Ross der Ertrunkenen

Soundtracks: Marcin Przybylowicz - Blood and Wine aus dem The Witcher 3 DLC Blood and Wine OST

https://youtu.be/ACajHb72eV0

The House of the Borsodis aus dem The Witcher 3 DLC Hearts of Stone OST

https://youtu.be/mr3KmDsTRvg

und Go Back Whence You Came aus dem The Witcher 3 DLC Hearts of Stone OST

https://youtu.be/DeaQHdLhoZk

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Das Licht war kaum mehr als ein ferner Stern in der nebligen Dämmerung. Vielleicht das Fenster einer Taverne, eine Kerze auf der Veranda eines Einsiedlerhauses, die Fackel eines anderen Reisenden, eine Laterne der Banshee. Ein Versprechen von Sicherheit. Ein Platz, an dem man sich ausruhen konnte, ein Ort der Ruhe nach dem beschwerlichen Marsch durch die nach Moder und Ertrunkenen stinkende Ebene aus feuchtem Gras, widerlich weichem Moos und den schlammigen Abgründen, die sich dazwischen verbargen.

Neshira wusste, dass es töricht war, dem Licht zu folgen, und sie tat es dennoch. Eine Pfote nach der anderen setzte sie auf den nassen Boden. Bräunliches Wasser lief eisig kalt bis über ihre Knöchel, durchnässte die Stoffbänder, die sie um die Füße gebunden hatte, und ertränkte das Klirren der Glöckchen. Die Luft war frisch und still und zugleich so schwer vor Feuchtigkeit, dass sie eine Schicht aus schmieriger Erde in die Innenseiten von Neshiras Lungen zu legen schien. Wasservögel sangen angstvoll ihre Lieder, das Quaken der Frösche legte sich als bebender Missklang darunter, das Schilf fauchte Warnungen.

Nervös blickte Neshira zurück, dorthin, wo die letzten Strahlen der Sonne in der Kälte der feuchten Nacht ertranken. Rote Streifen krallten sich an den Himmel, gierig griff die dräuende Dunkelheit nach ihnen und mischte sie mit dunklen Violett. Nebel, im Schein des aufgehenden Mondes leicht und filigran wie Spitze, lag wie ein Hexenschleier über dem raschelnden Schilf, dem gewellten, grasbewachsenen Boden, durchbrochen von kleinen Blüten und Wasserpfützen, und legte sich als glänzende Schicht auf Neshiras Fell. Längst tote Baumgerippe stachen mit spitzen Ästen in den Himmel.

Hohe, dunkle Tannen ragten am Rande des Bruchs aus dem fahlweißen Meer, der einzige Ort, an dem man wahrlich sicher vor dem Schatten der Sümpfe war, doch sie wirkten so abweisend, dass das ferne Licht, dort, wo die Dämmerung am dunkelsten war, geradezu einladend schien. Irgendwo hinter dem alten, moosüberzogenen Wald lag der Weiler, von dem sie aufgebrochen war. Seine Bewohner hatten Neshira für wahnsinnig erklärt, als sie ihnen eröffnet hatte, dass ihr Ziel das Moor war. Dort lauerte er, Der du die Ahnungslosen in die Tiefen lockt, mit seinem Versprechen von Wärme und einer Rast nach einem langen, beschwerlichen Marsch. Die Torfstecher am Rand des Moors munkelten von einem schwarzen Ross, das durch das Schilf schlich, mit den Reißzähnen eines Wolfes unter den Lefzen. Er sei ein Dämon, geschaffen aus der versiegenden Hoffnung jener, die den Pfad unter ihren Stiefeln verloren hatte, eine Verlockung der erschöpften Reisenden, bevor der Sumpf sie in seine feuchten Tiefen zerrte.

Fest hielt sie den Blick auf das ferne Licht gerichtet. Sie würde es nie erreichen, dessen war sie sich bewusst. Anghiske würde sie finden, ehe sie ihn fand.

Etwas brach unter Neshiras Pfote, so laut, dass sie zusammenschrak. Die Vögel und Frösche verstummten, als hätte das Geräusch sie getötet, alle auf einen Schlag. Weiße Knochen übersäten den Weg vor ihr, blank und verschmiert mit Morast. Ein Schädel, die Augenhöhlen zur Hälfte versunken in schwarzen Wasser, blickte ihr flehend entgegen.

Hektisch sah sie sich um. Nebelverhangene Dunkelheit erstreckte sich in alle Richtungen. Die Sonne war nunmehr ein wasserblauer Schein am Horizont. Der Dunst wurde immer stärker, immer dichter, ein Leichentuch, eigens für sie gewoben. Angestrengt lauschte sie, nach dem Plätschern von Wasser, dem Schnauben eines Pferdes, das Knurren eines Raubtiers, doch es war still, bis auf ihren eigenen rauen Atem. Sie spürte ihren Puls bis in ihre Ohren, ein schneller, dumpfer Schlag nach dem anderen, eine ferne Trommel über dem Rasseln ihrer Atemzüge. Ihre Knie zitterten.

Im Stillen schalt sie sich für ihre Schreckhaftigkeit. Sie hatte bereits zwei Vetteln getötet. Die Macht des König Schellen lebte in ihr. Sie war eine Shinaru, gesegnet und stets begleitet von dem Einäugigen, der die Wahrheit sieht. Es war unter ihrer Würde, sich von etwas so Gewöhnlichen wie brechenden Knochen erschrecken zu lassen. Hunderte Dämonen waren bereits unter ihren Waffen gefallen. Diesen musste sie nicht einmal töten, nur binden.

Mit rasendem Herzen strich sie über das Totem an ihrem Gürtel, ein Pentagramm aus Schilfzweigen. Sie hatte einen Zweig mit Winterbeeren daran gebunden. Naturgeister hassten die Pflanze, und das Wasserpferd war nichts anderes. Neshira kannte jene Wesen. Dämonen waren sie, niedrige Götter, heimsuchend und gierig, voll des Grauens, aus dem sie geboren worden waren.

Neben dem Totem hing, sorgfältig aufgeschossen, ein Bündel rote Schnur mit weißen Perlen und goldenen Glöckchen, gesegnet mit der Magie des Königs. Kein Dämon, nicht einmal die Banshee, war in der Lage, das Seil zu zerreißen. Sie wusste, was der Fluch des Sumpfes vermochte, und sie würde ihn für ihre Zwecke nutzen.

Zitternd streckte sie die Hand nach der Spitze ihres Speers aus. Goldenes Licht erstrahlte um das geschwungene Metall, doch der Nebel dämpfte es zu dem müden Glimmen eines verlöschenden Feuers. Tief atmete Neshira durch, bis sich ihr Herzschlag beruhigte. Der König würde sie beschützen. Sie würde es mit einem Wassergeist aufnehmen können. Dann sah sie auf, dorthin, wo sie das ferne Licht gesehen hatte.

Doch es war fort. Nur dunstige Schwärze. Irgendwo in der Finsternis plätscherte Wasser. Angestrengt blickte sie in den Nebel, doch nichts rührte sich. Nicht einmal die Tannen waren mehr zu erkennen unter den weißen Schleiern. Es war, als hielt der Sumpf selbst den Atem an. Unter ihrer Haut gefror der Tau zu Raureif. Jedes Haar in ihrem Fell stellte sich auf. Sie wollte rufen, ihre Furchtlosigkeit dem Dämon entgegenschreien, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Der Schaft ihres Speers war glitschig in ihren schweißnassen Händen. Vorsichtig machte sie einen Schritt nach vorn. Knochen wölbten sich unter ihrer Pfote, und sie zog sie hastig zurück.

Wasser gluckste leise, und das Geräusch jagte ihr mehr Angst ein als jedes Wort in der verderbten Sprache der Hexen. Sie würde es mit einem Gott aufnehmen müssen, einem, in dessen Königreich sie stand. Schilf, Wasser, Morast, alles wartete nur darauf, sie zu verschlingen wie all die Menschen, die versucht hatten, den Schatten der Sümpfe zu besiegen. Fahrig tastete sie nach dem Amulett um ihren Hals und flüsterte ein Gebet in die Nacht. Es klang schrecklich verzagt. Das Schilf hauchte von Verachtung.

Ein Schemen riss sie von den Beinen und schmetterte sie auf den matschigen Boden, dann das Geräusch von spritzendem Wasser. Flink rollte Neshira sich ab und sprang wieder auf die Beine, den Speer bereit. Feuchtigkeit kroch durch ihre Kleidung. Angestrengt blickte sie sich um, doch niemand zeigte sich. Der Tümpel, neben dem sie zuvor noch gestanden hatte, war aufgewühlt. Luftblasen stiegen an die Oberfläche. Neshira hob den Speer und zielte.

Hinter ihr knackte das Schilf. Sie hatte kaum einen Moment, um zu ihm herumzuwirbeln. Strähnen schwarzer Haare peitschten ihr ins Gesicht, das heisere Schnauben eines Pferdes, dumpfe Hufschläge auf weichem Boden. Der Gestank nach Wasserleichen breitete sich aus. Etwas traf sie mit voller Wucht an den Rippen und schleuderte sie in ein Schilfdickicht.

Neshira schnappte nach Luft. Der Schmerz ihrer gebrochenen Knochen ließ ihr Ausatmen zu einem Wimmern verschwimmen. Hastig trieb sie heilende Magie in ihren Körper, und das Stechen verblasste zu einem dumpfen Pochen. Sie erhob sich von Neuem und sah sich nach dem Geist um.

Er schnellte aus dem wispernden Schilf, als hätte es ihn erschaffen. Zähne schlossen sich eisern um ihre rechte Schulter. Beinahe hätte sie den Speer fallengelassen. Ein schwarzes Auge blickte ihr zwischen Strähnen einer verlotterten Mähne und fauligen Wasserpflanzen entgegen, so voller Hass, dass es Neshira den Atem nahm. Mit der freien Hand zog sie eins ihrer Wurfmesser und rammte es ihm bis zum Heft in den Hals.

Fauchend bäumte Anghiske sich auf und schleuderte sie mit einer schnellen Kopfbewegung von sich. Einen Wimpernschlag lang flog sie, dann umschloss sie die eisige Schwärze und Schwere von schlammigem Wasser. Heftig stieß sie sich nach oben, dorthin, wo sie den Schein des wolkenverhangenen Mondes erahnte. Sie rang nach Luft und schlug die Finger in den Morast, der den Teich umgab. Ihr Speer war fort.

Etwas traf sie mit der Wucht eines fallenden Felsbrockens und drückte sie wieder hinunter. Ihre Knochen barsten unter dem puren Gewicht des Rosses. Das Knacken hallte in ihren Ohren wider. Ihr Schrei klang dumpf unter Wasser, Luftblasen tanzten an die Oberfläche. Dicht vor ihrer Stirn schnappten Anghiskes Kiefer zu, die Zähne lang wie ihr kleiner Finger. Hufe lagen auf ihrer Brust und drückten sie tiefer in die Finsternis. Ihre Lungen verlangten nach Sauerstoff.

Neshira trieb die heilende Energie ihres Gottes in ihre Glieder, und der Schmerz verklang. Mit einer Hand zog sie eines ihrer Messer und stieß es Anghiske seitlich zwischen die Kiefer.

Sie spürte sein Knurren bis in ihre Eingeweide. Sein Huf, kaum abgefangen von der Dichte des Wassers, schmetterte auf ihre Brust nieder, doch sie bannte den Schmerz aus ihrem Körper, bis er eine rote Wolke am Rande ihres Geistes war. Hastig wirkte sie einen Atemzauber, und die nach Seewasser stinkende Luft war ihre Erlösung.

Wieder und wieder schnappte Anghiskes nach ihr, das Knirschen seiner Zähne gegen das Messer drehte ihr schier den Magen um. Seine Bisse rissen tiefe Wunden in ihr Fell. Sie musste an die Oberfläche, wieder auf festem Boden kämpfen. So war er ihr auch dort überlegen, so wollte sie nicht erleben, was er wirklich unter Wasser vermochte.

Neshira zog die nächste Klinge und stieß sie in sein Bein, ein ums andere Mal. Das Gewicht seines Hufs auf ihrer Brust wich. Sie meinte, die Schwaden des Dämonenbluts zu spüren, eine kalte, zähe Flüssigkeit. Er knurrte dunkel und wollte nach ihr beißen, doch sie stach mit dem Messer nach seiner Schnauze. Der Wassergeist zuckte zurück, und Neshira sah ihre Chance. Heftig schlug sie mit den Beinen, auf das Glänzen des Mondes zu.

Krachend schlossen sich seine Kiefer um ihren Knöchel und rissen sie erneut hinab. Neshira suchte nach Halt, doch der weiche Boden des Ufers glitt nutzlos an ihren Fingern vorbei. Mit einem wütenden Aufschrei rammte sie ihm die Klinge in den Hals, zwischen seine zu knotigen Hörnern verwachsenen Halswirbeln.

Anghiske senkte den Kopf, ohne den Halt um ihren Fuß zu lockern. Die Hörner schrammten an Neshiras Bauch vorbei und schlitzten tiefe Risse in ihr Fell. Das Wasser brannte in den Wunden. Sie nahm die Schnüre vom Gürtel, duckte sich zusammen, bis sie gleichauf mit seinem Kopf war, und trat mit dem freien Fuß gegen den Griff des Messers in seinem Kiefer.

Dumpf splitterten seine Zähne, der Druck um ihren Knöchel ließ nach. Flink zog sie ihn aus seinen Kiefern, schob die Schnur zwischen seine Fänge und wickelte die roten Leinen um seinen Kopf.

Anghiske erstarrte für einen Moment. Ein Zittern durchlief seinen Körper. Neshira sah seine Augen aufblitzen, ein Funken voller Zorn in einer Wolke aus schwarzer Mähne, der Banshee so ähnlich. Er knurrte tief, dann schlug er mit den Hufen und schnellte an die Wasseroberfläche.

Klatschend kamen seine Hufe auf dem morastigen Boden auf, tänzelnd entfernte er sich von dem Teich, doch Neshira hielt die Schnüre eisern fest. Die Glöckchen schellten leise. Anghiske knurrte tief und schnappte nach ihr. Sie schlug seinen Kopf heftig beiseite, Zähne flogen.

Anghiske fauchte tief, bäumte sich auf und schmetterte ihr die Hufe in die Brust. Erneut fiel sie, der Schmerz explodierte in ihrer Brust. Schwarze Flecken tanzten vor ihren Augen. Benommen murmelte sie einen Heilzauber und blickte dem Wassergeist entgegen.

Mit heftigen Schritten trat Anghiske auf sie zu, die nassen Schnüre klebten an seinem Fell. Seine eng angelegten Ohren waren kaum zu erkennen unter seiner Mähne. Sein Gestank nach Wasserleichen schlug ihr mit seinem Zorn entgegen. Wütend warf er mit dem Kopf, um die Bänder abzuwerfen, doch mit jeder Bewegung verstrickte er sich mehr. Bereits jetzt wickelten sie sich um seinen Hals, seine Vorderbeine, hingen zwischen seinen Hörnern und durchkreuzten sein Gesicht.

Neshira sprang auf die Pfoten, warf sich an den zuschnappenden Kiefern des Dämons vorbei und schwang sich auf seinen Rücken. Sein Geruch nach Ertrunkenen und fauligen Wasserpflanzen nahm ihr den Atem. Anghiske riss den Kopf hoch, und Neshira wickelte sich hastig die Schnüre um die Hände. Die Perlen drückten gegen ihre Knöchel.

Anghiskes Hinterhand duckte sich zusammen, für einen Moment tänzelte er auf der Stelle, dann stürmte er los, schneller als jedes Pferd, das Neshira zuvor geritten war. Morast stob unter seinen Hufen auf, Wasser spritzte, Schilf peitschte an Neshiras Beinen vorbei. Schlitternd kam er zum Stehen, riss den Kopf herum und versuchte nach Neshiras Beinen zu beißen. Sie rammte ihm die Hacken in die Seiten, ließ ihm einen Fingerbreit der Zügel, und er galoppierte aus dem Stand heraus an. Der eisige Wind brannte in Neshiras Gesicht, ließ das Wasser in ihrem Fell schier gefrieren. Anghiske bäumte sich auf, bockte, trat nach allen Seiten, doch Neshira presste die Schenkel zusammen, drückte sich an den Hals des Wassergeistes und umklammerte eins der kurzen Hörner, zusammen mit einer Handvoll Mähne. Die rauen Haare scheuerten ihr die Knöchel wund.

Wie von Sinnen tobte der Dämon unter ihr, sein Knurren drehte ihr schier den Magen um. Bei jedem Sprung spürte sie seinen unbändigen Zorn, seine Kraft, den Willen, sich gegen ihre Herrschaft zu wehren. Immer wieder drohte sie, von seinem Rücken zu fallen, doch sie lockerte ihren Griff nicht. Er warf sich in die Teiche, schien sie ertränken zu wollen, doch nun hatte Neshira einen Weg, ihn zu lenken. Mit aller Macht riss sie die roten Schnüre herum, bis er wieder an die Oberfläche brach. Nicht mal einen Moment, um nach Luft zu schnappen, ließ er ihr, ehe er erneut über den aufgeworfenen Boden preschte.

Anghiske wirbelte herum, sein Schweif folgte ihm als schwarzer, nasser Schleier, begleitet von der Aura von purem, mooreskalten Hass. Das Horn in Neshiras Hand splitterte. Der Geist stieß ein hasserfülltes Schnauben aus, und mit einem letzten Sprung warf er sie von seinem Rücken.

Fauchend preschte er voran, durch schneidende Schilfblätter, vorbei an den verwitterten Bäumen. Wasser und Schlamm spritzten auf. Neshira klammerte sich an die Schnüre und versuchte, nicht unter seiner Hufe zu gelangen. Jeder Tritt konnte ihren Schädel zerschmettern, so, wie es mit seinen vorigen Opfern geschehen war. Doch sie würde nicht unter seinen Angriffen fallen.

Feuchter Boden schrammte schmerzhaft unter ihr vorbei, verborgene Knochenreste und verrottende Äste zerfetzten ihre Kleidung. Das abgebrochene Horn klemmte sie zwischen ihre Zähne. Immer wieder versuchte sie, auf seinen Rücken zu gelangen, doch seine besinnungslosen Sprünge machten jeden Versuch unmöglich.

Glattes Holz blitzte auf, gekrönt von einer Spitze aus geschwungenen Metall. Neshira riss an den Schnüren, lenkte Anghiske auf ihre Waffe zu, und griff sie im Vorbeiziehen vom Boden auf. Sie zielte und rammte Anghiske den Schaft zwischen die Vorderbeine.

Knirschend splitterte das Holz. Anghiskes Wiehern klang beinahe überrascht. Er stolperte, versuchte einen letzten Sprung, verstrickte sich in den Schnüren und fiel. Dreck und Grasfetzen flogen, als er sich überschlug und krachend auf dem schlammigen Boden aufkam.

Neshira spürte seinen stinkenden Atem in ihrem Nacken, kaum, dass die erste Benommenheit aus ihrem Kopf wich. Ihre Zähne fühlten sich locker an, und als sie das Horn in ihre Hand spuckte, bemerkte sie neben Blut auch ihren eigenen Backenzahn in ihrer Handfläche. Anghiske stieß ein tiefes Knurren aus und hob den Kopf. Fahrig tastete Neshira nach dem Messer in seinem Kiefer und riss ihn daran wieder zu Boden.

Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte, und sie trieb die Magie ihres Gottes in ihre Verletzungen. Blut rann aus ihre Mund und tropfte auf Anghiskes Fell. Stück für Stück schleppte sie sich auf den Hals des Wassergeistes, bis sie auf seinem Hals, knapp unterhalb seines Kopfes, kniete. Neshira spürte jeden seiner Atemzüge an ihren Beinen. Seine Nüstern blähten sich, seine Mähne lag wie ein fettiger schwarzer Fächer über dem nassen Dreck, verworren mit niedergetrampelten Grashalmen.

Mit der noch immer in den Schnüren verwickelten Hand löste sie das Totem von ihrem Gürtel. Vorsichtig zog sie das Messer aus seinem Hals und trennte damit eine Strähne seiner Mähne ab. Er erzitterte, sein Kopf zuckte unter ihrem Gewicht, doch sie presste das Totem gegen sein Gesicht, und er hielt still.

Neshira löste eines der roten Bänder mit Perlen und Glöckchen von ihrem Fußgelenk, eines ihrer Talismane, und band damit das Horn und die Strähne an das Pentagramm. „Anghiske", flüsterte sie rau, die Stimme verwaschen durch ihr Blut. „Der du die Ahnungslosen in die Tiefe reißt, Schatten der Sümpfe, Ross der Ertrunkenen. Höre meine Worte und sei gebunden an dieses Totem. Mein Wille sei dein Befehl. Ich binde dich mit Worten. Ich binde dich mit der Macht des König Schellen. Ich binde dich mit Blut." Sie schmierte das Dämonenblut auf das Totem und spuckte aus.

Anghiskes Auge weitete sich. Er hob die Lefzen, entblößte helle, messerscharfe Zähne, und sein Knurren ließ Neshiras Körper erzittern. Es klang nach Hass und Tod, und sie wusste, dass sie trotz seines Banns stets wachsam sein musste. Sie hatte ihn nicht gezähmt. Nur gebunden.

Langsam zog sie das Messer aus seinem Kiefer und stieg von seinem Hals. Er regte sich nicht, einzig seine Ohren zuckten und lauschten auf die Stille. Die vom Boden aufsteigende Kälte fuhr Neshira in die Glieder, und sie schauderte. Plötzlich wurde sie sich bewusst, wie sie aussehen musste, sie, die mächtige Shinaru, das rote Fell beinahe gänzlich unter schwarzem Schlamm verschwunden, verschmiert mit Blut. Wie eine gewöhnliche Strauchdiebin, jemand, der sich in Tavernen mit Betrunkenen schlägerte. Sie lächelte schwach über den Gedanken und versuchte, sich den Dreck aus dem Gesicht zu wischen, doch sie ahnte, dass es nichts brachte. Andererseits würden Anghiskes Wege sie erneut ins Wasser führen. Zumindest etwas sauberer wäre sie danach.

Sie erhob sich und erlaubte ihm, es ihr gleichzutun. Still wie eine Statue stand er, umschlichen vom Nebel, und ließ zu, dass sie die roten Schnüre weiter um seinen Körper wickelte. Unwillig schlug er mit dem Schweif. Die Glöckchen klingelten leise.

Neshira trat zu der abgebrochenen Spitze ihres Speers. Mit der gewellten Spitze im Gürtel kehrte sie zu Anghiske zurück und schwang sich elegant auf seinen Rücken. Seine Hufe schmatzten im Morast. Er senkte den Kopf, versuchte, den Hals lang zu machen, doch die Schnüre hielten ihn zurück. Sie strich über seinen Hals, spürte die Muskeln unter seinem glatten Fell, die Kälte, die nichts mit einem gewöhnlichen Pferd gemein hatte, den Hass, den er mit dem Gestank nach verrottenden Leichen verströmte. Jeder seiner Atemzüge klang nach einem unterdrückten Knurren, sein Zorn schien mit der Feuchtigkeit in ihr Fell zu sickern. Unter ihren Schenkeln wellten sich seine Rippen, durchkreuzt von den Schnüren. Sein Blut befleckte ihre Hände.

Erschöpft und doch zufrieden ließ sie den Blick über den verfluchten Bruch schweifen. Stille lag über der nebelverschleierten Ebene. Das Schilf sang leise von Sieg.

Neshira stieß ihm die Hacken in die Seiten, und Anghiske trat voran, tiefer und tiefer ins Wasser hinein. Die schwarzen Fluten verschlangen sie.

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