Marek
Mit einem mulmigen Gefühl starrte ich auf das Paket vor mir auf dem kleinen Küchentisch unserer Vier-Zimmer-Wohnung, in der ich mit Mum und meiner Schwester lebte. Ein unheilvolles Kribbeln lief mir den Rücken hinunter. Normalerweise waren Pakete eine willkommene Überraschung, besonders wenn sie von meinem Freund Vito aus Kroatien kamen. Doch dieses hier war anders. Der Absender, eine gewisse Nemesis, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ihr Name war mehr als nur ein Wort; es war ein Versprechen – ein Versprechen für Vergeltung und gerechten Zorn. Zorn, den ich nach der Aktion vor einigen Wochen definitiv verdient hatte!
In diesem Moment überkam mich die düstere Gewissheit, dass dieses Paket alles verändern könnte. Ein flüchtiger Blick auf den Absender genügte, um mir klarzumachen, dass die vergangenen Taten, die ich in meinem Leben begangen hatte, nicht unbemerkt geblieben waren.
Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr verfluchte ich meine Taten. Mein Herz raste, während ich zögernd die Finger nach dem Paket ausstreckte, als könnte ich damit das Unausweichliche abwehren. Doch das Schicksal war unbarmherzig, und ich wusste, dass ich nicht länger warten konnte.
Gerade, als ich das braune Klebeband entfernen wollte, welches halbherzig um den Karton geklebt worden war, riss mich die sich öffnende Wohnungstür und die laute, volumvolle Stimme meiner Mutter aus den Gedanken.
„Marek, warum hast du den Müll noch nicht runtergebracht? Ich habe dir schon drei Mal gesagt, du sollst ihn unten an die Straße stellen, wenn du zur Schule gehst, und nicht im Treppenhaus stehen lassen!"
Der Müllsack vor unserer Wohnung war jetzt wohl das letzte, woran ich denken konnte. Denn dieses Paket vor mir würde mir gleich verraten, ob ich schlimmes zu befürchten hatte.
„Sorry Mum, ich hab's vergessen", antwortete ich und schnappte mir das Paket auf dem Küchentisch, um mich in mein Zimmer zurückzuziehen. Wenn sich hier möglicherweise Beweise meiner Taten drinnen befanden, war ich nicht erpicht darauf, diese mit meiner nichtsahnenden Mutter zu teilen.
Auf dem Weg in mein Zimmer am Ende des kleinen Flures fing mich meine Mutter ab. Ihr Blick wanderte auf das Paket unter meinem Arm.
„Hat Vito dir wieder etwas zugesendet?", fragte sie neugierig und sah das Paket mit stechendem Blick an, fast so, als würde sie versuchen, den Inhalt mit ihren Augen abzuscannen, um herauszufinden, was sich in diesem Paket befand.
Glaubt mir wenn ich sage, würde ich über diese Fähigkeit verfügen, hätte ich sie längst genutzt. Aber ich bin kein Superheld, und verfüge über keine speziellen Kräfte.
„Ja, du weißt doch, wieder der neueste Schnickschnack aus Kroatien", log ich, denn würde ich meiner Mutter von dem fremden Absender berichten, würde sie wollen, dass ich das Paket vor ihren Augen öffne. Nein, danke, darauf konnte ich gut verzichten.
„Wenn du ihm ein Paket zurückschickst, dann kannst du ihm die Kekse, die Maya und ich gebacken haben, zuschicken."
Ich nickte nur, bevor ich eilig in meinem Zimmer verschwand und mich erleichtert auf meinen Schreibtischstuhl fallen ließ. Das Paket landete auf meinem Schreibtisch.
Bevor ich mich allerdings wirklich daran machte, das Paket von seinem Klebeband zu befreien, schob ich mir einen der Kekse, von denen meine Mutter gesprochen hatte, in den Mund. Maya war meine kleine Schwester, und sie liebte es, zu backen.
Komm schon, Marek, jetzt öffne endlich das verdammte Paket!, sprach ich mir selbst zu, doch wieder wurde ich von etwas unterbrochen. Genauer gesagt war es der FaceTime-Call, der mir auf meinem Bildschirm angezeigt wurde.
Gustav, las ich. Mein Zockerkollege aus der Parallelklasse. Er war ein cooler Typ mit richtig guten Computerkenntnissen. Er hackte professionell und spielte jedes neue Videospiel als erstes, während er auf seinem Twitch-Account streamte. Er hatte sogar relativ viele Zuschauer, dafür, dass er nur ein einfacher Schüler aus Kiel war. Nein, das stimmte nicht ganz. Gustav war reich, genauer genommen seine Eltern, Geschäftsleute, die ständig durch die ganze Welt tourten, um Geschäfte abzuwickeln.
Schnell nahm ich den Call an und lächelte in die Kamera. Auf dem Bildschirm konnte ich Gustav erkennen, der in seinem Gamingraum saß und entspannt einen Energydrink schlürfte. Er war wohl der ruhigste Typ, den ich kannte, trotz der Mengen an Kaffee und Energiedrinks, die er täglich konsumierte. Seine ganze Energie floss wohl in seine Finger, die immer mega schnell über die Tastatur flogen.
„Yo, Bro, was geht?", fragte er und lehnte sich lässig in seinem Gamingstuhl zurück, beobachtete mich neugierig.
Ich schluckte. Sollte ich Gustav von dem Paket erzählen? Es mit ihm zusammen öffnen? Oder einfach so tun, als wäre alles in bester Ordnung?
Ein Seufzer entrang meiner Kehle und ab diesem Zeitpunkt war mir klar, dass ich Gustav nun nicht mehr „alles gut" sagen konnte, ohne dass er Verdacht schöpfen würde.
„Alles in Ordnung bei dir, Marek?", hakte Gustav nun nach, lehnte sich nach vorne, um mich näher anzusehen. „Mann, du bist ja total blass."
Ich schluckte und sah mich in meinem Spiegel an. Gustav hatte recht, meine Haut war total blass, und das war sie selten. Sie war eher schnell rot, wenn ich mit meinem Vater stritt, der in Hamburg ein glücklicheres Leben als hier bei Mum, Maya und mir gefunden hatte. Manchmal, wenn ich zu ihm fuhr, meckerte er nur über mich, und dann wurde ich schnell wütend.
„Hör zu", begann ich und lenkte meine Gedanken wieder auf das ominöse Paket, „ich habe ein Paket erhalten und -"
„Von Vito?", unterbrach mich Gustav grinsend, doch dieses verschwand, als ich den Kopf langsam schüttelte und auf den Absender deutete.
„Das Paket ist von einer gewissen Nemesis. Sie ist die Göttin der Vergeltung und des gerechten Zorns. Sie sorgt dafür, dass die Menschen für ihre Überheblichkeit bestraft werden. Ihr Name steht für Rache und Ausgleich."
Gustavs Augen weiteten sich und ich war mir nicht sicher, ob es des Namens oder meines exzellenten Wissens über die griechische Mythologie wegen war. Ich interessierte mich sehr für Mythen, besonders für die griechische und die nordische. Ich hatte unzählige Bücher gelesen und Dokus im Fernsehen darüber geschaut.
Gustav sah mich einen Moment lang an, als würde er versuchen, meine Worte zu verarbeiten. „Wait, wait, wait. Du meinst, das ist nicht irgendein Paket, sondern das von einer... Göttin?", fragte er ungläubig. „Ich dachte, das wäre nur ein dummer Scherz!"
„Nein, ich meine es ernst. Nemesis ist eine Figur aus der Mythologie, die dafür sorgt, dass Götter und Menschen für ihre Taten bestraft werden. Ich hab... ich hab vor einiger Zeit etwas Dummes getan, und ich befürchte, dass sie mir jetzt eine Lektion erteilen will."
„Was hast du getan?", fragte Gustav und setzte sich aufrecht in seinem Stuhl. „Du weißt, dass du mir alles sagen kannst, oder?"
Ich zögerte, die Erinnerungen schossen mir durch den Kopf. Es war vor ein paar Wochen gewesen, als ich und einige Freunde beschlossen hatten, ein bisschen zu pranken. Wir hatten einem Klassenkameraden, der ohnehin schon oft gehänselt wurde, seine Hausaufgaben gestohlen und sie durch einen Keks ersetzt. Es war eine harmlose Aktion gewesen, dachten wir, bis er in Tränen ausbrach. Es war nur ein Scherz gewesen – oder so hatte ich mir das gesagt. Doch das Gefühl des schlechten Gewissens hatte nie wirklich nachgelassen. Außerdem war da noch ein Ereignis, wovon ich Gustav allerdings nichts erzählen wollte. Noch nicht.
„Ich... ich hab einen Jungen in der Schule geärgert. Das war gemein von mir, und ich dachte nicht, dass es so weit kommen würde. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich dafür bestraft werde."
Gustav schüttelte den Kopf. „Komm schon, Marek! Du glaubst doch nicht wirklich, dass da eine Göttin hinter dir her ist? Das ist ein bisschen... übertrieben, findest du nicht? Da hat sich bestimmt jemand einen Spaß erlaubt."
„Vielleicht", murmelte ich und wandte den Blick von ihm ab. „Aber was ist, wenn es wahr ist? Was, wenn ich die Konsequenzen meiner Taten zu spüren bekomme?"
„Na gut, dann lass uns das Paket einfach öffnen", schlug Gustav vor. „Wenn es einen Fluch oder so enthält, können wir immer noch weglaufen." Er musste sich ein Kichern unterdrücken. Gustav glaubte nicht an Mythen, oder sonstiges übernatürliches Zeug.
Ich starrte ihn an, dann auf das Paket. „Du bist verrückt, aber... okay, lass es uns machen."
Gustav grinste und machte eine aufmunternde Geste. „Mach das Ding auf, Marek. Zeig mir, was die Göttin der Vergeltung für dich vorbereitet hat!"
Mit einem kräftigen Ruck zog ich das Klebeband ab und öffnete vorsichtig den Karton. Der Geruch von frischem Papier und etwas, das ich nicht identifizieren konnte, strömte mir entgegen. In der Mitte lag ein kleiner, schwarzer Kasten, umgeben von zerknülltem Papier.
„Wow, das sieht ja schon mal mysteriös aus", bemerkte Gustav und beugte sich neugierig vor.
Ich hob den Kasten vorsichtig an und betrachtete ihn. Auf dem Deckel war ein Symbol eingraviert – eine stilisierte Waage, die zwischen zwei ungleichen Seiten schwebte. „Was soll das bedeuten?"
„Keine Ahnung", antwortete Gustav. „Vielleicht hat sie ein paar goldene Münzen für dich da gelassen, damit du die schlechten Taten zurückzahlen kannst?"
Ich schüttelte den Kopf und öffnete den Kasten. Darin lag ein schwarzes, zerknittertes Papier, auf dem stand:
Die Schatten kommen näher, das Unheil erwacht, vergeltungsvolle Götter, die Dunkelheit lacht. Säe Gutes, denn Böses wird gnadenlos strafen, sonst frisst dich die Finsternis, aus der keine Seele entglitten.
Neben dem Zettel lag ein kleiner Skelettschädel. Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich den Zettel las.
„Das ist... gruselig", murmelte ich und betrachtete den kleinen Schädel, der mir wie ein böses Omen vorkam.
„Hast du eine Ahnung, was das bedeutet?", fragte Gustav mit einer Mischung aus Neugier und Besorgnis in seiner Stimme.
„Keine", antwortete ich, während ich das Papier zwischen meinen Fingern hin und her wog. „Aber es klingt ganz nach dem, was ich befürchtet habe. Es ist, als würde ich die Warnung bekommen, dass ich mich ändern muss, bevor es zu spät ist."
Gustav kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Vielleicht solltest du das ernst nehmen, Marek. Ich meine, das mit den Göttern und so klingt verrückt, aber selbst wenn ein Mensch dahinter steckt, die Botschaft klingt nicht gerade freundlich."
Ich nickte und fühlte mich unbehaglich. „Ja, das dachte ich auch. Die Waage auf dem Kasten – vielleicht geht es darum, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Ich habe jemanden verletzt, und jetzt könnte es an mir sein, das wieder gut zu machen."
Gustav starrte auf den Schädel. „Und was hat der damit zu tun? Soll das eine Art Ermahnung sein? Das klingt ein bisschen wie aus einem Horrorfilm."
„Ich weiß es nicht", gestand ich und ließ den Schädel wieder auf das Papier fallen. „Aber ich denke, ich sollte versuchen, das Gute zu säen, wie es der Zettel sagt. Vielleicht ist es an der Zeit, mich zu entschuldigen und zu versuchen, den Schaden, den ich angerichtet habe, wieder gutzumachen."
„Das klingt nach einem guten Vorschlag, aber dafür hast du auf der Klassenfahrt noch genug Zeit. Hast du schon gepackt? Ich hab echt keinen Plan, was ich einpacken soll", sagte Gustav und ich war froh über den Themenwechsel.
Morgen früh würde es auf die Jahrgangsfahrt der 12. Klasse nach Amsterdam gehen und ich freute mich schon lange darauf, auch wenn die meisten Programmpunkte nicht in Gustavs und meinem Interesse waren. Doch von Zuhause wegzukommen war immer gut. Ich war mittlerweile 17 Jahre alt und musste jeden Tag den Lärm von meiner kleinen Schwester ertragen, die von früh bis spät kreischte und schrie.
„Meine Tasche ist bereits gefüllt", antwortete ich Gustav. „Wir haben doch eine Packliste bekommen."
„Ich weiß, nur besitze ich die Hälfte der Kleidung auf der Liste nicht."
„Komm schon, Gustav, du hast doch immer irgendwelche krassen Klamotten am Start. Du wirst schon was Passendes finden", meinte ich, während ich den Kasten wieder auf den Tisch stellte und versuchte, meine Gedanken von dem ominösen Paket abzulenken.
„Stimmt schon, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtige Outfit für die Partys in Amsterdam habe. Ich meine, was zieht man an, wenn man durch die Stadt zieht und versucht, nicht wie ein totaler Tourist auszusehen?" Er rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf, als hätte er die größte Sorge der Welt.
„Glaub mir, man muss sich nicht verrückt machen. Zieh einfach das an, worin du dich wohlfühlst. Und denk dran: Wenn du den ganzen Tag umherläufst, wird's eh nach einer Stunde total egal sein, wie du aussiehst." Ich musste grinsen, während ich an die vielen Male dachte, wo wir auf Klassenfahrten wie totale Deppen aussahen, nur um die perfekten Instagram-Bilder zu schießen.
„Haha, ja, du hast recht. Aber ich will trotzdem nicht die ganze Zeit in diesen schicken Klamotten, die meine Eltern mir gekauft haben, herumlaufen und wie ein totaler Schnösel herumlaufen", sagte er und grinste, als er mich anstarrte.
„Junge, das solltest du auf keinen Fall machen! Lass die Klamotten mal lieber im Schrank", antwortete ich und lachte. „Aber hey, falls du wirklich ein Problem mit der Kleidung hast, kannst du dir immer von mir was leihen."
„Echt jetzt? Das wäre mega nice!" Er klatschte in die Hände und lehnte sich wieder zurück.
„Kein Ding, Bro."
In diesem Augenblick hörte ich meine Mutter aus der Küche zum Abendessen rufen. Eilig verabschiedete ich mich von Gustav und schaltete meinen Bildschirm aus, bevor ich mich auf den Weg in die Küche machte.
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