9. Kapitel - Eros
Aidos Wahrnehmung von mir als Ungeheuer verletzte mich zutiefst. Zwar sah ich mich nicht als einen rechtschaffenen Helden, doch ihre Einschätzung entsprach auch nicht meinem Wesen. Meine Mission stand in keinerlei Zusammenhang mit den Geschehnissen. Wie konnte sie nur glauben, dass mein Handeln von fleischlichen Begierden getrieben war? Es hatte nichts mit Liebe oder Leidenschaft zu tun.
Vielleicht lag es aber auch an meinem Verhalten ihr gegenüber. Schließlich hatte ich Aidos nicht so behandelt, wie sie es erwartet oder gewohnt war. Doch dies war nicht meine Entscheidung. Zeus zwang mich dazu. Ich versuchte mich zu beherrschen, seinen Forderungen nicht nachzugeben, aber sein Befehl drang immer stärker in mein Bewusstsein. Und der verdorbene Teil in mir wollte ihm gehorchen. Ich war wie sie. Ich war wie diese Männer. Sie hatte doch Recht...
Die vorangegangenen Ereignisse waren von großer Düsternis geprägt. Es überraschte mich nicht mehr, dass die Göttinnen sich in einem endlosen Kreislauf damit befassten. Anscheinend waren Frauen doch widerstandsfähiger als Männer. Oder warum wurden ihnen die schwerwiegendsten Aufgaben zuteil? Sowohl als Sterbliche als auch als Göttinnen. Meine Pflichten hatte ich vernachlässigt. Das würde lediglich zu anhaltenden Liebeskummer führen. Was bedeutete dies schon im Vergleich zum Tod? Nichts!
Liebesangelegenheiten erwiesen sich auf andere Weise als komplex und belastend. Zuweilen musste der Schmerz von immensem Ausmaß sein, um sich der Misshandlung endlich zu entziehen. Manchmal musste man erkennen, dass man wertvoll genug war und Untreue mit Dritten nicht tolerierbar war, da sie sich wiederholen würde. Dennoch zögerten manche Herzen, diese eine Liebe aufzugeben. In solchen Fällen erlaubte ich mir, dieser Sehnsucht erneut nachzugeben.
Ansonsten trennte ich die Verbindungen. Nämlich, wenn das Herz zu nachhaltig verletzt war. Wenn es sich nach mehr sehnte. Wenn es nicht länger für die andere Person schlagen wollte, es aber dennoch tat, weil es keine andere Möglichkeit hatte. In den seltensten Fällen trennte ich Verbindungen trotz unendlicher Liebe. Die Gründe hierfür waren vielfältig und ich bezweifelte, dass sie von jemandem außer mir nachvollzogen werden konnten.
Mein Blick fiel durch das Fenster auf Aidos. Sie verharrte regungslos, und ich stand im Ungewissen, was zu tun war. Wir tranken nicht, wir aßen nicht. Wie konnte ich sie ins Haus locken? Was konnte ich tun, um ihr zu helfen, sich besser zu fühlen? Trotz meiner Ratlosigkeit ruhte meine Hand auf dem Türknauf. Als ich die Tür öffnete, war Aidos schon verschwunden.
Von Unruhe getrieben verließ ich das Gebäude und suchte mit meinen Blicken nach ihr. Doch als ich sie fand, wünschte ich mir, ich hätte es nicht getan. Aidos befand sich im Wasser. Anstatt mich zu entfernen, näherte ich mich ihr unaufhörlich. Und als der Donner grollte, verfluchte ich Zeus. Augenblicklich erkannte ich, dass auch Aidos gerufen worden war. Als sie aus dem Wasser stieg und mich erblickte, konnte ich meine Augen nicht von ihr abwenden.
Ihre feuchten, transparent gewordenen Gewänder umschmeichelten ihren verführerisch gebräunten Körper. Ihre braune Haarpracht, sonst sanft gewellt, wirkte durch das Wasser glatt und fließend, wodurch sie länger erschien. Aidos blaue Augen schimmerten in einer Intensität, die an die Farbe des Wassers erinnerte, in dem sie stand. Doch im Gegensatz zu diesem bedurften sie keines Sonnenlichts, um zu leuchten. Sie strahlten stets, nur sie besaß einen so klaren und durchdringenden Blick. Inbrünstig wünschte ich mir ihre Anerkennung.
Ich schritt auf sie zu und unterbrach ihren Redeversuch. Für Worte hatten wir keine Zeit. Zeus ließ sich nicht mit bloßer Beredsamkeit abspeisen. Es war an der Zeit, meinen Weg fortzusetzen. Meine Hand fand wie von selbst ihren Weg und in dem Moment verselbständigte sich alles, bis sie vor mir kniete und die Worte Perfekt meine Lippen verließen. Benommen ließ ich von ihr ab und reichte ihr stattdessen meine Hand. Staunen erfasste mich, als Aidos sie tatsächlich annahm.
Was war gerade passiert? Ich hatte nicht erwartet, dass sie sich angesichts der Ereignisse und des Drucks so verhalten würde. Allerdings hatte ich auch völlig anders reagiert, als ich es geplant hatte. Dass ich meine Hand an ihren Hals legen und Druck ausüben würde, um sie zu Boden zu zwingen, war nie meine Absicht gewesen. Mein Blick traf den von Aidos, der mich ebenso intensiv musterte wie ich sie.
Aidos' freier Arm legte sich schützend um ihre Brust, als sie den Blick von mir abgewendet hatte und sich selbst musterte. Die Röte auf ihren Wangen und ihrem Hals verriet mir ihr Unbehagen. Ich hätte sie stundenlang so betrachten können. Sie war atemberaubend, aber ich wollte nicht, dass andere sie in ähnlicher Weise bewundern konnten. Verärgert ergriff ich Aidos' Hand und zog sie mit schnellen Schritten hinter mir her.
Im Inneren des Hauses ließ ich sie los. Als ich das Stoffstück erblickte und mich wieder ihr zuwandte, erkannte ich die Härte meines Handelns. Meine Handabdrücke waren deutlich an ihrem Hals und Handgelenk zu sehen. Ein erneuter Donnerschlag unterbrach den Moment und ließ mich über meine Empfindungen grübeln: Erkenntnis, Bedauern oder gar eine perverse Genugtuung?
Ich näherte mich vorsichtig Aidos, die regungslos verharrte, und legte den weißen Stoff über ihre Schultern. Dabei achtete ich darauf, sie nicht erneut zu berühren. Als der Stoff jedoch abzugleiten drohte, griff ich unwillkürlich danach und hielt ihn fest. Mein Herzschlag beschleunigte sich dabei merklich. »Halt ihn doch fest«, entfuhr es mir in einem gereizteren und lauteren Tonfall als beabsichtigt. Kein Wunder, dass Aidos erschrocken zusammenzuckte.
»Danke«, sagte sie dennoch schüchtern. Aidos so zu bekleiden, war gleichermaßen unschuldig wie erfüllend. Mein Innerstes war gesättigt. Als ihre Hand meine suchte, fuhr ich erschrocken zusammen. Dies hatte sie nie zuvor getan. »Wir sollten gehen, bevor er erneut ruft«, sagte sie. Ich nickte, denn meiner Stimme traute ich nicht. Mein Griff um ihre Hand festigte sich und ich drückte sie kurz beruhigend.
»Ich werde sicherstellen, dass alles reibungslos abläuft. Fürchte dich nicht, Aidos.« Ihre Miene verriet nichts von dem, was meine Worte in ihr auslösten, und lähmte mich in meiner Bewegung. Ich hielt sogar den Atem an. »Es ist nicht Furcht, die ich empfinde, Eros. Ich glaube, meine Gefühle sind aufgebraucht, denn ich spüre nichts mehr. Wie merkwürdig; Eben war mir alles zu viel, aber nun...« Ihr Blick traf erneut den meinen.
Zufriedenheit wandelte sich in Unbehagen, denn obwohl Aidos eine tiefgreifende Wirkung auf mich hatte, galt es nicht umgekehrt. Wie töricht von mir sowas überhaupt gehofft zu haben. Mit einem Schritt waren wir am Fuße des Olymps angelangt. Der Aufstieg würde mich vielleicht besänftigen, denn der weitere Verlauf konnte ansonsten nur in einer Katastrophe enden. Eines war jedoch klar. Ich würde Zeus nicht erneut erlauben Aidos zu verletzen.
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Hallo liebe Leser,
was erwartet ihr oder wünscht ihr euch von den nächsten Kapiteln? Habt ihr Fragen, die ich beantworten soll? Dann schreibt sie gerne als Kommentar rein.
LG Patty ❤️
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