Neunzehn (2) - Der Anfang vom Ende
Heather knibbelte an der aufgeriebenen Seite eines alten Buches herum, das sie in einem von Milans Regalen gefunden hatte. Dabei überlegte sie, wer sich wohl über ihre Untat an dem geschriebenen Werk beschweren würde. Immerhin tat sie dem armen Buch damit nichts Gutes und es konnte nichts für ihre Situation. Eingesperrt in Milans Wohnung irgendwo im Nirgendwo. Damit sie hier in Sicherheit vergammeln konnten, während Freyer plante, die Welt ins Chaos zu stürzen und die ägyptischen Gottheiten ein für alle Mal zurückzuholen. Linus und Nate, die sich seit ihrer Ankunft anschwiegen, waren auch keine fröhliche Gesellschaft.
»Was ist passiert?«, erkundigte sie sich schließlich und überwand ihr Zögern. Sie müssten ohnehin die nächsten Tage, vielleicht sogar Wochen in diesen vier Wänden verbringen, da konnten sie wenigstens miteinander reden. Ansonsten würde sie vor Langeweile bald Selbstgespräche führen. Außerdem wusste sie, was Nate, Linus und Cara widerfahren war. »Jungs?«, hakte sie energischer nach, als sie keine Reaktion bekam. »Was ist los?«
»Nichts«, entgegnete Nate, von dem sie kurze Antworten gewohnt war, aber irgendwas stimmte nicht. Sein Tonfall klang anders, als gehöre er nicht zu ihm. Er bemerkte ihr skeptisches Starren und fügte hinzu: »Es ist wirklich nichts. Mach dir keine Gedanken.«
Sie schlug die Beine übereinander und lehnte sich ein Stück nach vorne. Die Drei saßen am niedrigen Wohnzimmertisch, jeder in einem großen Sessel. Nate blinzelte nervös, während sie ihn musterte und Linus schaute in die andere Richtung, zu den beiden deckenhohen Fenstern, die den Blick auf den privaten Innenhof freigaben.
Die Studentin richtete sich seufzend auf und marschierte an ihren Zellenkollegen vorbei, um sich ein Glas Wasser zu holen. In Milans Wohnung gab es zwar alles, was das Herz begehrte, aber sie wurde nicht warm mit den Räumen. Alles wirkte so sauber und steril, als würde hier keine Menschenseele leben. Am liebsten hätte sie ein wenig Unordnung gemacht, einfach um sich wohler zu fühlen, doch das war weder Milan, noch den anderen gegenüber fair. Also musste sie in diesem blitzeblanken Knast, wie sie die Wohnung in Gedanken nannte, für die nächste Zeit leben.
Zurück bei den anderen Beiden, setzte sie sich nicht auf ihren Sessel, sondern auf die Lehne von Nates, der daraufhin zurückschreckte. Die junge Frau neigte fragend den Kopf und beäugte ihn aus dem Augenwinkel. Er verhielt sich ganz und gar nicht wie er selbst.
»Was ist denn los?«, fragte sie erneut. Dieses Mal mit mehr Nachdruck und berührte ihn an linken Arm, den er sofort wegzog. Dabei verzog er das Gesicht beinahe schmerzerfüllt. »Also mal ehrlich, warum seid ihr so komisch? Ich bin nicht diejenige, vor der ihr euch fürchten solltet.«
»Du hörst auch nicht auf nachzuhaken«, merkte er an. »Na gut, dann kann ich es dir auch sagen. Wir-.«
»Nicht!«, unterbrach ihn Linus fast panisch und sprang auf. »Wir müssen sie nicht auch noch damit belasten. Es reicht, dass Cara ...«
»Was ist mit Cara?!«, Heathers Stimme erklang voller Sorge und Wut darüber, dass die beiden Männer es ihr verheimlichten. Den Mord und den Kampf, in den sie verwickelt waren. Selbst Cara hatte gezögert, ihr dann aber alles erzählt, was in der Kirche geschehen war. Sie musste sich sicher sein, dass die anderen Wächter ihr ebenso vertrauten, wie Cara es tat. »Ich hänge sowieso schon viel zu tief mit drin. Wenn ihr mir nicht erzählt, was passiert ist, dann werde ich wirklich wütend!«
Nate lachte trocken, machte ihr dann aber bereitwillig Platz und berichtete ihr von dem Kampf mit der Wächterjägerin. Und davon, wie er diese erschossen hatte. Die ganze Zeit über spielte Linus mit seinen Rasterlocken, die ihm über die Schultern hingen, drehte sie zwischen den Fingern und hörte dennoch aufmerksam zu. Heather war unsicher, was Linus wirklich darüber dachte und wie er mit dieser Last, die sie nun alle gemeinsam trugen, umgehen würde. Von allen aus ihrer Gruppe kannte sie ihn am wenigsten. Dafür schenkte ihm Cara sehr viel Vertrauen, also konnte er nicht allzu schlecht sein.
»So, nun kennst du die ganze Geschichte«, endete Nate, vergrub sein Gesicht in den Händen und lehnte sich erschöpft zurück. Dabei blinzelte er zwischen den Fingern hindurch und verzog den Mund. »Deine Reaktion mach mir Angst«, er beugte sich wieder vor und legte seine Hand auf Heathers Stirn. »Solltest du nicht zumindest irgendeine Emotion zeigen? Immerhin habe ich ... haben wir ein Leben auf dem Gewissen.«
»Ich wusste es bereits«, gab sie schließlich zu und erntete entsetze Blicke. »Cara hat es mir erzählt und sie ist immer noch ziemlich fertig. Mir würde es nicht anders gehen, aber ihr hättet es ihr ersparen sollen.«
»Sicherlich, doch wir hatten keine Zeit und sie fühlte sich bereits schuldig. Sie ist beinahe durchgedreht, nachdem die Jägerin mit dem Kopf aufgeschlagen und regungslos liegen geblieben ist«, erklärte er weiter.
»Und du hast ihr etwas von der Last genommen?«, Heather rutschte näher an ihn heran, denn Nate begann zu zittern. »Entschuldige, dass ich diese Wunde wieder aufreißen musste, obwohl sie noch nicht einmal verheilt war.«
»Schon gut, du hast verdient es zu erfahren«, erwiderte er und zwang sich zum Lächeln.
»Genau. Wir sitzen hier alle zusammen fest und sind nur gemeinsam stark«, fügte Linus hinzu und sah zu ihnen herüber. Unter seinem rechten Auge glitzerte eine Träne. »Wenn Cara etwas geschehen wäre ... keine Ahnung, was ich dann getan hätte. Wahrscheinlich jeden dieser verdammten Jäger ermordet. Und diese Verrückten aus dem Institut gleich mit.«
Heather versuchte etwas an dem modernen Herd, der eindeutig viel zu viele Knöpfe und aufleuchtende Flächen besaß, für die drei zu kochen. Währenddessen räumten die Jungs auf und rückten die Möbel zurecht, sodass sie um einen Tisch herum sitzen konnten. Denn Milan wohnte hier allein, besaß anscheinend auch keine zusammenpassenden Stühle und Tische. Dafür war sein Kühlschrank aber reichlich mit frischen Zutaten gefüllt, vermutlich nur für seinen eingesperrten Besuch.
Bevor Heather das Gemüse anbrennen konnte, griff Linus ein und stellte den Herd herunter. Er half ihr auch bei den Nudeln und beim Fleisch. Jeder nahm sich einen Teller, stapelte das fertige Essen darauf und setzte sich an den gedeckten Tisch. Sie redeten nur ab und zu. Keiner wusste so recht, was sie in Zukunft erwarten würde. Weder wegen des Mordes, noch was Milans Vater noch plante.
Als Nate das dreckige Geschirr wegräumte, zog Heather sich in eines der Gästezimmer zurück. Ihr Bauch war zwar gefüllt, aber die innere Leere schien immer noch vorhanden. Ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe und vor allem kamen sie zu keinem Ergebnis. Egal welche Szenarien sie in ihrem Kopf durchspiele, keines ergab eine Lösung, mit der alle hätten leben können. Milans Vater umzubringen, konnte sie ausschließen. Obgleich sie ihn nicht mochte, brauchte Milan ihn. Er war seine einzige Familie, wenn auch nicht freundlich und führsorglich, aber dieser Mann war alles, was Milan noch geblieben war. Dennoch durften sie diesen Mann nicht einfach so frei herumlaufen lassen. Die Welt war und wäre dann nie sicher.
Im Flur knallte eine Tür so laut zu, dass Heather aufschrie und ohne weiter darüber nachzudenken in aus dem Gästezimmer stürmte. Zu ihrer Überraschung stand dort kein Einbrecher, Wächterjäger oder feindliche Reinkarnation eines ägyptischen Gottes, sondern Milan. Völlig außer Atem wischte er sich über die feuchte Stirn und schritt auf sie zu, wobei er den Blick auf einen weiteren Gast freigab.
»Jade?«, hörte sich die junge Frau selbst sagen und schluckte trocken. »Was macht ihr hier und ... wieso seid ihr ... gerannt? Sollten wir abhauen?«
»Nein, nein«, versuchte Milan sie zu beruhigen, doch seine zittrige Stimme ließ Schlimmes erahnen. »Hinter uns ist keiner her, aber mein Vater hat Cara.«
»Was?!«, Heather war sofort hellwach und die Panik zog sich kribbelnd von ihren Zehenspitzen bis hinauf in ihre Hände. »Wir müssen ihr helfen!«
»Warte, einen Moment«, redete Milan auf sie ein, während auch die anderen beiden Wächter dazukamen. »Wir können nicht einfach ins Institut gehen und sie befreien. Jedenfalls kannst du das nicht, es sei denn, du willst ihr in der Gefangenschaft Gesellschaft leisten.«
»Aber Raphael Freyer wird sie ... er könnte sonst etwas mit ihr anstellen«, drängte sie weiter.
»Und sollte mein Vater dich oder einen der anderen Wächter in die Finger bekommen, wird er das Tor öffnen. Deshalb hat er sich Cara geschnappt«, erklärte Milan ruhig und schaute zu Jade, um ihn zum Sprechen aufzufordern.
Dieser reagierte schnell: »Wir waren nicht vorsichtig genug. Ich habe sie nur einen Moment aus den Augen gelassen und dann-.«
»Du hast was?!«, unterbrach ihn Linus und hätte Nate ihn nicht zurückgehalten, wäre er vielleicht auf den anderen losgegangen. Er tauschte einige vielsagende Blicke mit Nate aus und grummelte etwas vor sich hin.
»Wir sollen Cara also dem Institut überlassen?«, hakte Heather wütend nach, weil sie das Wie wenig interessierte. Sie wollte nur eine Lösung für die Entführung ihrer Freundin.
»Nein, aber wir haben keine Möglichkeit, an sie heranzukommen«, erwiderte Milan. »Nicht, ohne dass wir uns selbst in Gefahr bringen.«
»Und wir dürfen alle nicht vergessen, dass ein Wächter ausreichen könnte, das Tor zu öffnen. Was wiederum bedeutet, dass die Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr lange existieren würde«, bekräftigte Nate nun auch noch Milans hoffnungslos erscheinende Antwort.
Milan hielt die Studentin, die gerade drauf und dran war, ins Freie zu rennen, auf. Als sie sich wehrte, schlang er die Arme um sie und presste sie fest an sich. Ein Wimmern erklang, dann entspannte sie sich, sodass er sie wieder loslassen konnte. Selbst ihr abweisender und völlig verzweifelter Blick konnte niemanden in der Runde umstimmen. Nicht einmal Jade, der Cara doch liebte. Allerdings hatte sich Milan, der den anderen ins Wohnzimmer folgte, was Heather betraf zu früh in Sicherheit gewogen. Kaum war er außer Sichtweite, drehte sie um und öffnete die Haustür.
Die im Treppenhaus nachschallenden Rufe konnten sie nicht mehr stoppen. Es musste einen Weg geben, Cara zu helfen, auch wenn sie ihre Freundin nicht befreien könnte. Vielleicht würde sich Freyer auf einen Deal einlassen oder wer weiß, was sie machen könnte. Alles schien besser, als sich in der Wohnung einzusperren und abzuwarten. Auf Caras Kosten.
Der kalte Wind erinnerte Heather daran, wie sie vor einer gefühlten Ewigkeit in ihrer Heimatstadt immer am Kanal entlang joggte. Ihr Körper schien dieses Gefühl ebenfalls nicht vergessen zu haben und so konnte sie ihre Verfolger, die es ja nur gut mit ihr meinten, rasch abhängen. Bis auf Nate, der ihr bis kurz vorm Rande eines Waldes dicht auf den Fersen geblieben war. Nun, wo sie eine Verschnaufpause benötigte und angehalten hatte, konnte sie ihn nicht mehr sehen. Dafür, dass sie geradezu ziellos vor ihren Freunden geflohen war, musste sie sich neu orientieren. Aber wo wollte sie überhaupt hin? Durch den Haupteingang des Instituts zu poltern, war keine sonderlich gute Idee, das wusste sie selbst. Also musste sie den Hintereingang nutzen. Einen Hintereingang beziehungsweise einen geheimen, unterirdisch verlaufenden Eingang kannten sie bereits. Unter der Kirche, die nun in ihren verkohlten Ruinen nicht allzu weit entfernt stand, verliefen Tunnel bis hin zum Institut.
Ein Weg war gefunden, fragte sich nur, wie es von da aus weitergehen würde. Allerdings interessierte Heather diese Überlegung momentan nicht sonderlich und ihre Füße hatten sich wie von selbst in Bewegung gesetzt. Sie joggte locker am Wald entlang und folgte dann einer etwas verkommenden Straße, die zur Kirche führte. Zumindest wenn sie den Schildern glauben konnte.
Tatsächlich kam sie an ihrem Ziel an. Schwarze Querbalken und Rus bedeckte Dachziegel lagen auf einem großen, zusammengestürzten Haufen mitten auf der freien Fläche. Absperrband flatterte im seichten Wind, doch von Feuerwehr und Polizei fehlte jede Spur. Rasch kletterte sie über die Absperrung und wühlte im Dreck, versuchte Indizien für einen Eingang zu finden. Ihre Finger vergruben sich im feuchten Matsch, rissen an den verkohlten Holzbalken auf und brachen an den Ziegeln des ehemaligen Daches ab. Hinter ihr vernahm sie Stimmen, die sie zuordnen konnte und nur wenige Sekunden später riss sie jemand von den Trümmern.
»Heather!«, brüllte ihr Milan atemlos ins Ohr. »Bist du jetzt völlig verrückt geworden?«
»Vielleicht!«, schrie sie ihm entgegen und zappelte in seinen Armen. »Wir müssen da runter«, wimmerte sie dann weiter. »Und ins Institut und Cara befreien ...«
»Heather, die Diskussion hatten wir doch bereits«, mischte sich nun Nate ein und stellte sich vor die junge Frau, die immer noch festgehalten wurde. »Wir können nichts tun und das weißt du auch. Also mach es uns alle nicht schwerer als es ohnehin schon ist.«
»Außerdem würde Cara nicht wollen, dass wir unsere Leben und die der gesamten Menschheit für sie aufs Spiel setzen«, ergänzte Linus, dem seine eigenen Worte zu schmerzen schienen.
Die Studentin atmete tief durch und auch wenn sie sich nicht mehr gegen die anderen wehrte, hielten Milan und Nate sie weiterhin fest. Sie wusste, dass Cara keinen von ihnen in Gefahr bringen wollte. Schon gar nicht, um sie zu retten und trotzdem konnte Heather dieses Argument nicht gelten lassen. Vielleicht war es ihr verquirltes Gehirn oder ihre Denkweise, die nicht so funktionierte, wie bei normalen Menschen, aber sie musste ihrer Freundin helfen. Komme, was da wolle.
Die Jungs, die sie fest in ihrem Griff hatten, bedeuteten jedoch, dass sie sich weder bewegen, noch lauthals gegen sie anschreien konnte. Was außerdem, wenn sie es aus einem anderen Blickwinkel betrachtete, keinem weiterhelfen würde. Also ließ sie sich fallen. In Milans Arme, welche sie stützten und sachte auf den rußigen Boden absetzten. Er strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht, doch sie konnte seinem besorgten Blick nicht standhalten. Sie hatten alle Angst um Cara, einander und die Zukunft der Welt.
»Verdammt!«, schimpfte Linus plötzlich und trat einige Geröllteile zur Seite. »Wir können sie nicht einfach bei diesem Irren lassen«, er sah zu Milan, dessen Gesicht Heather nicht sehen konnte. Allerdings spürte sie, wie Milan bei Linus' Worten zusammengezuckt war. »Sorry, aber es ist nun mal so ... können wir denn wirklich nichts tun?«
»Wir könnten für Unruhe sorgen«, wand Jade ein, der bis eben völlig in den Schatten der zertrümmerten Kirche geblieben war. »Nur ein wenig. Eine Störung und Raphael Freyers Aufmerksamkeit könnte auf uns gelenkt werden.«
Jade bückte sich und hob ohne Hilfe einen ehemaligen Stützbalken hoch. Dabei fielen einzelne Ziegel und Dachplatten herunter, wirbelten den rauchigen Staub auf und ließen den jungen Mann kurzzeitig verschwinden. Als sich der Staub lichtete, deutete er auf das tiefschwarze Loch, das zu seinen Füßen offen lag. Heather war die Erste, die sich in Bewegung setzte, obwohl Milan sie weiterhin an der Hand festhielt. Sie nahm ihn einfach mit und schaute nur flüchtig in das schier endlose Schwarz, bevor sie hinabklettern wollte.
»Moment!«, Milan riss sie zurück, dass sie aufschrie. »Wir können da nicht einfach so runter. Wer weiß, was da auf uns wart-.«
»Ein paar Treppen«, unterbrach ihn Jade forsch. »Nicht viel mehr«, er zog sein Handy aus der Tasche und ließ damit einen kleinen Lichtkegel erscheinen. »Wo wir schon mal hier sind, können wir für die hilfreiche Unruhe sorgen. Nur ein bisschen Lärm machen, oder mal sehen, was sich da unten finden lässt. Seid ihr nicht neugierig?«
»Ehrlich gesagt nein«, antwortete Nate blitzschnell und trat an Jade heran. Dieser schreckte nicht zurück, räumte dem anderen aber etwas Platz ein. »Das ist zu riskant und was für eine Unruhe sollen wir da unten bitte erzeugen? Einen Erdrutsch? Gute Idee. Da werden die Leute vom Institut bestimmt gleich herangeeilt kommen, um aufzuräumen. Habt ihr euch mal die Kirche angesehen? Das Schlachtfeld, auf dem wir stehen? Keiner kümmert sich um irgendeine Unruhe. So verrückt dieser Freyer sein mag, dumm ist er bestimmt nicht und er wird sich nicht von solchen Kleinigkeiten ablenken lassen.«
Die aufkommende Stille nutze Heather, um sich von Milan loszureißen. Dieser keuchte verwundert auf und haschte nach ihrem Arm, verfehlte diesen jedoch und Heather hechtete zum Rande des Loches. Mit den Füßen voran ließ sie sich den unebenen Schlund hinab rutschen. Sie hörte die anderen rufen. Hörte sie fluchen, aber ihr Körper bewegte sich wie von allein. Die Dunkelheit umhüllte sie und schon bald hatte sie keine Ahnung, wo sie sich befand. Nachdem sie am Boden angekommen war, suchte sie ihr Handy, hatte es aber in Milans Wohnung vergessen. Sie erschauderte, spürte eine Präsenz hinter sich und kreischte auf, als eine Hand ihre Schulter berührte.
»Ganz ruhig«, es war Jades Stimme. »Hätte nicht gedacht, dass gerade du so draufgängerisch bist.«
»Nein«, widersprach sie ihm. »Ich will nur wissen, was hier vor sich geht und ob wir eine Chance haben, Cara zu helfen, auch wenn wir vielleicht nur etwas Zeit schinden.«
»Oder wir gehen zum Tor und zerstören es«, schlug er nüchtern vor und seien Augen funkelten im weißen Licht seines Handys. »Na? Das wäre doch eine Unruhe, für die sich das Risiko, erwischt zu werden, lohnen würde.«
»Das Tor zerstören?«, wiederholte sie unschlüssig. »Das geht so einfach?«
»Einfach nicht, aber es sollte möglich sein«, er schob sie sachte an eine der Wände, die diesen Gang formten. Einen Gang, der von Menschen erbaut worden war, wie sie feststellte und im selben Augenblick die Treppe entdeckte. »Was meinst du? Wenn wir uns beeilen, sind wir vor deinem Beschützer dort. Ich habe ihnen gesagt, dass ich dich einholen würde, weil ich noch einen zweiten Ein- und Ausgang kenne und sie warten sollten. Allerdings würde Milan es sicher nicht gut heißen, wenn ich dich zum Tor bringe. Dorthin, wo sich ein Wächter nicht allein hinwagen sollte. Also wird er uns wohl in wenigen Sekunden nachkommen«, er lachte bitter, wahrscheinlich weil auch ihm die Situation nahe ging. »Und? Wie entscheidest du dich?«
Ja, Milan würde ihr den Kopf abreißen, wenn sie mit Jade ging. Aber dieser machte sich sicher auch Sorgen um Cara, immerhin liebte er sie doch. Milan und Jade waren sich nicht unähnlich. Sie beide beschützten die Frau, die ihnen die Welt bedeutete. Heathers Herz zog sich zusammen bei dem Gedanken, ihren Freund zu hintergehen. Seinen Wunsch, sie in Sicherheit, in seiner Wohnung zu wissen, zu ignorieren und sich stattdessen auf so eine heikle Sache einzulassen. Aber sie wäre nicht allein. Jade wäre bei ihr und der Rest der Gruppe würde sicher nachkommen, sobald ihnen auffiel, dass Heather verschwunden war. Sie blickte zurück. Das Loch war kaum zu erkennen. Nur ein kleiner Lichtfleck, der keinen Meter des Tunnels, den sie herabgerutscht war, beleuchtete.
»Fein«, gab sie von sich und fühlte neben der brodelnden Hoffnung, Cara zu helfen noch etwas anderes. Etwas Kaltes in ihrer Brust. Sie fasste sich an die Stelle, wo ihr Herz schlug und straffte ihre Schultern. »Los geht's?«
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top