht. Ich wollte mir meine Augen noch genauer ansehen, doch ich wurde durch eine Gestalt, die durch die Tür spähte, unterbrochen. Ohne jedes weitere Wort ging ich zu Verona und ließ mich mehr oder weniger von ihr abführen.

Wir gingen wieder Richtung Lift und in mir kamen wieder Panikgefühle hoch.

„Keine Angst, diesmal fahren wir nicht so weit."

Ich hielt mich wieder so gut ich konnte am Geländer fest. Und als ich wieder das Geräusch hörte, wurde meine Angst noch größer. Diesmal waren auch keine unterstützenden Hände an meiner Taille. Doch als wir „abhoben", kam es mir nicht so schlimm vor. Ich konnte mich zwar gerade noch halten, aber dieses Druckgefühl war verschwunden. Und kaum waren wir in Bewegung, wurden wir auch schon wieder langsamer. Als sich die Türen öffneten, sah ich vor mir eine große Halle. Noch immer reinlich weiß. Aber man merkte, dass diese Halle nicht von künstlichem Licht beleuchtet wurde sondern von natürlichem, was seltsam war, denn die Mauern waren bloß weiß und ich konnte nirgends ein Fenster sehen. Die Halle ging auch sehr weit nach oben und von der Decke hingen ausgeschaltete Lampen und Dekoration, die aussah wie Wolken. In der Mitte des Raums befanden sich mehrere Tresen nebeneinander, wie in einem Supermarkt, nur, dass hier die „Kassen" viel größer waren. Weit vor uns lag ein riesiger Ein- beziehungsweise Ausgang und als ich einen Blick zurück wagte, sah ich dass es nicht nur einen Lift gab, sondern unzählige. Durch die riesige Tür am anderen Ende des Raums sah man den Bürgersteig, wo Menschen vorbeirauschten, die ziemlich gleich wirkten, eine Glasfassade des gegenüberliegenden Gebäudes und eine Straße, wo ich ein Auto extrem schnell vorbeifahren sah und ich bildete mir ein, nicht einmal Reifen gesehen zu haben. Ich hatte plötzlich den Drang, sofort nach draußen zu laufen, aus diesem Gebäude auszubrechen. Mich überkam das Gefühl der Isolation. Meine Vernunft riet mir anders und sie siegte.

Wir hielten uns rechts und erreichten eine der „Kassen", die auch besetzt war. Eine blonde Frau mit leicht rostfarbener, OP-ähnlicher Kleidung saß dahinter. Sie starrte auf etwas, das man hinter der erhöhten Wand des Tresens nicht erkennen konnte. Als wir vor ihr standen, überreichte ihr Verona wieder die Karte, mit der sie alles zuvor aufgesperrt hatte. Wenn ich diese Karte ihr nun entwenden könnte, könnte ich damit auch hinaus? Meine Gedanken spielten verrückt. Noch immer konnte ich nicht erkennen auf was diese Frau starrte, ich sah nur, dass ihre Hände auf einer Tastatur lagen, aber der Bildschirm dazu fehlte. Es verging nicht viel Zeit bis sie die Karte wieder zurückgab. In diesem Moment hob ich sogar meine Hand, doch als Verona mich schon verdächtig ansah, tat ich so als würde ich durch mein Haar streichen. Ich merkte, dass es ganz strohig war. Aber ich freute mich darauf, endlich in Richtung Ausgang zu gehen. Ich bemühte mich nicht zu lächeln, aber man merkte es wohl an meinen Augen. Verona blickte mich ausdruckslos an und sagte: „Folgen Sie mir zum Präsentationsraum. Dort werden Ihnen einige Informationen vermittelt. Danach wird Sie ein Nahestehender Ihrer bisherigen Existenz abholen."

Ich war aus allen Wolken gefallen. Wieder einmal verstand ich rein gar nichts. Informationen... Hörte sich wohl nicht so schlecht an. Aber die Freude jetzt schon gehen zu dürfen, war zunichte gemacht. Wie lang würde diese Präsentation wohl dauern? Was genau wird mir gezeigt? Und was ist das überhaupt für ein Name „Aeternitas"? Ich konnte mich doch nicht auf einem anderen Planeten befinden. Sie haben wohl den Namen der Erde geändert. Und wer ist „ein Nahestehender meiner bisherigen Existenz"? Würde es vielleicht der Mann mit der Stimme aus meiner Erinnerung sein? Oder würde es Syrelda sein oder doch Cleeland? Wie würde es den beiden wohl gerade gehen? Ganz in Gedanken versunken, merkte ich gar nicht, dass wir bereits vor der Tür des anscheinenden Präsentationsraumes standen. Wieder hielt Verona die Karte vor die Türklinke und dann geschah das, was sonst auch immer geschah, doch bevor ich hineintreten konnte, hielt mich Veronas Hand an der Schulter.

„Bevor Sie gehen, muss ich Ihnen noch etwas überreichen. Sie konnten einen Gegenstand vor ihrer Abreise mitnehmen, hier ist er." Sie überreichte mir eine kleine Schachtel, dessen schwarze Farbe bereits beinahe ausgebleicht war und dessen Scharniere rostig waren. „Hier ist Ihre Karte. Sobald Sie vor einer verschlossenen Tür stehen, einfach nur dieses Plastik vor die Klinke halten. Aber es funktioniert natürlich nicht bei jeder. Eine Stadtkarte und eine Broschüre darf ich Ihnen noch überreichen, die Sie sich danach anschauen sollten. Ach, und, bitte, vergessen Sie nicht unseren internationalen Gruß. Viel Glück!" Sie gab die Gegenstände in eine eigenartige Handtasche und gab sie mir, danach hob sie ihre rechte Hand zu ihrer linken Schulter und ging davon. Ob ich sie jemals wiedersehen werde?

Ich sah mir die überreichten Gegenstände noch nicht an, ich hätte später noch immer Zeit dafür, und trat stattdessen in den Raum, aber er war nicht wie ich es erwartete. Ich dachte er wäre wie jeder andere - weiß, quadratisch und ohne jedes Leben. Doch was ich sah war eine Holzvertäfelung, verschiedenste Bilder an der Wand, die bestimmte Überschriften trugen, eine runde Mauer an der Sofas standen und zwei weitere Menschen, die die Bilder betrachteten. Sie waren so angezogen wie ich, nur in anderen Farben - ein verwaschenes Violett und ein schwaches Gelb.

Ein Pfeil am Boden deutete mir, dass ich nach links gehen sollte, wo auch schon das erste Plakat auf mich wartete. Darauf stand „AETERNITAS - DIE BEFREIUNG". Das erste Bild zeigte eine riesige Stadt aus der Luft. Sie war wie keine andere die ich je gesehen hatte. Ihre Gebäude waren weiß oder grau und schwindelerregend hoch. Alles sah so gleich aus und doch so ästhetisch. Auf dem nächsten Bild waren eine Frau und zwei Männer, die vor einem Podium mit einem breiten Grinsen standen. Auf dem nächsten waren nur drei Flaggen aufgemalt. Seltsam. Sollte das nur drei Staaten bedeuten? Und warum war hier nirgends eine Landkarte? Von wegen Information.

Auf dem nächsten Plakat waren fünf große Punkte aufgeschrieben:

OWO - Onward-Working-Organization

PFF - Alles Für Die Zukunft

FREIHEIT

FRIEDEN

UNSTURM

Ad 1.: Die wohl wichtigste Organisation unserer neuen Welt. Man könnte sie mit der Polizei von früher vergleichen, nur dass sie mit der Wissenschaft fusioniert und doch anders. Die OWO hilft unseren Weltbürgern das Leben leichter führen zu können, immer einen weiteren Schritt zu wagen und steht im Dienste des Guten.

Ad 2.: PFF - unser Leitmotto. Was wäre die Menschheit ohne ihre Zukunft? Nicht vorhanden! Wir geben „Alles Für Die Zukunft" - „Prepare For the Future". Es begleitet uns auf all unseren Wegen und gibt jedem Leben einen Sinn.

Ad 3.: FREIHEIT - Jeder Mensch unserer neuen Welt ist frei.*

Ad 4.: FRIEDEN - Unsere Weltstaaten werden immerdar im Frieden leben und wir alle sind Mitglieder eines Weltbürgertums. Das oberste Gebot ist nicht zu brechen.

Ad 5.: UNSTURM - In unserer neuen Welt herrscht Eintracht, Gleichheit und Gehorsam. Wenn jemand diese Verpflichtungen nicht einhält, greift „Unsturm" ohne jedes Zögern ein.

Noch so ein Plakat, in das wohl so wenig Information wie möglich gepackt wurde. Das verständlichste „Gebot" erschien mir wohl die Nummer vier. Doch nach der Anmerkung bei Nummer drei suchte ich wohl mehrere Minuten lang in jeder Ecke des Plakates und doch konnte ich nichts finden. Und so ging ich durch den sogenannten Präsentationsraum und sah mir jedes einzelne Plakat an, die mit jedem Mal weniger Information bereitstellten. Ich wusste genau dasselbe wie noch vor wenigen Stunden. Erst jetzt bemerkte ich verschiedene starre Personen in den Ecken des Raumes, die ganz in schwarz gekleidet waren. Vielleicht eine Art Sicherheitspersonal? Aber wozu würde man die hier brauchen?

Ich sah kurz zu dem Mann mit dem Outfit im schwachen Gelb, der halbseitlich zu mir stand. Seine Haut war blass und seine braunen Haare wirkten ebenfalls ein wenig gräulich. Er ging ebenso wie ich wortlos durch den Raum und betrachtete die Bilder ohne jeden Ausdruck. Ob er wohl mehr verstand als ich? Warum war er hier? Gerade als ich seine Augen genauer ansehen wollte, bewegte sich eine der starren Figuren und machte eine Geste in Richtung der runden Wand. Die anderen beiden setzten sich hin und ich tat es ihnen nach und setzte mich genau zwischen sie, trotzdem saßen wir noch immer weit voneinander entfernt.

Plötzlich fuhr eine dünne Leinwand von der Mitte des Raumes aus der Decke. Eine Stimme begann zu sprechen, eine Stimme die ich kannte. Seine Stimme? Nein! Wie? Nein ich bildete es mir ein.

Willkommen in Aeternitas" war alles das ich hören konnte, bevor wieder alles vor meinen Augen verschwamm und ich konnte nur noch denken Nein, nicht schon wieder. Nein. Wie? Warum er?

Das letzte was ich spürte waren zwei Hände, doch alles war schwarz.



_________________________________________________________________________________________

Anmerkung: Die fünf Punkte werde ich noch überarbeiten, sie waren meine ersten Gedanken zu dem "Aeternitas-Konzept".

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top