Gleichgewicht - Vierzehn - Alles scheint verloren

Cara hatte die Flucht aus dem Palast kaum mitbekommen. Milan hatte sie so lange im Arm getragen, bis sie jenseits der Mauer waren. Sanft setzte er sie im leicht feuchten Gras ab. Dennoch hörte man das laute Geschrei der Sethets aus dem Inneren. Sie waren auf der Suche nach ihnen. Und soweit sie es hörte, waren sie dazu befugt jeden Einzelnen, den sie aufgriffen, zu töten. Hoffentlich hatten es alle nach draußen geschafft. Nein – mindestens einer hatte es nicht geschafft. Wie viele waren wohl noch zurückgeblieben?

Die Göttin schaute nicht auf, beobachtete nur, wie ihre Tränen auf die einzelnen Stängel tropften.

»Was ist passiert?« Amara hockte sich neben sie.

»Hektor ist tot!«, sagte Thore. Seine Stimme war belegt und strotze nur vor Wut und Trauer. »Und sie ist schuld!«

Amara japste aus. »Was?«

Cara hob ich brennendes Gesicht und starrte ihren Ankläger direkt an.

»Das stimmt nicht«, ergriff Heather Partei und stellte sich schützend vor sie. »Diese andere Göttin war es.«

Aber ihre Freundin lag falsch. Sie war schuld an seinem Tod. Wäre sie nicht gewesen, hätte sie gekämpft wie die anderen auch, dann hätte Hektor sie nicht schützen müssen. Sie wollte kein Leben nehmen, dennoch war sie für seinen Tod verantwortlich, auch wenn sie nicht den tödlichen Stoß versetzt hatte. Ihr galt der Angriff und es hätte nicht ihr Leben gekostet. Sie wäre mit einer schweren Verletzung davon gekommen, die bald wieder verheilt wäre.

»Sie ist eine verdammte Göttin. Sie wäre an der Verletzung nicht gestorben.« Da war es. Thore sprach genau das aus, was sie dachte.

»Schuldzuweisungen bringen uns gerade nicht weiter. Wir sind noch viel zu nahe am Palast. Sobald wir ein Versteck haben, könnt ihr weiterdebattieren«, warf Milan ein.

Thore schnaubte, sah aber dann ein, dass es besser war, weiterzuziehen. Er rief die Truppe aus dem Untergrund zu sich. Es waren jetzt seine Leute. Er war der neue Anführer. Hektors einstige Rechte Hand.

Nur Amara bleib abseits stehen, sie sah zurück zu dem Gebäude und Cara erkannte in ihren aufblitzenden Augen, dass sie gerade eine Entscheidung getroffen hatte. »Ich gehe zurück«, sagte die junge Wächterin.

»Nein, Amara. Das ist zu gefährlich. Die Sethets sind alarmiert und suchen uns jetzt alles ab«, versuchte Cara sie zurückzuhalten.

»Aber Carlos ist noch irgendwo da drin. Ich will ihn endlich sehen. Und das ist jetzt meine Chance. Ich weiß jetzt wie ich rein und raus komme. Vielleicht schaffe ich es, ihn da rauszuholen.«

Sie verstand die Frau nur zu gut. Nur bestand das Gefängnis ihres Geliebten aus Mauern und Gittern und das von ihrem aus Fleisch und Blut. Die Chance Carlos zu retten war größer als Jade. »Geh bitte kein allzu großes Risiko ein. Wenn du entdeckt wirst, flieh alleine und wir kommen gemeinsam noch einmal zurück, um ihn zu befreien.«

Amara viel ihr um den Hals. »Danke, Bastet!« Sie sprang auf und rannte zurück zum Palastareal.

Cara schaute ihr hinterher und wünschte ihr still viel Glück.

Milan führte sie weiter gen Norden, der Abend war eingebrochen und Müdigkeit machte sich unter den Leuten breit. Keiner sagte ein Wort, die ganze Gruppe schwieg vor Trauer. Nur das leichte Zirpen der Grillen war in der Dämmerung zu vernehmen.

Heather lief neben ihr und bei der der Göttin liefen still Tränen die Wange runter. Heather drückte ihre Hand, sie glaubte immer noch an ihre Unschuld und dafür war sie ihr dankbar.

Von einem Wald umschlossenen und von überwucherten Feldern flankiert fanden sie einen alten Bauernhof. Von dem Wohnhaus stand nur noch vereinzelt Mauerreste und gab den ungefähren Grundriss preis. Aber eine alte Scheune stand noch, das Dach zerfallen, aber durch rankende Pflanzen war es durch das Blätterdach trocken und schützend. Der Boden war frei und an den Stellen, wo Gras gewachsen war, waren die Gräser platt gelegen. Größere Tiere mussten diesen Ort als Unterschlupf nutzen, aber für heute brauchten sie ihn.

Cara ließ sich an einer mit Moos bewachsenen Mauer zu Boden sinken. Sie stellte ihre Beine auf und legte ihre Stirn an die Knie. Alles war verloren. Die Wächtersteine – ihr Kind. Hektors Leben – ihr Freund. Der Kampf – ihre Hoffnung.

Ein ohrenbetäubendes, schmetterndes Geräusch ließ sie aufschrecken. Thore hatte mit der Faust gegen ein morsches Überbleibsel eines Holzbalken geschlagen. Die Splitter verteilten sich auf dem Boden und von dem Gebilde blieb nur noch ein Stumpf über.

»Beruhige dich!«, fuhr Milan ihn etwas zu harsch an.

»Wegen eures verfluchten Plans ist unser Anführer jetzt tot. Mein Freund und Mentor. Ihr Götter macht nichts als Schwierigkeiten. Meine Leute und ich gehen. Jetzt!«

Cara sprang auf die Beine und schnellte zu ihm. »Ihr könnt jetzt nicht gehen!«

»Warum nicht?«

»Dann wäre Hektors Tod umsonst gewesen. Und willst du, dass dein Sohn in einer solchen Welt aufwächst? Wenn nicht für Hektor, dann für ihn.«

Thore schnaubte. »Soll ich auch noch mein Leben für euch opfern, damit mein Sohn ohne Vater aufwächst? Er ist zwar auch eine Reinkarnation, aber ich werde dafür sorgen, dass er nie euren Einfluss abbekommt.« Dabei schaute er der Reihe nach jede anwesende Gottheit und Reinkarnation an. Warnend, ihm nicht zu nahe zu kommen.

Viele seiner Leute, die erschöpft am Boden saßen, aber die Unterhaltung aufmerksam verfolgten, nickten zustimmend.

Die Lage sah nicht gut aus, die Gruppe war noch geteilter als vorher. Wenn sie sich nun auseinander bewegen würden, dann wäre wirklich alles verloren. Doch Cara wusste nicht, was sie tun sollte, um sie zusammen zu halten. Nur durch Hektor hatten sie sich vereinigen können. Und Thores Argumente machten Sinn. Sie konnte nicht garantieren, dass noch jemand fiel.

»Wir sollten uns jetzt erst einmal alle Ruhe bewahren«, griff Heather ein. »Es war ein anstrengender Tag. Wir müssen diese Kämpfe und die Niederlage verarbeiten. Morgen sehen wir dann weiter.«

Thore wandte sich ab und suchte sich eine Ecke. Er setzte sich, lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust. Er und seine Leute würden heute nicht mehr aufbrechen, das verschaffte ihnen noch Zeit, sie zum Bleiben zu überzeugen. Dies erleichterte die Göttin ein wenig.

Cara verließ die Scheune und setzte sich etwas abseits am Rand des Waldes an einen Baum. Sie zog die Beine an und legte ihr Kinn auf die Knie. Mit leerem Blick schaute sie zwischen den Bäumen hindurch. Wie gerne hätte sie geschrien und geweint, doch die Tränen war versiegt und sie war zu erschöpft, um nur noch ein Wort von sich zu geben. Wie war es nur so weit gekommen? Warum war alles nur so schiefgelaufen? Nun standen sie wieder am Anfang. Ohne Plan und Perspektive. Sie sah keinen Weg mehr Seth aufzuhalten. Alles war verloren.

Sanft steiften zwei Katzen um ihre Beine. Iseret und eine schneeweiße Katze namens Cora. Cara kraulte Iserets Kopf, über die Zeichnung und an den Ohren. Die Katze schmuste sich in ihre Hand und stupste sie immer wieder an, damit sie ja nicht aufhörte. Eine willkommene Ablenkung. Es beruhigte die Göttin und ließ sie für einen Augenblick ihre Sorgen vergessen. Das wohlige Schnurren der Katzen ließ sie in einen leichten Dämmerzustand verfallen. Sie lehnte den Kopf nach hinten gegen den Baumstamm, sodass die leichte Brise um ihre Nase tanzte. Im Geäst huschten Nagetiere hin und her, Cara vermutete Eichhörnchen. Das leichte Schuhuhen einer Eule durchbrach die stille Nacht und irgendwo am Boden wanderten dem Klang nach zu schließen Rehe umher. So friedvoll, dass Cara sich nach dem Leben dort in der Wildnis sehnte. Weg von dem Kampf und dem Leid. Wie angenehm wäre das Leben unter den Katzen, einfach von einem Ort zum anderen streifen, ohne sich um die Konflikte der Menschen und Götter zu kümmern. Aber ihr war auch bewusst, dass sie sich nicht vor der Verantwortung drücken konnte, die ihr auferlegt war. Denn sie hatte zu allem beigetragen. Zum Versiegeln der göttlichen Seelen im Alten Ägypten, der Befreiung derselben und zum Tod ihrer Freunde und Mitstreiter. Egal ob sie wollte oder nicht, sie musste helfen, alles zu beenden.

Schritte näherten sich ihr und Cara wand ihren Blick zur Scheune. Die blau-grauen Augen erkannte sie sofort, so voller Sorge, Mitleid und auch Mitgefühl. Heather ließ sich ebenfalls an dem Baumstamm fallen. Zuerst schwieg sie, betrachte den sternenklaren Himmel und streichelte über Coras Rücken. Die Katze genoss die Aufmerksamkeit der Frau und sprang ihr auf den Schoß, um sich an sie anzuschmiegen. Ein kleines, sanftes Lächeln umspielte Heathers Lippen. Doch dann warf sie Cara einen direkten Blick zu, der die Göttin erschaudern ließ. Heathers Hand näherte sich ihrer und ihre Finger legten sich leicht auf Caras Handrücken. »Du bist nicht schuld!«

Diese eindringlichen Worte ließ Cara zusammenzucken. Sie entzog Heather ihre Hand und presste beide zu Fäusten geballt gegen ihre Brust. Alles in ihr krampfte sich zusammen und ihre Brust fühlte sich erdrückend an, als ob etwas Schweres auf ihr lag. Und dann flossen die Tränen. Erst leicht. Zaghaft. Dann wie ein nie endender Strom. Cara spürte die Wärme von Heathers Armen. Eine tröstliche Wärme, die sie seit hunderten Jahren nicht mehr gespürt hatte. So viele unterdrückte Gefühle stiegen empor. Verlust, Wut und Einsamkeit. Heather war die Einzige, bei der sie sich so öffnen konnte.

Die Niederlage lastete schwer auf ihren, aber vor allem auf Caras Schultern. Heather hielt ihre Freundin im Arm, streichelte ihren Rücken und erstickte das Schluchzen, das dem zierlich wirkenden Körper entsprang. Wie oft hatte sich Cara – oder ihre Göttin Bastet – es sich wohl erlaubt in all den Jahren, Schwäche zu zeigen? All das Leid und die Verluste sickerten aus ihr heraus, nachdem sie Hektor verloren hatten.

»Alles wird gut«, flüsterte Heather, auch wenn sie selbst ein großes Stück ihrer Hoffnung im Palast des Feindes zurückgelassen hatte. Seths Macht und seine Grausamkeit kannte sie, aber er schien sich über die vergangenen Jahrhunderte gesteigert zu haben. »Wir können nicht aufgeben, okay?«

Cara schwieg. Weinte weiter.

»Hör mir zu, bitte.« Sie schob ihre Freundin von sich und schaute in die goldenen Augen. »Alles ist verflucht schiefgelaufen, ja. Aber wir müssen weitermachen. Ein verlorener Kampf besiegelt doch nicht unser Ende. Du bist eine Göttin, also hast du all die Kraft, die es braucht, um einen Gott wie Seth zu besiegen.«

»Heather, du hast es doch gesehen. Seth und seine Anhänger, sie haben uns besiegt und ... Menschen sind meinetwegen gestorben.«

»Ich habe Hektor nicht lange gekannt, doch ich bin mir sicher, er würde nicht wollen, dass du sein Opfer beweinst. Er würde wollen, dass wir uns für einen neuen Angriff wappnen.«

Cara schüttelte langsam den Kopf. »Seine Leute haben ihr Vertrauen in mich ... in uns verloren. Sie geben mir die Schuld. Zurecht.«

»Nein!« Heather packte die Schultern der Göttin und riss sie vom Baumstamm auf. Die beiden Katzen in ihrer Nähe sprangen auf und machten einen Buckel. »Wenn ich eines gelernt habe, dann dass niemand wirklich erfolgreich aus einem Krieg herausgeht. Menschen sterben. Schlechte Menschen. Gute Menschen. Hektors Leute wussten, dass es Verluste und Tote geben wird, aber sie haben gekämpft. Für uns, für sich und für eine bessere Welt.« Stoßweise atmete sie ein und aus. Ihr Herz schlug ihr bis zum Gaumen, doch sie würde ihre Freundin nicht aufgeben. Sie würde diese Truppe nicht aufgeben, nur weil sie einmal verloren hatten. »Gib ihnen Zeit, um ihre Toten zu betrauern. Nimm dir Zeit, um Hektors Opfer zu ehren, aber bitte komm danach zu mir zurück. Ohne dich haben wir keine Chance, für eine bessere Zukunft zu kämpfen.«

Zaghaft hob Cara ihren Kopf, wischte sich die Tränen von der Wange und nickte, ehe sie sich wieder auf dem Stamm niederließ. Ihr Gesicht barg sie in ihren Händen und die rot getigerte Katze kletterte auf ihren Schoß. Die Weiße schmiegte sich an Heathers Beine und trat auf ihren Fuß.

»Mach dir über das Vertrauen und ihren Mut keine Gedanken, darum kümmern Milan und ich uns!«, entschied sie und stemmte die Hände in die Seite. »Mit etwas Zeit und den richtigen Worten, werden sie schon wieder aufstehen.«

Zeit, die sie nicht hatten, dachte Heather und schluckte schwer. Seth hatte die Wächtersteine zerstört und ihr schöner Plan war damit vernichtet. Ohne die Wächtersteine konnten die Wächter die Weltentore nicht öffnen – mal davon abgesehen, dass ihnen ohnehin ein Wächter dafür fehlte und Amara vielleicht noch zu schwach für eine solche Aktion war.

Heather wollte sich gerade wieder zu Cara setzen, da rollte ein Tumult vom Rande des Bauernhofs. Milan und ein paar Männer patrouillierten die Gegend, um den Rest vor nahenden Sethets zu warnen. Anscheinend zahlte sich ihre Vorsicht aus. Oder auch nicht, denn der Grund für den Aufruhr war kein Feind – zumindest sah der Junge, der in Milans Griff baumelte, nicht sonderlich gefährlich aus.

»Wer ist das und was machst du mit ihm?«, erkundigte sich Heather und lief auf ihren Freund zu.

Er verzog das Gesicht. »Den Knirps haben wir im Wald aufgesammelt. Er plappert etwas davon, dass jemand ihn zu sich gerufen hätte.«

Der Junge wand sich aus Milans Griff und stolperte zu Heather. Sie trat zurück und musterte ihn eilig. Obwohl er recht schmächtig wirkte, wich er Milan einige Male erfolgreich aus und verkniff sich offensichtlich ein Lachen. Er war ein aufgeweckter Junge, klare Augen und schnelle Reflexe.

»Du kleiner ... Komm her!« Milan erwischte seinen Arm und riss ihn zu sich. »Als hätten wir die Nerven, hier nach jemandem zu rufen, während wir auf der Flucht sind.«

»Lass mich los, Horus!«, rief der Junge, schlug aber nicht um sich, sondern blieb ruhig in Milans Armen hängen. »Erkennst du mich denn nicht?«

»Sollte ich?«, hakte Milan nach und setzte ihn ab. Dieses Mal rannte er nicht zu der jungen Frau. »Sag schon, wer bist du und was hast du hier verloren?«

»Ich bin Re und ihr habt mich gerufen.«

Mit seiner Antwort stand Cara auf einmal direkt neben Heather und rieb sich die geröteten Augen. »Re?«, wollte sie wissen und ihre Freundin teilte die Verwirrung. Das Misstrauen. »Das kann nicht sein.«

»Technisch gesehen, bin ich nicht der Re, sondern seine Reinkarnation.« Der Junge machte seinen Schritt auf die beiden Frauen zu.

»Wie alt bist du?« Milan packte ihn am Kragen und zerrte ihn wieder zurück. »Elf? Zwölf?«

»Vierzehn!«

»Tse, dann kannst du noch nicht wissen, dass irgendein ägyptischer Gott in dir wohnt. Nehmen wir an, du sagst du Wahrheit.«

»Das tue ich«, unterbrach der Junge, der sich Re nannte, Milan.

»Dann bist du mit vierzehn Jahren gerade alt genug, dass sich deine Kräfte zeigen, dass du ein paar seltsame Träume hast und ...«

»Und ich kenne die Seele meiner Gottheit. Re«, fuhr ihm Re erneut dazwischen. »Deswegen weiß ich auch, dass du Horus bist und riesige Flügel hast. Dass die Frau da drüben Bastet ist und mit den Katzen, die hier herumhuschen sprechen kann. Dass die Frau neben Bastet eine Wächterin der Weltentore ist. Soll ich noch mehr aufzählen?« Er drehte sich Milan zu. »Re hat seine Erinnerungen mit mir geteilt, also weiß ich so Einiges über euch und eure Kräfte. Außerdem habt ihr mich gerufen. Ich habe nur geantwortet und bin gekommen. Weshalb sollte ich kommen?«

Milan schüttelte den Kopf und gab dem Jungen einen Schubs. »Ich gebe es auf. Der Knirps hat einen Knacks. Keine Ahnung, gegen welchen Baum du auf deinem Weg hierher gerannt bist, aber du spinnst.«

Re lachte und krümmte sich vor, atmete hörbar ein und rappelte sich wieder auf. Seine Wangen leuchteten rosig und in seinen Augen schimmerten Freudentränen, während er auf Heather und Cara zuschritt.

Heather musste zugeben, dass der Junge namens Re Leben in ihre trostlose und niedergeschlagene Gruppe brachte. Die Menschen reckten ihre Köpfe und lauschten der kurzen Diskussion über die Identität des Neuankömmlings. So sehr sie diese Frohnatur in ihm bereits jetzt schätze, so fehl am Platz schien sie, bedachte sie die katastrophale Lage, in der sie steckten. Ein aufmüpfigen Jugendlichen konnten sie nicht gebrauchen und schon gar nicht vor Seth schützen. Außerdem benötigten sie alle eine Pause und Schlaf, keine neuen Herausforderungen.

Plötzlich stand der Junge zwischen Cara und Heather. Er streckte die Hand aus und berührte Cara an der Stirn. Wind frischte auf, doch bevor Milan die andere Göttin schützen konnte, blitzte es zwischen Res Finger und Caras Stirn auf. Ein Funke durchzuckte ihren Körper und sie riss die Augen auf. Heather schrie den Namen ihrer Freundin und fing sie auf, als sie fiel. Der Funke erlosch und ihr Blick wanderte zum Scheunendach.

»Cara?« Heather schüttelte die Göttin vorsichtig. Sachte. »Hey, kannst du mich hören?«

»Er ... hat es mir gezeigt«, wisperte sie und schloss die Augen.

»Was hat er dir gezeigt?«

»Erinnerungen. Die Weltentore.« Cara schluckte trocken und hustete. »Er hat mir den Moment gezeigt, als Bastet und Re die Weltentore das erste Mal verschlossen haben.«

»So einen Moment gab es?«

»Viele Gottheiten haben diesen Moment vergessen, weil es ein gefährlicher Moment in ihrem Leben war«, erklärte Re. »Die Weltentore zu schließen und die Gottheiten auf ewig wegzusperren ist allerdings die einzige Möglichkeit, die dieser Welt bleibt, seitdem Seth die Macht an sich gerissen hat.«

»Und das will uns ein Knirps wie du weismachen?«, hakte Milan nach. »Wie sollen wir die Gottheiten wegsperren, wenn Seth die Wächtersteine zerstört hat?« Traurig lachend schlug er Re auf den Rücken. »Wusstest du das etwa nicht? Hat dir Re diese wichtige Information etwa verschwiegen?«

Heather wollte eingreifen und Milans stoppen, jedoch schien sich der Junge nicht unterkriegen zu lassen. Er drückte das Kreuz durch, straffte die Schultern und baute sich vor Milan auf, reichte ihm allerdings nur bis zur Brust.

»Für dieses Problem habe ich auch die passende Lösung!«, verkündete er, wirbelte herum und machte vor Heather Halt. »Du bist mehr als eine Wächterin. Du hast die Duat durchwandert und bist zurückgekehrt.«

»Fass sie nicht an!« Der Wind folgte Milans Befehl und ehe die Böe Re von den Füßen fegen und die Scheune niederreißen konnte, ließ der Junge von ihr ab. »Du bist wirklich verrückt.«

»Ist das denn in dieser Zeit etwas Schlechtes?«

»Den Kopf in den Wolken zu haben und die Realität auszublenden, ist nie etwas Gutes!«, knurrte Milan.

»Doch! Genau das müsst ihr machen, um euren Horizont zu erweitern. Schaut über den Rand dieser Welt. Re und ich haben einen Plan, der die Welt retten könnte, aber ihr müsst mir zuhören.«

»Ich höre dir zu«, erwiderte Cara eilig. Hoffnung flackerte in ihren Augen auf. »Wenn du die Wahrheit sagst und ich glaube dir. Diese Erinnerungen sind keine Magie, sondern die Vergangenheit. Ich weiß es.«

Milan, der mittlerweile neben Heather stand, stöhnte auf, aber er ließ sich überreden, dem Jungen Unterschlupf zu bieten und ihn anzuhören. Cara bot ihm einen Platz an und der Rest folgte.

»Gut, dann sprich«, forderte Milan und blieb stehen, die Arme vor der Brust verschränkt. »Dein Plan sollte gut sein, denn eine weitere Niederlage ertragen diese Menschen wohl nicht.«

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