D
Wie kann ich fliegen, wenn die Last zu schwer ist?
Die Gedanken eines jungen Mannes in der öffentlichen Toilettenkabine des Bahnhofs hatten ihn übermannt, völlig wehrlos und plötzlich, er hatte nichts dagegen tun können. Tränen verliessen unaufhörlich seine Augen, verzweifelte Schluchzer waren zu hören und ab und zu war ein leises Schreien vernehmbar- schmerzvoll und herzzerreissend, es war schrecklich. Obschon die öffentlichen Toiletten ständig mit Menschen gefüllt waren, schien sich keine Seele nach seinem Wohlergehen zu kümmern. Währenddessen schüttete und stürmte es im Inneren des Mannes, seinen emotionalen Ausbruch konnte man beinahe als physische Spiegelung seiner Gefühlswelt ansehen, die schmerzhafte Nachwirkung eines lebensnotwendigen Medikamentes.
Der tränenüberströmte Mann sass auf der Kloschüssel (ausserdem es war ihm egal, dass dieser kein Deckel besass), raufte sich die längst nicht mehr ordentlichen Haare, keuchte, schluchzte, und alles in der Hoffnung, alles Leid damit zu besänftigen.
Tränen der Verzweiflung flossen seine geröteten Wangen herab. Vor ihm, eine unleserliche schwarze Schrift, kaum sehbar, er hätte es beinahe nicht bemerkt, dennoch hatte er es, eine Tatsache, die ihm abrupt stumm stellte. Seine, von dem ganzen Schweiss und den Tränen durchnässte Hand glitt durch die feuchte Luft.
Langsam, fast, als hätte er Angst, dass die kleinste falsche Bewegung der Auslöser eines erneuten Nervenzusammenbruchs bedeuten könnte, streifte seine Hand die verbleichte Schrift.
Er konnte nicht fliegen.
Ein längst nicht mehr junger Mann betrat die Kabine. Sein Rücken hatte eine schmerzhaft gebeugte Haltung, die vergangenen Jahre waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, sein schier eingerostetes Dasein belastete ihn höllisch. Die bronzenen, verschrumpelten Hände zitterten, seine Haare hatten die einstige Lebensfreude verloren. Grau, jegliche Energie wurde ihnen gestohlen. Er schloss ab. Seine Hand schlenderte nach rechts, der alte Mann bemerkte etwas- doch seinen Augen konnte man auch nicht mehr trauen.
Er war nicht geflogen.
Ein geschätzt elfjähriger Junge tappte zur Kabinentür. Seine Hände versteckte er unter seinen Pulloverärmeln, zierlichen Finger umklammerten den warmen Stoff, sie wollten auf keinen Fall aus ihrer sicheren Festung heraus ins Freie. Der Junge wirkte unsicher. Seinen Blick stur auf den verschmutzen Boden gerichtet, versuchte er seine Ängste zu verdecken, sie tief in sich zu verstecken und der Dunkelheit kein Licht zu schenken. Immer noch unter den Ärmeln, drückten seine Hände auf den silbernen Türhebel. Der Junge trat in die sparsam belichtete Kabine, dessen marmorner Boden womöglich vom ständigen Dreck um eine Nuance dunkler gefärbt worden war- mit rostbraunen Flecken, welche unübersehbar die Toilette umgaben. Ein trauriger Anblick.
Der Junge sah gen Boden.
Erst als der Schloss fiel, traute er sich wieder hinaufzublicken. „Endlich Ruhe", wisperte er zu sich selber, jedoch dicht gefolgt von einem schmerzhaften Ziehen in seiner Kehle; Den ganzen Tag über hatte er kein einziges Mal den Mund geöffnet. Trocken und Stumm, manchmal waren das die einzigen Wörter die ihn in seiner ewigen Stille begleiteten.
In der Tat redete dieses Kind nicht sehr oft, dafür hatte er einen grösseren Verstand, als alle seiner Klassenkameraden. Mehr Gründe, als die meisten um zu reden, als alle, die er kannte. Wenn man schwieg, hatte man eine andere Perspektive, so fand er es manchmal. Vielleicht war es auch der Grund, warum er den Satz auf der linken Wand entdeckte.
Er wollte fliegen.
Adam wusste, man brauchte zuerst Flügel, um fliegen zu können.
Deshalb versuchte er dies auch nicht. Er fand es effektiver, zu lernen, wie man mit der Last umgeht, sie erleichtert.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top