Vierzehn - Alles bricht zusammen

Diesen Teil widmen wir twentyfourFranzi, da sie in den letzten Woche so fleißig kommentiert hat. Wir danken dir.
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Heathers Nacken schmerzte, als sie ihre Augen grummelnd öffnete. Sie saß auf einem Holzstuhl und hatte anscheinend geschlafen. Aber wo war sie? Ihr Blick blieb rasch an den großen Fenstern hängen, die ihr eine Aussicht über das Akademie Gelände boten. In mehreren Metern schwebte sie darüber und sie wusste, dass es nur ein einziges Gebäude gab, das hierfür in Frage käme.

Sofort sprang sie auf, wunderte sich kurz, wieso sie nicht gefesselt worden war und sackte gleich darauf zusammen. Ihre Beine trugen ihr Gewicht noch nicht und die Umgebung begann sich in einem bunten Wirbel zu drehen.

»Oh Gott«, hauchte sie auf dem Boden liegend.

Die junge Frau trug noch immer ihr Kleid von der Party, den einen Schuh hatte sie beim Versuch aufzustehen, verloren. Langsam richtete sie sich auf, stützte sich auf die Hände und betrachtete den Raum. Sie war allein, ein Pluspunkt in dieser Situation. Wer hatte sie hierher gebracht und wieso?

Plötzlich öffnete sich die Tür und das Licht der Deckenlampe erhellte das Zimmer. Eine große Gestalt trat ein. Heather erkannte ihn und ihr Herz setzte einige Schläge aus, nur um sich dann zu verkrampfen und gegen ihre Brust zu hämmern. Raphael Freyer baute sich wie ein Berg vor ihr auf, die Hände lässig in den Hosentaschen. Der schwarze Anzug passte zu der Aura, die ihn umgab. Das Mädchen machte sich instinktiv kleiner, auch wenn das beinahe unmöglich war.

»Miss McCarthy«, sagte er ernst und schritt in einer gleichmäßigen Bewegung an ihr vorbei zum Fenster. »Es gibt da einige Dinge, die ich gerne mit Ihnen besprechen möchte.«

Heather schluckte schwer, kletterte jedoch brav auf den Stuhl. Während sie ihre Hände in ihren Schoß legte, lief ihr ein einzelner Schweißtropfen den Rücken hinab und das, obwohl ihr eiskalt war.

»Ich sehe schon«, er wand sich ihr zu. »Ist Ihnen bewusst, worüber wir uns die nächsten Stunden unterhalten könnten?«, sie schüttelte den Kopf. »Wirklich nicht? Und Ihre Kette?«

Eilig griff sie nach dem Perlmutt an ihrem Hals. Er fühlte sie warm an. Dann schaute sie zu dem Mann, der sie eisern beobachtete. Automatisch zog sie die Schultern hoch und drehte sich zur Seite. Ihr Puls überschlug sie fast. Wusste er von den Wächtern?

»Dieser nette, kleine Stein ist etwas Besonderes, nicht wahr?«, er erwartete keine Antwort. »Ihre Reaktion lässt mich annehmen, dass Sie über die Wächter und Reinkarnationen Bescheid wissen. Entspannen Sie sich, unser Gespräch wird einige Zeit in Anspruch nehmen und Sie werden ihre Kräfte noch brauchen.«

Sie wusste in diesem Moment, dass er sehr wahrscheinlich Recht haben würde. Kaum merklich rutschte sie bis an die Lehne des Stuhles heran. Ihre Fingernägel gruben sich in das Holz, dass es schmerzte. An der einen Wand lauerte eine mächtige Wanduhr, deren Zeiger gemächlich über das Ziffernblatt schlichen.

Warum sprach er nicht weiter? Sollte sie etwas sagen und wenn ja, was bitteschön? Ihr wurde immer wärmer, Schweißtropfen schimmerten auf ihrer Stirn und sie konnte nur schwer atmen. Dass Raphael Freyer von den Reinkarnationen wusste, war nur logisch, da sein eigener Sohn dazu gehörte. Aber mit den Wächtern verhielt es sich anders. Zumindest dachte Heather das bis gerade eben.

»Wollen wir beginnen?«

»Ich glaube nicht, dass ich Ihre Fragen beantworten kann«, stammelte sie unsicher. Ihre Stimme wollte sich nicht beruhigen. Alle Glieder zitterten.

»Das wird auch nicht nötig sein. Unsere Aufzeichnungen über die Wächter waren sehr aufschlussreich, das einzig Verwunderliche ist, dass es euch noch immer gibt. Dein Edelstein bedeutet außerdem, dass du einer Hauptfamilie angehörst. Du musst deine Kette nicht länger verstecken. Also?«, sie knirschte mit den Zähnen. Was für Aufzeichnungen und woher hatte er sie? »Statt mir Informationen über dich zu geben, möchte ich dich vielmehr benutzen.«

Er kam auf die Studentin zu, als würde ein Zug an ihr vorbeibrausen. Seine Statur, seine Stimme und die gesamte Erscheinung waren so eindrucksvoll. So unterdrückend. Gerade als er ihre Hand nehmen wollte, stand sie auf und wich ihm geschickt aus. Das hätte sie nicht tun sollen, ermahnte ihre innere Stimme, doch dazu war es nun zu spät. Sie sprintete zur Tür, aber Raphael Freyer drückte diese mit nur einer Hand zu.

»Ich befürchtete, dass Sie nicht kooperieren würden«, stieß er hervor. »Wäre es nicht Schade, wenn ich Ihnen wehtun müsste?«

Eingeschüchtert machte sie ein paar Schritte rückwärts, entfernte sich von der Tür und wartete quasi auf seine nächsten Befehle. Jedes Wort aus seinem Mund ähnelte nicht einmal im Ansatz einer Bitte, obgleich er es so erscheinen lassen wollte.

»Was wollen Sie von mir?«, fragte sie zögernd.

»Die Wächter öffnen die Tore zu den Welten. Was also möchte ich von Ihnen?«

»Aber ich ... Es gibt diese Weltentore tatsächlich?«

Heather überlegte eine Sekunde, doch sie witterte ihre Chance. Wenn dieser Mann von den Toren und Wächtern sprach, wusste er dann etwa Bescheid über einen Standort? Wo eines der Tore sich befand? Sie war ohnehin nicht in der Lage, die Pforte in eine andere Welt zu öffnen, da sie bisher nur zwei der vier dafür notwendigen Steine besaß. Jedoch war sich Freyer darüber nicht im Klaren. Das Wissen über eines der Tore könnte sich hingegen für sie als sehr wertvoll herausstellen.

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch nickte sie schließlich und folgte ihm zum Fahrstuhl. Immer wieder betonte er, dass sie keinem Menschen davon erzählen dürfe. Das Institut und seine Geheimnisse, erwiderte sie in Gedanken. Wer würde ihr so eine Geschichte denn glauben? Und selbst wenn, würde sie die vielen gesicherten Türen niemals passieren können. Jede besaß einen eigenen Code und überall beäugten sie die Kameras. Heather bezweifelte, dass hier je eine Person unbehelligt ein- und ausgehen konnte.

Leise und vor allem lautlos stoppte der Lift in der letzten Etage. Weitere Türen und Flure mit Linoleumboden folgten, bis sie endlich in einem steinernden Gang angekommen waren. Das Mädchen fühlte sich jetzt wirklich orientierungslos. Raphael hätte sie hier aussetzten können und sie hätte nie wieder zurückgefunden. Allerdings wurden ihre Erwartungen an diesen Ausflug nicht enttäuscht. Der Keller des Instituts war direkt mit einem unterirdischen Labyrinth verbunden. Sie liefen nicht lange durch die Gänge, doch es reichte aus, um sie völlig zu überwältigen. Alte Zeichnungen prangten an manchen Stellen der Wände und einmal erblickte sie sogar eine Statue eines ägyptischen Mannes.

Von künstlichem Licht beschienen thronte ein imposantes Tor vor ihnen. Geschätzte Vier Meter breit und an die sechs Meter reichte es in die Höhe. Die Studentin staunte und ging es bedacht ab. An den Rändern erkannte sie Schriften, ganze Geschichten waren hierauf niedergeschrieben worden. Außerdem besaß es zwölf Fassungen, in welche die Wächtersteine perfekt hineinpassen würden. Sie waren mit nicht allzu tiefen Furchen verbunden, die sie eine Erinnerung in ihrem Gedächtnis aufflackern ließen. In dem Tempel in Ägypten hatten Cara und sie ein ähnliches Zeichen an der porösen Wand gefunden. Nein, diese Symboliken ähnelten einander nicht nur, sie waren sogar identisch.

»Und?«, hakte Freyer ungeduldig nach. Er stand am Eingang des Raumes, der keine Tür hatte und beobachtete sie achtsam. »Öffne es.«

»Ich kann nicht«, erwiderte sie nüchtern und mied seinen Blick, der sie dennoch durchbohrte. Kalt lagen seine Augen auf ihrem Körper und eine brennende Wut schlug ihr entgegen. »Ich besitze nicht alle Steine und selbst wenn, würde ich die Tore nicht allein öffnen können.«

»Tse!«, der Mann näherte sich ihr. »Und dieses kleine Detail konnten Sie mir nicht vorher verraten?«

»Ich war mir unsicher, doch die zwölf Löcher haben meine Vermutung bestätigt. Ohne die übrigen Steine bleiben die Pforten verschlossen.«

»Dann besorg sie!«

»Woher? Diese ganze Wächter-Sache ist neu für mich. Bis vor einigen Wochen hätte ich mir die Existenz von alle dem nicht einmal erträumen können.«

»Mädchen«, knurrte er und riss sie an ihrem Kragen in die Höhe. Japsend umfasste sie seine Handgelenke, um nicht zu ersticken. »Du weißt von den Göttern, den Reinkarnationen und den Wächtern. Verkaufe mich nicht für dumm. Egal wer dich aufgeklärt hat, diese Person wird dir auch bei den Steinen helfen können. Ich sage es nochmals, wiederhole mich nur dieses eine Mal: Besorge die Steine, oder die Konsequenzen werden sehr unschön.«

»Sie drohen mir?«, hektisch zappelte sie in seinem Klammergriff. »Sie mögen Macht besitzen, doch das hier ist illegal.«

»Du machst mir keine Angst, dafür habe ich bereits zu viel durchlebt. Wenn dir deine eigene Sicherheit nicht allzu wertvoll ist, wie steht es dann mit der deiner Freundin Cara Jackson?«

Heather schnappte hörbar nach Luft und ihr Magen drehte sich um 180 Grad. Wie konnte dieser Mann nur ein Vater sein, wenn er in diesem Moment eine junge Frau wie sie bedrohte? Was für ein Mensch war dieser Raphael Freyer? Ihre Optionen begrenzten sich, nein sie waren von Beginn an darauf ausgelegt, dass sie seinem Willen folgte. Er würde sie nicht gehen lassen, ehe sie tat, was er wollte. Um jeden erdenklichen Preis.

»Und, wie lautet nun deine Antwort?«, drängte er.

»Fein, ich werde die Steine besorgen«, sie klang keineswegs unterwürfig, obgleich ihr Körper etwas anderes aussagte. »Sie lassen mir schließlich keine Wahl.«

»Das ist richtig. Außerdem wirst du auch die anderen Wächter finden und herbringen müssen. Wenn eine der Hauptfamilien überlebt hat, wird es auch noch andere geben«, er machte eine ausladende Handbewegung und sie lief zur Tür. »Damit wir uns verstehen. Keiner wird jemals von unserem Gespräch erfahren, ansonsten könnte es ein sehr schmerzhaftes Ende für deine Freundin nehmen.«

Noch immer in ihrem Abendkleid verließ die Studentin das Institut. Einzelne bekannte Gesichter drehten sich ihr auf dem Campus zu oder sie tuschelten bereits hinter ihrem Rücken. Wie auf dem silbernen Präsentierteller, dachte sie und versuchte auf schnellstem Wege zu ihrem Zimmer zu gelangen.

Während des Laufens schrieb sie eine SMS an die Nummer, die ihr Nate gegeben hatte. Ihn um Hilfe zu beten, gefiel ihr nicht. Außerdem musste sie den Grund geheim halten, was alles nur noch schlimmer machte. Er würde sie hassen, wüsste er, warum sie von den alten Geschichten der Wächter, seiner Familie erfahren wollte. Die Wächter, ein uraltes Völkchen, das von Bastet erwählt wurde und vor vielen Jahren ausgerottet worden sein sollte. Doch die Realität sah - wie man so schön sagte - anders aus. Und dieses anders bedeutet einzig Schwierigkeiten für Heather und alle anderen Wächterfamilien, die sie gezwungenermaßen mit ihren gemeinsamen Untergang ziehen würde. Was auch immer sich Freyer von den Weltentoren erhoffte, er würde so ziemlich jeden dafür opfern.

Gegen Abend gab ihr Handy einen leisen Pfeifton von sich. Nate hatte ihr geantwortet und stimmte einem Treffen in wenigen Zeilen zu. Allerdings wollte er weder, dass sie zu ihm nach Hause noch er an die Akademie kam. Ein öffentlicher Ort schien ihm mehr Sicherheit zu geben und die Studentin stimmte ihm insgeheim zu. Immerhin würde sie auf der offenen Straße niemand entführen oder bedrohen können. Also verabredeten sie sich für morgen Mittag in einem Cafe in der nächstgelegenen Stadt seines Elternhauses.

Dieser Tag hatte ihre Nerven strapaziert und sie bildete sich die ersten grauen Haare ein. Die Müdigkeit sah man ihrem Gesicht sofort an, ein Grund mehr für sie, ihr Zimmer nicht vor morgen zu verlassen. Sie wälzte sich einige Male in ihrem Bett herum, bis der Schlaf sie endlich in die tiefen ihre Gedanken beförderte.

Die Nacht dauerte ewig und die ersten Sonnenstrahlen, die sich durch die Vorhänge zwängten, hellten vielleicht den Raum, aber nicht Heathers Laune auf. Langsam zog sie sich an und packte einen Rucksack. Ihre beiden Wächtersteine würden sie auf der Reise ebenfalls begleiten. Falls es zu einer Reise käme, erinnerte sie sich und legte den Kopf in den Nacken. Dafür musste Nate sie unterstützen. Die Wächterfamilien, zumindest die Hauptfamilien mussten doch über die vielen hundert Jahre in irgendeiner Form miteinender in Kontakt gestanden haben. Eine kleine Spur würde vielleicht ausreichen, um daran entlang weitere zu finden und schließlich zu den Steinen zu gelangen. Obgleich sie diese nicht Freyer überlassen wollte und schon gar keinen anderen Wächter an ihn verraten. Aber wie sollte sie dann ihre Freundin und ihr eigenes Leben schützen?

Mit zittrigen Fingern schob sie ihren Ärmel hoch und betrachtete ihre Uhr. Sechs, las sie davon ab. Nicht ihre bevorzugte Zeit, um aus dem warmen Bett zu steigen und sich in die raue Welt zu stürzen. Doch in ein paar Minuten würde ihr Taxi vorfahren, also keine Zeit für Zweifel. Um ihren Kreislauf anzutreiben, entschied sie sich, vorher einen Kaffee aus der Mensa mitzunehmen. Das Koffein würde ihr sicher gut tun und um diese Uhrzeit schliefen die meisten Studenten auch noch.

Stille. Dunkelheit. All das umgab Cara. Es war noch früh am Morgen, die Sonne würde bald aufgehen. Dunkle Erinnerungen an Bastets Leben hatten sie um den Schlaf gebracht. So leise wie möglich stand sie von ihrem Bett auf, schnappte sich ihre Kleidung und verschwand im Bad. Sie wollte ihre Mitbewohnerinnen nicht wecken. Die Dusche wäre zu laut, aus diesem Grund machte sie eine kurze Katzenwäsche und zog sich dann an.

Wie lange würde es noch so weitergehen? Fast jede Nacht träumte sie von den Erinnerungen der Katzengöttin. Wann wusste sie endlich alles? Zu ihrem Glück waren die Prüfungen nun endlich vorbei und sie konnte sich etwas erholen von dem Unistress. Natürlich machte sie sich große Sorgen, dass sie die Klausuren nicht bestehen würde, wen würde es auch wundern. Bei allem was vorgefallen war, konnte ihr niemand Vorwürfe machen, dass sie zu wenig gelernt habe. Leider gab es keine Befreiung von den Prüfungen, welche besagte, dass man Sonderrechte hatte, wenn eine ägyptische Gottheit von einem Besitz ergriffen hat. Irgendwie war das leicht unfair, dennoch hoffte Cara doch das Beste.

Leise schlich sie sich in das Zimmer, immer noch darauf bedacht niemanden zu wecken. In den nächsten Tagen würde sie für einige Zeit das Zimmer für sich haben. Susan, Ingrid und Anna wollten während den Semesterferien ihre Familien und Freunde besuchen. Doch sie Selber würde hier zurück bleiben. Von ihren Eltern hatte sie noch nichts gehört, ob sie zu ihnen kommen sollte. Wahrscheinlich waren sie wieder irgendwo in der Wüste, unerreichbar für irgendwelche Funksignale. Nicht mal über das Satellitentelefon waren sie zu erreichen. Doch wenigstens blieb sie die ganze Zeit über nicht alleine. Linus hatte fest versprochen diese Stadt vorerst nicht zu verlassen, damit sie sich Öfters treffen können. Auf dem Ball hatten sie viel Spaß mit einander gehabt. Irgendwie hatte sie es geschafft Linus in den Saal zu bekommen. Sie vermutete, dass die Aufpasser ein Auge zu gedrückt hatten, außerdem waren viele andere Gäste von Außerhalb anwesend gewesen. Einige Musikstücke hatten sie miteinander getanzt, auch wenn Linus was Walzer und andere traditionelle Tänze anging, zwei linke Füße hatte. Man konnte eher behaupten, dass sie nur leicht hin und her geschaukelt waren. Doch ein leicht mulmiges Gefühl hatte sie den ganzen Abend über begleitet. Cara wusste, was Linus für sie empfand, dies hatte er ganz deutlich klar gemacht, aber sie selber hatte über ihre eigenen Gefühle noch keine Gewissheit. Sie mochte den jungen Mann mit den Dreadlocks und das sogar sehr, jedoch ging Jade ihr nicht aus dem Kopf. Immer wieder waren seine Blicke auf ihr gewesen, aus allen Ecken beobachtete er sie, während die hochnäsige Bianca an seinem Arm hin. Ein wenig enttäuscht war sie gewesen, da er sie nicht ein einziges Mal zum Tanz aufgefordert hatte. Mit Bianca an der Seite wunderte sie dies auch nicht, niemals hätte sie zugelassen, dass ihr Verlobter mit einer anderen tanzen würde. Insgeheim hatte sie es sich dennoch gewünscht.

Cara schlüpfte in ihre warmen Winterboots und zog sich ihre Jacke an. Schnellen Schrittes durchquerte sie die Gänge des Wohnheimes und entglitt in die Eiseskälte des anbrechenden Morgens. Es lag kein Schnee mehr, obwohl das Gelände noch in weiß getränkt war. Frost bedeckte den Boden. Die Stipendiatin musste aufpassen, wohin sie lief, die gepflasterten Wege waren sehr rutschig, sie hatte keine große Lust hinzufallen. Ein tiefer Atemzug brachte sie zum Husten, die Luft brannte in ihrer Kehle durch die Kälte. Obwohl sie eine dicke Jacke trug, fror sie. Eilig lief sie zu dem gegenüberliegenden Gebäudekomplex hinüber.

Ein Schwall warmer Luft kam ihr entgegen, als sie durch den Eingang der Mensa trat. Der Saal war fast leer, kein Wunder zu dieser frühen Morgenstunde. nur ein paar vereinzelte Frühaufsteher bedienten sich schon reichlich am Frühstück. Cara ging zu dem Buffet und holte sich ein Brötchen und Jogurt. Dazu schenkte sie sich noch einen heißen Früchtetee ein und schaute sich dann um wo sie sich hinsetzten konnte. Ihre Miene hellte sich sogleich auf, als sie Heather an einem Tisch am Fenster erblickte.

»Guten Morgen, Heather«, sagte sie freundlich, während sie sich ihrer Freundin gegenüber setzte. »Auch schon so früh wach?«

Die blonde Studentin schien in tiefen Gedanken verharrt gewesen sein, denn sie schreckte auf als sie Cara bemerkte. Aber sie lächelte nicht, irgendetwas schien sie zu bedrücken. Die Stipendiatin traute sich nicht zu fragen.

»Habe schlecht geschlafen. Was ist mit dir?«

»Ebenfalls. Träume von Bastet haben mich geweckt.« Cara nahm einen Bissen von ihrem Brötchen. Sie hoffte das Heather von sich aus sagen würde, was in ihr vorging, denn diese schaute schon wieder bedrückt aus dem Fenster. »Wie war der Ball?«, fragte sie schließlich, da ihre Freundin keine Anstalten machte mit ihr zu reden.

»Ganz gut«, murmelte Heather nur. Irgendetwas machte ihr zu schaffen. Nur was? Sie müsste doch wissen, dass sie mit ihr über alles sprechen kann. Mit Sicherheit war etwas passiert, nachdem Cara sich mit Linus getroffen hatte.

Behutsam wollte sie mehr erfahren. »Ist auf dem Fest etwas vorgefallen? Ich sehe doch das dich etwas bedrückt.«

Heather sah sie an, direkt in die Augen. Die Stipendiatin merkte, dass sie zögerte und überlegte ihr die Wahrheit zu sagen. In gegen ihrer Hoffnung stand die blonde Studentin auf, nahm ihr Tablett und schaute betroffen zu Boden. »Tut mir leid, doch ich muss jetzt los. Ich wollte in den Ferien etwas herumreisen, um den Kopf frei zu bekommen. Sehen uns dann im nächsten Semester, Cara!«

»Aber ...« Betrübt guckte sie Heather hinterher, die soeben die Mensa verließ. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Was war nur mit ihrer Freundin los?

Cara beendete ihr Frühstück und trat widerwillig in die Kälte. Noch immer schwirrten so viele Fragen in ihrem Kopf rum. Fragen über Heather. Über Jade. Über Linus. Und natürlich Bastet. An einer Bank blieb sie stehen und verharrte. Hier haben Jade und sie zum ersten Mal ein richtiges Gespräch geführt. Die Erinnerung an den Abend des Weihnachtsballes war schön, auch an das Date kurze Zeit später. Diese Momente waren noch nicht einmal zwei Monate her und schon hatte sich alles verändert. Ihr Leben stand förmlich auf dem Kopf. Wie gerne würde sie den Menschen helfen, die ihr am Herzen lagen. Besonders Heather und Jade. Cara hatte Angst, dass sie den adligen Studenten verlieren würde. Sie wollte nicht, dass Seth den Kampf gewinnt. Alles was sie wollte, war den alten Jade zurück. Den Liebevollen, der ihr die Halskette geschenkt hatte, welche sie trug. Aber wie konnte sie ihn zurückholen?

Plötzlich streifte etwas an ihren Beinen entlang und ein Schnurren erfüllte die Winterluft.

»Chione, meine Kleine. Dich habe ich ja schon seit Tagen nicht mehr gesehen. Wo hast du dich herum getrieben?«

»Hier und da«, sagte eine helle, zarte Stimme.

Die Stipendiatin wich zurück. Entsprach es den der Möglichkeit? Nein, das konnte einfach nicht sein. Sie hatte es sich einfach nur eingebildet. In letzter Zeit waren einfach viel zu viele merkwürdige Dinge geschehen. Da passiert es schon einmal, dass der Kopf einem einen Streich spielt.

Die goldenen Katzenaugen blickten zu ihr auf und das Kätzchen stand erwartungsvoll vor ihr. »Nimm mich auf den Arm! Meine Pfoten frieren!«

»Chione? Wie ist das möglich? Du kannst auf einmal sprechen!«

»Wie? Du verstehst mich?« Verwirrung stand in dem Katzengesicht geschrieben, so wie vermutlich auch in ihrem Gesicht. »Das liegt vielleicht daran, dass deine Präsenz jetzt anders ist. Du wirkst stärker als sonst.«

»Das muss wohl an Bastet liegen«, sagte die junge Frau nachdenklich. »Ich habe sie akzeptiert und nun ist sie ein Teil von mir. Quasi bin ich zu der neuen Bastet geworden.«

»Deswegen verstehen wir uns nun. Du bist die erhabene Katzengöttin. Schon immer habe ich gespürt, dass in dir etwas Großes steckt. Vielleicht habe ich deswegen deine Nähe gesucht.«

Cara nahm Chione nun auf ihre Arme und die kleine Katze schmiegte sich an ihre Brust. Gemeinsam gingen sie in Richtung Wohnheim. Vor der Tür ließ sie die kleine Schwarze runter, welche in dem nahe gelegenen Busch verschwand. Sie wollte sobald sie Luft rein ist ins Zimmer kommen.

Die Stipendiatin betrat den Eingangsbereich und blieb verwundert stehen. Die marmorierte Halle war voll von Studenten. Viele von ihnen hatten große Koffer und Taschen bei sich. Es war ein ähnliches Bild wie von dem Tag ihrer Ankunft. Doch anders als damals unterhielten sich die kleinen, zusammenstehenden Grüppchen nicht untereinander. Die Aufmerksamkeit der Anwesenden hatte sich gen Treppe gerichtet. Auf dem Treppenabsatz standen zwei Personen, die gerade eine Scene zum Besten gaben. Die platinblonde Frau hing an dem Arm des Studenten mit den karamelblonden Haaren. Sie klammerte sich fest und wollte ihn einfach nicht gehen lassen. Es sah so aus, als ob sie sich stritten, doch er wollte einfach nur noch weg von ihr.

»Wieso? Wieso tust du mir das an? Ich tue doch alles, um dir zu gefallen«, schrie sie so laut, dass es alle mit bekamen.

»Ich. Will. Dich. Nicht!«, zischte Jade. »Ich habe keinerlei Interesse an dir. Ich will eine andere!«

»WAS MACHT SIE NUR SO BESONDERS?«

»Das verstehst du nicht.« Er befreite seinen Arm aus ihrer Umklammerung und lief die Treppe weiter hinunter. Seine Miene war dunkel, doch nur für Caras Augen, da sie Seth' Blick kannte. Ihn scherte es nicht, dass die ganze Halle voller Leute stand, die seine Auseinandersetzung mit Bianca verfolgt hatten. Er ging stumpf an ihnen vorbei und würdigte sie keines Blickes. Nur einen Augenblick blieb er stehen, nahe dem Eingang und warf einen Blick auf Cara.

Hunger. Das war es, was die Studentin in seinen Augen las. Hunger und Begierde. Doch es war nicht Jade, der sich nach ihr sehnte, sondern Seth der Bastet wollte. Sie vermisste den liebevollen Blick aus den hell grünen Augen, welche nun schwarz aufblitzten. Keinen Zentimeter bewegte Cara sich, sie wartete und hielt die Luft an, bis Jade das Gebäude verlassen hatte.

Immer mehr hatte sie das Gefühl, dass er ihr entglitt. War überhaupt noch etwas von seinem alten Ich anwesend oder hatte sein altägyptisches Ego schon alles in Besitz genommen? Es war wie eine Umarmung, während sich der geliebte Mensch so langsam in Luft auflöste und aus dieser Welt verschwand.

Ein verärgertes und verzweifeltes Gesicht schob sich in ihr Blickfeld. In den braunen Augen zeichnete sich ein Anflug von Tränen ab. Obwohl Cara kein besonders großer Fan von Bianca LeBelle war, tat sie ihr trotzdem leid. Die Blondine schien sehr verletzt zu sein und die Stipendiatin musste sich eingestehen, dass es sie nicht hätte schlimmer treffen können. Schließlich war sie vor versammelter Mannschaft abserviert worden. Wäre sie an ihrer Stelle gewesen, so wäre sie im Boden versunken.

»Du ...«, brachte Bianca mit knirschenden Zähnen heraus. »Alles ... alles machst du mir kaputt. Wärst du nicht hier, wäre alles so verlaufen, wie es hätte sein sollen.«

Cara schluckte. Die Blicke der anderen Studenten hatten sich nun auf sie gerichtet. Jetzt war das eingetreten, was sie eigentlich hätte vermeiden wollen: sie stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wo war nun das Loch, in dem sie verschwinden konnte?

»Ich ... ich«, stotterte sie, als wollte ihr kein anderes Wort über die Lippen kommen. Was sollte sie nur sagen? Nichts schien ihr richtig zu sein. Es war das erste Mal, dass sie in eine solche Situation geriet. Heather hätte schon längst etwas gesagt und diese bedrückende Stille durchbrochen.

»Mein Leben war perfekt, bis du aufgetaucht bist. Ich wollte die Zeit hier genießen, mit meiner besten Freundin so viel Zeit wie möglich verbringen und Jade näher kommen, damit aus der gewünschten Verbindung etwas Echtes wird. Doch du hast dich überall dazwischen gedrängt!«

Die sonst so oberflächliche Blondine zeigte das erste Mal vor Cara echte Gefühle. Die Studentin vor ihr hatte ein wahrhaft gebrochenes Herz. Immerzu hatte sie gedacht, dass keinerlei Gefühle zwischen Jade und Bianca waren, dass es nur eine abgesprochene Sache der Eltern war. Aber die Blondine schien Liebe für den jungen Adligen zu empfinden, die nicht auf Gegenseitigkeit beruhte.

»Es hätte alles perfekt sein sollen.« Diese Worte wiederholte Bianca immer und immer wieder. Es schien endlos weiter zu gehen, doch Cara konnte darauf nichts erwidern.

Plötzlich klang die Stimme der blonden Studentin leicht verändert. Leute, die mit dem Ungewöhnlichen nichts zu tun hatten, würde es niemals auffallen. Jedoch hatte die Stipendiatin viel Merkwürdiges erlebt und achtete nun auf jede Kleinigkeit. »Immer bist es du, Bast...!«

Bianca brach zusammen und Cara versuchte sie aufzufangen, damit sie nicht zu hart auf dem Boden aufknallte. Hilfesuchend schaute sie sich um. Einige Studenten kamen auf sie zu gerannt, um die Bewusstlose zu begutachten, andere wiederum liefen los um Hilfe zu holen. Ein Professor oder ein anderer Angestellter musste doch wohl in der Nähe sein.

»Das ist bestimmt der Stress«, flüsterte eine Studentin hinter Cara. Ihre Freundin stimmte ihr sogleich zu.

Die Stipendiatin hoffte sehr, dass es nur am Stress lag, doch sie hatte eine andere Vermutung, welche sie sehr beunruhigte. Wenn sie damit recht behalten sollte, so waren ihre Probleme in diesem Augenblick nur noch größer geworden.

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